BGH, X ZR 61/21 – Faserstoffbahn

BGH, Urteil vom 20. Juni 2023 – X ZR 61/21 – Faserstoffbahn

Amtliche Leitsätze

a) Die Modifikation eines vorbenutzten Gegenstandes, der alle Merkmale eines unabhängigen Schutzanspruchs des Klagegebrauchsmusters verwirklicht, kann auch dann von einem Vorbenutzungsrecht gedeckt sein, wenn der vorbenutzte Gegenstand weitere Merkmale, die nach dem Klageantrag zwingend vorgesehen sind, nicht aufgewiesen hat.

b) Dies gilt unabhängig davon, ob lediglich die Verletzungsklage auf eine in der genannten Weise beschränkte Fassung eines unabhängigen Schutzanspruchs gestützt wird oder ob das Gebrauchsmuster in einem Löschungsverfahren entsprechend beschränkt worden ist.

BGH, X ZR 36/21 – Gesperre

BGH, Urt. v. 18. Oktober 2022 – X ZR 36/21 – Gesperre

Amtliche Leitsätze:

a) Unterlagen eines Patentanmeldungsverfahrens, die einem allgemeinen Recht auf Akteneinsicht unterliegen, sind grundsätzlich der Öffentlichkeit zugänglich (Bestätigung von BGH, Urteil vom 29. Februar 2000 – X ZR 166/97, juris Rn. 33).

b) Dies gilt auch für eine frühere Patentanmeldung, deren Priorität die dem Akteneinsichtsrecht unterliegende Anmeldung in Anspruch nimmt.

BGH, X ZR 10/20 – Scheibenbremse II

BGH, Urteil vom 8. November 2022 – X ZR 10/20 – Scheibenbremse II

Amtliche Leitsätze:

a) Damit sich die technischen Wirkungen einer Erfindung in bestimmten Teilen widerspiegeln und deren Einbau zu einer die Erschöpfungswirkung verdrängenden Neuherstellung führt, müssen diese in besonderer, auf die Erfindung abgestimmter Weise ausgestaltet sein, um die ihnen zukommende Funktion erfüllen zu können, etwa durch eine besondere Formgebung (BGH, Urteil vom 4. Mai 2004 – X ZR 48/03, BGHZ 159, 76, 92 f. – Flügelradzähler; Urteil vom 3. Mai 2006 – X ZR 45/05, GRUR 2006, 837 Rn. 22 – Laufkranz).

b) Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn die maßgebliche Wirkung der zu beurteilenden Teile allein darin besteht, dass sie verschleißen.

BGH, X ZR 110/21 – Stammzellengewinnung

BGH, Urteil vom 21. Juli 2022 – X ZR 110/21 – Stammzellengewinnung

Amtlicher Leitsatz:

Das Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung eines zu Unrecht erteilten Patents rechtfertigt die Nichtigkeitsklage nur solange, als das Recht noch wirksam und in Kraft ist. Ab dem Zeitpunkt, in dem das Recht entfallen ist, ist die Nichtigkeitsklage nur zulässig, wenn dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht. Das allgemeine Interesse an der Sicherung einer gesetzeskonformen Erteilungspraxis des Patentamts – hier hinsichtlich § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PatG – ist nicht geeignet, ein Rechtsschutzbedürfnis zu begründen (Fortführung von BGH, Beschluss vom 17. April 1997 – X ZB 10/96, GRUR 1997, 615 – Vornapf).

BGH, X ZR 53/20 – Datensendeleistung

BGH, Urteil vom 21. Juni 2022 – X ZR 53/20 – Datensendeleistung

Amtliche Leitsätze:

a) Eine Vorrichtung, die bestimmte Funktionen aufweist, ist durch eine Entgegenhaltung nur dann offenbart, wenn darin ein ausführbarer Weg aufgezeigt wird, sie herzustellen (Bestätigung von BGH, Urteil vom 6. April 2021 – X ZR 54/19, GRUR 2021, 1043 Rn. 40 – Cerdioxid).

b) Ausführbar ist eine technische Lehre grundsätzlich bereits dann, wenn der Fachmann mit Hilfe seines Fachwissens in der Lage ist, den in den Erzeugnisansprüchen beschriebenen Gegenstand herzustellen und diejenigen Verfahrensschritte auszuführen, die in den Verfahrensansprüchen bezeichnet sind (Bestätigung von BGH, Urteil vom 3. Februar 2015 – X ZR 76/13, GRUR 2015, 472 Rn. 36 – Stabilisierung der Wasserqualität; BGH, Urteil vom 29. März 2022 – X ZR 16/20, GRUR 2022, 813 Rn. 69 – Übertragungsleistungssteuerungsverfahren). Hierzu
ist nicht zwingend erforderlich, dass alle in der Beschreibung geschilderten Vorteile verwirklicht werden.

c) Wenn eine Entgegenhaltung für bestimmte Betriebssituationen eine Verringerung der Sendeleistung auf mehreren Kanälen und die Umsetzung dieses Befehls innerhalb einer bestimmten Zeitspanne vorsieht, kann aus der ergänzenden Vorgabe, auf einem bestimmten Kanal mit der vorgegebenen Leistung zu senden, nicht ohne weiteres die Schlussfolgerung gezogen werden, dass diese Anweisung innerhalb einer kürzeren Zeitspanne umzusetzen ist.

BGH, X ZR 73/20 – Oberflächenbeschichtung

BGH, Urteil vom 12. April 2022 – X ZR 73/20 – Oberflächenbeschichtung

Amtliche Leitsätze:

a) Bei gewerblicher Entwicklungs- oder Erprobungstätigkeit, bei der ein betriebliches Interesse daran besteht, die dabei entstehenden Kenntnisse nicht nach außen dringen zu lassen, ist im Regelfall und ohne Hinzutreten besonderer Umstände die öffentliche Zugänglichkeit der gewonnenen Kenntnisse zu verneinen. Dies gilt jedenfalls so lange, wie die Kenntnisse nur solchen Personen zugänglich sind, die an dieser Entwicklungs- und Erprobungstätigkeit beteiligt sind, aber auch dann, wenn die Herstellung oder einzelne Herstellungsschritte auf Dritte übertragen werden (Bestätigung von BGH, Urteil vom 14. Mai 2019 – X ZR 93/17, Rn. 34; Urteil vom 10. November 1998 – X ZR 137/94, Mitt. 1999, 362, juris Rn. 35 – Herzklappenprothese).

b) Informationen, die nicht unter den Begriff des Geschäftsgeheimnisses im Sinne von § 2 Nr. 1 GeschGehG fallen, sind nicht ohne weiteres als der Öffentlichkeit zugänglich im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 2 PatG anzusehen.

BGH, X ZR 18/20 – Fahrerlose Transporteinrichtung

BGH, Urteil vom 15. März 2022 – X ZR 18/20 – Fahrerlose Transporteinrichtung

Amtliche Leitsätze:

a) Die Beklagte eines Patentnichtigkeitsverfahrens hat in der Regel keinen Anlass zur Stellung von Hilfsanträgen zur Abgrenzung vom Stand der Technik, wenn das Patentgericht in dem nach § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis die vorläufige Auffassung äußert, der Gegenstand des Streitpatents sei patentfähig.

b) Legt die Klägerin nach einem solchen Hinweis eine Vielzahl neuer Entgegenhaltungen vor, muss die Beklagte überprüfen, ob das ergänzende Vorbringen zu einer anderen Beurteilung führen könnte, und gegebenenfalls auch geeignete Hilfsanträge stellen. Wenn sich hierbei eine Vielzahl von technischen Gesichtspunkten als potentiell relevant erweist, kann es aber nicht ohne weiteres als nachlässig angesehen werden, wenn die Beklagte einem einzelnen Gesichtspunkt durch ihre erstinstanzlichen Hilfsanträge nicht Rechnung getragen hat.

c) Hilfsanträge, die einer aus dem erstinstanzlichen Urteil ersichtlichen Auslegung des Streitpatents Rechnung tragen sollen, sind grundsätzlich innerhalb der Frist für die Berufungsbegründung zu stellen. Später gestellte Anträge sind zu berücksichtigen, wenn ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert.

BGH, Urteil vom 22. Februar 2022 – X ZR 102/19 – Aminosäureproduktion

BGH, Urteil vom 22. Februar 2022 – X ZR 102/19 – Aminosäureproduktion

Amtliche Leitsätze:

a) Die Frage, ob ein Patentlizenzvertrag dem Begünstigten die Stellung eines ausschließlichen Lizenznehmers einräumt, ist nach dem Recht des Staates zu beurteilen, für den der Patentschutz geltend gemacht wird.

b) Die rückwirkende Vereinbarung einer ausschließlichen Patentlizenz mit Wirkung gegenüber Dritten ist außerhalb von gesetzlich vorgesehenen Rückwirkungstatbeständen grundsätzlich ausgeschlossen.

c) Eine wegen fehlender Vertretungsmacht unwirksame Vereinbarung über die Einräumung einer ausschließlichen Patentlizenz kann gemäß § 177 Abs. 1 und § 184 Abs. 1 BGB mit rückwirkender Kraft genehmigt werden.

d) Wird dem Lizenznehmer in einem Patentlizenzvertrag das Recht eingeräumt, Rechte aus einer Verletzung des Schutzrechts in eigener Verantwortung zu verfolgen und übt der Lizenznehmer im Anschluss an den Vertragsschluss die mit einer ausschließlichen Lizenz verbundenen Rechte aus, ist die Vereinbarung regelmäßig als Einräumung einer ausschließlichen Lizenz auszulegen.

BGH, X ZR 26/20 – Nichtigkeitsstreitwert IV

BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2021 – X ZR 26/20 – Nichtigkeitsstreitwert IV

Amtliche Leitsätze:

a) Für die Festsetzung des Streitwerts im Patentnichtigkeitsverfahren sind Wertänderungen, die nach Erhebung der Klage bzw. Einlegung des Rechtsmittels eingetreten sind, grundsätzlich unerheblich. Zu berücksichtigen sind jedoch Erkenntnisquellen, die zwar erst nach dem maßgeblichen Stichtag zutage getreten sind, aber ein neues Licht auf die Wertverhältnisse an diesem Tag werfen.

b) Wenn in der Berufungsinstanz des Nichtigkeitsverfahrens nicht mehr über den gesamten erstinstanzlichen Streitgegenstand zu entscheiden ist, kann es angezeigt sein, für die zweite Instanz einen niedrigeren Streitwert festzusetzen. Eine solche Reduzierung ist jedoch in der Regel nicht angemessen, wenn die Unterschiede im Streitgegenstand weder für ein anhängiges oder bereits abgeschlossenes Verletzungsverfahren noch für den sonstigen Wert des Streitpatents von erkennbarer Bedeutung sind.

BGH, X ZR 59/19 – Oszillationsantrieb

BGH, Teilurteil vom 24. August 2021 – X ZR 59/19 – Oszillationsantrieb

Amtlicher Leitsatz:

Über eine auf Nichtigerklärung eines Patents gerichtete Klage mehrerer Kläger kann, wenn das Verfahren gegen einen der Kläger gemäß § 240 ZPO unterbrochen ist, gegenüber den anderen Klägern durch Teilurteil entschieden werden (Bestätigung von BGH, Urteil vom 2. Februar 2016 – X ZR 146/13 Rn. 6 f.).

Aus der Entscheidungsbegründung:

§ 62 ZPO steht einem Teilurteil nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines von mehreren Klägern eines Patentnichtigkeitsverfahrens jedoch nicht entgegen, weil es trotz des inhaltlichen Zusammenhangs der Klagen im Ermessen des Gerichts steht, einzelne Verfahren miteinander zu verbinden oder voneinander zu trennen, und ein Teilurteil ohne Abtrennung keine anderen Wirkungen hat als ein Schlussurteil in einem abgetrennten Verfahren (BGH, Urteil vom 2. Februar 2016 – X ZR 146/13 Rn. 6 f.; ebenso für Klagen auf Nichtigerklärung einer Marke BGH, Urteil vom 3. November 2016 – I ZR 101/15; GRUR 2017, 520 Rn. 20 – MICRO COTTON).