EPG, UPC_CFI_501/2023: „Problem-solution Approach“ am Einheitspatentgericht

EPG, Lokalkammer München, Urt. v. 4. April 2025 – UPC_CFI_501/2023

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze:

  1. Art. 33(1)(b) EPGÜ [→ Zuständigkeit der Lokalkammern und Regionalkammern] erlaubt es, mehrere Beklagte am Wohnsitz, Hauptgeschäftssitz oder, falls dies nicht möglich ist, am Geschäftsstandort eines der Beklagten zu verklagen, vorausgesetzt, dass die Beklagten eine Handelsbeziehung haben und die Klage dieselbe angebliche Verletzung betrifft. Im Kontext eines europäischen Patents ohne einheitliche Wirkung bezeichnet der Ausdruck „dieselbe Verletzung“ Situationen, in denen mehreren Beklagten vorgeworfen wird, die relevanten nationalen Benennungen desselben europäischen Patents durch dasselbe Produkt oder Verfahren verletzt zu haben. Eine andere Auslegung würde den Zweck des Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht untergraben, die fragmentierte Patentstreitlandschaft in Europa zu überwinden (Präambel 2 der EPGÜ).
  2. Für die Beurteilung, ob eine Erfindung angesichts des Stands der Technik als naheliegend anzusehen ist [Artikel 65 (2) → Gründe für die Nichtigkeit eines Patents], soll der von der europäischen Patentorganisation entwickelte „problem-solution approach“ vorrangig angewendet werden, soweit dies möglich ist, um die Rechtssicherheit zu erhöhen und die Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts weiter mit der Rechtsprechung der europäischen Patentorganisation und der Beschwerdekammern in Einklang zu bringen.
  3. Eine Unterlassungserklärung ohne Vertragsstrafeverpflichtung durch einen oder zwei, aber nicht alle Beklagten, die Mitglieder einer Gruppe von Unternehmen sind, die gemeinsam ein Patent verletzt haben, kann das Interesse des Patentinhabers, die exklusive Natur seines Rechts zu verteidigen, nicht in der gleichen Weise sichern wie eine gerichtliche Anordnung. Das Risiko bleibt bestehen, dass sich die Mitglieder der Gruppe um solche isolierten Unterlassungserklärungen herum neu organisieren und das Patent in den relevanten Gebieten weiterhin verletzen, ohne das Risiko eingehen zu müssen, eine Vertragsstrafe zahlen zu müssen.
  4. Wenn eine Entscheidung unmittelbar und direkt ab dem Zeitpunkt der Zustellung in jedem der Vertragsmitgliedstaaten gemäß Regel 354.1 EPGVO [→ Unmittelbare Vollstreckbarkeit] vollstreckbar ist, muss keine Sicherheit im Voraus geleistet werden, und es besteht keine Bedingung gemäß Regel 118.2.a EPGVO. Regel 118.8 EPGVO muss jedoch eingehalten werden.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Das Gericht erster Instanz und das Berufungsgericht des Einheitlichen Patentgerichts haben den erfinderischen Schritt in verschiedenen Entscheidungen geprüft. Einige Entscheidungen bezogen sich ausdrücklich auf den Aufgabe-Lösungs-Ansatz, wie er vom Europäischen Patentamt (EPA), einschließlich der Beschwerdekammern, sowie von mehreren nationalen Gerichten angewendet wird; andere wendeten einen anderen Ansatz an, der dem von der deutschen Bundesgerichtshof verwendeten Test zur erfinderischen Tätigkeit ähnlich, wenn nicht sogar identisch ist. Beide Tests, der „deutsche“ Test und der Aufgabe-Lösungs-Ansatz, sollten, wenn sie korrekt angewendet werden, in der Mehrzahl der Fälle zum selben Ergebnis führen (vgl. Deichfuss, GRUR Patent 2024, 94). Beide Tests erfordern einen „realistischen Ausgangspunkt“ und einen „Anreiz“ für die Fachperson, den „nächsten Schritt“ zu machen, also beispielsweise die technische Lösung, die durch den Ausgangspunkt offenbart ist, so zu verändern, dass sie zur patentierten Lösung führt. Da keiner der Tests im Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) verankert ist und beide im Wesentlichen zu denselben Ergebnissen führen, können beide als Instrument zur Beurteilung des erfinderischen Schritts herangezogen werden. Dennoch trifft dieses Spruchkörper die Entscheidung, den vom EPA einschließlich der Beschwerdekammern praktizierten Aufgabe-Lösungs-Ansatz anzuwenden, soweit dies möglich ist, und dies ausdrücklich festzuhalten, da ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit sowohl für die Nutzer des Systems als auch für die verschiedenen Kammern des Einheitlichen Patentgerichts besteht. Die Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes bringt die Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts zudem weiter in Einklang mit der Rechtsprechung des EPA und der Beschwerdekammern.

Anmerkung:

Das Urteil der Lokalkammer München bringt mit seiner ausdrücklichen Präferenz für den Aufgabe-Lösungs-Ansatz des Europäischen Patentamts (EPA) eine Weichenstellung für die Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts (UPC).

Die Intention des Gerichts ist nachvollziehbar: Mit der einheitlichen Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes wird eine kohärente Rechtsprechung angestrebt, die sich an den bekannten Standards des EPA orientiert und dadurch die Vorhersehbarkeit für Verfahrensbeteiligte erhöhen soll. In einem System, das grenzüberschreitende Streitigkeiten über europäische Patente bündelt, erscheint dies zunächst als konsequente Harmonisierung.

Allerdings ist kritisch anzumerken, dass der Aufgabe-Lösungs-Ansatz seiner Natur nach lediglich ein methodisches Hilfsmittel zur Strukturierung der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit darstellt, nicht jedoch eine starre Rechtsvorgabe. Der Begriff der „erfinderischen Tätigkeit“ ist im europäischen wie auch im einheitlichen Patentrecht bewusst als unbestimmter Rechtsbegriff ausgestaltet worden. Er soll die notwendige Flexibilität bieten, um den Anforderungen sich wandelnder technischer Entwicklungen und komplexer Einzelfallkonstellationen gerecht zu werden.

Die richterliche Entscheidung, den Aufgabe-Lösungs-Ansatz „vorrangig“, wenn auch nicht zwingend, zur Anwendung zu bringen, birgt daher die Gefahr einer Dogmatisierung dieses Ansatzes. Dabei darf nicht übersehen werden, dass auch innerhalb des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes erhebliche Wertungsspielräume bestehen – insbesondere bei der Definition des objektiv technischen Problems und der Frage, ob für die Fachperson ein Anreiz bestand, zur beanspruchten Lösung zu gelangen. Die vermeintliche Vorhersehbarkeit des Ergebnisses wird durch diese inhärente Subjektivität erheblich relativiert.

Wird der Aufgabe-Lösungs-Ansatz zu einer faktischen Verpflichtung erhoben, besteht das Risiko, dass die notwendige Flexibilität bei der rechtlichen Bewertung unterbleibt. Gerade komplexe oder interdisziplinäre Erfindungen könnten dann unter ein starres Schema gezwungen werden, das der Vielfalt technischer Lösungsansätze nicht immer gerecht wird. Dies könnte zu einer Formalisierung der Prüfung führen, bei der die entscheidende Würdigung der technischen Umstände des Einzelfalls hinter die bloße Anwendung des Schemas zurücktritt.

EPG, Berufungsgericht, UPC_CoA_835/2024: „Schriftsatzverbot“ vor dem Einheitlichen Patentgericht

EPG, Berufungsgericht, Verfahrensanordnung vom 24. März 2025 – UPC_CoA_835/2024

In der Entscheidung des Berufungsgerichts des Einheitlichen Patentgerichts vom 24. März 2025 wird der Antrag der Berufungsklägerinnen auf eine weitere schriftliche Stellungnahme im Berufungsverfahren gegen die Berufungsbeklagte abgelehnt. Der Streit drehte sich um die Vorlage von Lizenzverträgen im Zusammenhang mit einem kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand bezüglich eines europäischen Patents. Das Gericht entschied, dass eine solche Stellungnahme zum jetzigen Zeitpunkt des Verfahrens unzulässig ist, da sie gegen die Regelungen der Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts (EPGVO) verstößt, die einen weiteren Schriftsatzaustausch nicht vorsehen, es sei denn, es wurde eine Anschlussberufung eingelegt. Ein solcher Antrag kurz vor einer mündlichen Verhandlung widerspricht dem Grundsatz der fairen und ausgewogenen Verfahrensführung und der Waffengleichheit der Parteien gemäß dem Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ). Ferner sah das Gericht keine Notwendigkeit, die Berufungsbeklagte vor dieser Verfahrensanordnung zu hören, da ihre Rechte nicht berührt wurden. Diese Entscheidung soll eine effiziente Rechtsdurchführung unterstützen und Verzögerungen des Verfahrens vermeiden.

Aus der Entscheidungsbegründung:

„Zusätzliche Berufungsgründe, die nicht innerhalb der in R. 224.2 VerfO [→ Fristen für die Berufungsbegründung] für die Berufungsbegründung vorgesehenen Frist vorgebracht werden, sind nicht zulässig. Daraus ergibt sich, dass ein weiterer Austausch von Schriftsätzen in der Verfahrensordnung des EPG nicht vorgesehen ist, es sei denn, dass eine Anschlussberufung gemäß R. 237 und 238 VerfO eingelegt wurde.“

„Gleichwohl gebietet es auch hier der Grundsatz der fairen und ausgewogenen Verfahrensführung insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit, wie er in Art. 42(2) EPGÜ und Absatz 5 der Präambel der Verfahrensordnung niedergelegt ist, in Verbindung mit dem Grundsatz der effizienten Verfahrensführung wie er in Art. 41(3) EPGÜ und Absatz 4 der Präambel der Verfahrensordnung vorgesehen ist, den Antrag auf Zulassung einer schriftlichen Stellungnahme zurückzuweisen.“

Anmerkung:

Diese Entscheidung des Berufungsgerichts des Einheitlichen Patentgerichts verdeutlicht eine potenziell problematische Auslegung des rechtlichen Gehörs im Berufungsverfahren. Dort wurde ein Antrag der Berufungsklägerin auf Zulassung eines weiteren Schriftsatzes – gestützt auf neu zugänglich gewordene Lizenzverträge und eine nachgereichte Sachverständigenstellungnahme – mit Verweis auf die formale Beschränkung des schriftlichen Verfahrens (R. 224 ff. VerfO) abgelehnt. Das Gericht stellte klar, dass ein weiterer Schriftsatz außerhalb des vorgesehenen Kontingents grundsätzlich unzulässig sei, selbst wenn relevante Unterlagen erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorlagen. Anstelle einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem neuen Vorbringen stellte es dabei vorrangig auf den Grundsatz der Waffengleichheit ab und führte aus, dass eine schriftliche Stellungnahme der Berufungsklägerin kurz vor der mündlichen Verhandlung zu einer prozessualen Unausgewogenheit zulasten der Berufungsbeklagten führen würde.

Diese Praxis steht in einem Spannungsverhältnis zum verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör (Artikel 47 Absatz 2 GRCh → Recht auf ein faires Verfahren; Art. 103 Abs. 1 GG → Anspruch auf rechtliches Gehör). Auch wenn die Entscheidung auf Prinzipien wie Verfahrenseffizienz und Waffengleichheit verweist, wird der Rechtsschutz faktisch verkürzt, wenn erheblicher neuer Vortrag pauschal unbeachtet bleibt. Die restriktive Auslegung birgt das Risiko, effektiven Rechtsschutz zugunsten formaler Prozessökonomie über Gebühr zurückzudrängen. Es bedarf daher einer verfahrensoffenen und einzelfallbezogenen Prüfung, ob ergänzender Vortrag – insbesondere zu neuen Beweismitteln – zumindest zur Kenntnis genommen werden muss.

Ferner stützt sich das Gericht auf Regel 233.3 EPGVO [-→ Unzulässigkeit von verspäteten Berufungsgründen], um die Unzulässigkeit einer weiteren schriftlichen Stellungnahme zu begründen. Diese Vorschrift regelt jedoch lediglich, dass neue Berufungsgründe nach Ablauf der Frist für die Berufungsbegründung nicht mehr vorgebracht werden dürfen. Sie enthält hingegen keine Aussage darüber, dass jegliche spätere Argumente, Beweismittel oder fachliche Stellungnahmen, die zur Stützung fristgerecht vorgetragener Berufungsgründe dienen, per se unzulässig wären. Die Entscheidung verkennt insofern die systematische Abgrenzung zwischen neuen Berufungsgründen und ergänzendem Vortrag zu bereits eingeführten Streitpunkten. Eine solche überdehnte Anwendung von Regel 233.3 EPGVO birgt das Risiko, den Zugang zu rechtlichem Gehör unverhältnismäßig zu beschränken.

EPG, UPC_CFI_112/2025: Anti-Anti-Suit Injunction durch die Lokalkammer München des EPG

EPG, Lokalkammer München, Anordnung vom 19. Februar 2025 – UPC_CFI_112/2025

Die Lokalkammer München des Einheitlichen Patentgerichts erließ eine Anordnung [Artikel 62 (1) → Verfügungen gegen angebliche Verletzer] zugunsten der Antragstellerinnen, um eine Anti-Anti-Suit Injunction (AASI) zu erlassen. Diese Anordnung wurde aufgrund der drohenden Gefahr erlassen, dass die Antragsgegnerinnen eine Anti-Suit Injunction (ASI) bei chinesischen Gerichten einleiten könnten, um die Patentinhaberin daran zu hindern, ihre Patentrechte gerichtlich durchzusetzen. Die Anordnung soll verhindern, dass die Antragsgegnerinnen die Patentinhaberin daran hindern, Patentverletzungsverfahren in Europa durchzuführen oder entstehende Urteile zu vollstrecken.

Das Einheitliche Patentgericht, Lokalkammer München, sah konkrete und greifbare Anhaltspunkte für eine drohende Anti-Suit Injunction (ASI), weil die Antragsgegnerinnen bereits heimlich ein Lizenzratenbestimmungsverfahren („Rate-Setting“) vor einem chinesischen Gericht eingeleitet hatten, ohne die Antragstellerinnen zu informieren. Die Zustellung der europäischen Patentverletzungsklagen auf der Messe EuroCIS am 18. Februar 2025 erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass die Antragsgegnerinnen mit einer ASI reagieren würden, um die Durchsetzung der Klagen zu verhindern. Da chinesische Gerichte ASIs regelmäßig kurzfristig und ex parte erlassen, bestand die Gefahr, dass die Patentinhaberin an der gerichtlichen Durchsetzung ihrer Patente gehindert würde oder erhebliche Strafzahlungen riskieren müsste. Zudem zeigte die strategische Verzögerungstaktik der Antragsgegnerinnen, dass sie ein starkes Interesse daran hatten, das chinesische Rate-Setting-Verfahren vor einer europäischen Gerichtsentscheidung zu schützen. Angesichts dieser Umstände entschied das Gericht, dass eine Anti-Anti-Suit Injunction (AASI) erforderlich war, um die gerichtliche Durchsetzbarkeit der europäischen Patente zu sichern.

Außerdem wurde ausnahmsweise auf eine Sicherheitsleistung verzichtet, da eine solche den Antragstellern binnen der kurzen Zeitspanne nicht möglich war. Das Gericht verpflichtete die Antragsgegnerinnen zur Zahlung eines Zwangsgeldes bei Zuwiderhandlung gegen die Anordnung.

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze:

  1. Die Verletzung eines Rechts des Patentinhabers droht im Sinne von Art. 62 Abs. 1 EPGÜ dann, wenn die Verletzung noch nicht eingetreten ist, aber aufgrund konkreter Umstände ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich der Antragsgegner in naher Zukunft rechtswidrig verhalten wird. Die Verletzungshandlung muss sich konkret abzeichnen. Es muss nur noch vom Willen des Antragsgegners abhängen, ob der letzte Schritt zum Beginn der Verletzung umgesetzt wird. Dies hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab.
  2. Im Fall einer Anti-Suit Injunction tritt die Verletzung des Eigentumsrechts des Patentinhabers zwar erst mit dem Erlass der Anti-Suit Injunction durch ein anderes Gericht ein, die Verletzungshandlung besteht jedoch in der auf ihren Erlass gerichteten Antragstellung durch den Verletzer.
  3. Eine Verletzung des Eigentumsrechts des Patentinhabers durch den Erlass einer Anti-Suit Injunction kann in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls schon vor der auf ihren Erlass gerichteten Antragstellung drohen.
  4. Die Anordnung einer Sicherheitsleistung im Falle einer ohne die Anhörung des Antragsgegners ergangenen einstweiligen Maßnahme kann gemäß Regel 211.5 S. 2 EPGVO [→ Sicherheitsleistung durch den Antragsteller] ausnahmsweise unterbleiben, wenn es dem Antragsteller in zeitlicher Hinsicht nicht möglich ist, die Sicherheit bis zu der auf einer Messe erfolgenden Zustellung der Anordnung der einstweiligen Maßnahme zu leisten, und andere Zustellungsmöglichkeiten mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sind.

EuGH, C‑339/22: Grenzüberschreitende Patentverletzungsklagen

EuGH, Urt. v. 25.02.2025 – C‑339/22 (BSH Hausgeräte / Electrolux)

In dem vom Svea hovrätt, Patent- och marknadsöverdomstol (Schweden) vorgelegten Vorabentscheidungsverfahren befasst sich der EuGH mit der Frage, ob ein nationales Gericht – hier das schwedische – über die Verletzung aller national validierten Teile eines europäischen Bündelpatents entscheiden darf, auch wenn das Patent z. B. in Deutschland, Frankreich oder der Türkei validiert wurde.

Verliert ein nationales Gericht seine Zuständigkeit, wenn der Beklagte im Verletzungsverfahren die Gültigkeit des ausländischen Patents im Wege der Einrede bestreitet?

Der EuGH bejaht die Zuständigkeit des Gerichts im Wohnsitzstaat des Beklagten für die Verletzungsfrage – auch bei ausländischen Teilen des Bündelpatents. Die Gültigkeitsfrage hingegen bleibt weiterhin ausschließlich den Gerichten des jeweiligen Validierungsstaats vorbehalten (Art. 24 Nr. 4 Brüssel Ia-VO → Eintragung und Gültigkeit von Schutzrechten).

Für Drittstaaten wie die Türkei gilt Art. 24 Nr. 4 [→ Eintragung und Gültigkeit von Schutzrechten] nicht – hier kann das nationale Gericht über die Einrede der Ungültigkeit entscheiden, sofern die Entscheidung nur inter partes wirkt und nicht das nationale Register des Drittstaats berührt.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Ein Gericht des Wohnsitzmitgliedstaats des Beklagten, das nach Art. 4 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung [→ Eintragung und Gültigkeit von Schutzrechten] mit einer Klage wegen Verletzung eines in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Patents befasst ist, bleibt zuständig für die Entscheidung über die Verletzungsklage, auch wenn der Beklagte im Verfahren die Gültigkeit dieses Patents im Wege der Einrede bestreitet.

Die ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Nr. 4 Brüssel‑Ia-Verordnung betrifft ausschließlich Verfahren, die die Eintragung oder Gültigkeit von Patenten zum Gegenstand haben – unabhängig davon, ob die Frage durch Klage oder Einrede aufgeworfen wird.

Ein nationales Gericht verliert nicht seine Zuständigkeit für die Verletzungsklage allein dadurch, dass der Beklagte eine Einrede der Ungültigkeit erhebt.

Nationale Verfahrensvorschriften, die eine gesonderte Nichtigkeitsklage verlangen, beeinflussen nicht die Auslegung der unionsrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften.

Art. 24 Nr. 4 Brüssel‑Ia-Verordnung findet keine Anwendung auf Gerichte von Drittstaaten und begründet keine ausschließliche Zuständigkeit für die Gültigkeit von dort erteilten oder validierten Patenten.

Ein nationales Gericht kann nach Art. 4 Abs. 1 über die Gültigkeit eines in einem Drittstaat validierten Patents im Rahmen einer Verletzungsklage entscheiden, sofern die Entscheidung nur inter partes wirkt und das nationale Register des Drittstaats unberührt bleibt.

Die Regelung ermöglicht es dem Kläger, mehrere grenzüberschreitende Verletzungsansprüche an einem Ort zu bündeln, ohne Gefahr zu laufen, durch eine Einrede der Ungültigkeit in nationale Parallelverfahren gedrängt zu werden.

EPG, UPC_CFI_483/2024: Zuständigkeit für Patentverletzungen vor Inkrafttreten des EPG

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 10. Februar 2025 – UPC_CFI_483/2024

Leitsätze der Entscheidung:
  1. Die Zuständigkeit des EPG gemäß Art. 32(1)(a) EPGÜ, Art. 2g), Art. 3c) EPGÜ [→ Ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts für Patentklagen] umfasst auch Verletzungsklagen, soweit sie auf Nutzungshandlungen gestützt sind, die angeblich vor dem Inkrafttreten der EPGÜ und/oder in der Zeit zwischen einem Opt-out und dessen Rücknahme stattgefunden haben sollen.
  2. Zuständigkeit und anwendbares Recht sind separate Aspekte, die separat beurteilt werden müssen. Aus der Zuständigkeit des EPG kann nicht geschlossen werden, dass die EPGÜ immer auf jeden zu entscheidenden Fall Anwendung findet, noch ist das anwendbare Recht für die Zuständigkeit des EPG entscheidend.

Zusammenfassung der Entscheidung

In der Entscheidung vom 10. Februar 2025 befasste sich das Einheitspatentgericht (EPG) mit der Frage der Zuständigkeit für Klagen wegen Patentverletzungen, die vor dem Inkrafttreten des EPGÜ am 1. Juni 2023 und während eines Opt-Out-Zeitraums stattfanden. Das Gericht stellte fest, dass seine Zuständigkeit nach Art. 32(1)(a) EPGÜ nicht durch zeitliche Begrenzungen auf nach diesem Datum stattfindende Handlungen beschränkt ist. Die Entscheidung betonte die Unabhängigkeit der Zuständigkeit von der Frage des anwendbaren Rechts und hielt fest, dass das EPG auch über Fälle entscheiden könne, die auf Handlungen basieren, die vor dem EPGÜ-Startdatum oder während eines wirksamen Opt-Outs lagen, solange eine Opt-In-Erklärung abgegeben wurde. Diese Auslegung des Art. 32(1)(a) EPGÜ wurde im Hinblick auf die Rechtssicherheit und die Verhältnismäßigkeit bestätigt. Der Einwand wegen fehlender Zuständigkeit wurde zurückgewiesen und das Verfahren wird fortgesetzt. Eine Berufung gegen diesen Beschluss wurde zugelassen, da die Entscheidung als potenziell richtungsweisend für ähnliche zukünftige Fälle angesehen wird.

EPG, Berufungskammer, Beschl. v. 12. Februar 2025 – UPC_CoA_635/2024

EPG, Berufungskammer, Beschl. v. 12. Februar 2025 – UPC_CoA_635/2024

Leitsätze der Entscheidung

  • Anwälte und europäische Patentanwälte sind nicht von der Pflicht zur Vertretung [Regel 8.1 EPGVO → Vertretungspflicht gemäß Artikel 48 des Übereinkommens] befreit, wenn sie selbst Parteien in Verfahren vor dem EPG sind.
  • Vertretung ist ein Zulässigkeitspunkt, der Überlegungen zur öffentlichen Ordnung (fairer Prozess) beinhaltet, den das Gericht jederzeit, auch von Amts wegen, überprüfen kann.

BGH, – Kabelwickelband: Einschränkung neuer Angriffsmittel in der Patentnichtigkeitsberufung

BGH, Urteil vom 14. Januar 2025 – X ZR 1/23 – Kabelwickelband

Leitsätze des Urteils:

a) Hat das Patentgericht in dem gemäß § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis [→ Gerichtlicher Hinweis im Nichtigkeitsverfahren] dargelegt, dass sich das bisherige Klagevorbringen als unzureichend erweisen könnte, liegt es am Kläger, bereits in erster Instanz gegebenenfalls neue Angriffsmittel vorzutragen. Der Umstand, dass das Patentgericht auch diese Angriffsmittel als nicht ausreichend ansieht, reicht nicht aus, um die Zulassung weiterer Angriffsmittel im Berufungsrechtszug zu rechtfertigen [§ 117 PatG → Tatsachen und Beweise im Berufungsverfahren]. (Bestätigung von BGH, Urteil vom 8. August 2013 – X ZR 36/12, GRUR 2013, 1174 Rn. 33 – Mischerbefestigung.)

b) Dies gilt auch hinsichtlich solcher Dokumente, die von bei der Patentrecherche gebräuchlichen Datenbanken nicht umfasst sind.

EPG, UPC_CFI_487/2023: Gebührenpflicht für Widerklage auf FRAND-Lizenzangebot

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 24. Januar 2025 – UPC_CFI_487/2023

Leitsatz der Entscheidung:

In Übereinstimmung mit Regel 370 EPGVO [→ Gerichtsgebühren] sind analoge Gerichtsgebühren für die Einreichung einer Widerklage für ein FRAND-Lizenzangebot zu zahlen.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Die Liste in Regel 370.2-5 EPGVO [→ Gerichtsgebühren] erwähnt nicht die Widerklage auf ein FRAND-Lizenzangebot. Es gibt auch keine andere Bestimmung in den Verfahrensregeln, die ausdrücklich festlegt, dass diese Art von Widerklage gebührenpflichtig ist. Eine Widerklage auf ein FRAND-Lizenzangebot kann keiner der in Regel 370.2-5 EPGVO ausdrücklich genannten (Gegen-)Ansprüche subsumiert werden. Insbesondere ist sie weder eine Verletzungsklage im Sinne von Regel 370.2(a) in Verbindung mit Regel 15 EPGVO, noch eine Widerklage auf Verletzung im Sinne von Regel 370.2(b) in Verbindung mit Regel 53 EPGVO. Gegenstand der Widerklage auf ein FRAND-Lizenzangebot ist nicht die unerlaubte Nutzung eines Patents durch den Widerbeklagten oder den Kläger in der Verletzungsklage im Zusammenhang mit den Rechtsfolgen der Patentverletzung. Vielmehr zielt die Widerklage auf ein FRAND-Lizenzangebot auf das Angebot eines konkreten Lizenzangebots mit einer spezifischen Lizenzgebühr an den Beklagten.

Auch aus Artikel 32(1)(a) EPGÜ folgt nicht, dass die Widerklage auf ein FRAND-Lizenzangebot als Verletzungsklage nach Regel 370.2(a) in Verbindung mit Regel 15 EPGVO oder als Widerklage auf Verletzung nach Regel 370.2(b) in Verbindung mit Regel 53 EPGVO zu verstehen ist. Diese Bestimmung betrifft (nur) die Zuständigkeit des EPG. Artikel 32(1)(a) EPGÜ sieht (nur) vor, dass das EPG die ausschließliche Zuständigkeit für Verletzungsklagen, einschließlich Widerklagen auf Lizenzen, hat.

Die Arten von Klagen werden auch in Artikel 32(1)(a) EPGÜ nicht gleichgesetzt. Vielmehr macht die ausdrückliche Erwähnung in Artikel 32(1)(a) EPGÜ deutlich, dass es sich um unterschiedliche Arten von Klagen handelt. Wenn man eine andere Ansicht verträte, würde die Erwähnung einer Widerklage auf ein FRAND-Lizenzangebot in Artikel 32(1)(a) EPGÜ keinen Sinn ergeben. Sie wäre überflüssig und redundant.

Eine Widerklage auf ein FRAND-Lizenzangebot ist auch kein Anspruch nach Regel 80.3 EPGVO oder eine Widerklage auf Widerruf nach Regel 26 EPGVO. Diese Ansprüche haben auch einen anderen Gegenstand.

Daher ist eine direkte Anwendung von Regel 370 EPGVO ausgeschlossen. Eine analoge Anwendung der Regel 370 EPGVO ist jedoch angebracht.

EPG, UPC_CFI_355/2023: Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts für britischen Teil des Patents

EPG, Lokalkammer Düsseldorf, Entscheidung v. 28. Januar 2025 – UPC_CFI_355/2023

In der Entscheidung wird festgestellt, dass das Einheitliche Patentgericht (EPG) für die Behandlung einer Verletzungsklage in Bezug auf den britischen Teil eines Patents zuständig ist, sofern die Beklagten ihren Wohnsitz in einem Vertragsmitgliedstaat wie Deutschland haben. Diese Zuständigkeit ergibt sich aus der Anwendung der Brüssel-Ia-Verordnung in Verbindung mit dem Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ), insbesondere durch die Bestimmungen des Artikels 31 EPGÜ [→ Internationale Zuständigkeit]. Selbst im Fall einer Widerklage auf Widerruf des deutschen Teils des Patents bleibt das EPG für die Behandlung der Verletzungsklage des britischen Teils zuständig. Die Entscheidung betont, dass die Brüssel-Ia-Verordnung es ermöglicht, rechtliche Streitigkeiten vor das Gericht des Wohnsitzmitgliedstaats der Beklagten zu bringen, was hier die Zuständigkeit des EPG über nationale Einzelzuständigkeiten hinaus erweitert, um sicherzustellen, dass auch internationale Fälle kohärent behandelt werden können.

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze, die übersetzt lauten:

Wenn der Beklagte in einem Vertragsmitgliedstaat (hier: Deutschland) seinen Wohnsitz hat, ist das Einheitliche Patentgericht zuständig, die Klage wegen Verletzung des Patents in Bezug auf den britischen Teil des Streitpatents zu verhandeln [Artikel 31 EPGÜ → Internationale Zuständigkeit]. Dies gilt auch, wenn der Beklagte eine Widerklage auf Widerruf in Bezug auf den deutschen Teil des Streitpatents erhoben hat. Auch dann ist das Einheitliche Patentgericht für die Klage wegen der Verletzung in Großbritannien zuständig.

Die in einem Anspruch verwendeten Begriffe sollten normalerweise in dem weitesten technisch sinnvollen Rahmen im Kontext des Anspruchs, in dem sie erscheinen, interpretiert werden. Artikel 69 EPÜ [Art. 69 EPÜ → Schutzbereich] und sein Protokoll rechtfertigen nicht, was durch den Wortlaut der Ansprüche wörtlich abgedeckt ist, durch eine einschränkende Auslegung des Anspruchs auf Basis der Beschreibung oder der Zeichnungen auszuschließen. Eine Einschränkende Auslegung der Ansprüche, die von dem breiteren allgemeinen Verständnis der verwendeten Begriffe durch einen Fachmann abweicht, kann nur gestattet werden, wenn es überzeugende Gründe auf Basis der Umstände des vorliegenden Einzelfalls gibt.

Implizite Offenbarung bedeutet nicht mehr als die klare, unmittelbare und unmissverständliche Konsequenz dessen, was in einem Stand der Technik Dokument ausdrücklich erwähnt wird. Daher umfasst „implizite Offenbarung“ jedes Merkmal, das eine fachkundige Person objektiv betrachtet als notwendig impliziert im expliziten Inhalt eines Stand der Technik Dokuments ansehen würde, z.B. in Anbetracht der allgemeinen wissenschaftlichen Gesetze. Ein beanspruchtes Merkmal ist ebenfalls implizit offenbart, wenn der Fachmann bei der Ausführung der Lehre des Stand der Technik Dokuments unvermeidlich zu einem Ergebnis gelangt, das unter die Begriffe eines Anspruchs fällt. Ob ein bekanntes Produkt ein implizites Merkmal aufweist, hängt nicht davon ab, ob die Aufmerksamkeit des Fachmanns durch ein Stand der Technik Dokument oder sein allgemeines Fachwissen speziell auf dieses Merkmal gelenkt wird, sondern lediglich davon, ob aus einer rein objektiven Sichtweise besagtes Produkt dieses Merkmal zwangsläufig aufweisen muss.

Um Artikel 123(2) EPÜ [→ Verbot der unzulässigen Erweiterung] zu entsprechen, muss der Gegenstand eines geänderten Anspruchs dem Fachmann durch die ursprüngliche Anmeldung direkt und eindeutig vermittelt werden. Eine direkte Lehre erfordert, dass der Gegenstand ursprünglich als spezifische, klar definierte und erkennbare einzelne Ausführungsform gelehrt wird, entweder ausdrücklich oder implizit, ohne die Notwendigkeit, deduktive Fähigkeiten anzuwenden. Eine eindeutige Lehre erfordert, dass über jeden Zweifel erhaben ist – nicht nur wahrscheinlich -, dass der beanspruchte Gegenstand eines geänderten Anspruchs in der ursprünglichen Anmeldung so offenbart wurde.

BGH, X ZR 131/22 – Cer-Zirkonium-Mischoxid III

BGH, Urteil vom 3. Dezember 2024 – X ZR 131/22 – Cer-Zirkonium-Mischoxid III

Leitsätze aus der Entscheidung:

a) Ein nur in einer Richtung begrenzter Wertebereich kann ausführbar offenbart sein, wenn sich die Erfindung nicht in der Eröffnung eines bestimmten Bereichs erschöpft, sondern eine darüber hinausgehende, verallgemeinerbare Lehre aufzeigt, die es dem Fachmann erstmals er
möglicht, nach weiteren Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen und den im Patent konkret aufgezeigten Höchstwert zu übertreffen (Bestätigung von BGH, Urteile vom 12. März 2019 – X ZR 32/17, GRUR 2019, 713 Rn. 45 – Cer-Zirkonium-Mischoxid I; X ZR 34/17, GRUR 2019, 718 Rn. 26 – Cer-Zirkonium-Mischoxid II).

b) Fehlt es an einer verallgemeinerbaren Lehre in diesem Sinne, ist ein nach oben begrenzter Bereich nur dann ausführbar offenbart, wenn das Patent mindestens ein konkretes Ausführungsbeispiel schildert, das den beanspruchten Höchstwert erreicht, oder konkrete Hinweise gibt, wie ausgehend von den geschilderten Beispielen eine weitere Steigerung zu erreichen ist (Bestätigung von BGH, Urteil vom 6. April 2021 – X ZR 54/19, GRUR 2021, 1043 Rn. 59 – Cerdioxid).

c) Diese Grundsätze gelten entsprechend für eine beanspruchte Untergrenze, wenn es nicht ohne weiteres möglich ist, einen niedrigen Wert zu erzielen.