Autor: Dr. Florian Meier

Einheitliches Patentgericht und mittelbare Patentverletzung – ein echter Mehrwert

1. Mittelbare Patentverletzung und doppelter Inlandsbezug

Die Vorschrift des deutschen Patentgesetztes zur mittelbaren Patentverletzung (§ 10 PatG), die (derzeit noch) auch für den deutschen Teil europäischer Patente gilt, weist einen doppelten Inlandsbezug auf. Nicht nur die Handlung des mittelbaren Verletzers muss im Inland erfolgen, sondern das Mittel, das sich auf ein wesentliches Element der Erfindung bezieht (im Folgenden: erfindungswesentliches Mittel), muss auch zur Benutzung in Deutschland angeboten oder geliefert werden. Das Liefern oder Anbieten eines solchen erfindungswesentlichen Mittels in Deutschland stellt dann keine mittelbare Verletzungshandlung dar, wenn es zur Benutzung der Erfindung im Ausland erfolgt. Dies gilt selbst dann, wenn dort ein anderer Teil des europäischen Patents in Kraft steht.

Ähnliche Regelungen der mittelbaren Patentverletzung, die einen doppelten Inlandsbezug erfordern, finden sich auch in den Patentgesetzen anderer EPÜ-Mitgliedsstaaten (z.B. Section 60(2) UK Patents Act; Art. 613-4 CPI).

Das Liefern oder Anbieten eines erfindungswesentlichen Mittels in Deutschland, das zur Benutzung der Erfindung in England oder Frankreich erfolgt, ist (derzeit) keine mittelbare Patentverletzung, selbst wenn ein europäisches Patent in allen drei Staaten in Kraft ist. Ähnlich ist das Liefern oder Anbieten eines solchen erfindungswesentlichen Mittels in England oder Frankreich, das zur Benutzung der Erfindung in Deutschland erfolgt, keine mittelbare Verletzung des englischen oder französischen Teils des Patents (da es zur Benutzung der Erfindung in Deutschland erfolgt), aber auch keine mittelbare Verletzung des deutschen Teils (da der mittelbare Verletzer nicht in Deutschland handelt).

2. Änderung durch das Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht

Das geplante Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht (im Folgenden: das Übereinkommen) wird einen besseren Schutz gegen mittelbare Verletzungen bieten. Zwar weist auch Artikel 26 des Übereinkommens einen doppelten Bezug auf das Hoheitsgebiet der Vertragsmitgliedsstaaten des Übereinkommens, in denen das Patent Wirkung hat, auf:

Art. 26 (1): Ein Patent gewährt seinem Inhaber das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im Hoheitsgebiet der Vertragsmitgliedstaaten, in denen dieses Patent Wirkung hat, anderen als zur Benutzung der patentierten Erfindung berechtigten Personen Mittel, die sich auf ein wesentliches Element der Erfindung beziehen, zur Benutzung der Erfindung in diesem Gebiet anzubieten oder zu liefern, wenn der Dritte weiß oder hätte wissen müssen, dass diese Mittel dazu geeignet und bestimmt sind, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden.

Da „dieses Gebiet“ (also das Hoheitsgebiet der Vertragsmitgliedstaaten, in denen das Patent Wirkung hat) regelmäßig – und im Fall eines Einheitspatents immer – mehr als das Territorium nur eines Staates umfasst, bietet Artikel 26 (1) des Übereinkommens einen besseren Schutz gegen mittelbare Patentverletzungen als die derzeitigen nationalen Vorschriften, nämlich dann, wenn das Liefern oder Anbieten des erfindungswesentlichen Mittels in einem anderen Staat erfolgt als demjenigen, in dem die Benutzung der Erfindung beabsichtigt ist.

Für ein Einheitspatent oder ein europäisches Patent, das in Deutschland, Frankreich und England in Kraft ist, würde nach Art. 26 des Übereinkommens gelten: Das Liefern oder Anbieten eines erfindungswesentlichen Mittels in Deutschland, das zur Benutzung der Erfindung in England oder Frankreich erfolgt, ist eine mittelbare Verletzungshandlung, wenn die weiteren Voraussetzungen des Art. 26 des Übereinkommens erfüllt sind. Ähnlich ist die das Liefern oder Anbieten eines solchen erfindungswesentlichen Mittels in England oder Frankreich, das zur Benutzung der Erfindung in Deutschland erfolgt, eine mittelbare Verletzung nach Art. 26 des Übereinkommens.

Der Schutz des Art. 26 des Übereinkommens geht also weiter als der Schutz, den die nationalen Verletzungsvorschriften in ihrer Summe derzeit gegen mittelbare Verletzungshandlungen gewähren.

3. Probleme

Da die Regelungen über die Verletzungshandlungen (einschließlich der Regelung der mittelbaren Verletzung) in der letzten Phase der Beratungen aus der Verordnung Nr. 1257/2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes in das Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht überführt wurden, gelten diese Vorschriften auch für herkömmliche europäische (Bündel-)Patente, für die keine einheitliche Wirkung eingetragen ist (vgl. Legaldefinition in Art. 2 lit. g) des Übereinkommens).

Dies bringt zum einen das Problem mit sich, dass der deutsche Teil eines europäischen Patents – entgegen der Verpflichtung des Art. 2(2), 64 (1) EPÜ – nicht mehr die gleiche Wirkung hat und dieselben Rechten verleiht wie ein deutsches nationales Patent. Dies könnte möglicherweise durch eine Änderung von § 10 PatG behoben werden.

Kritischer könnte sein, dass Art. 26 des Übereinkommens auch außerhalb der verstärkten Zusammenarbeit, nämlich bei Anwendung des Art. 26 des Übereinkommens auf europäische (Bündel-)Patente, zu einer Ungleichbehandlung verschiedener EU-Mitgliedsstaaten führt. Denn während beispielsweise dem Patentinhaber Schutz gegen das Liefern oder Anbieten eines erfindungswesentlichen Mittels in Deutschland gewährt wird, das zur Benutzung der Erfindung in einem anderen Vertragsmitgliedsstaat des Übereinkommens erfolgt, wird ein solcher Schutz versagt, wenn das Liefern oder Anbieten zur Benutzung der Erfindung in einem EU-Mitgliedsstaat erfolgt, der nicht Vertragsstaat des Übereinkommens ist. Dies gilt selbst dann, wenn das entsprechende europäische (Bündel-)Patent auch für diesen EU-Mitgliedsstaat in Kraft steht.

Teilanmeldungen beim EPA – Möglichkeiten zur Gebühreneinsparung

Die Einreichung einer europäischen Teilanmeldung kann sich schon aufgrund der Amtsgebühren als kostspielige Angelegenheit erweisen. Noch ärgerlicher ist dies, wenn vor Einreichung der Teilanmeldung auch noch Kosten für die Stammanmeldung aufgewandt werden müssen, damit überhaupt eine vor dem EPA anhängige Anmeldung vorliegt, aus der geteilt werden kann.

Ein typisches Szenario für einen solchen Fall ist eine PCT-Anmeldung, bei der das EPA internationale Recherchenbehörde war, aber (wegen unterbliebener Zahlung zusätzlicher Recherchegebühren im internationalen Verfahren) der internationale Recherchenbericht nur für einen Teil der Ansprüche erstellt wurde. Häufig wird der Anmelder Interesse haben, (nur) die in der internationalen Phase der PCT-Anmeldung nicht recherchierten Ansprüche weiterzuverfolgen. Dazu ist die Einreichung einer Teilanmeldung erforderlich (G 2/92).

Nach der Beschwerdekammerentscheidung J 18/09 kann eine Teilanmeldung zu einer PCT-Anmeldung erst dann eingereicht werden, wenn die PCT-Anmeldung wirksam in die regionale europäische Phase eingetreten ist. Wartet der Anmelder bis kurz vor Ablauf der 31-Monats-Frist zu, müssen insbesondere regelmäßig die Prüfungsgebühr und die Benennungsgebühr (und, falls keine Priorität beansprucht wurde, die Jahresgebühr für das dritte Jahr) gezahlt werden. Nur dann existiert überhaupt eine anhängige europäische Anmeldung, die die Möglichkeit zur Teilung eröffnet. Dies gilt auch dann, wenn die Stammanmeldung gar nicht weiterverfolgt werden soll. Da mit der Einleitung der europäischen Phase die Anmeldung unmittelbar in die Zuständigkeit der Prüfungsabteilung übergeht, kann die Prüfungsgebühr auch allenfalls teilweise nach Art. 11 b) GebO zurückerstattet werden.

In der Mitteilung des EPA vom 21.2.2013 über den Antrag auf vorzeitige Bearbeitung stellt das EPA die Amtspraxis zur vorzeitigen Bearbeitung einer europäischen Phase aus einer PCT-Anmeldung dar. Danach müssen für die wirksame Aufhebung des Bearbeitungsverbots neben der Stellung des entsprechenden Antrags nach Art. 23(2) oder Art. 40(2) PCT nur diejenigen der in Regel 159 (1) EPÜ genannten Erfordernisse erfüllt werden, für die bei Einleitung der europäischen Phase oder bei Stellung des Antrags auf vorzeitige Bearbeitung (je nachdem, was später erfolgt) die entsprechende Frist bereits abgelaufen ist.

Um die Kosten für die Einreichung einer Teilanmeldung zu reduzieren, wenn an der Weiterverfolgung der Stammanmeldung sowieso kein Interesse besteht, muss der Anmelder folglich vor Ablauf von sechs Monaten ab Veröffentlichung des internationalen Recherchenberichts und vor Fälligkeit der Jahresgebühr für das dritte Jahr (also frühestens 24 Monate nach dem Prioritätstag) die europäische Phase einleiten und einen Antrag auf vorzeitige Bearbeitung nach Art. 23(2) oder Art. 40(2) PCT stellen. Dies führt zur Anhängigkeit einer europäischen Patentanmeldung, die geteilt werden kann, ohne dass für die Stammanmeldung die Prüfungsgebühr, die Benennungsgebühr und die Jahresgebühr für das dritte Jahr entrichtet werden muss. Bei Weiterverfolgung der Stammanmeldung müssen die Gebühren natürlich später entrichtet werden, nicht aber, wenn die Stammanmeldung nach Einreichung der Teilanmeldung sowieso nicht weiterverfolgt werden soll.

Durch die Einleitung der Phase vor dem Ablauf von 24 Monaten nach dem Prioritätstag kann der Anmelder in einem Fall, wie er der Entscheidung J 18/09 zugrunde lag, somit Amtsgebühren von derzeit insgesamt EUR 2565 (mit einer erwarteten Steigerung um ca. 5% im Jahr 2014) sparen. Der Preis, der dafür zu zahlen ist, ist eine gegenüber der Frist der Regel 159(1) EPÜ um maximal sieben Monate vorgezogene Entscheidung über die Einleitung der europäischen Phase.

Formerfordernisse für die Übertragung des Prioritätsrechts

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich im Verfahren X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe mit den Formerfordernissen für die Übertragung des Prioritätsrechts zu befassen, wenn die Priorität einer nationalen Erstanmeldung für eine europäische Nachanmeldung in Anspruch genommen wird.

Nach der BGH-Entscheidung sind die Formerfordernisse, denen die Übertragung des Prioritätsrechts unterliegt, nach dem Forderungsstatut (Art. 33 Abs. 2 EGBGB in der bis zum 17.12.2009 geltenden Fassung bzw. nunmehr Art. 14 Abs. 2 Rom-I-VO) zu bestimmen. Dies führt dazu, dass die Formerfordernisse für die Übertragung des Prioritätsrechts dem Recht des Staats der Erstanmeldung unterliegen. Entsprechend ist die Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität einer deutschen Patentanmeldung auch dann nicht formbedürftig, wenn die Priorität für eine europäische Patentanmeldung in Anspruch genommen werden soll (Leitsatz 1).

Die Entscheidung X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe grenzt sich dezidiert von der Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 ab. In der Entscheidung T 62/05 hatte die Beschwerdekammer für den Fall einer europäischen Nachanmeldung gefordert, dass die Übertragung des Prioritätsrechts den Formerfordernissen des Art. 72 EPÜ genügen muss, also der Schriftform unterliegt und von beiden Vertragsparteien unterschieben sein muss. Die Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 führt zur Anwendbarkeit der Formerfordernisse des Rechts, dem die Nachanmeldung unterliegt, und nicht – wie nunmehr die BGH-Entscheidung X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe – zur Anwendbarkeit des Rechts, dem die Erstanmeldung unterliegt. Die in der Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 aufgestellten Formerfordernisse für die Übertragung des Prioritätsrechts hatten sich insbesondere im Einspruchsverfahren zu einer scharfen Waffe für den Einsprechenden entwickelt, da beispielsweise die nach US-Recht nur vom Erfinder als Zedenten zu unterschreibende Übertragungserklärung regelmäßig nicht der Formvorschrift des Art. 72 EPÜ genügt und eine Heilung nach Einreichung der Nachanmeldung nicht mehr möglich war. Die Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 wurde in der Literatur auch stark kritisiert (vgl. T. Bremi: ‚Traps when transferring priority rights, or When in Rome do as the Romans do: A discussion of some recent European and national case law and its practical implications.‘ In: epi Information, 1/2010).

Der Patentanmelder wird dennoch gut beraten sein, das Prioritätsrecht auch weiterhin so zu übertragen, dass die Übertragung den Formvorschriften des Art. 72 EPÜ genügt. So lange das Risiko besteht, dass eine Beschwerdekammer ein europäisches Patent im Einspruchsbeschwerdeverfahren wegen nicht wirksamer Inanspruchnahme der Priorität widerruft, ist es nur ein schwacher Trost, dass der BGH in einem etwaigen Nichtigkeitsverfahren basierend auf den in der Entscheidung X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe aufgestellten Grundsätzen anders entschieden hätte.

EuGH zur rechtserhaltenden Markenbenutzung (Stofffähnchen)

Der EuGH hat im Urteil in der Rechtssache C-12/12 zur rechtserhaltenden Benutzung von Marken Stellung genommen und damit die in der Vorlageentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH I ZR 206/10 – Stofffähnchen II) gestellten Vorlagefragen beantwortet.

Nach der Entscheidung des EuGH kann eine eingetragene Marke (hier: das rote Stofffähnchen an einer Hosentasche, das als Positionsmarke eingetragen ist) auch dann rechtserhaltend benutzt werden, wenn sie nur in Verbindung mit einer anderen Marke benutzt wird (hier: Wortmarke „LEVI’S“), die ihrerseits eingetragen ist. Dasselbe gilt für eine eingetragene Marke (hier: rotes Stofffähnchen als Positionsmarke), die durch die Verwendung als Bestandteil einer zusammengesetzten Marke (hier: rotes Stofffähnchen mit Aufschrift „LEVI’s“) Unterscheidungskraft erlangt hat. Auch in diesem Fall kann die eingetragene Marke durch die Benutzung der zusammengesetzten Marke rechtserhaltend benutzt werden.

Die Stofffähnchen-Entscheidung ergänzt somit die erst vor Kurzem ergangene Proti-Entscheidung. Nach der Proti-Entscheidung steht der rechtserhaltenden Benutzung einer Marke nicht entgegen, wenn die abgewandelte Form, in der die Marke benutzt wird, ebenfalls als Marke eingetragen ist. Nach der Stofffähnchen-Entscheidung steht der rechtserhaltenden Benutzung einer Marke nicht entgegen, wenn sie nicht in abgewandelter Form, sondern als Bestandteil eines zusammengesetzten Zeichens verwendet wird, selbst wenn das zusammengesetzte Zeichen und/oder die zusätzlichen Bestandteile des zusammengesetzten Zeichens selbst als Marke eingetragen sind.

Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung und die Tücken des IPR

1. Das Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung wird als Gegenstand des Vermögens einer bestimmten Rechtsordnung unterstehen. Die entsprechende Kollisionsnorm ist in Artikel 7 der Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes (im Folgenden: EPV) enthalten:

„(1) Ein Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung als Gegenstand des Vermögens ist in seiner Gesamtheit und in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten wie ein nationales Patent des teilnehmenden Mitgliedstaats zu behandeln, in dem dieses Patent einheitliche Wirkung hat, und in dem, gemäß dem Europäischen Patentregister:
a) der Patentanmelder zum Zeitpunkt der Einreichung einer Anmeldung eines Europäischen Patents seinen Wohnsitz oder den Sitz seiner Hauptniederlassung hat oder,
b) sofern Buchstabe a nicht zutrifft, der Patentanmelder zum Zeitpunkt der Einreichung einer Anmeldung eines Europäischen Patents eine Niederlassung hatte.

(3) Hatte für die Zwecke der Absätze 1 oder 2 keiner der Patentanmelder seinen Wohnsitz, den Sitz seiner Hauptniederlassung oder seine Niederlassung in einem teilnehmenden Mitgliedstaat, in dem dieses Patent einheitliche Wirkung hat, so ist ein Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung als Gegenstand des Vermögens in seiner Gesamtheit und in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten wie ein nationales Patent des Staates zu behandeln, in dem die Europäische Patentorganisation gemäß Artikel 6 Absatz 1 EPÜ ihren Sitz hat.“

Noch größere Bedeutung gewinnt diese Vorschrift dadurch, dass nach Artikel 5(3) EPV auch für die Verletzungstatbestände und deren Beschränkungen das Recht dieses Mitgliedsstaates anwendbar ist.

2. Leider führt Artikel 7 EPV nicht immer in eindeutiger Weise zum Recht nur eines Mitgliedsstaates:

2.1) Erstens ist nach Regel 41(2) c) EPÜ im Erteilungsantrag der Staat des Sitzes des Anmelders (gemeint ist der Staat der Hauptniederlassung, wie aus der englischen Fassung von Regel 41(2) c) EPÜ deutlich wird) anzugeben, der dann auch im Register eingetragen wird. Der Staat einer Niederlassung, die nicht auch Hauptniederlassung ist, kann allenfalls dann im Europäischen Patentregister erscheinen, wenn im Erteilungsantrag eine Angabe gemacht wird, die nicht Regel 41(2) c) EPÜ entspricht und somit streng genommen ein Mangel ist, der auf eine Rüge nach Regel 58, 57 b) EPÜ in der Formalprüfung zu beheben wäre.

Dies führt beispielsweise dann zu einer Unsicherheit bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts, wenn im Erteilungsantrag der Staat einer Niederlassung angegeben wird und diese Angabe bei der Formalprüfung und noch vor Veröffentlichung der Patentanmeldung dahingehend korrigiert wird, dass ein anderer Mitgliedstaat als Staat der Hauptniederlassung angegeben wird.

Es stellt sich die Frage, ob in einem solchen Fall
a) das Recht des Staats der zuerst angegebenen Niederlassung maßgeblich sein soll, nur weil dieser Staat bei Einreichung der Anmeldung angegeben wurde und obwohl dieser Staat weder auf der Veröffentlichung der Patentanmeldung noch im Europäischen Register für Dritte einsehbar angezeigt wurde, oder
b) das Recht des Staats der Hauptniederlassung maßgeblich sein soll, da der Anmelder bei Einreichung der Anmeldung dort schon die Hauptniederlassung hatte und immer nur dieser Staat im Europäischen Register für Dritte einsehbar war, oder
c) das Recht Deutschlands nach Artikel 7(3) EPV maßgeblich sein soll, da der Anmelder zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung zwar seine Hauptniederlassung in einem Mitgliedsstaat hatte, aber diese zu diesem Zeitpunkt nicht im Europäischen Patentregister eingetragen werden konnte.

2.2) Zweitens muss die Angabe des Staats der Hauptniederlassung oder Niederlassung nicht bei Einreichung einer Patentanmeldung erfolgen. Die entsprechende Angabe kann im Rahmen der Formalprüfung nach Regel 58, 57 b) EPÜ nachgeholt werden, sofern die Identität des Anmelders festgestellt werden kann oder eine Kontaktaufnahme mit ihm möglich ist (z.B. über seinen Vertreter) (Regel 40 (1) b) EPÜ).

Wenn der Anmelder nach Einreichung der Anmeldung und vor Beantwortung eines Mängelbescheids nach Regel 58, 57 b) EPÜ seine Hauptniederlassung in einen Mitgliedsstaat verlegt oder eine Niederlassung in einem Mitgliedsstaat veröffentlich, könnte er den entsprechenden Staat bei Beantwortung der Mitteilung nach Regel 58 EPÜ angeben. Dem Europäischen Patentregister kann in keiner Weise entnommen werden, ob die Hauptniederlassung oder Niederlassung in diesem Staat schon zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung bestand.

Es stellt sich die Frage, ob in einem solchen Fall
a) das Recht des Staats maßgeblich sein soll, der bei der Formalprüfung angegeben wurde, nur weil er als einziger Staat im Europäischen Patentregister erscheint und obwohl er zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung noch nicht Staat der Hauptniederlassung oder Niederlassung war, oder
b) das Recht Deutschlands nach Artikel 7(3) EPV maßgeblich sein soll, da der Anmelder zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung weder Hauptniederlassung noch Niederlassung in einem Mitgliedsstaat hatte.

2.3) Drittens divergieren die deutsche und englische Fassung von Artikel 7 EPV bezüglich des maßgeblichen Zeitpunkts. Artikel 7 EPV in der deutschen Fassung nimmt Bezug auf den „Zeitpunkt der Einreichung einer Anmeldung“. Artikel 7 EPV in der englischen Fassung nimmt Bezug auf „the date of filing of the application“ (d.h. den Anmeldetag i.S.v. Regel 40 EPÜ).

Ein typisches Beispiel, bei dem die beiden Zeitpunkte auseinanderfallen, liegt bei Teilanmeldungen vor. Bei einer Teilanmeldung liegt der Tag der Einreichung (= der Tag, an dem die Teilanmeldung beim EPA eingeht) später als der Anmeldetag, der nach Artikel 76(1) EPÜ auf den Anmeldetag der Stammanmeldung fingiert wird.

Es stellt sich die Frage, ob eine nach dem Anmeldetag der Stammanmeldung im Register eingetragene Änderung des Staates des Anmelders dazu führt, dass
a) das Recht des Mitgliedsstaates maßgeblich sein soll, der bei Einreichung der Teilanmeldung als Staat des Anmelders im Europäischen Patentregister eingetragen war (so nach der deutschen Fassung von Artikel 7 EPV), oder
b) das Recht des Mitgliedsstaates maßgeblich sein soll, der am Anmeldetag der Stammanmeldung als Staat des Anmelders im Europäischen Patentregister eingetragen war (so nach der englischen Fassung von Artikel 7 EPV).

2.4) Viertens kann sich selbst der Anmeldetag einer Anmeldung verschieben, wenn fehlende Teile nachgereicht werden (Regel 56(2) oder (5) EPÜ) oder die nachgereichten Teile anschließend wieder zurückgenommen werden (Regel 56 (6) EPÜ). Auch hier stellt sich die Frage, welcher Staat maßgeblich sein soll, wenn zwischenzeitlich eine Änderung im Staat des Anmelders erfolgt ist und dem EPA mitgeteilt wurde.

2.5) Fünftens bestehen zumindest die in 2.3 und 2.4 genannten Probleme, dass der maßgebliche Zeitpunkt nicht eindeutig bestimmt ist, auch für eine Anmeldermehrheit (Artikel 7(2) EPÜ). Beispielsweise sind Fälle vorstellbar, bei denen zwischen dem Tag der Einreichung einer Anmeldung und dem (Anmelde-)Tag, auf den nach Regel 56(2) EPÜ eine Verschiebung erfolgt, ein Anmelder hinzugefügt wird.

3. Die oben skizzierten Probleme können wesentlichen Einfluss auf die materielle Rechtslage haben, wenn ein Patent mit einheitlicher Wirkung übertragen wird. Dies gilt beispielsweise:

  • bei den Formerfordernissen für einen Übertragungsvertrag (keine Formerfordernisse nach deutschem Recht; Schriftform vorgeschrieben nach englischem Recht nach Section 30 (6) UK Patents Act) oder
  • der Publizitätswirkung des Registers, wenn ein Patentinhaber mehrere aufeinanderfolgende Übertragungsverträge über dasselbe Patent mit einheitlicher Wirkung abschließt (deutsches Recht: Der erste Vertrag ist wirksam und der Vertragspartner des zweiten Übertragungsvertrags kann vom ursprünglichen Inhaber nicht mehr wirksam das Recht an dem Patent mit einheitlicher Wirkung erwerben; englisches Recht: Der spätere Vertrag ist wirksam, falls die erste Übertragung nicht im Register eingetragen ist oder eine solche Eintragung nicht beantragt wurde, Section 33(1) UK Patents Act).

4. Die oben skizzierten Probleme bei der Bestimmung des nach Artikel 7 EPV maßgeblichen Rechts haben auch Auswirkungen auf das Verletzungsverfahren. Nach Artikel 5(3) EPV gilt das so bestimmte Recht nämlich auch für die „Handlungen, gegen die das Patent Schutz … bietet, sowie die geltenden Beschränkungen“.

Die Verletzungshandlugen sind zwar in Artikel 25 und Artikel 26 des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (im Folgenden: EGPÜ) definiert, und Artikel 27 EGPÜ definiert Beschränkungen des Schutzes. Im Rahmen der Regelung der Artikel 25 bis 27 EGPÜ stimmt das materielle Recht der Mitgliedsstaaten also überein (ist also „materielles Einheitsrecht“).

Allerdings kann das Recht der Mitgliedsstaaten anderen Beschränkungen vorsehen, die nicht im EGPÜ geregelt sind und somit nicht in allen Mitgliedsstaaten einheitlich sind. Man denke hier beispielsweise an den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand, für den in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten unterschiedliche Ansätze gewählt werden (siehe hierzu beispielsweise Standards-Essential Patents and Injunctive Relief, Jones Day).

Überprüfungsverfahren durch die Große Beschwerdekammer

Auch wenn das EPÜ2000 mit dem Überprüfungsverfahren nach Art. 112a EPÜ einen Rechtsbehelf bereitstellt, mit dem wesentliche Mängel des Verfahrens vor der Beschwerdekammer gerügt werden können, war den bislang gestellten Anträgen nur selten Erfolg beschieden. Die angefochtene Entscheidung wurde (soweit dem Verfasser bekannt) bislang nur in den Verfahren R 7/09, R 3/10 und R 21/11 aufgehoben. Der Großteil der gestellten Anträge scheiterte schon an der Prüfung auf offensichtliche Unzulässigkeit oder offensichtliche Unbegründetheit. Neben den erfolgreichen Anträgen gelangten nur wenige weitere Anträge (Verfahren R 9/11; R 13/11; R 15/09; R 18/09; R 5/08) bislang überhaupt vor die mit fünf Mitgliedern besetzte Große Beschwerdekammer nach Regel 109 (2) b) EPÜ.

Viele der Verfahren, die schon vor der mit drei Mitgliedern besetzten Großen Beschwerdekammer nach Regel 109 (2) a) EPÜ als offensichtlich unzulässig verworfen wurden, scheiterten an dem Erfordernis der Regel 106 EPÜ. Danach muss der Verfahrensmangel vom Verfahrensbeteiligten schon während des Beschwerdeverfahrens gerügt werden, es sei denn, der Einwand konnte im Beschwerdeverfahren nicht erhoben werden.

Die Große Beschwerdekammer legt bei der Prüfung der Zulässigkeitsvorschrift der Regel 106 EPÜ einen strengen Maßstab an, nach dem nur in seltenen Fällen bejaht werden konnte, die Rüge nach Regel 106 EPÜ hätte im Beschwerdeverfahren noch nicht erhoben werden können. Beispielhaft kann verwiesen werden auf R 14/11, Ziffern 2.5 bis 2.7 der Entscheidungsgründe.

In dem Verfahren R 14/12 hat es ein Überprüfungsantrag wieder einmal bis vor die Fünferbesetzung (Regel 109 (2) b) EPÜ) geschafft, obwohl das Protokoll der Beschwerdeverhandlung keine Rüge nach Regel 106 EPÜ auswies.

Es ist natürlich noch nicht klar, ob auch die Große Beschwerdekammer in der Besetzung mit fünf Mitgliedern nach Regel 109 (2) b) EPÜ der Auffassung ist, dass eine Rüge nach Regel 106 EPÜ im Beschwerdeverfahren nicht erhoben werden konnte. Interessant ist aber, dass in diesem Verfahren zumindest eines der Mitglieder der Dreierbesetzung nach Regel 109 (2) a) EPÜ der Auffassung gewesen sein muss, dass eine – von der Antragstellerin behauptete – Abweichung der erkennenden Beschwerdekammer von früheren Beschwerdekammerentscheidungen vom Vertreter der Antragstellerin trotz des Verlaufs der Verhandlung nicht antizipiert werden musste. Im konkreten Fall ging es dabei um die Frage, inwieweit die Möglichkeit der Kenntnisnahme einer Veröffentlichung durch eine Bibliotheksmitarbeiterin, die eine Druckschrift vor dem Prioritätstag des angegriffenen Patents mit einem Eingangsstempel versehen hatte, schon als Möglichkeit der Kenntnisnahme durch die Öffentlichkeit i.S.v. Artikel 54(2) EPÜ anzusehen ist.

Bei der Entscheidung, das Verfahren an die Große Beschwerdekammer in der Fünferbesetzung zu überweisen, könnte auch eine Rolle gespielt haben, dass zumindest aus dem nur aus wenigen Zeilen bestehenden Protokoll der Verhandlung vor der Beschwerdekammer nicht ersichtlich war, welche Fragen des juristischen Mitglieds dem Vertreter der Antragstellerin hätten zeigen können, dass sich die Beschwerdekammer nicht der Auffassung der Antragstellerin zur Frage der öffentlichen Zugänglichkeit anschließen würde.

Vergütungsanspruch des Hochschulerfinders

In seinem Urteil in der Rechtssache X ZR 59/12 – Genveränderung konnte der X. Zivilsenat zu einer spezifischen Frage der Vergütung von Hochschulerfindern Stellung nehmen.

Mit der Reform des Arbeitnehmererfinderrechts aus dem Jahr 2002 wurden auch die Erfindungen von Hochschullehrern in den Anwendungsbereich des ArbNEG einbezogen. Zu den für die Hochschullehrer vorgesehenen Sonderregelungen gehört die besondere Vergütungsregelung des § 42 Nr. 4 ArbNEG: Der Vergütungsanspruch des Hochschulerfinders beträgt 30 % der vom Dienstherrn erzielten (Brutto-)Einnahmen. Im Vergleich zu typischen Vergütungsansprüchen von Arbeitnehmererfindern, die keine Hochschullehrer sind, stellt dies eine deutliche Besserstellung der Hochschulerfinder dar.

Nach dem Urteil in der Rechtssache X ZR 59/12 – Genveränderung sind „Einnahmen“ i.S.v. § 42 Nr. 4 ArbNEG nicht nur Geldzahlungen, sondern auch andere geldwerte Vorteile, die dem Dienstherrn zufließen. Bei dem dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt waren dies die Kosten für die Ausarbeitung und Einreichung einer Patentanmeldung, die ein die Erfindung als Lizenznehmer verwertendes Unternehmen für den Dienstherrn des Hochschulerfinders übernommen hatte.

Der X. Zivilsenat führt aus, dass ein geldwerter Vorteil dem Dienstherrn auch dann zufließt, wenn es ein Lizenznehmer auf eigene Kosten übernimmt, zu Gunsten des Dienstherrn ein Schutzrecht zu begründen, aufrechtzuerhalten oder zu verteidigen. Während der Lebenszeit des Patents hat der Hochschullehrererfinder neben dem Vergütungsanspruch auf 30 % der dem Dienstherrn zufließenden Lizenzeinnahmen somit zusätzlich beispielsweise auch einen Vergütungsanspruch auf 30 % der vom Lizenznehmer übernommenen Jahresgebührenzahlungen.

Nach Auffassung des X. Zivilsenats besteht ein derartiger Vergütungsanspruch auch für die Einreichung von Patentanmeldungen sowie die Aufrechterhaltung und Verteidigung von Patenten im Ausland, obwohl dort keine Anmeldepflicht des Dienstherrn besteht (Rz. 31-32 des Urteils).

Etwas anderes gilt, wenn die Hochschule alle Rechte an einer Erfindung, einschließlich des Rechts auf Erteilung des Patents, an einen Dritten veräußert und dieser dann die Patentanmeldung auf seine Kosten ausarbeiten und in seinem Namen einreichen lässt. Die für die Anmeldung bzw. das Patent aufgewandten Kosten sind dann keine geldwerten Vorteile mehr, die dem Dienstherrn des Hochschulerfinders zufließen.

Markenbenutzung: Deutsch-schweizerisches Übereinkommen auf dem Prüfstand?

Das Urteil des EuG vom 12.7.2012 in der Rechtssache T-170/11 wirft Fragen zum Verhältnis zwischen dem Benutzungserfordernis des harmonisierten europäischen Markenrechts und dem Übereinkommen zwischen der Schweiz und Deutschland betreffend den gegenseitigen Patent-, Muster- und Markenschutz aus dem Jahr 1892 auf. Nach Artikel 5 dieses Übereinkommens gilt eine Marke in Deutschland als benutzt, auch wenn die Benutzung nur in der Schweiz erfolgte.

Dem Verfahren vor dem EuG vorangegangen war ein Widerspruchsverfahren vor dem HABM. Die Widersprechende stützte den Widerspruch gegen eine Gemeinschaftsmarkenanmeldung auf eine mit Wirkung für Deutschland eingetragene IR-Marke. Benutzungshandlungen wurden von der Widersprechenden – unter Berufung auf das genannte Übereinkommen aus dem Jahr 1892 – nur für die Schweiz nachgewiesen.

Das EuG entschied, dass „die ernsthafte Benutzung einer älteren Marke, gleichviel ob es sich um eine Gemeinschaftsmarke, eine nationale oder eine internationale Marke handelt, in der Europäischen Union oder im betreffenden Mitgliedstaat nachgewiesen werden“ muss (Rz. 31 der Entscheidungsgründe). Eine Benutzung nur in der Schweiz ließ das EuG (wie auch schon die Beschwerdekammer des HABM) demnach nicht genügen.

Das EuG wies darüber hinaus darauf hin, dass „das harmonisierte Markenrecht der Mitgliedstaaten eine zwingende Benutzung im betreffenden Mitgliedstaat voraus[setzt] (vgl. Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95). Es ist auch zu beachten, dass das Erfordernis der ernsthaften Benutzung – unter Vermeidung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Sanktionen – in das nationale Recht umgesetzt wurde (§ 26 Markengesetz).“ (Rz. 33 der Entscheidungsgründe) Die Frage, ob Artikel 5 des Übereinkommens zwischen der Schweiz und Deutschland betreffend den gegenseitigen Patent-, Muster- und Markenschutz im innerstaatlichen Recht durch deutsche Gerichte noch angewandt werden darf, bedurfte im entschiedenen Fall keiner Klärung. Jedoch dürfte absehbar sein, dass jedenfalls die zitierte Textpassage aus Rz. 33 der Entscheidungsgründe des Urteils des EuG vom 12.7.2012 in der Rechtssache T-170/11 dazu führen wird, dass auch in rein nationalen Marken-Kollisionsverfahren die Frage aufgeworfen wird, ob eine Benutzung einer Marke nur in der Schweiz für eine Benutzung i.S.v. § 26 MarkenG ausreicht. Dies wird komplexe Fragen dazu aufwerfen, inwieweit durch eine europäische Richtlinie in ältere zwischenstaatliche Übereinkommen zwischen einem Mitgliedsstaat und einem Nicht-Mitgliedsstaat der EU eingegriffen werden kann.

BGH: Schutzumfang des Gemeinschaftsgeschmacksmusters

In dem Urteil vom 12. Juli 2012, I ZR 102/11 – Kinderwagen II befasst sich der I. Zivilsenat des BGH erneut mit dem Schutzumfang von Gemeinschaftsgeschmacksmustern.

Dabei betont der BGH erneut den schon in der Untersetzer-Entscheidung aufgestellten Grundsatz, dass der Schutzumfang nicht nur von der Musterdichte abhängt, sondern auch davon, wie deutlich sich das Klagemustervon diesem Formenschatz unterscheidet. Entsprechend lautet der zweite Leitsatz: „Der Schutzumfang des Klagemusters wird durch die Musterdichte bei den fraglichen Erzeugnissen einerseits und die Ausnutzung des Gestaltungsspielraums durch den Entwerfer und den dadurch erreichten Abstand des Klagemusters vom Formenschatz andererseits bestimmt.“

Neu gegenüber der Untersetzer-Entscheidung ist, dass der BGH nunmehr anscheinend eine Gewichtung von Merkmalen des Klagemusters abhängig davon vornehmen möchte, inwieweit es sich dabei um im einschlägigen Gebiet weithin bekannte Gestaltungsmerkmale handelt. So wird in Rz. 62 des Kinderwagen II-Urteils ausgeführt: „Der informierte Benutzer wird diesem Merkmal [bestimmte Applikationen, Anm.], das ihm von anderen Mustern bekannt ist, allenfalls geringe Bedeutung für den Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Muster beimessen.“

Abzuwarten bleibt, wie eine Gewichtung von Einzelmerkmalen eines Musters in der Instanzrechtsprechung erfolgen kann. Die Beurteilung der Eigenart erfolgt auf einem Einzelvergleich mit jeweils einem Muster des Formenschatzes. Wie beispielsweise schon Ruhl in den Anmerkungen zur Entscheidung „Verlängerte Limousinen“ (GRUR 2010, 692, 695) betont, ist daher eine Berücksichtigung von Übereinstimmungen des Klagemusters mit Elementen des Formenschatzes im Verletzungsverfahren zumindest schwierig.

Praxisnah ist die – ebenfalls zum Leitsatz erhobene – Aussage des Kinderwagen II-Urteils, dass auch Unterschiede in technisch bedingten Merkmalen zu einem unterschiedlichen Gesamteindruck führen können.

BGH zu computerimplementierten Erfindungen

Im Urteil vom 18. Dezember 2012 – X ZR 3/12 – Routenplanung führt der X. Zivilsenat seine Rechtsprechung zur Behandlung nichttechnischer Merkmale in Patentansprüchen fort. Dabei zeichnet sich eine ähnliche Praxis ab, wie sie am EPA spätestens seit der Entscheidung T 641/00 – Comvik etabliert ist. Danach können nichttechnische Anspruchsmerkmale eine erfinderische Tätigkeit regelmäßig nicht begründen.

Zwei Aspekte des Urteils vom 18. Dezember 2012 – X ZR 3/12 – Routenplanung geben jedoch Anlass zu großer Besorgnis.

1. Zum Leitsatz erhebt der X. Senat in dem genannten Urteil, dass „Anweisungen zur Auswahl von Daten, deren technischer Aspekt sich auf die Anweisung beschränkt, hierzu Mittel der elektronischen Datenverarbeitung einzusetzen, … jedenfalls bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht berücksichtigt werden [können]“.

In concreto setzt der X. Senat dies so in die Praxis um, dass nur eine Unterkombination von Anspruchsmerkmalen dahingehend geprüft wird, ob sie durch den Stand der Technik nahegelegt wird (Rz. 36 des Urteils). Das ist ein wesentlicher Unterschied zum Ansatz des EPA, bei dem beispielsweise nach der Entscheidung T 641/00 – Comvik die nichttechnischen Merkmale mit in die Formulierung der objektiven Aufgabe einfließen („requirement specification“) und anschließend geprüft wird, ob der Fachmann bei der Lösung dieser Aufgabe in naheliegender Weise zur Kombination aller Anspruchsmerkmale, einschließlich der nichttechnischen Merkmale kommt.

Die BGH-Praxis mag zu einem gewissen Teil dadurch bedingt sein, dass der BGH sich nicht dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz anschließen kann oder möchte (für eine aktuelle Erläuterung hierzu siehe Meier-Beck in GRUR 2012, 1177, 1179). Allerdings hat die BGH-Praxis zwei wesentliche Nachteile gegenüber dem Ansatz des EPA.

Erstens wird eine Unterkombination von Anspruchsmerkmalen, wie sie der BGH prüfen will, häufig kaum verständlich oder gar vollständig sinnentstellt sein. Dies dürfte eine sinnvolle Prüfung auf Naheliegen erschweren.

Zweitens wird die Praxis des BGH dann zu unterschiedlichen Ergebnissen als die EPA-Praxis führen können, wenn ein nichttechnisches Merkmal mit technischen Merkmalen so zusammenwirkt, dass ein überraschender, auf technischem Gebiet liegender Erfolg erreicht wird. In so einem Fall wird der BGH das nichttechnische Merkmal trotzdem vollständig ausblenden, nur weil es (isoliert betrachtet) nichttechnisch ist. Hingegen wird die Wechselwirkung nichttechnischer Merkmale mit technischen Merkmalen nach der Praxis des EPA berücksichtigt, indem das nichttechnische Merkmal aufgrund seines engen Zusammenhangs mit den technischen Merkmalen doch nicht in die Formulierung der objektiven Aufgabe als vom Techniker zu berücksichtigende Zwangsbedingung einfließt. Maßgeblich ist, ob ein technischer Erfolg erzielt wird. Für ein Beispiel für ein solches Wechselspiel zwischen nichttechnischen Merkmalen und technischen Merkmalen siehe beispielsweise T 928/03.

2. Die Auffassung des X. Zivilsenats, was im entschiedenen Fall zu den nichttechnischen Merkmalen gehört, überrascht. So sollte im entschiedenen Fall nach den hilfsweise verteidigten Ansprüchen unter bestimmten Umständen eine (nur) lokale Neuberechnung einer Route durchgeführt werden, nachdem der Benutzer ein bestimmtes Straßensegment (Mautstraße) abgelehnt hatte.

Als Naturwissenschaftler bin ich der festen Überzeugung, dass die Entscheidung für eine lokale Neuberechnung eines Teils der Route anstelle einer globalen Neuberechnung
– auf der technischen Überlegung beruht, dass dadurch Speicherplatz und Rechenzeit eingespart werden kann (denn nach den gängigen Suchmethoden wie Dijkstra oder A* wächst die Zahl der zu expandierenden Kanten und der Expansionsschritte stark mit der Länge der Strecke), und
– dadurch eine technische Wirkung erreicht wird (schnelle und effiziente Berechnung einer Alternativroute, falls der Benutzer eine Mautstraße ablehnt).

Warum der X. Zivilsenat unter Verweis auf das Urteil vom 26.10.2012 – X ZR 47/07 – Wiedergabe topographischer Informationen, dem eine ganz andere Konstellation zugrunde lag, solche Merkmale als nichttechnisch ansieht, konnte ich der äußerst kurzen Begründung in Rz. 53 und 54 des Urteils vom 18. Dezember 2012 – X ZR 3/12 – Routenplanung leider nicht entnehmen.

Es stellt sich natürlich die Frage, ob nicht der Fachmann im einschlägigen Gebiet sowieso wegen der genannten Vorteile die nur lokale Neuberechnung der Route in Betracht gezogen hätte. Man wäre der Erfindung im konkreten Fall wohl eher gerecht geworden, wenn man das Merkmal einer lokalen Neuberechnung unter Berücksichtigung der Kenntnisse des Fachmanns als naheliegend angesehen hätte, anstatt es als nichttechnisches Merkmal unberücksichtigt zu lassen – auch wenn dies vielleicht zusätzliche Aufklärung zu den Kenntnissen des Fachmanns erfordert hätte.

Die Glaubwürdigkeit eines Ansatzes, wie nichttechnische Merkmale behandelt werden, und die Akzeptanz, die ein derartiger Ansatz von Nutzerseite erfährt, basiert darauf, dass eine Prüfung, ob Merkmale nichttechnisch sind, in nachvollziehbarer und keineswegs leichtfertiger Weise erfolgt. Dies gilt für das Bestandsverfahren vor dem Bundespatentgericht und Bundesgerichtshof nicht anders als für die Prüfungsabteilungen des EPA (bei denen nach meinem Empfinden zumindest in Einzelfällen gerade immer diejenigen Merkmale nichttechnisch sein sollen, die im Stand der Technik amtsseitig nicht nachgewiesen werden konnten).