EPG, Zentralkammer Paris, Beschl. v. 26. November 2024 – UPC_CFI_164/2024

EPG, Zentralkammer Paris, Beschl. v. 26. November 2024 – UPC_CFI_164/2024

Amtlicher Leitsatz:

Die Reduzierung der geforderten Schadensersatzsumme in einer Verletzungsklage sollte als Änderung der Klage betrachtet werden [Regel 263 EPGVO → Zulassung von Klageänderungen oder -erweiterungen], genauer gesagt als Beschränkung der Klage, und muss vom Gericht gewährt werden, wenn sie mit hinreichender Begründung und bedingungslos eingereicht wird, gemäß Regel 263 (3) er EPGVO [→ Bedingungslose Beschränkung eines Klageanspruchs].

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 9. Dezember 2024 – UPC_CFI_509/2023

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 9. Dezember 2024 – UPC_CFI_509/2023

Amtliche Lezsätze (Übersetzung):

Regel 275.1 EPGVO [→ Anordnung eines alternativen Verfahrens oder Ortes] gilt auch, wenn eine ausländische Behörde den formalen Zustellungsversuch nach dem Haager Zustellungsübereinkommen ernsthaft und endgültig verweigert. Eine ernsthafte Zustellungsverweigerung liegt auch vor, wenn ein Zustellungsersuchen ohne ersichtlichen Grund länger als sechs Monate nicht bearbeitet wird.

Um als alternative Zustellungsmethode (Regel 275.1 EPGVO → Anordnung eines alternativen Verfahrens oder Ortes) anerkannt zu werden, muss die Methode faktisch und rechtlich möglich sein.

Gemäß Regel 275.2 EPGVO [→ Rechtsgültige Zustellung durch alternative Schritte] ist ein erfolgloser Versuch, Dokumente nach Regel 274.1 a) (ii) EPGVO [→ Verfahren zur Zustellung außerhalb der Vertragsmitgliedstaaten] zuzustellen, in der Regel nicht als ordnungsgemäße Zustellung akzeptabel. Nur wenn ein Zustellungsversuch unter Regel 274 EPGVO gescheitert ist und eine Zustellung durch eine alternative Methode oder an einem alternativen Ort weder möglich noch zumutbar ist, kann das Gericht anordnen, dass ein erfolgloser Zustellungsversuch unter Regel 274 EPGVO als ordnungsgemäße Zustellung gilt.

Aus der Entscheidungsbegründung:

In dieser Entscheidung des Einheitspatentgerichts, Lokalkammer München, behandelte das Gericht ein Verfahren über einstweilige Maßnahmen, bei dem die Antragstellerin, air up group GmbH aus München, gegen die in China ansässige Guangzhou Aiyun Yanwu Technology Co., Ltd. vorging. Die zentrale Problematik drehte sich um die Schwierigkeiten bei der Zustellung der Antragsdokumente an den Beklagten gemäß dem Haager Zustellungsübereinkommen. Trotz erheblicher Anstrengungen beider Parteien, sowohl formell als auch informell, die Dokumente zuzustellen, verzögerte sich der Prozess erheblich, da die chinesische Behörde nicht reagierte. Nach über sechs Monaten ohne Fortschritt entschied das Gericht unter Berufung auf Regel 275.2 EPGVO, dass die bisherigen Schritte zur Zustellung als ordnungsgemäße Zustellung anerkannt werden. Diese Entscheidung berücksichtigt die Dringlichkeit der vorläufigen Maßnahmen und betont, dass weitere Verzögerungen unzumutbar wären. Das Gericht ordnete außerdem an, dass die getroffenen Entscheidungen auf der Website des Gerichts veröffentlicht werden sollen.

EPG, Zentralkammer Paris, Beschl. v. 29. November 2024 – UPC_CFI_307/2023

EPG, Zentralkammer Paris, Beschl. v. 29. November 2024 – UPC_CFI_307/2023

Amtlicher Leitsatz (Übersetzung):

Das allgemeine Fachwissen ist Information, die der Fachmann aus schriftlichen Quellen oder praktischer Erfahrung im relevanten technischen Bereich kennt, und die am Stichtag verfügbar war: Es umfasst Wissen, das direkt aus vertrauten Informationsquellen zu dem spezifischen technischen Bereich verfügbar ist, aber nicht notwendigerweise alles öffentlich verfügbare Wissen, das möglicherweise nicht allgemein und gängig ist.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Die Person des Fachmanns ist eine juristische Fiktion, die den durchschnittlichen Experten mit üblichem Vorwissen, durchschnittlichen Kenntnissen und praktischer Erfahrung im relevanten technischen Bereich darstellt, jedoch ohne erfinderisches Geschick oder kreative Fähigkeiten.

zu den Regel 13, 44 und 263 EPGVO:

Regel 44 EPGVO [→ Inhalt der Klage auf Nichtigerklärung] verlangt, dass eine Klageschrift in einer Nichtigkeitsklage die Nichtigkeitsgründe mit rechtlicher Begründung, die relevanten Tatsachen sowie vorhandene und geplante Beweismittel klar darlegt.

Ähnliche Anforderungen gelten für den Inhalt der Klageschrift in Verletzungsverfahren. Regel 13 EPGVO [→ Inhalt der Klageschrift] legt fest, dass die Klageschrift in einem Verletzungsverfahren die relevanten Tatsachen, die vorgelegten Beweismittel sowie die rechtlichen und sachlichen Gründe für die behauptete Patentverletzung, einschließlich einer möglichen Anspruchsauslegung, enthalten muss.

Diese Bestimmungen müssen jedoch im Lichte des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit interpretiert werden, wie er in der Präambel der EPGVO festgelegt ist. Dieser Grundsatz verlangt, dass den Parteien keine Aufgaben auferlegt werden, die zur Erreichung des festgelegten Ziels nicht notwendig sind. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass Regel 44 der EPGVO lediglich eine „Angabe“ der relevanten Tatsachen verlangt. Dies unterstützt eine Interpretation, die einer übermäßig strikten Anwendung des „front-loaded“-Verfahrensprinzips entgegensteht.1)

Darüber hinaus muss dem Bedarf Rechnung getragen werden, der durch den Grundsatz der Verfahrenseffizienz gedeckt wird, übermäßige und übermäßig detaillierte Tatsachenbehauptungen sowie die Vorlage von mehrfachen Dokumenten zu vermeiden, wenn davon ausgegangen werden kann, dass diese dem Gegner bekannt sind und nicht bestritten werden. Dabei bleibt jedoch die Möglichkeit erhalten, diese Behauptungen und Beweise im Falle einer Anfechtung zu sichern.2)

Zudem können überflüssige und redundante Tatsachenbehauptungen sowie die Vorlage von Dokumenten die effektive Wahrnehmung des Verteidigungsrechts behindern, da sie der Gegenpartei eine Belastung auferlegen, die Berufung und die vorgelegten Beweise zu studieren. Sie können auch die effiziente Funktionsweise des Gerichts beeinträchtigen, indem sie das Gericht mit unnötigen Aktivitäten überlasten.3)

Es kann zusätzlich argumentiert werden, dass ein Dokument in einem späteren Stadium in das Verfahren eingebracht werden darf, wenn es während des Verfahrens erstellt oder einer Partei zugänglich wurde, vorausgesetzt, dies entspricht dem Grundsatz der Fairness, der eine Partei schützt, die mit der gebotenen Sorgfalt gehandelt hat.4)

Daraus lässt sich schließen, dass der Kläger in Nichtigkeitsverfahren verpflichtet ist, die Nichtigkeitsgründe, die das angefochtene Patent betreffen, sowie die relevanten Stand-der-Technik-Dokumente, die einen Mangel an Neuheit oder erfinderischer Tätigkeit belegen sollen, im Detail anzugeben. Dies definiert den Streitgegenstand und ermöglicht es dem Beklagten, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu verstehen und eine angemessene Verteidigung vorzubereiten. Gleichzeitig erlaubt es dem Gericht, den Umfang seiner Zuständigkeit in Bezug auf die Klage zu bestimmen.5)

Folglich darf der Kläger keine neuen Nichtigkeitsgründe für das angefochtene Patent oder neue Dokumente einführen, die als neuheitsschädlich oder als überzeugende Ausgangspunkte für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit angesehen werden, und zwar in späteren Schriftsätzen. Dies würde zu einer Erweiterung oder zumindest einer Änderung des Streitgegenstands führen, was eine Änderung der Klage darstellt und in den Anwendungsbereich von Regel 263 EPGVO [→ Zulassung von Klageänderungen oder -erweiterungen] fällt. Dies ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Gerichts zulässig, nachdem nachgewiesen wurde, dass die Anforderungen dieser Regel erfüllt sind.6)

Ebenso muss der Kläger in der Klageschrift die Tatsachen angeben, die er für erforderlich hält, um seinen Anspruch zu begründen, zusammen mit den entsprechenden Beweismitteln.7)

Es ist jedoch zu beachten, dass der Kläger in bestimmten Situationen, die sich aus der Verteidigung des Beklagten ergeben, neue Tatsachen [→ Neue Tatsachen und Beweismittel] vorbringen muss, soweit diese geeignet sind, die bereits rechtzeitig vorgebrachten und vom Beklagten bestrittenen Haupttatsachen zu stützen. In diesem Fall rechtfertigt die Notwendigkeit, auf die Verteidigung des Beklagten zu reagieren – deren genaue Form der Kläger nicht vorhersehen konnte –, die Einführung solcher neuer Tatsachen in der Erwiderung auf die Verteidigung gegen die Nichtigkeitsklage.8)

Ebenso kann die Notwendigkeit entstehen, neue Beweismittel [→ Neue Tatsachen und Beweismittel] vorzulegen, wenn der Beklagte die vom Kläger vorgebrachten Tatsachen oder den Beweiswert der bereits beim Gericht eingereichten Beweismittel bestreitet.9)

Dies entspricht den Prinzipien, die vom Berufungsgericht festgelegt wurden (Entscheidung vom 21. November 2024, UPC_CoA_456/2024), wonach die Parteien zwar verpflichtet sind, ihren Fall so früh wie möglich im Verfahren darzulegen, dennoch spezifische neue Argumente unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falles in das Verfahren aufgenommen werden können.10)

BGH, X ZR 125/22 – LP-Filterparameter-Umwandlung

BGH, Urteil vom 5. November 2024 – X ZR 125/22 – LP-Filterparameter-Umwandlung

Amtliche Leitsätze:

a) Bei der Suche nach Lösungen für ein bestimmtes technisches Problem im Bereich des Mobilfunks besteht grundsätzlich Anlass, Vorschläge aus dem Umfeld von Standardisierungsgruppen als Ausgangspunkt für weitergehende Überlegungen oder als Quelle zum Auffinden möglicher Lösungsansätze in Betracht zu ziehen. Dies gilt jedenfalls für solche Dokumente, die auf den in der Fachwelt bekannten Wegen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind.

b) Ein großer zeitlicher Abstand kann im Einzelfall gegen die Kombination von zwei Dokumenten sprechen, insbesondere dann, wenn sie auf unterschiedlichen technischen Ansätzen beruhen. Auch bei der Entwicklung neuer Standards liegt die Heranziehung älterer Dokumente jedoch nahe, wenn diese einen Lösungsansatz enthalten, der erkennbar auch im Umfeld der neueren Veröffentlichung eingesetzt werden kann.

c) Der Umstand, dass eine bestimmte Vorgehensweise zum Fachwissen gehört, legt deren Anwendung im Kontext einer im Stand der Technik aufgeworfenen neuen Fragestellung nicht ohne weiteres nahe.

UPC_CoA_548/2024, Entscheidung vom 29. November 2024

UPC_CoA_548/2024, APL_52969/2024, Entscheidung vom 29. November 2024

Amtliche Leitsätze (Übersetzung):

  • Bei der Entscheidung über einen Antrag auf Sicherheitsleistung für die Kosten:
    • ist es unerheblich, ob der Kläger zu einem finanziell soliden Unternehmensverbund gehört, falls keine Sicherheiten oder besonderen Umstände vorliegen. Es ist nur die finanzielle Lage des Klägers selbst relevant;
    • ist es unerheblich, ob der Kläger bereit ist, dem Beklagten die Kosten zu erstatten, wenn ein Kostenbeschluss zugunsten des Beklagten erlassen würde;
    • ist es ebenfalls unerheblich, ob ein Kostenbeschluss zugunsten des Beklagten erwartet wird. Das Gericht sollte sich nicht auf die Bewertung der Erfolgswahrscheinlichkeit des Falls einlassen;
    • ist es nicht erforderlich, dass nachgewiesen wird, dass eine Vollstreckung unmöglich ist. Es genügt, dass der Beklagte nachweist, dass die Vollstreckung eines Kostenbeschlusses unzumutbar belastend ist. Die Last, dies darzulegen, liegt bei dem Antragsteller eines Beschlusses zur Sicherheitsleistung für die Kosten. Zu diesem Zweck muss der Antragsteller nicht nur Beweise zum anwendbaren ausländischen Recht im Gebiet, in dem der Beschluss vollstreckt werden soll, vorlegen, sondern auch zu dessen Anwendung.

UPC_CFI_308/2023

Einheitspatentgericht, erstinstanzliche Kammer, zentrale Kammer (Sitz Paris), Entscheidung vom 27. November 2024, UPC_CFI_308/2023

Amtliche Leitsätze (Übersetzung)

1. Die rechtlichen Bestimmungen des Einheitspatentgerichts führen das sogenannte „front-loaded“ Verfahren ein, bei dem ein Kläger verpflichtet ist, seine Argumente und Beweise in der ersten schriftlichen Klage konkret auszuarbeiten. Diese Bestimmungen müssen jedoch im Lichte des Verhältnismäßigkeitsprinzips interpretiert werden, das erfordert, dass die Parteien nicht mit Aufgaben belastet werden, die zur Erreichung des Ziels unnötig sind, sowie im Lichte des Grundsatzes der Verfahrenseffizienz, der übermäßige und zu detaillierte Tatsachenvorträge und die Vorlage mehrerer Dokumente in Bezug auf Angelegenheiten, die der gegnerischen Partei bekannt und von ihr nicht bestritten werden, entgegensteht.

2. In Nichtigkeitsverfahren muss der Kläger im Detail die Nichtigkeitsgründe angeben, die das angefochtene Patent betreffen, sowie die Dokumente des Standes der Technik, auf die er sich zur Unterstützung eines behaupteten Mangels an Neuheit oder erfinderischer Tätigkeit stützt. Somit kann der Kläger in späteren Schriftsätzen keine neuen Nichtigkeitsgründe für das angegriffene Patent einführen oder neue Dokumente einreichen, die als neuheitsschädlich oder als überzeugender Ausgangspunkt für die Beurteilung mangelnder erfinderischer Tätigkeit angesehen werden.

3. In bestimmten Situationen, nach der Verteidigung des Beklagten, ist es dem Kläger gestattet, neue Tatsachen und neue Beweise vorzubringen, sofern diese geeignet sind, die schon rechtzeitig behaupteten und vom Beklagten bestrittenen Haupttatsachen oder den Beweiswert der bereits eingereichten Beweise zu stützen.

4. Auch wenn es grundsätzlich fraglich ist, ob eine veröffentlichte Patentanmeldung oder eine Patentschrift als Hinweis auf das allgemeine Fachwissen betrachtet werden kann, so kann trotzdem die Aussage des Autors des Patents, dass eine Lehre weit verbreitet ist, als Beweis dafür genommen werden, dass diese Lehre zum allgemeinen Fachwissen gehört.

BGH, X ZR 82/23 – Slice-Segmente

BGH, Urteil vom 17. September 2024 – X ZR 82/23 – Slice-Segmente

Amtliche Leitsätze:

a) Die Priorität einer früheren Anmeldung kann auch dann in Anspruch genommen werden, wenn die spätere Anmeldung ein zusätzliches Ausführungsbeispiel enthält, bei dem zwar einzelne Begriffe des Patentanspruchs in abweichendem Sinne verwendet werden, das aber auch nach dem ursprünglichen Begriffsverständnis unter den Patentanspruch fällt.

b) Dies gilt auch dann, wenn das zusätzliche Ausführungsbeispiel weitere, nicht im Patentanspruch vorgesehene Funktionen aufweist, die in der früheren Anmeldung nicht offenbart sind.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der BGH entschied zugunsten der Beklagten und befand das Patent für rechtsbeständig. Er stellte fest, dass das Streitpatent die Priorität früherer Anmeldungen zu Recht in Anspruch nimmt und der maßgebliche Stand der Technik den Patentanspruch nicht vorwegnimmt oder nahelegt.

Das Bundespatentgericht hatte zunächst argumentiert, dass das Streitpatent die Priorität früherer Anmeldungen nicht wirksam in Anspruch nehmen könne, weil die zweite Ausführungsform des Patents zusätzliche Merkmale enthielt, die in den ursprünglichen Prioritätsunterlagen nicht offenbart seien. Dies betrifft insbesondere die Idee der „Slice-Segmente“, bei denen unabhängige und abhängige Segmente gemeinsam eine logische Einheit bilden und bestimmte Codierungs- und Decodierungsfunktionen übernehmen.

Der BGH stellte jedoch fest, dass diese zusätzlichen Merkmale und die abgewandelte Terminologie („Slice-Segmente“) zwar nicht in den Prioritätsunterlagen vorhanden sind, aber trotzdem keinen Einfluss auf das Verständnis und den Umfang der relevanten Merkmale des Patentanspruchs haben. Der Senat betonte, dass die zweite Ausführungsform als zusätzliches Beispiel dient, welches zwar weitere Funktionen bietet, jedoch die im Patentanspruch vorgesehenen Merkmale nicht verändert. Daher führen diese zusätzlichen Funktionen nicht zu einer Erweiterung oder Änderung des Anspruchsverständnisses.

Die zusätzlichen Merkmale und die abgewandelte Terminologie („Slice-Segmente“) kommen im Anspruch selbst nicht vor. Diese Elemente sind lediglich in der Beschreibung und den Ausführungsbeispielen des Streitpatents zu finden, wurden vom Bundespatentgericht jedoch als problematisch angesehen, da sie nicht in den Prioritätsunterlagen offenbart waren.

BGH, X ZR 42/22 – Prägeblech

BGH, Urteil vom 23. April 2024 – X ZR 42/22 – Prägeblech

Für die Ermittlung des Offenbarungsgehalts einer Entgegenhaltung dürfen einzelne Formulierungen nicht isoliert betrachtet werden. Sie sind vielmehr in ihrem Kontext zu würdigen, also vor dem Hintergrund des gesamten Inhalts der Entgegenhaltung (Bestätigung von BGH, Urteil vom 19. März 2019 – X ZR 11/17, GRUR 2019, 925 Rn. 18 – Bitratenreduktion II; Urteil vom 27. Juni 2023 – X ZR 59/21, GRUR 2023, 1363 Rn. 90 – Anzeigemonitor).

BGH, X ZR 92/23 – Mirabegron

BGH, Urteil vom 25. Juni 2024 – X ZR 92/23 – Mirabegron

Das einer Erfindung zugrunde liegende technische Problem ist so allgemein und neutral zu formulieren, dass sich die Frage, welche Anregungen der Fachmann durch den Stand der Technik insoweit erhielt, ausschließlich bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit stellt. Insbesondere darf nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die Befassung mit einer bestimmten Aufgabenstellung im Stand der Technik nahelag (Bestätigung von BGH Urteil vom 13. Januar 2015 X ZR 41/13, GRUR 2015, 352 Rn. 16 f. – Quetiapin; BGH, Urteil vom 15. Juli 2021 – X ZR 60/19, GRUR 2022, 67 Rn. 10 – Stereolithographiemaschine).

BGH, X ZB 5/22 – DABUS

BGH, Beschluss vom 11. Juni 2024 – X ZB 5/22 – DABUS

Amtliche Leitsätze:

a) Erfinder im Sinne von § 37 Abs. 1 PatG kann nur eine natürliche Person sein. Ein maschinelles, aus Hard- oder Software bestehendes System kann auch dann nicht als Erfinder benannt werden, wenn es über Funktionen künstlicher Intelligenz verfügt.

b) Die Benennung einer natürlichen Person als Erfinder ist auch dann möglich und erforderlich, wenn zum Auffinden der beanspruchten technischen Lehre ein System mit künstlicher Intelligenz eingesetzt worden ist.

c) Die Benennung einer natürlichen Person als Erfinder im dafür vorgesehenen amtlichen Formular genügt nicht den Anforderungen aus § 37 Abs. 1 PatG, wenn zugleich beantragt wird, die Beschreibung um den Hinweis zu ergänzen, die Erfindung sei durch eine künstliche Intelligenz generiert oder geschaffen worden.

d) Die Ergänzung einer hinreichend deutlichen Erfinderbenennung um die Angabe, der Erfinder habe eine näher bezeichnete künstliche Intelligenz zur Generierung der Erfindung veranlasst, ist rechtlich unerheblich und rechtfertigt nicht die Zurückweisung der Anmeldung nach § 42 Abs. 3 PatG

Zusammenfassung:

Der Anmelder begehrte die Erteilung eines Patents, wobei eine Künstliche Intelligenz (KI) namens DABUS als Erfinder benannt wurde. Das Patentamt wies die Anmeldung zurück, da nur natürliche Personen als Erfinder benannt werden können. Das Patentgericht hob diese Entscheidung teilweise auf und ließ den dritten Hilfsantrag des Anmelders zu, der eine natürliche Person als Erfinder benannte und DABUS als Hilfsmittel erwähnte. Die Präsidentin des Patentamts legte Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung ein, weil sie der Auffassung war, dass auch diese Formulierung den gesetzlichen Anforderungen nicht genüge und das Patentamt keine Künstliche Intelligenz als Erfinder anerkennen sollte. Der Bundesgerichtshof (BGH) wies die Rechtsbeschwerde jedoch zurück und bestätigte, dass eine natürliche Person als Erfinder benannt werden muss. Gleichzeitig erlaubte der BGH, dass DABUS als Hilfsmittel erwähnt wird, solange klar ist, dass die Erfindung einer natürlichen Person zugeschrieben wird. Die Kosten des Verfahrens wurden gegeneinander aufgehoben.