BGH zu computerimplementierten Erfindungen

Im Urteil vom 18. Dezember 2012 – X ZR 3/12 – Routenplanung führt der X. Zivilsenat seine Rechtsprechung zur Behandlung nichttechnischer Merkmale in Patentansprüchen fort. Dabei zeichnet sich eine ähnliche Praxis ab, wie sie am EPA spätestens seit der Entscheidung T 641/00 – Comvik etabliert ist. Danach können nichttechnische Anspruchsmerkmale eine erfinderische Tätigkeit regelmäßig nicht begründen.

Zwei Aspekte des Urteils vom 18. Dezember 2012 – X ZR 3/12 – Routenplanung geben jedoch Anlass zu großer Besorgnis.

1. Zum Leitsatz erhebt der X. Senat in dem genannten Urteil, dass „Anweisungen zur Auswahl von Daten, deren technischer Aspekt sich auf die Anweisung beschränkt, hierzu Mittel der elektronischen Datenverarbeitung einzusetzen, … jedenfalls bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht berücksichtigt werden [können]“.

In concreto setzt der X. Senat dies so in die Praxis um, dass nur eine Unterkombination von Anspruchsmerkmalen dahingehend geprüft wird, ob sie durch den Stand der Technik nahegelegt wird (Rz. 36 des Urteils). Das ist ein wesentlicher Unterschied zum Ansatz des EPA, bei dem beispielsweise nach der Entscheidung T 641/00 – Comvik die nichttechnischen Merkmale mit in die Formulierung der objektiven Aufgabe einfließen („requirement specification“) und anschließend geprüft wird, ob der Fachmann bei der Lösung dieser Aufgabe in naheliegender Weise zur Kombination aller Anspruchsmerkmale, einschließlich der nichttechnischen Merkmale kommt.

Die BGH-Praxis mag zu einem gewissen Teil dadurch bedingt sein, dass der BGH sich nicht dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz anschließen kann oder möchte (für eine aktuelle Erläuterung hierzu siehe Meier-Beck in GRUR 2012, 1177, 1179). Allerdings hat die BGH-Praxis zwei wesentliche Nachteile gegenüber dem Ansatz des EPA.

Erstens wird eine Unterkombination von Anspruchsmerkmalen, wie sie der BGH prüfen will, häufig kaum verständlich oder gar vollständig sinnentstellt sein. Dies dürfte eine sinnvolle Prüfung auf Naheliegen erschweren.

Zweitens wird die Praxis des BGH dann zu unterschiedlichen Ergebnissen als die EPA-Praxis führen können, wenn ein nichttechnisches Merkmal mit technischen Merkmalen so zusammenwirkt, dass ein überraschender, auf technischem Gebiet liegender Erfolg erreicht wird. In so einem Fall wird der BGH das nichttechnische Merkmal trotzdem vollständig ausblenden, nur weil es (isoliert betrachtet) nichttechnisch ist. Hingegen wird die Wechselwirkung nichttechnischer Merkmale mit technischen Merkmalen nach der Praxis des EPA berücksichtigt, indem das nichttechnische Merkmal aufgrund seines engen Zusammenhangs mit den technischen Merkmalen doch nicht in die Formulierung der objektiven Aufgabe als vom Techniker zu berücksichtigende Zwangsbedingung einfließt. Maßgeblich ist, ob ein technischer Erfolg erzielt wird. Für ein Beispiel für ein solches Wechselspiel zwischen nichttechnischen Merkmalen und technischen Merkmalen siehe beispielsweise T 928/03.

2. Die Auffassung des X. Zivilsenats, was im entschiedenen Fall zu den nichttechnischen Merkmalen gehört, überrascht. So sollte im entschiedenen Fall nach den hilfsweise verteidigten Ansprüchen unter bestimmten Umständen eine (nur) lokale Neuberechnung einer Route durchgeführt werden, nachdem der Benutzer ein bestimmtes Straßensegment (Mautstraße) abgelehnt hatte.

Als Naturwissenschaftler bin ich der festen Überzeugung, dass die Entscheidung für eine lokale Neuberechnung eines Teils der Route anstelle einer globalen Neuberechnung
– auf der technischen Überlegung beruht, dass dadurch Speicherplatz und Rechenzeit eingespart werden kann (denn nach den gängigen Suchmethoden wie Dijkstra oder A* wächst die Zahl der zu expandierenden Kanten und der Expansionsschritte stark mit der Länge der Strecke), und
– dadurch eine technische Wirkung erreicht wird (schnelle und effiziente Berechnung einer Alternativroute, falls der Benutzer eine Mautstraße ablehnt).

Warum der X. Zivilsenat unter Verweis auf das Urteil vom 26.10.2012 – X ZR 47/07 – Wiedergabe topographischer Informationen, dem eine ganz andere Konstellation zugrunde lag, solche Merkmale als nichttechnisch ansieht, konnte ich der äußerst kurzen Begründung in Rz. 53 und 54 des Urteils vom 18. Dezember 2012 – X ZR 3/12 – Routenplanung leider nicht entnehmen.

Es stellt sich natürlich die Frage, ob nicht der Fachmann im einschlägigen Gebiet sowieso wegen der genannten Vorteile die nur lokale Neuberechnung der Route in Betracht gezogen hätte. Man wäre der Erfindung im konkreten Fall wohl eher gerecht geworden, wenn man das Merkmal einer lokalen Neuberechnung unter Berücksichtigung der Kenntnisse des Fachmanns als naheliegend angesehen hätte, anstatt es als nichttechnisches Merkmal unberücksichtigt zu lassen – auch wenn dies vielleicht zusätzliche Aufklärung zu den Kenntnissen des Fachmanns erfordert hätte.

Die Glaubwürdigkeit eines Ansatzes, wie nichttechnische Merkmale behandelt werden, und die Akzeptanz, die ein derartiger Ansatz von Nutzerseite erfährt, basiert darauf, dass eine Prüfung, ob Merkmale nichttechnisch sind, in nachvollziehbarer und keineswegs leichtfertiger Weise erfolgt. Dies gilt für das Bestandsverfahren vor dem Bundespatentgericht und Bundesgerichtshof nicht anders als für die Prüfungsabteilungen des EPA (bei denen nach meinem Empfinden zumindest in Einzelfällen gerade immer diejenigen Merkmale nichttechnisch sein sollen, die im Stand der Technik amtsseitig nicht nachgewiesen werden konnten).

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