EPG, UPC_CFI_792/2024: Universelle Zuständigkeit bei Beklagtenwohnsitz in UPC-Staat

EPG, Lokalkammer Mailand, Beschl. v. 8. April 2025 – UPC_CFI_792/2024

Die Lokalkammer Mailand hat entschieden, dass das Einheitliche Patentgericht (UPC) als Gericht des Beklagtenwohnsitzes auch für Klagen wegen Verletzung europäischer Patente zuständig ist [Artikel 32 → Zuständigkeit des Gerichts], die in Staaten validiert wurden, die nicht dem UPC-System beigetreten sind, hier insbesondere Spanien. Sie folgt damit der Linie früherer Entscheidungen anderer Kammern, insbesondere der Lokalkammer Düsseldorf und der Lokalkammer Paris, und bestätigt die Auffassung, dass die UPC-Zuständigkeit nicht hinter diejenige nationaler Gerichte zurückfallen darf. Gestützt auf Artikel 4(1), 71a und 71b der Brüssel-Ia-Verordnung sowie die EuGH-Rechtsprechung (Rs. C-339/22), stellt die Entscheidung klar, dass die Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Beklagten auch dann besteht, wenn im Rahmen der Verteidigung die Gültigkeit eines ausländischen Patents in Frage gestellt wird. Die vorläufige Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit wurde daher zurückgewiesen.

Leitsätze der Entscheidung:

  1. Das Einheitliche Patentgericht (EPG) wird gemäß Artikel 71a [→ Gemeinsame Gerichte mehrerer Mitgliedstaaten] der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (neu gefasst), geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 542/2014, als Gericht eines Mitgliedstaats behandelt. Die Auslegung dieser Verordnung durch den Gerichtshof der Europäischen Union gilt für das EPG wie für ein nationales Gericht.
  2. In Anbetracht der Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache C-339/2022 vom 25. Februar 2025 hat die Mailänder Lokalabteilung des EPG universelle Zuständigkeit zur Entscheidung über Verletzungsfragen im Zusammenhang mit europäischen Patenten gegenüber den in Italien ansässigen Beklagten gemäß Artikel 32 EPGÜ [ → Zuständigkeit des Gerichts] sowie gemäß Artikel 4 Absatz 1 und den Artikeln 71a [→ Gemeinsame Gerichte mehrerer Mitgliedstaaten] und 71b  [→ Zuständigkeit gemeinsamer Gerichte] der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (in der Neufassung), geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 542/2014. Eine andere Interpretation hätte zur Folge, dass dem EPG eine geringere territoriale Zuständigkeit als einem nationalen Gericht zuerkannt würde, was den Bestimmungen von Artikel 71a der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (in der Neufassung), geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 542/2014, widerspricht.
  3. Wenn die Mailänder Lokalabteilung des EPG das Gericht des Wohnsitzes des Beklagten ist, hat sie die Zuständigkeit, über Verletzungsfragen im Zusammenhang mit in Nicht-EPG-Ländern validierten europäischen Patenten zu entscheiden, in diesem Fall in Spanien.

EPG, UPC_CFI_501/2023: „Problem-solution Approach“ am Einheitspatentgericht

EPG, Lokalkammer München, Urt. v. 4. April 2025 – UPC_CFI_501/2023

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze:

  1. Art. 33(1)(b) EPGÜ [→ Zuständigkeit der Lokalkammern und Regionalkammern] erlaubt es, mehrere Beklagte am Wohnsitz, Hauptgeschäftssitz oder, falls dies nicht möglich ist, am Geschäftsstandort eines der Beklagten zu verklagen, vorausgesetzt, dass die Beklagten eine Handelsbeziehung haben und die Klage dieselbe angebliche Verletzung betrifft. Im Kontext eines europäischen Patents ohne einheitliche Wirkung bezeichnet der Ausdruck „dieselbe Verletzung“ Situationen, in denen mehreren Beklagten vorgeworfen wird, die relevanten nationalen Benennungen desselben europäischen Patents durch dasselbe Produkt oder Verfahren verletzt zu haben. Eine andere Auslegung würde den Zweck des Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht untergraben, die fragmentierte Patentstreitlandschaft in Europa zu überwinden (Präambel 2 der EPGÜ).
  2. Für die Beurteilung, ob eine Erfindung angesichts des Stands der Technik als naheliegend anzusehen ist [Artikel 65 (2) → Gründe für die Nichtigkeit eines Patents], soll der von der europäischen Patentorganisation entwickelte „problem-solution approach“ vorrangig angewendet werden, soweit dies möglich ist, um die Rechtssicherheit zu erhöhen und die Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts weiter mit der Rechtsprechung der europäischen Patentorganisation und der Beschwerdekammern in Einklang zu bringen.
  3. Eine Unterlassungserklärung ohne Vertragsstrafeverpflichtung durch einen oder zwei, aber nicht alle Beklagten, die Mitglieder einer Gruppe von Unternehmen sind, die gemeinsam ein Patent verletzt haben, kann das Interesse des Patentinhabers, die exklusive Natur seines Rechts zu verteidigen, nicht in der gleichen Weise sichern wie eine gerichtliche Anordnung. Das Risiko bleibt bestehen, dass sich die Mitglieder der Gruppe um solche isolierten Unterlassungserklärungen herum neu organisieren und das Patent in den relevanten Gebieten weiterhin verletzen, ohne das Risiko eingehen zu müssen, eine Vertragsstrafe zahlen zu müssen.
  4. Wenn eine Entscheidung unmittelbar und direkt ab dem Zeitpunkt der Zustellung in jedem der Vertragsmitgliedstaaten gemäß Regel 354.1 EPGVO [→ Unmittelbare Vollstreckbarkeit] vollstreckbar ist, muss keine Sicherheit im Voraus geleistet werden, und es besteht keine Bedingung gemäß Regel 118.2.a EPGVO. Regel 118.8 EPGVO muss jedoch eingehalten werden.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Das Gericht erster Instanz und das Berufungsgericht des Einheitlichen Patentgerichts haben den erfinderischen Schritt in verschiedenen Entscheidungen geprüft. Einige Entscheidungen bezogen sich ausdrücklich auf den Aufgabe-Lösungs-Ansatz, wie er vom Europäischen Patentamt (EPA), einschließlich der Beschwerdekammern, sowie von mehreren nationalen Gerichten angewendet wird; andere wendeten einen anderen Ansatz an, der dem von der deutschen Bundesgerichtshof verwendeten Test zur erfinderischen Tätigkeit ähnlich, wenn nicht sogar identisch ist. Beide Tests, der „deutsche“ Test und der Aufgabe-Lösungs-Ansatz, sollten, wenn sie korrekt angewendet werden, in der Mehrzahl der Fälle zum selben Ergebnis führen (vgl. Deichfuss, GRUR Patent 2024, 94). Beide Tests erfordern einen „realistischen Ausgangspunkt“ und einen „Anreiz“ für die Fachperson, den „nächsten Schritt“ zu machen, also beispielsweise die technische Lösung, die durch den Ausgangspunkt offenbart ist, so zu verändern, dass sie zur patentierten Lösung führt. Da keiner der Tests im Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) verankert ist und beide im Wesentlichen zu denselben Ergebnissen führen, können beide als Instrument zur Beurteilung des erfinderischen Schritts herangezogen werden. Dennoch trifft dieses Spruchkörper die Entscheidung, den vom EPA einschließlich der Beschwerdekammern praktizierten Aufgabe-Lösungs-Ansatz anzuwenden, soweit dies möglich ist, und dies ausdrücklich festzuhalten, da ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit sowohl für die Nutzer des Systems als auch für die verschiedenen Kammern des Einheitlichen Patentgerichts besteht. Die Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes bringt die Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts zudem weiter in Einklang mit der Rechtsprechung des EPA und der Beschwerdekammern.

Anmerkung:

Das Urteil der Lokalkammer München bringt mit seiner ausdrücklichen Präferenz für den Aufgabe-Lösungs-Ansatz des Europäischen Patentamts (EPA) eine Weichenstellung für die Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts (UPC).

Die Intention des Gerichts ist nachvollziehbar: Mit der einheitlichen Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes wird eine kohärente Rechtsprechung angestrebt, die sich an den bekannten Standards des EPA orientiert und dadurch die Vorhersehbarkeit für Verfahrensbeteiligte erhöhen soll. In einem System, das grenzüberschreitende Streitigkeiten über europäische Patente bündelt, erscheint dies zunächst als konsequente Harmonisierung.

Allerdings ist kritisch anzumerken, dass der Aufgabe-Lösungs-Ansatz seiner Natur nach lediglich ein methodisches Hilfsmittel zur Strukturierung der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit darstellt, nicht jedoch eine starre Rechtsvorgabe. Der Begriff der „erfinderischen Tätigkeit“ ist im europäischen wie auch im einheitlichen Patentrecht bewusst als unbestimmter Rechtsbegriff ausgestaltet worden. Er soll die notwendige Flexibilität bieten, um den Anforderungen sich wandelnder technischer Entwicklungen und komplexer Einzelfallkonstellationen gerecht zu werden.

Die richterliche Entscheidung, den Aufgabe-Lösungs-Ansatz „vorrangig“, wenn auch nicht zwingend, zur Anwendung zu bringen, birgt daher die Gefahr einer Dogmatisierung dieses Ansatzes. Dabei darf nicht übersehen werden, dass auch innerhalb des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes erhebliche Wertungsspielräume bestehen – insbesondere bei der Definition des objektiv technischen Problems und der Frage, ob für die Fachperson ein Anreiz bestand, zur beanspruchten Lösung zu gelangen. Die vermeintliche Vorhersehbarkeit des Ergebnisses wird durch diese inhärente Subjektivität erheblich relativiert.

Wird der Aufgabe-Lösungs-Ansatz zu einer faktischen Verpflichtung erhoben, besteht das Risiko, dass die notwendige Flexibilität bei der rechtlichen Bewertung unterbleibt. Gerade komplexe oder interdisziplinäre Erfindungen könnten dann unter ein starres Schema gezwungen werden, das der Vielfalt technischer Lösungsansätze nicht immer gerecht wird. Dies könnte zu einer Formalisierung der Prüfung führen, bei der die entscheidende Würdigung der technischen Umstände des Einzelfalls hinter die bloße Anwendung des Schemas zurücktritt.

EPG, UPC_CFI_112/2025: Anti-Anti-Suit Injunction durch die Lokalkammer München des EPG

EPG, Lokalkammer München, Anordnung vom 19. Februar 2025 – UPC_CFI_112/2025

Die Lokalkammer München des Einheitlichen Patentgerichts erließ eine Anordnung [Artikel 62 (1) → Verfügungen gegen angebliche Verletzer] zugunsten der Antragstellerinnen, um eine Anti-Anti-Suit Injunction (AASI) zu erlassen. Diese Anordnung wurde aufgrund der drohenden Gefahr erlassen, dass die Antragsgegnerinnen eine Anti-Suit Injunction (ASI) bei chinesischen Gerichten einleiten könnten, um die Patentinhaberin daran zu hindern, ihre Patentrechte gerichtlich durchzusetzen. Die Anordnung soll verhindern, dass die Antragsgegnerinnen die Patentinhaberin daran hindern, Patentverletzungsverfahren in Europa durchzuführen oder entstehende Urteile zu vollstrecken.

Das Einheitliche Patentgericht, Lokalkammer München, sah konkrete und greifbare Anhaltspunkte für eine drohende Anti-Suit Injunction (ASI), weil die Antragsgegnerinnen bereits heimlich ein Lizenzratenbestimmungsverfahren („Rate-Setting“) vor einem chinesischen Gericht eingeleitet hatten, ohne die Antragstellerinnen zu informieren. Die Zustellung der europäischen Patentverletzungsklagen auf der Messe EuroCIS am 18. Februar 2025 erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass die Antragsgegnerinnen mit einer ASI reagieren würden, um die Durchsetzung der Klagen zu verhindern. Da chinesische Gerichte ASIs regelmäßig kurzfristig und ex parte erlassen, bestand die Gefahr, dass die Patentinhaberin an der gerichtlichen Durchsetzung ihrer Patente gehindert würde oder erhebliche Strafzahlungen riskieren müsste. Zudem zeigte die strategische Verzögerungstaktik der Antragsgegnerinnen, dass sie ein starkes Interesse daran hatten, das chinesische Rate-Setting-Verfahren vor einer europäischen Gerichtsentscheidung zu schützen. Angesichts dieser Umstände entschied das Gericht, dass eine Anti-Anti-Suit Injunction (AASI) erforderlich war, um die gerichtliche Durchsetzbarkeit der europäischen Patente zu sichern.

Außerdem wurde ausnahmsweise auf eine Sicherheitsleistung verzichtet, da eine solche den Antragstellern binnen der kurzen Zeitspanne nicht möglich war. Das Gericht verpflichtete die Antragsgegnerinnen zur Zahlung eines Zwangsgeldes bei Zuwiderhandlung gegen die Anordnung.

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze:

  1. Die Verletzung eines Rechts des Patentinhabers droht im Sinne von Art. 62 Abs. 1 EPGÜ dann, wenn die Verletzung noch nicht eingetreten ist, aber aufgrund konkreter Umstände ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich der Antragsgegner in naher Zukunft rechtswidrig verhalten wird. Die Verletzungshandlung muss sich konkret abzeichnen. Es muss nur noch vom Willen des Antragsgegners abhängen, ob der letzte Schritt zum Beginn der Verletzung umgesetzt wird. Dies hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab.
  2. Im Fall einer Anti-Suit Injunction tritt die Verletzung des Eigentumsrechts des Patentinhabers zwar erst mit dem Erlass der Anti-Suit Injunction durch ein anderes Gericht ein, die Verletzungshandlung besteht jedoch in der auf ihren Erlass gerichteten Antragstellung durch den Verletzer.
  3. Eine Verletzung des Eigentumsrechts des Patentinhabers durch den Erlass einer Anti-Suit Injunction kann in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls schon vor der auf ihren Erlass gerichteten Antragstellung drohen.
  4. Die Anordnung einer Sicherheitsleistung im Falle einer ohne die Anhörung des Antragsgegners ergangenen einstweiligen Maßnahme kann gemäß Regel 211.5 S. 2 EPGVO [→ Sicherheitsleistung durch den Antragsteller] ausnahmsweise unterbleiben, wenn es dem Antragsteller in zeitlicher Hinsicht nicht möglich ist, die Sicherheit bis zu der auf einer Messe erfolgenden Zustellung der Anordnung der einstweiligen Maßnahme zu leisten, und andere Zustellungsmöglichkeiten mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sind.

BGH, I ZR 16/24 – Birkenstocksandale

BGH, Urteil vom 20. Februar 2025 – I ZR 16/24 – Birkenstocksandale

In dem vorliegenden Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) wird die Revision der Klägerin, Teil der Birkenstock-Gruppe, gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Köln zurückgewiesen. Die Klägerin hatte die Beklagte, eine Lizenznehmerin, wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen in Bezug auf die Sandalenmodelle „Arizona“ und „Gizeh“ verklagt. Diese Modelle wurden von Karl Birkenstock in den Jahren 1973 und 1983 entworfen und die Klägerin behauptete, es handele sich um urheberrechtlich geschützte Werke der angewandten Kunst. Das Landgericht hatte der Klage weitgehend stattgegeben, während das Berufungsgericht die Klage abwies.

Das Berufungsgericht und der BGH stellten fest, dass die Sandalenmodelle nicht die notwendigen Kriterien erfüllten, um als urheberrechtlich geschützte Werke der angewandten Kunst anerkannt zu werden. Die Modelle spiegelten zwar individuelle Gestaltungsmerkmale wider und es bestanden freie Gestaltungsmöglichkeiten, jedoch sei der bestehende kreative Freiraum nicht künstlerisch genutzt worden, sodass kein Urheberrechtsschutz begründet werden konnte. Der BGH bestätigte damit die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte nicht gegen Urheberrechte der Klägerin verstoßen hat.

Leitsätze der Entscheidung:

a) Eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG ist eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer künstlerischen Leistung gesprochen werden kann. Die ästhetische Wirkung der Gestaltung kann einen Urheberrechtsschutz nur begründen, soweit sie auf einer künstlerischen Leistung beruht und diese zum Ausdruck bringt. Für die Gewährung urheberrechtlichen Schutzes muss eine gestalterische Freiheit bestehen, die in künstlerischer Weise ausgenutzt wird. Eine persönliche geistige Schöpfung ist ausgeschlossen, wo für eine künstlerische Gestaltung kein Raum besteht, weil die Gestaltung durch technische Erfordernisse vorgegeben ist. Mit einer künstlerischen Leistung ist nicht mehr und nicht weniger als eine schöpferische, kreative, originelle, die individuelle Persönlichkeit ihres Urhebers widerspiegelnde Leistung auf dem Gebiet der Kunst gemeint.

b) Für den urheberrechtlichen Schutz eines Werks der angewandten Kunst im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG ist – wie für alle anderen Werkarten auch – eine nicht zu geringe Gestaltungshöhe zu fordern. Das rein handwerkliche Schaffen unter Verwendung formaler Gestaltungselemente ist dem Urheberrechtsschutz nicht zugänglich. Für den Urheberrechtsschutz muss vielmehr ein Grad an Gestaltungshöhe erreicht werden, der Individualität überhaupt erkennen lässt.

c) Die Klägerseite trägt im urheberrechtlichen Verletzungsprozess die Darlegungslast für das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung. Sie hat daher nicht nur das betreffende Werk vorzulegen, sondern grundsätzlich auch die konkreten Gestaltungselemente darzulegen, aus denen sich der urheberrechtliche Schutz ergeben soll. Bei Gebrauchsgegenständen muss genau und deutlich dargelegt werden, inwieweit sie über ihre von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet sind.

BGH, I ZR 45/23 – Luftfahrzeugkennzeichen

BGH, Urteil vom 16. Mai 2024 – I ZR 45/23 – Luftfahrzeugkennzeichen

a) Die Entscheidung, ob und in welcher Weise kennzeichnende Merkmale der Persönlichkeit wie das Bildnis, die Stimme oder der Name für Werbezwecke zur Verfügung gestellt werden sollen, ist wesentlicher – vermögenswerter – Bestandteil des Persönlichkeitsrechts natürlicher und juristischer Personen (Art. 19 Abs. 3 GG) sowie der Personengesellschaften des Handelsrechts. Grundlage einer insoweit in Betracht kommenden deliktsrechtlichen Haftung wegen des Eingriffs in den vermögenswerten Bestandteil des durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Ausprägung des Rechts am eigenen Namen ist, dass der Name vom als Verletzer in Anspruch Genommenen in einer Weise verwendet wird, die den Werbe- und Imagewert des Namensträgers ausnutzt, indem seine Person beispielsweise als Vorspann für die Anpreisung eines Produkts vermarktet wird oder durch den Gebrauch des Namens zumindest die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das beworbene Produkt gelenkt wird.

b) Für die Prüfung, ob und in welcher Weise ein kennzeichnendes Merkmal der Persönlichkeit wie etwa der Name von Dritten für Werbezwecke verwendet und damit in den vermögenswerten Bestandteil des Persön-
lichkeitsrechts eingegriffen wird, kommt es darauf an, ob ein nicht unerheblicher Teil des angesprochenen Publikums von einer kommerziellen Nutzung ausgeht. Gleiches gilt für die Beurteilung der Frage, ob überhaupt von einem Persönlichkeitsmerkmal Gebrauch gemacht wird. Auch insoweit kommt es darauf an, ob ein nicht unerheblicher Teil des von der Werbung angesprochenen Verkehrs in der beanstandeten Nutzung den
Gebrauch eines Persönlichkeitsmerkmals sieht. Die Beurteilung dieser Frage durch das Berufungsgericht unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht (Fortführung von BGH, Urteil vom Februar 2022 – I ZR 2/21, GRUR 2022, 665 [juris Rn. 13 und 17] = WRP 2022, 601 – Tina Turner; Urteil vom 28. Juli 2022 – I ZR 171/21, GRUR 2022, 1694 [juris Rn. 21 und 23] = WRP 2022, 1513 – Reizdarmsyndrom).

c) Die nach der Lebenserfahrung fernliegende Möglichkeit, dass Betrachter eines Werbefotos, auf dem neben dem beworbenen Produkt (hier: ein PKW-Modell) ein Flugzeug zu sehen ist, durch eine Internetrecherche
anhand der auf dem Foto sichtbaren, für sich genommen nicht als namensmäßig erkannten Buchstabenfolge (hier: das auf dem Leitwerk des Flugzeugs abgebildete gesetzlich vorgeschriebene uftfahrzeugkennzeichen)
die Identität des Halters des Flugzeugs ermitteln könnten, stellt keine dem Werbenden zuzurechnende Verwendung des Namens des Halters dar.

BVerfG, 2 BvR 2480/10

BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 08. November 2022 – 2 BvR 2480/10

Amtliche Leitsätze:

  1. Maßnahmen zwischenstaatlicher Einrichtungen im Sinne von Art. 24 Abs. 1 GG können nicht unmittelbarer Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein.
  1. Soweit zwischenstaatliche Einrichtungen im Sinne von Art. 24 Abs. 1 GG Rechtsakte erlassen, kann das Bundesverfassungsgericht nicht nur den Übertragungsakt prüfen, sondern auch, ob Organe der zwischenstaatlichen Einrichtung im weiteren Verlauf das vom Integrationsgesetzgeber zu gewährleistende, vom Grundgesetz geforderte Minimum an Grundrechtsschutz verletzen und die deutschen Verfassungsorgane ihrer Verpflichtung nachkommen, im Rahmen ihrer Kompetenzen darauf hinzuwirken, dass die vom Grundgesetz geforderten Mindeststandards nicht unterschritten werden. Art. 24 Abs. 1 GG begründet damit ebenso wie Art. 23 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3, Art. 19 Abs. 2, Art. 79 Abs. 3 und Art. 93 Abs. 1 GG eine inzidente Kontrollbefugnis des Bundesverfassungsgerichts.
  1. Die Bestimmung des vom Grundgesetz geforderten Mindestmaßes an wirkungsvollem Rechtsschutz erfolgt auch im Lichte von Europäischer Menschenrechtskonvention und Grundrechtecharta.

BGH, X ZR 107/19 – Präventive Antibiotikabehandlung

BGH, Urteil vom 14. Dezember 2021 – X ZR 107/19 – Präventive Antibiotikabehandlung

Amtlicher Leitsatz:

Der Einsatz eines Wirkstoffs zur Prävention einer Krankheit, die sich noch nicht manifestiert hat, ist nicht neu [-> Medizinische Indikationen], wenn die Kriterien, an deren Vorliegen das Patent die erfindungsgemäße Präventionswirkung knüpft, bereits im Stand der Technik als Kriterien für die Verabreichung des Wirkstoffs herangezogen worden sind, und weder eine neue Art und Weise der Wirkstoffgabe gelehrt noch eine Patientengruppe als erfolgreich behandelbar aufgezeigt wird, die mit dem Wirkstoff bislang nicht behandelt worden ist (Fortführung von BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 – X ZR 68/08, GRUR 2011, 999 – Memantin).

BGH, I ZR 148/20 – Kopplungsangebot III

BGH, Urteil vom 25. November 2021 – I ZR 148/20 – Kopplungsangebot III

Amtlicher Leisatz:

Die an die Preisinformation bei Kopplungsangeboten zu stellenden Anforderungen ergeben sich nunmehr aus dem lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbot (§ 5 Abs. 1 UWG), dem Tatbestand der Informationspflichtverletzung (im unternehmerischen Verkehr § 5a Abs. 1 UWG, im Verhältnis zu Verbrauchern § 5a Abs. 2 UWG) sowie aus dem Verbot aggressiver geschäftlicher Handlungen (§ 4a UWG) und der lauterkeitsrechtlichen Generalklausel (im unternehmerischen Verkehr § 3 Abs. 1 UWG, im Verhältnis zu Verbrauchern § 3 Abs. 2 UWG; Weiterführung von BGH, Urteil vom 13. Juni 2002 – I ZR 173/01, BGHZ 151, 84 – Kopplungsangebot I; Urteil vom 27. Februar 2003 – I ZR 253/00, BGHZ 154, 105 – Gesamtpreisangebot).

BGH, I ZR 83/20 – Uli-Stein-Cartoon

BGH, Urteil vom 22. September 2021 – I ZR 83/20 – Uli-Stein-Cartoon

Amtliche Leitsätze:

a) Macht ein Lehrer im Rahmen der Informatik-Arbeitsgemeinschaft einer öffentlichen Schule, die sich mit der Erstellung der schulischen Internet-Homepage befasst, auf dieser Homepage einen der Auflockerung und Illustration dienenden Cartoon in urheberrechtsverletzender Weise öffentlich zugänglich, erstreckt sich die hierdurch begründete Wiederholungsgefahr regelmäßig auf alle öffentlichen Schulen im Verwaltungsbereich des in Anspruch genommenen Bundeslands.

b) Weist das erstinstanzliche Gericht den Hauptantrag des Klägers ab und gibt seinem Hilfsantrag statt, fällt bei Einlegung der Berufung durch den Beklagten die Entscheidung über den Hauptantrag bei dem Berufungsgericht nicht zur Entscheidung an, sondern erwächst in Rechtskraft, wenn nicht der Kläger Anschlussberufung einlegt. Dieser Grundsatz gilt auch, wenn der Kläger den Rechtsstreit erstinstanzlich hinsichtlich des Hauptantrags einseitig für in der Hauptsache erledigt erklärt und den Hauptantrag hilfsweise – für den Fall, dass die Voraussetzungen der Feststellung seiner Erledigung nicht vorliegen – aufrechterhält.

c) Erklärt der Kläger mit Blick auf eine von dem Beklagten nach Klageerhebung abgegebene Unterwerfungserklärung den Rechtsstreit hinsichtlich des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs einseitig für erledigt und erhält diesen Anspruch hilfsweise – für den Fall, dass der Erledigungsfeststellungsantrag nicht begründet ist – aufrecht, kann die Erledigungserklärung regelmäßig nicht dahin ausgelegt werden, dass der Kläger auf den Unterlassungsanspruch verzichtet oder die Parteien sich auf sein Entfallen geeinigt hätten.

BGH, X ZR 81/19 – Diskontinuierliche Funkverbindung

BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – X ZR 81/19 – Diskontinuierliche Funkverbindung

Amtliche Leitsätze:

ZPO §§ 69, 511, 520

Bei einer streitgenössischen Nebenintervention im Sinne von § 69 ZPO ist die Zulässigkeit der von einer Partei und ihrem Streithelfer eingelegten Rechtsmittel grundsätzlich gesondert zu beurteilen (Bestätigung von BGH, Beschluss vom Oktober 1993 – II ZB 9/93, DtZ 1994, 29; Urteil vom 30. April 2001 II ZR 328/00, NJW 2001, 2638).

EPÜ Art. 54 Abs. 2; PatG § 3 Abs. 1

Ein elektronisches Dokument, das im Internet auf einem ftp-Server vorgehalten wird, ist jedenfalls dann der Öffentlichkeit zugänglich, wenn es über ein Verzeichnis aufgerufen werden kann, das der Öffentlichkeit als Speicherort für fachbezogene Veröffentlichungen bekannt ist und als Informationsquelle zur Verfügung steht.