Autor: Dr. Florian Meier

Keine erhöhte Streitwertschätzung mit Motivationswirkung

In dem – weithin kritisch diskutierten (vgl. Rojahn/Lunze in Mitt. 2012, 533; Beyerlein/Beyerlein, Mitt. 2012, 542; Stjerna, Mitt. 2012, 546) – Beschluss „Du sollst nicht lügen II“ des OLG Düsseldorf schlägt der Patentsenat des OLG Düsseldorf aus Praktikabilitätsüberlegungen vor, dass das Gericht einen hohen Streitwert festsetzen kann, um die Parteien zur Mitwirkung bei der Streitwertfestsetzung zu motivieren. So führt der Senat aus, „dass in Fällen, in denen die Parteien ihre Mitwirkung an einer sachgerechten Streitwertfestsetzung verweigern, vom Gericht ein Streitwert geschätzt wird, der so hoch ist, dass er die Parteien zuverlässig motiviert, z.B. im Rahmen eines Antrages auf Streitwertkorrektur ihrer Mitwirkungspflicht wahrheitsgemäß nachzukommen.“

In der Literatur wurde darauf hingewiesen, dass eine Motivation des Beklagten durch hohe Streitwertangaben schon deswegen nicht in Betracht kommen kann, da nur der Kläger Kostenschuldner des Gerichtskostenvorschusses ist. Das Gericht könne dem Kläger (und nur diesem) eine Verzögerungsgebühr auferlegen oder ggf. einen Sachverständigen einschalten (vgl. Rojahn/Lunze in Mitt. 2012, 533; Beyerlein/Beyerlein, Mitt. 2012, 542; Stjerna, Mitt. 2012, 546), nicht aber bewusst einen hohen Streitwert schätzen. Andere Rechtsmittelgerichte sind dem OLG Düsseldorf nicht gefolgt (vgl. etwa OLG Frankfurt, Beschluss vom 3.11.2011, Mitt. 2012, 94).

Auch aus der Entscheidung BGH, Beschluss vom 12. Juni 2012 – X ZR 104/09 – „antimykotischer Nagellack II“ in einer arbeitnehmerrechtlichen Sache kann geschlossen werden, dass der vom OLG Düsseldorf vorgeschlagenen Praxis der Schätzung eines hohen Streitwerts mit „Motivationswirkung“ nicht gefolgt werden kann. So führt der X. Zivilsensat aus, dass der Streitwert „grundsätzlich nach dem Betrag zu bemessen ist, den das Gericht aufgrund des Sachvortrags des Klägers als angemessen erachtet. Offensichtlich übertriebene Einschätzungen und Angaben insbesondere zu Umständen, über die der Beklagte erst Auskunft erteilen soll, haben dabei außer Betracht zu bleiben.“ Eine Schätzung des Streitwerts, die zuverlässig zu einem Antrag auf Streitwertkorrektur führen muss, wäre mit diesen Grundsätzen nicht vereinbar.

Schutzgegenstand des Gemeinschaftsgeschmacksmusters

In seiner Entscheidung in der Rechtssache I ZR 124/10 – Weinkaraffe stellt der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs klar, dass kein eigenständiger Schutz für Teile (hier: eine Karaffe) des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters (hier: Set aus Karaffe und Sockel) besteht. Einen solchen Schutz würde nur ein separates (Gemeinschafts-)Geschmacksmuster für das entsprechende Teil bieten.

Besondere Bedeutung für die Praxis der Geschmacksmusteranmeldung dürften jedoch die – nicht in den Leitsätzen erwähnten – Ausführungen zur Bedeutung der (fakultativen) Beschreibung haben. So wird in Rz. 24-25 der Entscheidung ausgeführt: „Als Auslegungshilfe kann insbesondere die (fakultative) Beschreibung … herangezogen werden, die bestimmungsgemäß der Erläuterung der Wiedergabe dient.“ Auch wenn nach Art. 36 Abs. 6 GGV die Beschreibung den Schutzumfang nicht beeinträchtige, sei „jedoch nicht ausgeschlossen, diese Angaben zur Bestimmung des Schutzgegenstandes des Geschmacksmusters heranzuziehen.“ Trotz der Regelung des Art. 36 Abs. 6 GGV sollte somit die Bedeutung der Beschreibung für die Anmeldung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters nicht unterschätzt werden.

Fortsetzung des Einspruchsverfahren

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss in der Rechtssache X ZB 4/11 – Sondensystem entschieden, dass bei Erlöschen des Patents im Einspruchsverfahren das Rechtsschutzbedürfnis des Einsprechenden schon dann entfällt, wenn der Patentinhaber erklärt, dass er auch für die Vergangenheit keine Ansprüche aus dem Patent gegen den Einsprechenden geltend machen werde. Das Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung zu Unrecht erteilter Patente führt nicht dazu, dass eine Fortführung des Verfahrens in Betracht käme.

Der Bundesgerichtshof hat damit einen Meinungsstreit zwischen den Beschwerdesenaten des Bundespatentgerichts entschieden. Während beispielsweise der 21. Senat in dem Beschluss in der Rechtssache 21 W (pat) 301/08 – Radauswuchtmaschine bereits die Auffassung vertreten hatte, dass das Erlöschen des Patents bei individueller Freistellung das Rechtsschutzbedürfnis des Einsprechenden erlöschen lässt und zur Erledigung des Verfahrens führt, ist der 7. Senat in seinem Beschluss in der Rechtssache 7 W (pat) 333/06 – Vorrichtung zum Heißluftnieten dem dezidiert entgegengetreten. Nach Auffassung des 7. Senats könnte auch das Allgemeininteresse eine Fortführung des Einspruchsverfahrens bei (nur) individueller Freistellung des Einsprechenden nach dem Erlöschen des Patents rechtfertigen. Dieser Auffassung ist der Bundesgerichtshof in dem Sondensystem-Beschluss nicht beigetreten. Für eine ausführliche Darstellung des Meinungsstreits sei verwiesen auf die Darstellung in van Hees/Braitmeyer, Verfahrensrecht in Patentsachen, 4. Aufl., Rz. 541-543.

„IP Translator“ führt zu neuer HABM-Praxis

In der Entscheidung „IP TRANSLATOR“ hat sich der EuGH zur Auslegung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnissen einer Markenanmeldung geäußert.

Hintergrund der Entscheidung sind Unterschiede in der amtlichen Praxis des HABM einerseits und zahlreicher nationaler Ämtern (z.B. DPMA und UKIPO) andererseits, wenn zur Angabe der Waren oder Dienstleistungen sämtliche Oberbegriffe einer Klassenüberschrift der Nizza-Klassifikation verwendet werden. Nach Praxis des HABM wurde die Angabe der Oberbegriffe der Klassenüberschriften dahingehend ausgelegt, dass damit alle Waren oder Dienstleistungen der entsprechenden Klasse beansprucht wurden, selbst wenn diese nach herkömmlichem Sprachverständnis den Oberbegriffen nicht unterfallen. Diese frühere Praxis des HABM wurde durch die (nunmehr außer Kraft gesetzte) Mitteilung Nr. 4/03 des Präsidenten amtlich verlautbart. Ein – im vom EuGH entschiedenen Fall einschlägiges – Beispiel für eine derartige Konstellation sind die Oberbegriffe der Klasse 41 (Erziehung, Ausbildung, Unterhaltung, sportliche Aktivitäten, kulturelle Aktivitäten). Die Klasse 41 enthält auch die Dienstleistung „Übersetzungsdienstleistungen“, die jedoch keinem der Oberbegriffe unterfällt.

Anders als die (frühere) Auslegungspraxis des HABM wird beispielsweise nach Praxis des DPMA die Angabe der Oberbegriffe einer Klassenüberschrift dahingehend ausgelegt, dass nur diejenigen Waren oder Dienstleistungen in der entsprechenden Klasse beansprucht werden, die diesen Oberbegriffen nach herkömmlichem semantischen Verständnis auch unterfallen.

Der (früheren) Auslegungspraxis des HABM erteilte der EuGH in der Entscheidung „IP TRANSLATOR“ eine Absage. So heißt es in Rz. 61 und Rz. 62 der Entscheidung:

„Accordingly, in order to respect the requirements of clarity and precision mentioned above, an applicant for a national trade mark who uses all the general indications of a particular class heading of the Nice Classification to identify the goods or services for which the protection of the trade mark is sought must specify whether its application for registration is intended to cover all the goods or services included in the alphabetical list of the particular class concerned or only some of those goods or services. If the application concerns only some of those goods or services, the applicant is required to specify which of the goods or services in that class are intended to be covered.

An application for registration which does not make it possible to establish whether, by using a particular class heading of the Nice Classification, the applicant intends to cover all or only some of the goods in that class cannot be considered sufficiently clear and precise.“

Der Präsident des HABM hat bereits mitgeteilt (Mitteilung des Präsidenten Nr. 2/12), dass das HABM an der früheren Praxis nicht mehr uneingeschränkt festhalten werde und dass demnächst neue Richtlinien erlassen werden. Das HABM werde „auch weiterhin die Verwendung der Oberbegriffe der Klassenüberschriften akzeptieren, allerdings nur auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung“. Das DPMA scheint noch mit sich zu ringen (Mitteilung Nr. 11/12 der Präsidentin des DPMA), ob die „IP TRANSLATOR“-Entscheidung eine Anpassung der amtlichen Praxis erfordern wird.

Für Anmelder, die tatsächlich Schutz für alle Waren oder Dienstleistungen einer Klasse begehren, hat der EuGH bereits einen gangbaren Weg aufgezeigt: Nach Rz. 112 der „Postkantoor“-Entscheidung wird die Angabe, dass für „alle Waren der Klasse …“ oder „alle Dienstleistungen der Klasse …“ Schutz begehrt wird, als ausreichend klar und somit zulässig angesehen.

Rechtsbeschwerde: Kostenfestsetzungsverfahren vor dem BPatG

Da der 4. Nichtigkeitssenat in einer weiteren Entscheidung (Beschluss vom 7. Mai 2012 in der Rechtssache 4 ZA (pat) 13/12) die Rechtsbeschwerde im Kostenfestsetzungsverfahren zugelassen und somit den in diesem Blog schon mehrfach diskutierten Beschluss 4 ZA (pat) 35/11 fortgeführt hat, soll hier noch einmal auf die letztgenannte Entscheidung eingegangen werden, die mittlerweile auch im Volltext veröffentlicht ist.

1. Der Senat führt in dem Beschluss 4 ZA (pat) 35/11 in Ziffer 3. der Entscheidungsgründe aus: „Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nach § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG i. V. m.§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 ZPO auch im Verfahren vor dem Bundespatentgericht statthaft …, da § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG ausdrücklich die Vorschriften der Zivilprozessordung über das Kostenfestsetzungsverfahren für entsprechend anwendbar erklärt. Diese Gesamtverweisung erfüllt damit zugleich die von § 99 Abs. 2 PatG geforderte Zulassung einer Anfechtung der Entscheidungen des Patentgerichts und gewährleistet damit Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde in entsprechender Anwendung des § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO.“

2. Der Senat begründet dies in dem Beschluss 4 ZA (pat) 35/11 in Ziffer 3a. der Entscheidungsgründe weiter wie folgt:
– Die Änderung des Beschwerderechts durch die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO zugelassene Rechtsbeschwerde gegen Beschlüsse des Beschwerde- und Berufungsgerichts würde dazu führen, dass die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde im Verfahren vor dem Bundespatentgericht neu zu bewerten sei und auch in Kostenfestsetzungsverfahren durch die entsprechende Verweisung auf die ZPO nicht ausgeschlossen sei.
– 99 Abs. 2 PatG würde „nur ‚eine Zulassung durch dieses Gesetz‘ fordern“. Auch die im Hinblick auf die Besonderheiten des Verfahrens vor dem Bundespatentgericht einschränkende Verweisung in § 99 Abs. 1 PatG fordere eher einen Gleichklang mit der Regelung des § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO als dass sie diesem entgegenstünde.
– Die Generalverweisung des § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG würde auch ohne ausdrückliche Erwähnung des § 574 ZPO das insoweit eigenständige Rechtsmittelrecht der Zivilprozessordung im Kostenfestsetzungsrecht umfassen.

3. Diese Auffassung erscheint immer noch etwas überraschend.

Zwar ist zuzugeben, dass § 84 Abs. 2 S. 2 PatG eine dynamische Verweisung auf die ZPO-Vorschriften zum Kostenfestsetzungsverfahren ist. Änderungen der ZPO-Vorschriften wirken sich unmittelbar auf das Verfahren vor dem BPatG aus – sofern ihre Anwendung nicht nach § 99 Abs. 1 oder Abs. 2 PatG ausgeschlossen ist.

Nach § 84 Abs. 2 S. 3 PatG i.V.m. § 99 Abs. 2 PatG sind jedoch die ZPO-Vorschriften über die Rechtsmittel zum BGH von dieser Verweisung gerade ausgeschlossen. Bei jeder anderen Auslegung hätte die Vorschrift des § 84 Abs. 2 S. 3 PatG keinerlei Bedeutung und wäre schlicht hinfällig.

Insofern ist schon erstaunlich, dass es sich bei § 84 Abs. 2 S. 2 PatG um eine „Gesamtverweisung“ handeln soll. Aufgrund des Ausschlusses der Vorschriften über die Rechtsmittel von der Verweisung des § 84 Abs. 2 S. 2 PatG kann eine Änderung der ZPO-Vorschriften zur Statthaftigkeit von Rechtsmitteln zum BGH nach meiner Auffassung nicht eine Neubewertung erfordern, ob diese ZPO-Vorschriften von der Verweisung des § 84 Abs. 2 S. 2 PatG umfasst sein sollen.

4. Sofern der Senat in dem Beschluss 4 ZA (pat) 35/11 in Ziffer 3a. der Entscheidungsgründe auf die Kommentarliteratur zu § 83 MarkenG Bezug nimmt, dürfte zu beachten sein, dass die analoge Anwendung des § 83 MarkenG auf ein Nebenverfahren zu einem Beschwerdeverfahren vor dem Marken-Beschwerdesenat wohl näherliegend sein dürfte als eine Anwendung entsprechender Vorschriften bei einem Nebenverfahren vor einem Nichtigkeitssenat. Die Hinweise auf § 83 MarkenG in dem Beschluss 4 ZA (pat) 35/11 verwundern auch insoweit etwas, als der Senat in dem Beschluss 4 ZA (pat) 35/11 die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde eben nicht mit einer analogen Anwendung des § 100 PatG begründet. Zur relevanten Frage, ob § 84 Abs. 2 S. 2 PatG eine Anwendung des Rechtsbeschwerderechts der ZPO umfasst, dürfte sich die Kommentarliteratur zu § 83 MarkenG nur schwerlich fruchtbar machen lassen.

5. Ungeachtet der obigen Anmerkungen sei noch einmal betont, dass auch nach Auffassung des Verfassers dieses Beitrags die divergierende Rechtsprechung der Nichtigkeitssenate zur Erstattungsfähigkeit von Doppelvertretungskosten unbefriedigend ist. Ein Rechtsmittel zum BGH (oder alternativ die Schaffung eines gemeinsamen Senats am BPatG) wäre wünschenswert, um eine einheitliche Praxis sicherzustellen. Ob dies im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Vorschriften möglich ist, wie der 4. Nichtigkeitssenat meint, oder es dazu einer Gesetzesänderung bedarf, wird hoffentlich bald durch den BGH geklärt werden.

Internationale Zuständigkeit bei Markenverletzung im Internet

Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (Artikel 5 Nr. 3 EuGVO) begründet die internationale Zuständigkeit nicht nur am Erfolgsort, sondern – nach Wahl der Klägers – auch am Handlungsort. Im Urteil vom 19.4.2012 in der Rechtssache C-523/10 – Wintersteiger AG/Products 4U Sondermaschinenbau GmbH konnte der EuGH den Begriff des Handlungs- und Erfolgsorts für Markenverletzungen im Internet auslegen. Im Ausgangsverfahren ging es um eine mutmaßliche Markenverletzung einer österreichischen Marke durch Angabe der Marke als Adword in einer Suchmaschine, die unter deutscher Top-Level-Domain betrieben wurde.

Der Erfolgsort der Markenverletzung liegt im Gebiet des Staates, in dem oder für den die Marke eingetragen ist. Der EuGH führt für die Entscheidungszuständigkeit der Gerichte dieses Staates auch den Normzweck der besonderen Sachnähe dieser Gerichte an.

Den Handlungsort sieht der EuGH bei der genannten Konstellation als den Ort der Niederlassung des Werbenden (d.h. desjenigen, der das Adword bucht) an. Das vorlegende Gericht hatte demgegenüber noch in Betracht gezogen, dass der Handlungs- oder Erfolgsort durch die Top-Level-Domain der Suchmaschine festgelegt werden könnte, auf der die Werbung gebucht wird.

Ebenfalls als Handlungsort in Betracht käme der Ort, an dem der Server des Suchmaschinenbetreibers aufgestellt ist. Die Anknüpfung des EuGH an den Ort der Niederlassung des Werbenden hat demgegenüber den Vorteil, dass der Ort der Niederlassung des Werbenden einfach zu bestimmen ist, während der Aufstellungsort des Servers meist unbekannt bleibt. Die internationale Zuständigkeit wird nach dem vom EuGH aufgestellten Kriterium einfacher vorhersehbar. Eine Belastung von Zuständigkeitsfragen mit möglicher Beweisaufnahme zur Ermittlung, an welchem Ort ein Suchmaschinenbetreiber Suchanfragen verarbeitet, kann vermieden werden.

In der Kürze liegt die Würze – EuGH zu Wortmarken aus Wortfolge und Akronym

Der EuGH hat in seinem Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-90/11 („Multi Market Funds MMF“) und C-91/11 („NAI – Der Natur-Aktien-Index“) (veröffentlicht in GRUR 2012, 616) die Vorlagefragen des BPatG zur Unterscheidungskraft von Wortmarken beantwortet, bei denen eine unterscheidungskräftige Buchstabenfolge von einer (beschreibenden) Wortfolge begleitet wird, deren Anfangsbuchstaben die Buchstabenfolge darstellt.

Teilweise war – gerade von Beschwerdekammern des HABM (z.B. in HABM, Vierte Beschwerdekammer, R 1630/2008-4) – die Auffassung vertreten worden, die Hinzufügung einer (nicht unterscheidungskräftigen) Wortfolge zu einem (an sich unterscheidungskräftigen) Akronym könnte der Marke in ihrer Gesamtheit nicht die Unterscheidungskraft nehmen, die das Akronym hat. Der Markeninhaber sei nicht gehindert, einem schutzfähigen Bestandteil erläuternde Angaben hinzuzufügen (vgl. auch Vorlageentscheidung BPatG Mitt. 2011, 250, 252).

Der EuGH hat hingegen nunmehr entschieden, dass eine derartige Hinzufügung einer (nicht unterscheidungskräftigen) Wortfolge zu einem unterscheidungskräftigen Akronym, die dieses als Abkürzung der Anfangsbuchstaben erläutert, der Unterscheidungskraft des Gesamtzeichens entgegenstehen kann.

So führt der EuGH in Rz. 36-38 des Urteils aus:

„Die bloße Aneinanderreihung einer Buchstabenfolge als Abkürzung und einer Wortkombination ohne Vornahme einer ungewöhnlichen Änderung kann vielmehr zu einem sprachlichen Ausdruck führen, der ausschließlich aus Zeichen oder Angaben besteht, die im Verkehr zur Bezeichnung von Merkmalen der in Rede stehenden Dienstleistungen dienen können … Wenn außerdem – wie das vorlegende Gericht zu verstehen gibt – die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Buchstabenfolgen von den maßgeblichen Verkehrskreisen als Abkürzungen der Wortkombinationen, mit denen sie zusammengefügt sind, wahrgenommen werden, können diese Buchstabenfolgen selbst dann nicht über die Summe der Bestandteile der Marke in ihrer Gesamtheit hinausgehen, wenn die Buchstabenfolgen selbst als unterscheidungskräftig angesehen werden können. Wie der Generalanwalt in Nr. 56 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nimmt vielmehr die Buchstabenfolge, die die Anfangsbuchstaben der die Wortkombination bildenden Wörter wiedergibt, im Verhältnis zu dieser Wortkombination nur eine akzessorische Stellung ein. Wie das vorlegende Gericht zu verstehen gibt, kann jede der betreffenden Buchstabenfolgen, auch wenn sie bei isolierter Betrachtung nicht beschreibend ist, aufgrund ihrer Kombination innerhalb der in Rede stehenden Marke mit einem Hauptausdruck, der als solcher beschreibend ist und als dessen Abkürzung die Buchstabenfolge wahrgenommen wird, einen beschreibenden Charakter annehmen.“

Ein Markenanmelder wird somit gut beraten sein, eine Buchstabenfolge, die aus den Anfangsbuchstaben einer nicht unterscheidungskräftigen Wortfolge besteht, isoliert und ohne Erläuterung durch die Wortfolge als Marke anzumelden. Das wird zwar dann nicht behilflich sein, wenn auch das Akronym nicht unterscheidungskräftig ist. Jedoch wird der Anmelder dadurch in denjenigen Fällen seine Chancen auf Eintragung einer Marke erhöhen, in denen die Buchstabenfolge an sich in keinem erkennbaren Zusammenhang zu den Waren oder Dienstleistungen steht und/oder so vieldeutig ist, dass sie – isoliert betrachtet – unterscheidungskräftig ist.

BGH Tintepatrone III: Frist zur Erhebung der Restitutionsklage

Der X. Zivilsenat konnte nunmehr in der Rechtssache X ZR 55/09 – Tintepatrone III die in der Bordako-Entscheidung aufgestellten Grundsätze, nach denen bei (Teil-)Vernichtung eines gewerblichen Schutzrechts die Restitutionsklage entsprechend § 580 Nr. 6 ZPO stattfindet, für eine patentrechtliche Fallgestaltung weiter erläutern.

Das Patent, aus dem der Restitutionskläger im Verletzungsverfahren verurteilt worden war, wurde mit einem Einspruch vor dem Europäischen Patentamt angegriffen. Im Einspruchsbeschwerdeverfahren entschied die Technische Beschwerdekammer nicht nach Art. 111 Abs.1 S. 1 EPÜ selbst abschließend in der Sache, sondern verwies das Verfahren an die Einspruchsabteilung mit der Anweisung zurück, das Patent mit bestimmten Unterlagen in eingeschränktem Umfang aufrecht zu erhalten. Angesichts der nach Regel 82 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 EPÜ vom Patentinhaber noch vorzunehmenden Handlungen formeller Natur (Einreichung der Übersetzung der eingeschränkten Ansprüche, Gebührenzahlung) ist diese Vorgehensweise nicht unüblich.

Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, dass die Frist zur Erhebung der Restitutionsklage bereits durch Kenntnis der Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer ausgelöst wird.

Dem ist der BGH nicht gefolgt. Der X. Senat betont, dass es für den Anfechtungsgrund des § 580 Nr. 6 ZPO nicht auf die rechtskräftige oder bindende Beurteilung der Patentfähigkeit (hier durch die Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer) ankomme. Ein Anfechtungsgrund liege vielmehr erst dann vor, wenn bestandskräftig in den formellen Bestand des Patents eingegriffen wird. Entscheidend sei der Rechtsakt, der die Bindung des Verletzungsgerichts an die Erteilung des Klagepatents beseitigt (Rz. 15 der Entscheidung). Im vorliegenden Fall wurde die Frist zur Erhebung der Restitutionsklage somit erst durch Kenntnis der abschließenden Entscheidung der Einspruchsabteilung ausgelöst, auch wenn schon durch die Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer feststand, in welchem Umfang das Patent aufrecht erhalten wird, sofern der Patentinhaber die im obliegenden formellen Handlungen vornimmt.

Doppelvertretungskosten im Nichtigkeitsverfahren – Hoffnung auf den BGH?

Der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts hat in der Rechtssache 4 ZA (pat) 35/11 die Rechtsbeschwerde zugelassen, um eine Klärung der Frage der Erstattungsfähigkeit von Doppelvertretungskosten durch den BGH zu erlauben. Nach dem erkennenden Senat ist aufgrund der divergierenden Rechtsprechung der Senate des Bundespatentgerichts zu der Erstattungsfähigkeit der Kosten des mitwirkenden Rechtsanwalts (Doppelvertretungskosten) in Nichtigkeitsverfahren die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts und wegen der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.

Die derzeitige uneinheitliche Praxis der verschiedenen Nichtigkeitssenate des BPatG zu der Frage, wann auch die Kosten des im Nichtigkeitsverfahren mitwirkenden Rechtsanwalts erstattungsfähig sind, ist in der Tat sehr unbefriedigend.

Ob der BGH im Rechtsbeschwerdeverfahren eine Vereinheitlichung herbeiführen kann, ist jedoch sehr fraglich. Während nach § 84 Abs. 2 S. 2 PatG die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren im Nichtigkeitsverfahren entsprechend anwendbar sind, bleibt nach § 84 Abs. 2 S. 3 PatG die Vorschrift des § 99 Abs. 2 PatG davon unberührt. Danach findet eine Anfechtung der Entscheidungen des Patentgerichts nur statt, sofern das PatG sie zulässt. Die Rechtsbeschwerde findet nach § 100 PatG aber nur gegen die Beschlüsse der Beschwerdesenate (nicht der Nichtigkeitssenate) statt, durch die über eine Beschwerde nach § 73 PatG oder erstinstanzlich im Einspruchsverfahren (nicht aber über eine Erinnerung im Kostenfestsetzungsverfahren) entschieden wird. Entsprechend wird auch in der Kommentarliteratur die Auffassung vertreten, dass die Entscheidungen der Nichtigkeitssenate im Kostenfestsetzungsverfahren unanfechtbar sind (Benkard, 10. Aufl., § 84 Rdnr. 41; Schulte, 8. Aufl., § 100 Rdnr. 5-6).

Soweit in der Literatur die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde im Kostenfestsetzungsverfahren bejaht wird (z.B. in van Hees/Braitmeyer, Verfahrensrecht in Patentsachen, 4. Aufl., Rz. 715; Benkard, 10. Aufl., § 100 Rdnr. 6), dürfte zu beachten sein, dass die dort häufig in Bezug genommene Entscheidung BGH GRUR 2001, 139 – Parkkarte die Entscheidung eines Beschwerdesenats, nicht eines Nichtigkeitssenats betrifft.

Es ist zu hoffen, dass die zugelassene Rechtsbeschwerde auch eingelegt wird, um möglicherweise gleich für zwei Fragen von grundsätzlicher Bedeutung eine Klärung durch den BGH zu erlauben: Neben der Frage, wann Doppelvertretungskosten im Nichtigkeitsverfahren erstattungsfähig sind, steht nämlich auch die Frage im Raum, ob § 84 Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 99 Abs. 2 PatG die Rechtsbeschwerde gegen die Erinnerungsentscheidung des Nichtigkeitssenats ausschließt.

EuGH: Kein positives Benutzungsrecht aus eingetragenem Gemeinschaftsgeschmacksmuster

Der EuGH hat in der Rechtssache C-488/10 entschieden, dass dem Inhaber des jüngeren eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters kein positives Benutzungsrecht gegenüber dem Inhaber des älteren eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters zusteht. Der Inhaber des älteren Geschmacksmusters kann seine Rechte im Verletzungsverfahren durchsetzen, ohne auch eine Löschung des jüngeren eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters betreiben zu müssen.