Autor: Dr. Martin Meggle-Freund

EPG, UPC_CFI_425/2025: Sicherheitsleistung bei Sitz in Drittstaat – Zustellungsprobleme mit China

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 19. März 2025 – UPC_CFI_425/2025

Leitsatz der Entscheidung:

Im Hinblick auf ein Land, das seinen Verpflichtungen aus dem Haager Zustellungsübereinkommen nicht nachkommt, ist davon auszugehen, dass ein Kostenersatzbeschluss des EPG in diesem Land möglicherweise nicht durchsetzbar ist oder nur auf unzumutbar erschwerter Weise.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Es kann nicht entscheidend für die Entscheidung über eine Sicherheitsleistung [Regel 158 EPGVO → Sicherheitsleistung für die Kosten einer Partei] sein, dass der Kläger seinen Sitz in einem Nicht-EU/Nicht-EWR-Land hat. Dies wäre eine Form der a priori Diskriminierung, die ausschließlich auf der Nationalität des Sitzes/Wohnsitzes des Klägers beruht und in keiner Rechtsquelle vorgesehen ist.

Nach der Rechtsprechung des Berufungsgerichts ist es entscheidend für einen Antrag auf Sicherheitsleistung (Art. 69 Abs. 4 EPGÜ und R.158 EPGVO), ob die finanzielle Situation des Klägers Anlass zu einer berechtigten und echten Besorgnis gibt, dass ein möglicher Kostenentscheid nicht einbringlich sein könnte und/oder die Wahrscheinlichkeit, dass ein möglicher Kostenentscheid des EPG nicht, oder nur in unzumutbar belastender Weise, durchsetzbar sein könnte (UPC_CoA_217/2024).

Obwohl die Volksrepublik China das Haager Zustellungsübereinkommen ratifiziert hat, stehen europäische Gerichte vor erheblichen Schwierigkeiten bei der Zustellung von Klageschriften und anderen Dokumenten in China: Es ist nicht nur die Erfahrung europäischer nationaler Gerichte (z.B. Oberlandesgericht München, GRUR-RR 2020, 511), sondern auch des Einheitspatentgerichts (z.B. LD Mannheim, UPC_CFI_332/2024), dass Zustellungsersuchen der chinesischen Behörde in vielen Fällen entweder gar nicht weitergeleitet oder beanstandet und zurückgesandt werden. In UPC_CFI_508/2023 und UPC_CFI_509/2023 war die Zustellung von Anträgen auf einstweilige Maßnahmen erfolglos, obwohl der Antrag der zuständigen chinesischen Behörde zugestellt werden konnte und der Gerichtsregistratur per E-Mail Kontakt mit der zuständigen chinesischen Behörde zu diesem Thema hatte. Die chinesische Behörde bearbeitete die Zustellung jedoch mehr als sechs Monate lang ohne ersichtlichen Grund nicht.

BGH, I ZR 50/24 – Produktfotografien

BGH, Urteil vom 5. Dezember 2024 – I ZR 50/24 – Produktfotografien

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Urteil vom 5. Dezember 2024 entschieden, dass eine Verletzung der urheberrechtlichen Ansprüche der Klägerin nicht vorliegt, da es an einem hinreichenden Inlandsbezug der angeblichen Verletzungshandlungen fehlt. Die Klägerin, ein Bekleidungsunternehmen, machte geltend, dass ihre Produktfotografien in der Google-Bildersuche abrufbar waren und von dort auf Webseiten mit kasachischer und ukrainischer Top-Level-Domain verlinkt wurden. Die Beklagte hatte diese Fotografien möglicherweise für diese ausländischen Webseiten genutzt. Der BGH stellte klar, dass nach deutschem Urheberrecht die Nutzungshandlung im Inland erfolgen müsse, um Ansprüche geltend machen zu können. Die Entscheidung bestätigte, dass der für Kennzeichenrechte entwickelte Grundsatz des Territorialitätsprinzips auch im Urheberrecht Anwendung findet. Da die Webseiten auf Kasachstan und die Ukraine ausgerichtet seien und nur unwesentliche Anknüpfungspunkte zu Deutschland aufwiesen, bestehe kein hinreichender Inlandsbezug. Die Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen.

Leitsatz der Entscheidung:

Die Verletzung eines inländischen Urheberrechts durch ein Verhalten, das seinen Schwerpunkt im Ausland hat, setzt voraus, dass das Verhalten einen hinreichenden Inlandsbezug aufweist [-> Territorialitätsprinzip] (Fortführung von BGH, Urteil vom 16. Juni 1994 – I ZR 24/92, BGHZ 126, 252 [juris Rn. 17 bis 20] – Folgerecht bei Auslandsbezug; Urteil vom 15. Februar 2007 – I ZR 114/04, BGHZ 171, 151 [juris Rn. 31] – Wagenfeld-Leuchte I).

EPG, UPC_CFI_112/2025: Anti-Anti-Suit Injunction durch die Lokalkammer München des EPG

EPG, Lokalkammer München, Anordnung vom 19. Februar 2025 – UPC_CFI_112/2025

Die Lokalkammer München des Einheitlichen Patentgerichts erließ eine Anordnung [Artikel 62 (1) → Verfügungen gegen angebliche Verletzer] zugunsten der Antragstellerinnen, um eine Anti-Anti-Suit Injunction (AASI) zu erlassen. Diese Anordnung wurde aufgrund der drohenden Gefahr erlassen, dass die Antragsgegnerinnen eine Anti-Suit Injunction (ASI) bei chinesischen Gerichten einleiten könnten, um die Patentinhaberin daran zu hindern, ihre Patentrechte gerichtlich durchzusetzen. Die Anordnung soll verhindern, dass die Antragsgegnerinnen die Patentinhaberin daran hindern, Patentverletzungsverfahren in Europa durchzuführen oder entstehende Urteile zu vollstrecken.

Das Einheitliche Patentgericht, Lokalkammer München, sah konkrete und greifbare Anhaltspunkte für eine drohende Anti-Suit Injunction (ASI), weil die Antragsgegnerinnen bereits heimlich ein Lizenzratenbestimmungsverfahren („Rate-Setting“) vor einem chinesischen Gericht eingeleitet hatten, ohne die Antragstellerinnen zu informieren. Die Zustellung der europäischen Patentverletzungsklagen auf der Messe EuroCIS am 18. Februar 2025 erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass die Antragsgegnerinnen mit einer ASI reagieren würden, um die Durchsetzung der Klagen zu verhindern. Da chinesische Gerichte ASIs regelmäßig kurzfristig und ex parte erlassen, bestand die Gefahr, dass die Patentinhaberin an der gerichtlichen Durchsetzung ihrer Patente gehindert würde oder erhebliche Strafzahlungen riskieren müsste. Zudem zeigte die strategische Verzögerungstaktik der Antragsgegnerinnen, dass sie ein starkes Interesse daran hatten, das chinesische Rate-Setting-Verfahren vor einer europäischen Gerichtsentscheidung zu schützen. Angesichts dieser Umstände entschied das Gericht, dass eine Anti-Anti-Suit Injunction (AASI) erforderlich war, um die gerichtliche Durchsetzbarkeit der europäischen Patente zu sichern.

Außerdem wurde ausnahmsweise auf eine Sicherheitsleistung verzichtet, da eine solche den Antragstellern binnen der kurzen Zeitspanne nicht möglich war. Das Gericht verpflichtete die Antragsgegnerinnen zur Zahlung eines Zwangsgeldes bei Zuwiderhandlung gegen die Anordnung.

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze:

  1. Die Verletzung eines Rechts des Patentinhabers droht im Sinne von Art. 62 Abs. 1 EPGÜ dann, wenn die Verletzung noch nicht eingetreten ist, aber aufgrund konkreter Umstände ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich der Antragsgegner in naher Zukunft rechtswidrig verhalten wird. Die Verletzungshandlung muss sich konkret abzeichnen. Es muss nur noch vom Willen des Antragsgegners abhängen, ob der letzte Schritt zum Beginn der Verletzung umgesetzt wird. Dies hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab.
  2. Im Fall einer Anti-Suit Injunction tritt die Verletzung des Eigentumsrechts des Patentinhabers zwar erst mit dem Erlass der Anti-Suit Injunction durch ein anderes Gericht ein, die Verletzungshandlung besteht jedoch in der auf ihren Erlass gerichteten Antragstellung durch den Verletzer.
  3. Eine Verletzung des Eigentumsrechts des Patentinhabers durch den Erlass einer Anti-Suit Injunction kann in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls schon vor der auf ihren Erlass gerichteten Antragstellung drohen.
  4. Die Anordnung einer Sicherheitsleistung im Falle einer ohne die Anhörung des Antragsgegners ergangenen einstweiligen Maßnahme kann gemäß Regel 211.5 S. 2 EPGVO [→ Sicherheitsleistung durch den Antragsteller] ausnahmsweise unterbleiben, wenn es dem Antragsteller in zeitlicher Hinsicht nicht möglich ist, die Sicherheit bis zu der auf einer Messe erfolgenden Zustellung der Anordnung der einstweiligen Maßnahme zu leisten, und andere Zustellungsmöglichkeiten mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sind.

BGH, I ZR 16/24 – Birkenstocksandale

BGH, Urteil vom 20. Februar 2025 – I ZR 16/24 – Birkenstocksandale

In dem vorliegenden Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) wird die Revision der Klägerin, Teil der Birkenstock-Gruppe, gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Köln zurückgewiesen. Die Klägerin hatte die Beklagte, eine Lizenznehmerin, wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen in Bezug auf die Sandalenmodelle „Arizona“ und „Gizeh“ verklagt. Diese Modelle wurden von Karl Birkenstock in den Jahren 1973 und 1983 entworfen und die Klägerin behauptete, es handele sich um urheberrechtlich geschützte Werke der angewandten Kunst. Das Landgericht hatte der Klage weitgehend stattgegeben, während das Berufungsgericht die Klage abwies.

Das Berufungsgericht und der BGH stellten fest, dass die Sandalenmodelle nicht die notwendigen Kriterien erfüllten, um als urheberrechtlich geschützte Werke der angewandten Kunst anerkannt zu werden. Die Modelle spiegelten zwar individuelle Gestaltungsmerkmale wider und es bestanden freie Gestaltungsmöglichkeiten, jedoch sei der bestehende kreative Freiraum nicht künstlerisch genutzt worden, sodass kein Urheberrechtsschutz begründet werden konnte. Der BGH bestätigte damit die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte nicht gegen Urheberrechte der Klägerin verstoßen hat.

Leitsätze der Entscheidung:

a) Eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG ist eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer künstlerischen Leistung gesprochen werden kann. Die ästhetische Wirkung der Gestaltung kann einen Urheberrechtsschutz nur begründen, soweit sie auf einer künstlerischen Leistung beruht und diese zum Ausdruck bringt. Für die Gewährung urheberrechtlichen Schutzes muss eine gestalterische Freiheit bestehen, die in künstlerischer Weise ausgenutzt wird. Eine persönliche geistige Schöpfung ist ausgeschlossen, wo für eine künstlerische Gestaltung kein Raum besteht, weil die Gestaltung durch technische Erfordernisse vorgegeben ist. Mit einer künstlerischen Leistung ist nicht mehr und nicht weniger als eine schöpferische, kreative, originelle, die individuelle Persönlichkeit ihres Urhebers widerspiegelnde Leistung auf dem Gebiet der Kunst gemeint.

b) Für den urheberrechtlichen Schutz eines Werks der angewandten Kunst im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG ist – wie für alle anderen Werkarten auch – eine nicht zu geringe Gestaltungshöhe zu fordern. Das rein handwerkliche Schaffen unter Verwendung formaler Gestaltungselemente ist dem Urheberrechtsschutz nicht zugänglich. Für den Urheberrechtsschutz muss vielmehr ein Grad an Gestaltungshöhe erreicht werden, der Individualität überhaupt erkennen lässt.

c) Die Klägerseite trägt im urheberrechtlichen Verletzungsprozess die Darlegungslast für das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung. Sie hat daher nicht nur das betreffende Werk vorzulegen, sondern grundsätzlich auch die konkreten Gestaltungselemente darzulegen, aus denen sich der urheberrechtliche Schutz ergeben soll. Bei Gebrauchsgegenständen muss genau und deutlich dargelegt werden, inwieweit sie über ihre von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet sind.

EPG, UPC_CFI_483/2024: Zuständigkeit für Patentverletzungen vor Inkrafttreten des EPG

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 10. Februar 2025 – UPC_CFI_483/2024

Leitsätze der Entscheidung:
  1. Die Zuständigkeit des EPG gemäß Art. 32(1)(a) EPGÜ, Art. 2g), Art. 3c) EPGÜ [→ Ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts für Patentklagen] umfasst auch Verletzungsklagen, soweit sie auf Nutzungshandlungen gestützt sind, die angeblich vor dem Inkrafttreten der EPGÜ und/oder in der Zeit zwischen einem Opt-out und dessen Rücknahme stattgefunden haben sollen.
  2. Zuständigkeit und anwendbares Recht sind separate Aspekte, die separat beurteilt werden müssen. Aus der Zuständigkeit des EPG kann nicht geschlossen werden, dass die EPGÜ immer auf jeden zu entscheidenden Fall Anwendung findet, noch ist das anwendbare Recht für die Zuständigkeit des EPG entscheidend.

Zusammenfassung der Entscheidung

In der Entscheidung vom 10. Februar 2025 befasste sich das Einheitspatentgericht (EPG) mit der Frage der Zuständigkeit für Klagen wegen Patentverletzungen, die vor dem Inkrafttreten des EPGÜ am 1. Juni 2023 und während eines Opt-Out-Zeitraums stattfanden. Das Gericht stellte fest, dass seine Zuständigkeit nach Art. 32(1)(a) EPGÜ nicht durch zeitliche Begrenzungen auf nach diesem Datum stattfindende Handlungen beschränkt ist. Die Entscheidung betonte die Unabhängigkeit der Zuständigkeit von der Frage des anwendbaren Rechts und hielt fest, dass das EPG auch über Fälle entscheiden könne, die auf Handlungen basieren, die vor dem EPGÜ-Startdatum oder während eines wirksamen Opt-Outs lagen, solange eine Opt-In-Erklärung abgegeben wurde. Diese Auslegung des Art. 32(1)(a) EPGÜ wurde im Hinblick auf die Rechtssicherheit und die Verhältnismäßigkeit bestätigt. Der Einwand wegen fehlender Zuständigkeit wurde zurückgewiesen und das Verfahren wird fortgesetzt. Eine Berufung gegen diesen Beschluss wurde zugelassen, da die Entscheidung als potenziell richtungsweisend für ähnliche zukünftige Fälle angesehen wird.

EPG, Berufungskammer, Beschl. v. 12. Februar 2025 – UPC_CoA_635/2024

EPG, Berufungskammer, Beschl. v. 12. Februar 2025 – UPC_CoA_635/2024

Leitsätze der Entscheidung

  • Anwälte und europäische Patentanwälte sind nicht von der Pflicht zur Vertretung [Regel 8.1 EPGVO → Vertretungspflicht gemäß Artikel 48 des Übereinkommens] befreit, wenn sie selbst Parteien in Verfahren vor dem EPG sind.
  • Vertretung ist ein Zulässigkeitspunkt, der Überlegungen zur öffentlichen Ordnung (fairer Prozess) beinhaltet, den das Gericht jederzeit, auch von Amts wegen, überprüfen kann.

BGH, – Kabelwickelband: Einschränkung neuer Angriffsmittel in der Patentnichtigkeitsberufung

BGH, Urteil vom 14. Januar 2025 – X ZR 1/23 – Kabelwickelband

Leitsätze des Urteils:

a) Hat das Patentgericht in dem gemäß § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis [→ Gerichtlicher Hinweis im Nichtigkeitsverfahren] dargelegt, dass sich das bisherige Klagevorbringen als unzureichend erweisen könnte, liegt es am Kläger, bereits in erster Instanz gegebenenfalls neue Angriffsmittel vorzutragen. Der Umstand, dass das Patentgericht auch diese Angriffsmittel als nicht ausreichend ansieht, reicht nicht aus, um die Zulassung weiterer Angriffsmittel im Berufungsrechtszug zu rechtfertigen [§ 117 PatG → Tatsachen und Beweise im Berufungsverfahren]. (Bestätigung von BGH, Urteil vom 8. August 2013 – X ZR 36/12, GRUR 2013, 1174 Rn. 33 – Mischerbefestigung.)

b) Dies gilt auch hinsichtlich solcher Dokumente, die von bei der Patentrecherche gebräuchlichen Datenbanken nicht umfasst sind.

EPG, UPC_CFI_487/2023: Gebührenpflicht für Widerklage auf FRAND-Lizenzangebot

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 24. Januar 2025 – UPC_CFI_487/2023

Leitsatz der Entscheidung:

In Übereinstimmung mit Regel 370 EPGVO [→ Gerichtsgebühren] sind analoge Gerichtsgebühren für die Einreichung einer Widerklage für ein FRAND-Lizenzangebot zu zahlen.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Die Liste in Regel 370.2-5 EPGVO [→ Gerichtsgebühren] erwähnt nicht die Widerklage auf ein FRAND-Lizenzangebot. Es gibt auch keine andere Bestimmung in den Verfahrensregeln, die ausdrücklich festlegt, dass diese Art von Widerklage gebührenpflichtig ist. Eine Widerklage auf ein FRAND-Lizenzangebot kann keiner der in Regel 370.2-5 EPGVO ausdrücklich genannten (Gegen-)Ansprüche subsumiert werden. Insbesondere ist sie weder eine Verletzungsklage im Sinne von Regel 370.2(a) in Verbindung mit Regel 15 EPGVO, noch eine Widerklage auf Verletzung im Sinne von Regel 370.2(b) in Verbindung mit Regel 53 EPGVO. Gegenstand der Widerklage auf ein FRAND-Lizenzangebot ist nicht die unerlaubte Nutzung eines Patents durch den Widerbeklagten oder den Kläger in der Verletzungsklage im Zusammenhang mit den Rechtsfolgen der Patentverletzung. Vielmehr zielt die Widerklage auf ein FRAND-Lizenzangebot auf das Angebot eines konkreten Lizenzangebots mit einer spezifischen Lizenzgebühr an den Beklagten.

Auch aus Artikel 32(1)(a) EPGÜ folgt nicht, dass die Widerklage auf ein FRAND-Lizenzangebot als Verletzungsklage nach Regel 370.2(a) in Verbindung mit Regel 15 EPGVO oder als Widerklage auf Verletzung nach Regel 370.2(b) in Verbindung mit Regel 53 EPGVO zu verstehen ist. Diese Bestimmung betrifft (nur) die Zuständigkeit des EPG. Artikel 32(1)(a) EPGÜ sieht (nur) vor, dass das EPG die ausschließliche Zuständigkeit für Verletzungsklagen, einschließlich Widerklagen auf Lizenzen, hat.

Die Arten von Klagen werden auch in Artikel 32(1)(a) EPGÜ nicht gleichgesetzt. Vielmehr macht die ausdrückliche Erwähnung in Artikel 32(1)(a) EPGÜ deutlich, dass es sich um unterschiedliche Arten von Klagen handelt. Wenn man eine andere Ansicht verträte, würde die Erwähnung einer Widerklage auf ein FRAND-Lizenzangebot in Artikel 32(1)(a) EPGÜ keinen Sinn ergeben. Sie wäre überflüssig und redundant.

Eine Widerklage auf ein FRAND-Lizenzangebot ist auch kein Anspruch nach Regel 80.3 EPGVO oder eine Widerklage auf Widerruf nach Regel 26 EPGVO. Diese Ansprüche haben auch einen anderen Gegenstand.

Daher ist eine direkte Anwendung von Regel 370 EPGVO ausgeschlossen. Eine analoge Anwendung der Regel 370 EPGVO ist jedoch angebracht.

EPG, UPC_CFI_355/2023: Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts für britischen Teil des Patents

EPG, Lokalkammer Düsseldorf, Entscheidung v. 28. Januar 2025 – UPC_CFI_355/2023

In der Entscheidung wird festgestellt, dass das Einheitliche Patentgericht (EPG) für die Behandlung einer Verletzungsklage in Bezug auf den britischen Teil eines Patents zuständig ist, sofern die Beklagten ihren Wohnsitz in einem Vertragsmitgliedstaat wie Deutschland haben. Diese Zuständigkeit ergibt sich aus der Anwendung der Brüssel-Ia-Verordnung in Verbindung mit dem Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ), insbesondere durch die Bestimmungen des Artikels 31 EPGÜ [→ Internationale Zuständigkeit]. Selbst im Fall einer Widerklage auf Widerruf des deutschen Teils des Patents bleibt das EPG für die Behandlung der Verletzungsklage des britischen Teils zuständig. Die Entscheidung betont, dass die Brüssel-Ia-Verordnung es ermöglicht, rechtliche Streitigkeiten vor das Gericht des Wohnsitzmitgliedstaats der Beklagten zu bringen, was hier die Zuständigkeit des EPG über nationale Einzelzuständigkeiten hinaus erweitert, um sicherzustellen, dass auch internationale Fälle kohärent behandelt werden können.

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze, die übersetzt lauten:

Wenn der Beklagte in einem Vertragsmitgliedstaat (hier: Deutschland) seinen Wohnsitz hat, ist das Einheitliche Patentgericht zuständig, die Klage wegen Verletzung des Patents in Bezug auf den britischen Teil des Streitpatents zu verhandeln [Artikel 31 EPGÜ → Internationale Zuständigkeit]. Dies gilt auch, wenn der Beklagte eine Widerklage auf Widerruf in Bezug auf den deutschen Teil des Streitpatents erhoben hat. Auch dann ist das Einheitliche Patentgericht für die Klage wegen der Verletzung in Großbritannien zuständig.

Die in einem Anspruch verwendeten Begriffe sollten normalerweise in dem weitesten technisch sinnvollen Rahmen im Kontext des Anspruchs, in dem sie erscheinen, interpretiert werden. Artikel 69 EPÜ [Art. 69 EPÜ → Schutzbereich] und sein Protokoll rechtfertigen nicht, was durch den Wortlaut der Ansprüche wörtlich abgedeckt ist, durch eine einschränkende Auslegung des Anspruchs auf Basis der Beschreibung oder der Zeichnungen auszuschließen. Eine Einschränkende Auslegung der Ansprüche, die von dem breiteren allgemeinen Verständnis der verwendeten Begriffe durch einen Fachmann abweicht, kann nur gestattet werden, wenn es überzeugende Gründe auf Basis der Umstände des vorliegenden Einzelfalls gibt.

Implizite Offenbarung bedeutet nicht mehr als die klare, unmittelbare und unmissverständliche Konsequenz dessen, was in einem Stand der Technik Dokument ausdrücklich erwähnt wird. Daher umfasst „implizite Offenbarung“ jedes Merkmal, das eine fachkundige Person objektiv betrachtet als notwendig impliziert im expliziten Inhalt eines Stand der Technik Dokuments ansehen würde, z.B. in Anbetracht der allgemeinen wissenschaftlichen Gesetze. Ein beanspruchtes Merkmal ist ebenfalls implizit offenbart, wenn der Fachmann bei der Ausführung der Lehre des Stand der Technik Dokuments unvermeidlich zu einem Ergebnis gelangt, das unter die Begriffe eines Anspruchs fällt. Ob ein bekanntes Produkt ein implizites Merkmal aufweist, hängt nicht davon ab, ob die Aufmerksamkeit des Fachmanns durch ein Stand der Technik Dokument oder sein allgemeines Fachwissen speziell auf dieses Merkmal gelenkt wird, sondern lediglich davon, ob aus einer rein objektiven Sichtweise besagtes Produkt dieses Merkmal zwangsläufig aufweisen muss.

Um Artikel 123(2) EPÜ [→ Verbot der unzulässigen Erweiterung] zu entsprechen, muss der Gegenstand eines geänderten Anspruchs dem Fachmann durch die ursprüngliche Anmeldung direkt und eindeutig vermittelt werden. Eine direkte Lehre erfordert, dass der Gegenstand ursprünglich als spezifische, klar definierte und erkennbare einzelne Ausführungsform gelehrt wird, entweder ausdrücklich oder implizit, ohne die Notwendigkeit, deduktive Fähigkeiten anzuwenden. Eine eindeutige Lehre erfordert, dass über jeden Zweifel erhaben ist – nicht nur wahrscheinlich -, dass der beanspruchte Gegenstand eines geänderten Anspruchs in der ursprünglichen Anmeldung so offenbart wurde.

BGH, X ZR 131/22 – Cer-Zirkonium-Mischoxid III

BGH, Urteil vom 3. Dezember 2024 – X ZR 131/22 – Cer-Zirkonium-Mischoxid III

Leitsätze aus der Entscheidung:

a) Ein nur in einer Richtung begrenzter Wertebereich kann ausführbar offenbart sein, wenn sich die Erfindung nicht in der Eröffnung eines bestimmten Bereichs erschöpft, sondern eine darüber hinausgehende, verallgemeinerbare Lehre aufzeigt, die es dem Fachmann erstmals er
möglicht, nach weiteren Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen und den im Patent konkret aufgezeigten Höchstwert zu übertreffen (Bestätigung von BGH, Urteile vom 12. März 2019 – X ZR 32/17, GRUR 2019, 713 Rn. 45 – Cer-Zirkonium-Mischoxid I; X ZR 34/17, GRUR 2019, 718 Rn. 26 – Cer-Zirkonium-Mischoxid II).

b) Fehlt es an einer verallgemeinerbaren Lehre in diesem Sinne, ist ein nach oben begrenzter Bereich nur dann ausführbar offenbart, wenn das Patent mindestens ein konkretes Ausführungsbeispiel schildert, das den beanspruchten Höchstwert erreicht, oder konkrete Hinweise gibt, wie ausgehend von den geschilderten Beispielen eine weitere Steigerung zu erreichen ist (Bestätigung von BGH, Urteil vom 6. April 2021 – X ZR 54/19, GRUR 2021, 1043 Rn. 59 – Cerdioxid).

c) Diese Grundsätze gelten entsprechend für eine beanspruchte Untergrenze, wenn es nicht ohne weiteres möglich ist, einen niedrigen Wert zu erzielen.