Autor: Dr. Martin Meggle-Freund

BGH, Beschluss vom 7. November 2024 – I ZB 31/24

BGH, Beschluss vom 7. November 2024 – I ZB 31/24

Amtliche Leitsätze:

  1. Das Vollstreckungsgericht hat bei der Entscheidung über einen Zwangsmittelantrag [→ Zwangsvollstreckung durch Zwangsgeld und Zwangshaft] durch Auslegung des Vollstreckungstitels zu ermitteln, welche Verhaltensweisen dieser erfasst. Die Auslegung hat vom Tenor der zu vollstreckenden Entscheidung auszugehen; erforderlichenfalls sind ergänzend die Entscheidungsgründe und unter bestimmten Voraussetzungen auch die Antrags- oder Klagebegründung und der Parteivortrag heranzuziehen. Bei der Auslegung des Vollstreckungstitels ist grundsätzlich ohne Bedeutung, welche sachlich-rechtlichen Ansprüche dem Gläubiger zustehen (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 5. März 2015 – I ZB 74/14, GRUR 2015, 1248 [juris Rn. 20 f.]).
  2. Ergibt die Auslegung des Vollstreckungstitels über die Erteilung einer Auskunft auf markenrechtlicher Grundlage eine Verpflichtung des Schuldners, dem Gläubiger solche Dritte zu benennen, die markenverletzende Ware an ihn geliefert oder die von ihm markenverletzende Ware erhalten haben, hat der Schuldner nicht alle in Betracht kommenden Lieferanten und Abnehmer zu benennen, bei denen dies lediglich möglicherweise der Fall ist.

EPG, UPC_CFI_210/2023: Rechte des geistigen Eigentums und SEP-Verpflichtungen

Einheitspatentgericht, Lokalkammer Mannheim, Urteil vom 22. November 2024, Az. UPC_CFI_210/2023

Aus der Urteilsbegründung:

Art. 17 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 102 AEUV:

„Nach ständiger Rechtsprechung gehört die Ausübung eines mit einem Recht des geistigen Eigentums verbundenen ausschließlichen Rechts, hier des Rechts, eine Verletzungsklage zu erheben, zu den Vorrechten des Inhabers eines Rechts des geistigen Eigentums, so dass sie als solche keinen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstellen kann, selbst wenn sie von einem Unternehmen in beherrschender Stellung ausgeht.“


Art. 17 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union:

„Dieses Erfordernis des hohen Schutzes der Rechte des geistigen Eigentums impliziert, dass ihrem Inhaber grundsätzlich nicht die Möglichkeit genommen werden kann, gerichtliche Schritte zu unternehmen, durch die gewährleistet wird, dass seine ausschließlichen Rechte tatsächlich beachtet werden, und dass der Benutzer dieser Rechte, wenn er nicht ihr Inhaber ist, grundsätzlich vor jeder Benutzung eine Lizenz einholen muss.“

Art. 20 EPGÜ:

„Das Einheitliche Patentgericht wendet in vollem Recht Unionsrecht an und achtet seinen Vorrang.“


Art. 102 AEUV, EuGH Entscheidung Huawei vs. ZTE, ECLI:EU:C:2015:477:

„Der Europäische Gerichtshof hat in der Entscheidung Huawei vs. ZTE ein seither die mitgliedstaatlichen Gerichte – anders als nunmehr die Gerichte des Vereinigten Königreiches – bindendes Verhandlungsprogramm [-> Pflichten von SEP-Inhabern und Patentnutzern im Rahmen der Verhandlungen] aufgestellt.“

EPG, Lokalkammer Hamburg, Beschl. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_525/2024

EPG, Lokalkammer Hamburg, Beschl. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_525/2024

Amtliche Leitsätze übersetzt in deutscher Sprache:

  1. Eine angebliche Patentverletzung fällt unter das Deliktsrecht im Sinne von Art. 7 Abs. 2 [→ Unerlaubte Handlungen und schädigende Ereignisse] der Brüssel I-Neufassung. Somit hat das EPG auch für Ansprüche auf persönliche (Direktor)haftung im Hinblick auf eine angebliche Verletzung eines europäischen Patents gemäß Artikel 32 EPGÜ [→ Ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts für Patentklagen] Gerichtsbarkeit.
  2. Ob der Direktor eines Unternehmens erfolgreich vor dem EPG verklagt und für die Verletzung eines Patents haftbar gemacht werden kann [→ Direktorenhaftung], ist eine Frage des Sachverhalts, die nicht der Bestimmung von Gerichtsbarkeit und Zuständigkeit unterliegt.


EPG, Zentralkammer Paris, Urt. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_454/2023

EPG, Zentralkammer Paris, Urt. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_454/2023

Amtlicher Leitsatz:

Die Verletzung einer Stillhalteklausel entzieht der verletzenden Partei nicht das Recht, eine Klage zu erheben, wenn die zeitliche Beschränkung des Klagerechts durch kein öffentliches Interesse gerechtfertigt ist, sondern
sie kann nur eine Haftung wegen Vertragsverletzung begründen.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Es sollte berücksichtigt werden, dass der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ein allgemeiner Grundsatz des EU-Rechts ist, der aus den verfassungsmäßigen Traditionen der Mitgliedstaaten hervorgeht und in Artikel 6 [→ Recht auf ein faires Verfahren] und 13 [→ Recht auf wirksame Beschwerde] der EMRK verankert ist und der auch durch Artikel 47  [→ Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht] der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bestätigt wurde (vgl. EuGH 16. Juli 2009, C-12/08, Mono Car Styling). Während Grundrechte nicht unbeschränkte Vorrechte darstellen und eingeschränkt werden können, müssen die Beschränkungen Zielen des allgemeinen Interesses entsprechen, die mit der betreffenden Maßnahme verfolgt werden, und dürfen in Bezug auf die verfolgten Ziele keine unverhältnismäßige und unerträgliche Beeinträchtigung darstellen, die die Substanz der garantierten Rechte verletzt (vgl. EuGH 18. März 2010, C-317/08, Alassini und andere).

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_9/2023

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_9/2023

Amtliche Leitsätze:

1. Das einzige online verfügbare amtliche Formular für die Einreichung eines Rücktritts von der Ausnahmeregelung gemäß Regel 5.7 EPGVO [→ Antrag auf Rücktritt von der Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung] ist der entsprechende Workflow im Fallbearbeitungssystem (CMS). Bei dem bereitgestellten Template handelt es sich nicht um ein Formular im Sinne der Regel 4.1 EPGVO [→ Elektronische Einreichung von Unterlagen], sondern um eine Arbeitshilfe für die Nutzer des Systems. Den Nutzern ist es freigestellt, eine andere Arbeitshilfe zu verwenden.

2. Soweit der Erschöpfungseinwand alle angegriffenen Ausführungsformen betrifft, ist ihm sogleich im Erkenntnisverfahren nachzugehen. Bei Erfolg ist die Klage abzuweisen. Soweit der Erschöpfungseinwand nicht alle angegriffenen Ausführungsformen betrifft, kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, ob und inwieweit dem Einwand sogleich, oder erst im Rahmen der Zwangsvollstreckung nachzugehen ist.

3. Soweit der Patentinhaber mehrere unterschiedliche noch annahmefähige Angebote abgegeben hat, zum Beispiel ein Angebot betreffend eine bilaterale Lizenz an dem Portfolio des Patentinhabers und ein Angebot betreffend eine Lizenz an dem Portfolio eines Patentpools, in dem das zu lizenzierende Patent oder Portfolio des Patentinhabers mit enthalten ist, kann die auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung gerichtete Verletzungsklage nicht abgewiesen werden, wenn davon auszugehen ist, dass mindestens eines der beiden Angebote den kartellrechtlichen Anforderungen genügt. Denn der Patentinhaber ist aus kartellrechtlichen Gründen nur gehalten, dem Patentbenutzer einen Lizenzierungsweg aufzuzeigen, der den FRAND-Anforderungen genügt. Der Patentinhaber kann seinen kartellrechtlichen Verpflichtungen insbesondere durch das Angebot einer Pool-Lizenz nachkommen. Dasselbe gilt auch in Bezug auf eine vertragsrechtliche Bewertung, zum Beispiel in Bezug auf einen unter Geltung der IEEE Bylaws 2007 abgegebenen Letter of Assurance (LOA).

4. Die Ausführungen des Unionsgerichtshofs in Randnummern 66-67 des Urteils Huawei v. ZTE bedeuten, dass die Klageerhebung kartellrechtswidrig sein mag, weil das Angebot des Patentinhabers FRAND-Bedingungen widerspricht, der Verletzter dies im Rahmen einer Verteidigung gegen denjenigen Teil der Klage, der auf Unterlassung, Rückruf oder Vernichtung gerichtet ist aber nur dann einwenden darf, wenn er selbst ohne Verzögerungstaktik ein konkretes Gegenangebot unterbreitet hat, das FRAND-Bedingungen entspricht, sowie darüberhinausgehend im Falle von dessen Ablehnung eine angemessene Sicherheit geleistet und Auskunft über den Umfang der Benutzungshandlungen gegeben hat.

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 17. Dezember 2024 – UPC_CFI_390/2023

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 17. Dezember 2024 – UPC_CFI_390/2023

Amtliche Leitsätze:

  • Möchte der Kläger die nach Art. 67 EPGÜ [→ Befugnis, die Erteilung einer Auskunft anzuordnen] zu erteilende Auskunft in elektronischer Form erhalten, muss dies konkret beantragt werden. Lässt der Urteilsausspruch offen, ob eine Auskunft in Papierform oder elektronisch erteilt werden soll, kann die Auskunft grundsätzlich wahlweise in einer der beiden Formen erteilt werden.
  • Das nach Art. 82 EPGÜ [→ Zwangsgeldzahlungen bei Nichtbeachtung der Anordnung] festzusetzende Zwangsgeld hat sowohl Beuge- als auch Straffunktion. Ein Zwangsgeld kann daher nicht nur verhängt werden, um die Befolgung einer Anordnung zu erzwingen, sondern auch, um die Nichtbefolgung einer gerichtlichen Anordnung in der Vergangenheit zu bestrafen.

Aus der Entscheidungsbegründung:

„Weder Art. 67 EPGÜ [→ Befugnis, die Erteilung einer Auskunft anzuordnen] noch die EPGVO enthalten spezifische Regelungen dazu, ob eine schriftlich zu erteilende Auskunft in elektronischer (digitaler) Form oder auf Papier zu leisten ist. Die Beantragung und Anordnung einer Auskunft in elektronischer Form ist allerdings nach dem insofern offenen Wortlaut von Art. 67 EPGÜ nicht ausgeschlossen. Nach Art. 76 Abs. 1 EPGÜ [→ Entscheidung nach Maßgabe der Anträge] („…Maßgabe der von den Parteien gestellten Anträge…“) obliegt es der Klagepartei, den Antrag nach Art. 67 EPGÜ im Hinblick auf die gewünschte Form der Auskunftserteilung möglichst konkret zu fassen. Soll eine Auskunft (Art. 67 EPGÜ) in elektronischer Form erteilt werden, muss dies folglich konkret beantragt werden. Mangelt es dem Antrag an einer Bestimmung der Form, ist der Auskunftsantrag zwar insofern nicht wegen fehlender Bestimmtheit unzulässig; dem Schuldner der Auskunft steht es dann aber grundsätzlich frei, in welcher Form (elektronisch oder auf Papier) die Auskunft erteilt wird.“

„Das Erfordernis eines hinsichtlich der Form der Auskunftserteilung bestimmt gefassten Antrags und einer dementsprechend bestimmt gefassten gerichtlichen Anordnung ergibt sich auch aus unionsrechtlich geltenden Grundsätzen. Auch für Maßnahmen wie die Verhängung eines Zwangsgeldes wegen Nichtbeachtung einer gerichtlichen Anordnung ist der in Art. 7 EMRK, Art. 49 Abs. 1 GRCh [→ Keine Strafe ohne Gesetz] positivierte unionsrechtliche Grundsatz des »nulla poena sine lege« zu beachten. Daher setzt die Vollstreckung einer Anordnung nach Regel 354.3 EPGVO (Zwangsgeldzahlungen bei Nichtbeachtung der Anordnung) voraus, dass die gerichtliche Anordnung so bestimmt gefasst ist, dass ein Verstoß eindeutig festgestellt werden kann. Steht etwa die Nichtbeachtung der Form der Auskunftserteilung in Rede, kann ein Zwangsgeld nur angeordnet werden, wenn die erforderliche Form in der gerichtlichen Anordnung auch hinreichend bestimmt zum Ausdruck gebracht wurde; andernfalls kann ein Formverstoß nicht festgestellt werden.“

„Mit dem nach Art. 82 Abs. 4 EPGÜ [→ Zwangsgeldzahlungen bei Nichtbeachtung der Anordnung] zu verhängenden Zwangsgeld soll die Nichtbefolgung der Entscheidungen des EPG geahndet werden. Dabei hat das Zwangsgeld, wie insbesondere die englische Sprachfassung („penalty payment“) zeigt, Strafcharakter; ein Zwangsgeld kann also nicht nur verhängt werden, um die Befolgung einer Anordnung zu erzwingen, sondern auch, um die in der Vergangenheit liegende Nichtbefolgung zu bestrafen (wie hier: LK Düsseldorf, UPC_CFI_177/2023; v.Falck/Stoll in Tilmann/Plassmann, EPGÜ Art. 82 Rn. 123 f.; aA Kircher in Bopp/Kircher, Handbuch Europäischer Patentprozess, 2. Auflage 2023, § 27 Rn. 60). Eine Beschränkung des Zwangsgeldes auf den Zweck, die betreffende Partei zur Befolgung einer gerichtlichen Anordnung anzuhalten, lässt sich dem Wortlaut von Art. 82 Abs. 4 EPGÜ nicht entnehmen.“

BGH, X ZR 37/22 – Chemische Verbrauchsmaterialien

BGH, Urteil vom 12. November 2024 – X ZR 37/22 – Chemische Verbrauchsmaterialien

In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12. November 2024 wurde über die Unwirksamkeit einer Vergütungsvereinbarung für Arbeitnehmererfinder verhandelt. Der Kläger, ein promovierter Chemiker, hatte in seiner Tätigkeit als Mitarbeiter für Forschung und Entwicklung bei der Beklagten an mehreren Erfindungen mitgewirkt. Die festgelegte Erfindervergütung wurde vom Berufungsgericht für nichtig erklärt, da ein erhebliches Missverhältnis zwischen der vereinbarten und der gesetzlich geschuldeten Vergütung bestand. Dabei wurde die Mitteilung des Geschäftsführers der Beklagten als unangemessene Vergütung aufgrund der Nichtberücksichtigung eines Anteilsfaktors angesehen.

Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Es wurde festgestellt, dass die zur Überprüfung anstehenden Vergütungsregelungen auch unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zu beurteilen sind, insbesondere wenn Gegebenheiten vorliegen, die eine festgelegte Vereinbarung als durchaus nicht unbillig erscheinen lassen. Weitere Feststellungen zur Festsetzung der Vergütung und zu den angewendeten Maßstäben fehlen noch, weshalb eine abschließende Entscheidung durch den BGH nicht getroffen werden konnte.

Amtliche Leitsätze:

Auf die Unwirksamkeit einer Vereinbarung gemäß § 23 Abs. 1 ArbNErfG [→ Unwirksamkeit unbilliger Vereinbarungen] darf sich gegebenenfalls auch der Arbeitgeber berufen.

Aus Rechtsgründen ist es nicht zu beanstanden, dass ein objektives Missverhältnis in Anlehnung an die Entscheidungspraxis der Schiedsstelle grundsätzlich bejaht wird, wenn die vorgesehene Vergütung bei Berücksichtigung aller für sie maßgeblichen Faktoren das Doppelte des auf der Grundlage der Richtlinien berechneten Betrages überschreitet.

Bei einer Überschreitung des auf diese Weise als angemessen ermittelten Betrages dürfen die Umstände, unter denen die Festlegung zustande gekommen ist, und die Zeitdauer, während der die getroffene Regelung praktiziert worden ist, nicht außer Acht bleiben.

Entscheidung des Gerichts erster Instanz des Einheitspatentgerichts, Lokalkammer Den Haag, UPC_CFI_239/2023, verkündet am 22. November 2024

Entscheidung des Gerichts erster Instanz des Einheitspatentgerichts, Lokalkammer Den Haag, UPC_CFI_239/2023, verkündet am 22. November 2024

Amtliche Leitsätze:

  1. Das Patent ist gültig und wird durch Äquivalenz verletzt.
  2. Der Schutzumfang im Falle einer Verletzung wird in zwei Schritten bewertet, wobei Art. 69 EPÜ  [→ Schutzbereich] und das Protokoll [→ Auslegungsprotokoll] angewendet werden. Der erste Schritt bewertet die ‚wörtliche‘ Verletzung der Merkmale des Patents im Hinblick auf die Auslegung der Ansprüche. Im zweiten Schritt, wenn das Patent nicht als wörtlich verletzt gilt, wird die Äquivalenz bewertet.
  3. Der angewandte Test zur Beurteilung der Verletzung durch Äquivalenz basiert auf der Rechtsprechung in verschiedenen nationalen Jurisdiktionen, wie von beiden Parteien in diesem Fall vorgeschlagen. Dies bedeutet, dass eine Variation als äquivalent zu einem im Anspruch spezifizierten Element gilt, wenn die folgenden vier Fragen bejaht werden:
    1. Technische Äquivalenz: Löst die Variation (im Wesentlichen) das gleiche Problem, das die patentierte Erfindung löst, und erfüllt sie (im Wesentlichen) die gleiche Funktion in diesem Kontext?
    2. Angemessener Schutz für den Patentanmelder: Ist die Erweiterung des Schutzanspruchs auf das Äquivalent ein verhältnismäßiger, fairer Schutz für den Patentanmelder?
    3. Angemessene Rechtssicherheit für Dritte: Versteht der Fachmann aus dem Patent, dass der Schutzumfang der Erfindung breiter ist als das, was wörtlich beansprucht wird?
    4. Ist das angeblich verletzende Produkt neu und erfinderisch im Vergleich zum Stand der Technik?
  4. Das Gericht kann eine spezifische Formulierung für ein Schreiben an die Kunden oder zur Veröffentlichung auf der Website des Verletzers gemäß Art. 64 EPGÜ [→ Abhilfemaßnahmen im Rahmen von Verletzungsverfahren] und Unionsrecht anordnen.

EPG, Lokalkammer München, Anordnung v. 25. November 2024 – UPC_CFI_443/2024

EPG, Lokalkammer München, Anordnung v. 25. November 2024 – UPC_CFI_443/2024

Das Gericht entschied, dass der Antrag auf einstweilige Maßnahmen [→ Einstweilige Maßnahmen] nicht begründet ist, da es die Interessen der Parteien abwog [→ Abwägung der Interessen der Parteien] und zu dem Schluss kam, dass die Anordnung solcher Maßnahmen nicht erforderlich sei. Die Argumentation basierte auf fehlenden außergewöhnlichen Umständen, die ein sofortiges Eingreifen rechtfertigen würden, insbesondere, weil das Hauptsacheverfahren näher bevorstand. Auch hatte die Antragstellerin keine ausreichend spezifischen Beweise für Schäden vorgelegt, die erst durch einen späteren Unterlassungstitel in der Hauptsache unzumutbar sein könnten. Im Rahmen der Abwägung wurde zudem erörtert, dass die Antragsgegnerin seit Jahren mit den angegriffenen Produkten auf dem Markt ist und dies bei der Bewertung ihres Schutzbedürfnisses zu berücksichtigen war.

Amtliche Leitsätze:

  1. Der Regelungszweck von Regel 8 Abs. 4 [→ Inhaber eines europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung] und 5 EPGVO [→ Vermutung der Inhaberschaft und Anmelderschaft] besteht darin, das Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht von dem Streit über die materiell-rechtliche Inhaberschaft an einem Europäischen Patent unabhängig davon freizuhalten, ob die Inhaberschaft für die Prozessführungsbefugnis oder die Anspruchsberechtigung von Bedeutung ist, indem die (un-)widerlegliche Vermutung aufgestellt wird, dass der eingetragene Inhaber auch der tatsächliche Inhaber ist.
  2. Der Sinngehalt eines Unteranspruchs kann grundsätzlich zur richtigen Auslegung des Hauptanspruchs [→ Auslegung der Patentansprüche] eines Patents beitragen. Unteransprüche engen den Gegenstand des Hauptanspruchs jedoch regelmäßig nicht ein, sondern zeigen nicht anders als Ausführungsbeispiele lediglich – gegebenenfalls mit einem zusätzlichen Vorteil verbundene – Möglichkeiten seiner Ausgestaltung.
  3. Da die Erteilungsakte in Art. 69 EPÜ  [→ Bestimmung des Schutzbereichs] keine Erwähnung findet, bildet sie grundsätzlich kein zulässiges Auslegungsmaterial. Ein Europäisches Patent kann nicht auf der Grundlage von Textstellen, die im Erteilungsverfahren aus der Beschreibung gestrichen wurden, ausgelegt werden (Fortführung von Lokalkammer Düsseldorf, Anordnung vom 9. April 2024, CFI_452/2023 = ACT_589655/2023 – Ortovox Sportartikel gg. Mammut Sports u.a.).
  4. Die in einem einstweiligen Verfügungsverfahren vorzunehmende Interessenabwägung [→ Abwägung der Interessen der Parteien] muss die Wahrscheinlichkeit einer Fehlentscheidung und auch die objektive Dringlichkeit im Sinne einer Erforderlichkeit einstweiliger Maßnahmen im Hinblick auf ein ebenso mögliches Hauptsacheverfahren berücksichtigen. Sämtliche Aspekte sind aufeinander rückbezogen gegeneinander abzuwägen. Die Notwendigkeit der Berücksichtigung auch dieser Aspekte im Rahmen der Interessenabwägung ergibt sich aus dem Verhältnis des einstweiligen Verfügungsverfahrens zu einem möglichen Hauptsacheverfahren. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist nämlich das Hauptsacheverfahren die Regel, während das Eilverfahren mit seiner summarischen Prüfung und der Möglichkeit der nachträglichen Rechtsverteidigung die Ausnahme ist.
  5. Die Interessen der Parteien [→ Abwägung der Interessen der Parteien] sind unter der Fragestellung abzuwägen, ob der Erlass einstweiliger Maßnahmen im Hinblick auf eine spätere Entscheidung im Hauptsacheverfahren erforderlich und geboten ist, d.h. ob es dem Antragsteller im Hinblick auf die Gefahr einer fehlerhaften Anordnung einstweiliger Maßnahmen und die damit verbundenen Auswirkungen für den Antragsgegner einerseits und die mit der Fortdauer der Patentverletzung bis zu einer Hauptsacheentscheidung verbundenen Beeinträchtigungen andererseits unzumutbar ist, mit der Durchsetzung seiner Ansprüche bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu warten.
  6. Regel 211 Abs. 4 EPGVO [→ Berücksichtigung von Verzögerungen] bringt zum Ausdruck, dass ein Antragsteller, dessen Verhalten bereits subjektiv darauf hindeutet, dass er es nicht eilig hat, keine Hilfe durch die Anordnung einstweiliger Maßnahmen erwarten kann. Der Umkehrschluss, dass einstweilige Maßnahmen anzuordnen sind, weil sich der Antragsteller beeilt hat, gilt hingegen nicht. Vielmehr muss die Anordnung einstweiliger Maßnahmen auch objektiv dringlich sein.
  7. Im einstweiligen Verfügungsverfahren [→ Einstweilige Maßnahmen] können Zweifel am Rechtsbestand des Streitpatents im Rahmen der Interessenabwägung ins Gewicht fallen und einer Anordnung einstweiliger Maßnahmen entgegenstehen.

BGH, 2024 – X ZR 120/22 – Kraftfahrzeugschloss

BGH, Urteil vom 22. Oktober 2024 – X ZR 120/22 – Kraftfahrzeugschloss

Amtlicher Leitsatz:

Die Übernahme eines im Stand der Technik offenbarten Betätigungsmechanismus für eine ähnliche Vorrichtung kann auch dann naheliegen, wenn dieser Mechanismus zwar eine weitere, für die ähnliche Vorrichtung nicht benötigte Funktion erfüllt, im Stand der Technik aber ausdrücklich auf die beiden unterschiedlichen Funktionen hingewiesen wird und diese ohne weiteres voneinander getrennt werden können.