EPG, Beschwerdekammer, Entscheidung UPC_CoA_456/2024: Zulässigkeit neuer Argumente in Verletzungsverfahren

Einheitspatentgericht, Beschwerdekammer, Entscheidung vom 21. November 2024, Aktenzeichen: UPC_CoA_456/2024

Leitsätze am Anfang der Entscheidung in deutscher Übersetzung:

  • Nicht jedes neue Argument ist eine Änderung der Sache, für die eine Partei gemäß R. 263 EPGVO [→ Antrag auf Klageänderung oder -erweiterung] einen Antrag auf Erlaubnis einreichen muss. Eine Änderung der Sache liegt vor, wenn sich die Art oder der Umfang des Streits ändert. In einem Verletzungsverfahren ist dies beispielsweise der Fall, wenn der Kläger sich auf ein anderes Patent beruft oder gegen ein anderes Produkt Einspruch erhebt.
  • Auch wenn ein neues Argument keine Änderung der Sache ist, für die gemäß R. 263 EPGVO [→ Antrag auf Klageänderung oder -erweiterung] gerichtliche Erlaubnis erforderlich ist, gelten Beschränkungen für das Vorbringen neuer Argumente. R. 13 EPGVO [→ Erforderliche Angaben in der Klageschrift] schreibt vor, dass die Klagebegründung die Gründe angeben muss, warum die behaupteten Tatsachen eine Verletzung der Patentansprüche darstellen, einschließlich der juristischen Argumente. Diese Bestimmung muss im Lichte des letzten Satzes von Erwägungsgrund 7 der Präambel der Verfahrensordnung [→ Effizienz des Verfahrens] ausgelegt werden, wo ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Parteien ihre Sache so früh wie möglich im Verfahren darlegen sollten.
  • R. 13 EPGVO [→ Erforderliche Angaben in der Klageschrift] schließt jedoch nicht aus, dass der Kläger nach Einreichung der Klageschrift ein neues Argument vorbringt. Ob ein neues Argument zulässig ist, hängt von den Umständen des Falles ab, einschließlich der Gründe, warum der Kläger das Argument nicht bereits in der Klageschrift erwähnt hat, und den verfahrensrechtlichen Möglichkeiten des Beklagten, auf das neue Argument zu reagieren. Bei dieser Beurteilung hat das Gericht erster Instanz einen gewissen Beurteilungsspielraum. Die Neubewertung durch das Berufungsgericht ist daher begrenzt.
  • Wenn ein neues Argument keine Änderung der Sache im Sinne von R. 263 EPGVO [→ Antrag auf Klageänderung oder -erweiterung] mit sich bringt, muss der Kläger keinen Antrag auf Erlaubnis beim Gericht stellen. Wenn die Gegenpartei der Ansicht ist, dass ein neues Argument des Klägers unzulässig ist, kann sie dagegen Einwendungen erheben. Das Gericht kann die Zulässigkeit eines neuen Arguments auch von Amts wegen aufgreifen. Das Gericht entscheidet nach Anhörung der Parteien. Diese Entscheidung kann das Gericht bis zum Zwischenverfahren oder bis zur Endentscheidung verschieben. Wenn das Argument unzulässig ist und die Gegenpartei in der Sache eine Verteidigung gegen das neue Argument geführt hat, kann das Gericht dies bei der Kostenentscheidung berücksichtigen.

EPG, Berufungsgericht, UPC_CoA_511/2024: Aussetzung aufgrund eines anhängigen Einspruchsverfahrens

Berufungsgericht des Einheitspatentgerichts, Entscheidung vom 21 November 2024, UPC_CoA_511/2024

In der vorliegenden Entscheidung hat das Berufungsgericht des Einheitspatentgerichts die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben, die einen Antrag der Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens abgelehnt hatte. Das Gericht klärte, dass gemäß Art. 33(10) EPGÜ [→ Unterrichtung des Gerichts über Verfahren beim Europäischen Patentamt] und R. 295(a) EPGVO [→ Aussetzung aufgrund eines anhängigen Einspruchsverfahrens] das Gericht Verfahren aussetzen kann, wenn mit einer schnellen Entscheidung des Europäischen Patentamts (EPA) zu rechnen ist. Diese Regelungen erfordern keine endgültige Entscheidung des EPA. Die Berufungskläger argumentierten erfolgreich, dass das Gericht auch während schriftlicher Verfahren die Möglichkeit habe, den Fortgang des Prozesses im Interesse der Verfahrensökonomie zu unterbrechen, insbesondere wenn sehr bald mit einer Entscheidung der Oppositionsabteilung des EPA zu rechnen sei. Dieser Ansatz soll Konflikte zwischen den Entscheidungen in Verletzungsverfahren und den Entscheidungen des EPA in Einspruchsverfahren vermeiden. Das Gericht betonte die diskretionäre Befugnis des Gerichts, die Aussetzung zu gewähren, basierend auf dem Interessenabwägung und den spezifischen Umständen des Falles. Die Sache wurde zur weiteren Prüfung des Antrags auf Verfahrensaussetzung zurück an die Vorinstanz verwiesen.

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze:

  1. Artikel 33(10) EPGÜ [→ Unterrichtung des Gerichts über Verfahren beim Europäischen Patentamt] sieht vor, dass das Gericht seine Verfahren aussetzen kann, wenn eine rasche Entscheidung des Europäischen Patentamts zu erwarten ist. Diese Bestimmung wurde sowohl in Regel 295(g) EPGVO [→ Aussetzung des Verfahrens bei paralleler Entscheidung über zentrale Verfahrensfragen], die sich auf Regel 118 EPGVO [→ Entscheidung in der Sache] bezieht, als auch in Regel 295(a) EPGVO [→ Aussetzung aufgrund eines anhängigen Einspruchsverfahrens] umgesetzt. Regel 118 EPGVO enthält Bestimmungen zu Entscheidungen über die Sache selbst. Regel 118.2(b) EPGVO [→ Bedingte Entscheidungen] und Regel 295(g) EPGVO [→ Aussetzung des Verfahrens bei paralleler Entscheidung über zentrale Verfahrensfragen] sind daher anwendbar, wenn der Fall entscheidungsreif ist. Vor diesem Stadium richten sich Anordnungen bezüglich der Aussetzung von Verfahren, solange Einspruchsverfahren anhängig sind, nach Regel 295(a) EPGVO [→ Aussetzung aufgrund eines anhängigen Einspruchsverfahrens].
  2. Gemäß Artikel 33(10) EPGÜ [→ Unterrichtung des Gerichts über Verfahren beim Europäischen Patentamt] und Regel 295(a) EPGVO kann das Gericht Verfahren aussetzen, die sich auf ein Patent beziehen, das auch Gegenstand von Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt ist, wenn eine rasche Entscheidung des Europäischen Patentamts zu erwarten ist. Diese Bestimmungen erfordern nicht, dass eine endgültige Entscheidung des Europäischen Patentamts rasch zu erwarten ist. Das Gericht kann Verfahren gemäß Artikel 33(10) EPGÜ und Regel 295(a) EPGVO aussetzen, wenn zu erwarten ist, dass die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts ihre Entscheidung rasch trifft, selbst wenn es wahrscheinlich ist, dass eine solche Entscheidung angefochten wird.
  3. Eine Aussetzung gemäß Artikel 33(10) EPGÜ und Regel 295(a) EPGVO ist eines der Mittel, das dem Gericht zur Verfügung steht, um mit parallelen Verletzungs- und Einspruchsverfahren umzugehen. Insbesondere soll dadurch verhindert werden, dass Konflikte zwischen seinen Entscheidungen in Verletzungsverfahren und den vom Europäischen Patentamt in Einspruchsverfahren erlassenen Entscheidungen entstehen. Im Gegensatz zu Entscheidungen in parallelen Widerrufsverfahren und Einspruchsverfahren, die nicht unvereinbar sind3), können Entscheidungen in parallelen Verletzungs- und Einspruchsverfahren in Konflikt geraten. Solche Konflikte können insbesondere auftreten, wenn das Europäische Patentamt ein Patent im Rahmen eines Einspruchsverfahrens widerruft, das die Grundlage für eine Anordnung des Gerichts in Verletzungsverfahren bildete. Solche Konflikte sollten grundsätzlich vermieden werden, auch wenn die Entscheidung des Europäischen Patentamts anfechtbar ist und ihre Wirkung bis zur Berufung ausgesetzt ist. Eine Aussetzung von Verletzungsverfahren gemäß Artikel 33(10) EPGÜ und Regel 295(a) EPGVO kann dazu genutzt werden, diesen Zweck zu erreichen.
  4. Das Gericht ist nicht verpflichtet, Verfahren auszusetzen, wenn eine endgültige oder nicht endgültige rasche Entscheidung des Europäischen Patentamts zu erwarten ist. Artikel 33(10) EPGÜ und Regel 295(a) EPGVO sehen vor, dass das Gericht dies „kann“. Das Wort „kann“ bedeutet, dass das Gericht ein Ermessen hat. Ob eine Aussetzung gewährt wird, hängt von der Interessenabwägung der Parteien und den spezifischen Umständen des Falls ab, wie dem Stand des Einspruchsverfahrens, dem Stand des Verletzungsverfahrens und der Wahrscheinlichkeit, dass das Patent im Einspruchsverfahren widerrufen wird. In diesem Kontext ist die Tatsache, dass die erwartete Entscheidung des Europäischen Patentamts keine endgültige Entscheidung ist und wahrscheinlich angefochten wird, nur einer von mehreren Faktoren, die berücksichtigt werden können.

Lokalkammer München, Entscheidung vom 21. November 2024, UPC_CFI_550/2024

Lokalkammer München, Entscheidung vom 21. November 2024, UPC_CFI_550/2024

Amtlicher Leitsatz:

Die Verfahrensordnung des EPG enthält keinen Grundsatz, nach dem Beweismittel für sich aus der Klage ergebende Tatsachenbehauptungen der Klagepartei nach Einreichung der Klage nicht mehr vorgelegt werden dürfen [Regel 172 (2) EPGVO → Gerichtliche Anordnung zur Beweisvorlage].

Aus der Entscheidungsbegründung:

Nach Regel 172.2 EPGVO kann das Gericht zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens anordnen, dass eine Partei, die eine Tatsache behauptet, die in ihrer Verfügungsgewalt befindlichen Beweismittel vorlegt. Die Verfahrensordnung enthält allerdings keinen Grundsatz, nach dem Beweismittel für Tatsachenbehauptungen der Klagepartei nach Einreichung der Klage nicht mehr vorgelegt werden dürfen; andernfalls bestünde für die Regeln 103.1 (c) [→ Aufforderungen des Berichterstatters], 104 (e) [→ Anordnungen hinsichtlich weiterer Schriftsätze und Beweismittel], 172.2 und 114 EPGVO [→ Vertagung, wenn das Gericht weitere Beweise für erforderlich hält] keine Grundlage.

Ein vorprozessuales Bestreiten einer Tatsachenbehauptung führt nicht ohne weiteres dazu, dass entsprechende Beweismittel nur mit der Klage angegeben werden können und zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr vorgelegt werden dürfen.

Zu unterscheiden ist ohnehin zwischen der Vorlage eines Beweismittels und der Frage, ob es bei der Entscheidung berücksichtigt werden kann.

Der Berichterstatter hat die Pflicht, alle notwendigen Vorbereitungen zu treffen, so dass später eine Vertagung der mündlichen Verhandlung mit dem Zweck, zu weiterem Beweisantritt aufzufordern (Regel 114 EPGVO → Vertagung, wenn das Gericht weitere Beweise für erforderlich hält), vermieden wird.

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 20. Dezember 2024 – UPC_CFI_342/2024

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 20. Dezember 2024 – UPC_CFI_342/2024

Amtlicher Leitsatz:

Der Einsprechende eines anhängigen Einspruchsverfahrens betreffend das Streitpatent hat ein rechtliches Interesse an Akteneinsicht gemäß Regel 262.1 (b) EPGVO [→ Veröffentlichung und Zugangsanträge] während des laufenden Verfahrens.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Die beim Gericht geführten Verfahrensakten sind nach den Bestimmungen des EPGÜ grundsätzlich öffentlich zugänglich. Dies leitet sich sowohl aus Art. 10 Abs. 1 EPGÜ [→ Einrichtung der Kanzlei beim Berufungsgericht] als auch aus Art. 45 EPGÜ [→ Öffentlichkeit der Verhandlungen] ab. Ersterer bestimmt, dass das von der Kanzlei geführte Register öffentlich ist. Art. 45 EPGÜ zufolge sind Verhandlungen des Gerichts öffentlich, es sei denn, das Gericht beschließt, soweit erforderlich, sie im Interesse einer der Parteien oder sonstiger Betroffener oder im allgemeinen Interesse der Justiz oder der öffentlichen Ordnung unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu führen. Der Zugang ist der Öffentlichkeit demzufolge nur dann verwehrt, wenn eine Interessensabwägung, welche die in Art. 45 EPGÜ genannten Belange beinhaltet, zu dem Ergebnis führt, dass im konkreten Fall eine Zugangsbeschränkung notwendig ist.

Stellt ein Mitglied der Öffentlichkeit gemäß Regel 262.1 (b) VerfO [→ Veröffentlichung und Zugangsanträge] einen begründeten Antrag, ist deshalb grundsätzlich Zugang zu den Schriftsätzen und Beweismitteln des Verfahrens zu gewähren, unabhängig vom Stand oder von der Art des Verfahrens.

Die Begründetheit im Sinne der Regel 262.1 (b) VerfO [→ Veröffentlichung und Zugangsanträge] ist nach der Rechtsprechung des Berufungsgerichts ein (nur) formales Erfordernis. Es ist erfüllt, wenn dem Antrag zu entnehmen ist, hinsichtlich welcher Schriftsätze und Beweismittel Zugang begehrt wird, wenn darüber hinaus der Zweck der Akteneinsicht genannt und zudem erklärt wird, weshalb der Zugang zu den genannten Schriftsätzen und Beweismitteln für den genannten Zweck notwendig ist.

Ist ein Antrag gem. Regel 262.1 (b) VerfO [→ Veröffentlichung und Zugangsanträge] in diesem Sinne begründet, sind die Interessen des Mitglieds der Öffentlichkeit auf Zugang zu den Schriftsätzen und Beweismitteln gegen die in Art. 45 EPGÜ genannten Interessen abzuwägen.

In diese Abwägung einzustellen sind insbesondere der Schutz vertraulicher Informationen und persönlicher Daten sowie die allgemeinen Interessen der Justiz und die öffentliche Ordnung, wozu auch der Schutz der Integrität des Verfahrens zählt. Die öffentliche Ordnung ist z.B. tangiert bei missbräuchlichen Anträgen oder wenn Sicherheitsinteressen auf dem Spiel stehen.

Ist das Verfahren, zu dessen Schriftsätzen und Beweismitteln ein Antragsteller Zugang haben möchte, noch nicht abgeschlossen, genügt das grundsätzlich gegebene allgemeine Informationsinteresse der Öffentlichkeit für die Gewährung des Zugangs nicht. Es bedarf vielmehr eines konkreten, vom Antragsteller darzulegenden rechtlichen Interesses an der Akteneinsicht.

Zu bedenken ist des Weiteren, dass die Antragstellerin Wettbewerberin auch der Klägerin und mit einem eigenen Produkt auf dem Markt ist. Sie hat demzufolge ein berechtigtes Interesse an der Klärung des Rechtsbestandes des Streitpatents.

EPG, UPC_CFI_210/2023: Rechte des geistigen Eigentums und SEP-Verpflichtungen

Einheitspatentgericht, Lokalkammer Mannheim, Urteil vom 22. November 2024, Az. UPC_CFI_210/2023

Aus der Urteilsbegründung:

Art. 17 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 102 AEUV:

„Nach ständiger Rechtsprechung gehört die Ausübung eines mit einem Recht des geistigen Eigentums verbundenen ausschließlichen Rechts, hier des Rechts, eine Verletzungsklage zu erheben, zu den Vorrechten des Inhabers eines Rechts des geistigen Eigentums, so dass sie als solche keinen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstellen kann, selbst wenn sie von einem Unternehmen in beherrschender Stellung ausgeht.“


Art. 17 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union:

„Dieses Erfordernis des hohen Schutzes der Rechte des geistigen Eigentums impliziert, dass ihrem Inhaber grundsätzlich nicht die Möglichkeit genommen werden kann, gerichtliche Schritte zu unternehmen, durch die gewährleistet wird, dass seine ausschließlichen Rechte tatsächlich beachtet werden, und dass der Benutzer dieser Rechte, wenn er nicht ihr Inhaber ist, grundsätzlich vor jeder Benutzung eine Lizenz einholen muss.“

Art. 20 EPGÜ:

„Das Einheitliche Patentgericht wendet in vollem Recht Unionsrecht an und achtet seinen Vorrang.“


Art. 102 AEUV, EuGH Entscheidung Huawei vs. ZTE, ECLI:EU:C:2015:477:

„Der Europäische Gerichtshof hat in der Entscheidung Huawei vs. ZTE ein seither die mitgliedstaatlichen Gerichte – anders als nunmehr die Gerichte des Vereinigten Königreiches – bindendes Verhandlungsprogramm [-> Pflichten von SEP-Inhabern und Patentnutzern im Rahmen der Verhandlungen] aufgestellt.“

EPG, Lokalkammer Hamburg, Beschl. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_525/2024

EPG, Lokalkammer Hamburg, Beschl. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_525/2024

Amtliche Leitsätze übersetzt in deutscher Sprache:

  1. Eine angebliche Patentverletzung fällt unter das Deliktsrecht im Sinne von Art. 7 Abs. 2 [→ Unerlaubte Handlungen und schädigende Ereignisse] der Brüssel I-Neufassung. Somit hat das EPG auch für Ansprüche auf persönliche (Direktor)haftung im Hinblick auf eine angebliche Verletzung eines europäischen Patents gemäß Artikel 32 EPGÜ [→ Ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts für Patentklagen] Gerichtsbarkeit.
  2. Ob der Direktor eines Unternehmens erfolgreich vor dem EPG verklagt und für die Verletzung eines Patents haftbar gemacht werden kann [→ Direktorenhaftung], ist eine Frage des Sachverhalts, die nicht der Bestimmung von Gerichtsbarkeit und Zuständigkeit unterliegt.


EPG, Zentralkammer Paris, Urt. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_454/2023

EPG, Zentralkammer Paris, Urt. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_454/2023

Amtlicher Leitsatz:

Die Verletzung einer Stillhalteklausel entzieht der verletzenden Partei nicht das Recht, eine Klage zu erheben, wenn die zeitliche Beschränkung des Klagerechts durch kein öffentliches Interesse gerechtfertigt ist, sondern
sie kann nur eine Haftung wegen Vertragsverletzung begründen.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Es sollte berücksichtigt werden, dass der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ein allgemeiner Grundsatz des EU-Rechts ist, der aus den verfassungsmäßigen Traditionen der Mitgliedstaaten hervorgeht und in Artikel 6 [→ Recht auf ein faires Verfahren] und 13 [→ Recht auf wirksame Beschwerde] der EMRK verankert ist und der auch durch Artikel 47  [→ Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht] der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bestätigt wurde (vgl. EuGH 16. Juli 2009, C-12/08, Mono Car Styling). Während Grundrechte nicht unbeschränkte Vorrechte darstellen und eingeschränkt werden können, müssen die Beschränkungen Zielen des allgemeinen Interesses entsprechen, die mit der betreffenden Maßnahme verfolgt werden, und dürfen in Bezug auf die verfolgten Ziele keine unverhältnismäßige und unerträgliche Beeinträchtigung darstellen, die die Substanz der garantierten Rechte verletzt (vgl. EuGH 18. März 2010, C-317/08, Alassini und andere).

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_9/2023

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_9/2023

Amtliche Leitsätze:

1. Das einzige online verfügbare amtliche Formular für die Einreichung eines Rücktritts von der Ausnahmeregelung gemäß Regel 5.7 EPGVO [→ Antrag auf Rücktritt von der Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung] ist der entsprechende Workflow im Fallbearbeitungssystem (CMS). Bei dem bereitgestellten Template handelt es sich nicht um ein Formular im Sinne der Regel 4.1 EPGVO [→ Elektronische Einreichung von Unterlagen], sondern um eine Arbeitshilfe für die Nutzer des Systems. Den Nutzern ist es freigestellt, eine andere Arbeitshilfe zu verwenden.

2. Soweit der Erschöpfungseinwand alle angegriffenen Ausführungsformen betrifft, ist ihm sogleich im Erkenntnisverfahren nachzugehen. Bei Erfolg ist die Klage abzuweisen. Soweit der Erschöpfungseinwand nicht alle angegriffenen Ausführungsformen betrifft, kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, ob und inwieweit dem Einwand sogleich, oder erst im Rahmen der Zwangsvollstreckung nachzugehen ist.

3. Soweit der Patentinhaber mehrere unterschiedliche noch annahmefähige Angebote abgegeben hat, zum Beispiel ein Angebot betreffend eine bilaterale Lizenz an dem Portfolio des Patentinhabers und ein Angebot betreffend eine Lizenz an dem Portfolio eines Patentpools, in dem das zu lizenzierende Patent oder Portfolio des Patentinhabers mit enthalten ist, kann die auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung gerichtete Verletzungsklage nicht abgewiesen werden, wenn davon auszugehen ist, dass mindestens eines der beiden Angebote den kartellrechtlichen Anforderungen genügt. Denn der Patentinhaber ist aus kartellrechtlichen Gründen nur gehalten, dem Patentbenutzer einen Lizenzierungsweg aufzuzeigen, der den FRAND-Anforderungen genügt. Der Patentinhaber kann seinen kartellrechtlichen Verpflichtungen insbesondere durch das Angebot einer Pool-Lizenz nachkommen. Dasselbe gilt auch in Bezug auf eine vertragsrechtliche Bewertung, zum Beispiel in Bezug auf einen unter Geltung der IEEE Bylaws 2007 abgegebenen Letter of Assurance (LOA).

4. Die Ausführungen des Unionsgerichtshofs in Randnummern 66-67 des Urteils Huawei v. ZTE bedeuten, dass die Klageerhebung kartellrechtswidrig sein mag, weil das Angebot des Patentinhabers FRAND-Bedingungen widerspricht, der Verletzter dies im Rahmen einer Verteidigung gegen denjenigen Teil der Klage, der auf Unterlassung, Rückruf oder Vernichtung gerichtet ist aber nur dann einwenden darf, wenn er selbst ohne Verzögerungstaktik ein konkretes Gegenangebot unterbreitet hat, das FRAND-Bedingungen entspricht, sowie darüberhinausgehend im Falle von dessen Ablehnung eine angemessene Sicherheit geleistet und Auskunft über den Umfang der Benutzungshandlungen gegeben hat.

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 17. Dezember 2024 – UPC_CFI_390/2023

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 17. Dezember 2024 – UPC_CFI_390/2023

Amtliche Leitsätze:

  • Möchte der Kläger die nach Art. 67 EPGÜ [→ Befugnis, die Erteilung einer Auskunft anzuordnen] zu erteilende Auskunft in elektronischer Form erhalten, muss dies konkret beantragt werden. Lässt der Urteilsausspruch offen, ob eine Auskunft in Papierform oder elektronisch erteilt werden soll, kann die Auskunft grundsätzlich wahlweise in einer der beiden Formen erteilt werden.
  • Das nach Art. 82 EPGÜ [→ Zwangsgeldzahlungen bei Nichtbeachtung der Anordnung] festzusetzende Zwangsgeld hat sowohl Beuge- als auch Straffunktion. Ein Zwangsgeld kann daher nicht nur verhängt werden, um die Befolgung einer Anordnung zu erzwingen, sondern auch, um die Nichtbefolgung einer gerichtlichen Anordnung in der Vergangenheit zu bestrafen.

Aus der Entscheidungsbegründung:

„Weder Art. 67 EPGÜ [→ Befugnis, die Erteilung einer Auskunft anzuordnen] noch die EPGVO enthalten spezifische Regelungen dazu, ob eine schriftlich zu erteilende Auskunft in elektronischer (digitaler) Form oder auf Papier zu leisten ist. Die Beantragung und Anordnung einer Auskunft in elektronischer Form ist allerdings nach dem insofern offenen Wortlaut von Art. 67 EPGÜ nicht ausgeschlossen. Nach Art. 76 Abs. 1 EPGÜ [→ Entscheidung nach Maßgabe der Anträge] („…Maßgabe der von den Parteien gestellten Anträge…“) obliegt es der Klagepartei, den Antrag nach Art. 67 EPGÜ im Hinblick auf die gewünschte Form der Auskunftserteilung möglichst konkret zu fassen. Soll eine Auskunft (Art. 67 EPGÜ) in elektronischer Form erteilt werden, muss dies folglich konkret beantragt werden. Mangelt es dem Antrag an einer Bestimmung der Form, ist der Auskunftsantrag zwar insofern nicht wegen fehlender Bestimmtheit unzulässig; dem Schuldner der Auskunft steht es dann aber grundsätzlich frei, in welcher Form (elektronisch oder auf Papier) die Auskunft erteilt wird.“

„Das Erfordernis eines hinsichtlich der Form der Auskunftserteilung bestimmt gefassten Antrags und einer dementsprechend bestimmt gefassten gerichtlichen Anordnung ergibt sich auch aus unionsrechtlich geltenden Grundsätzen. Auch für Maßnahmen wie die Verhängung eines Zwangsgeldes wegen Nichtbeachtung einer gerichtlichen Anordnung ist der in Art. 7 EMRK, Art. 49 Abs. 1 GRCh [→ Keine Strafe ohne Gesetz] positivierte unionsrechtliche Grundsatz des »nulla poena sine lege« zu beachten. Daher setzt die Vollstreckung einer Anordnung nach Regel 354.3 EPGVO (Zwangsgeldzahlungen bei Nichtbeachtung der Anordnung) voraus, dass die gerichtliche Anordnung so bestimmt gefasst ist, dass ein Verstoß eindeutig festgestellt werden kann. Steht etwa die Nichtbeachtung der Form der Auskunftserteilung in Rede, kann ein Zwangsgeld nur angeordnet werden, wenn die erforderliche Form in der gerichtlichen Anordnung auch hinreichend bestimmt zum Ausdruck gebracht wurde; andernfalls kann ein Formverstoß nicht festgestellt werden.“

„Mit dem nach Art. 82 Abs. 4 EPGÜ [→ Zwangsgeldzahlungen bei Nichtbeachtung der Anordnung] zu verhängenden Zwangsgeld soll die Nichtbefolgung der Entscheidungen des EPG geahndet werden. Dabei hat das Zwangsgeld, wie insbesondere die englische Sprachfassung („penalty payment“) zeigt, Strafcharakter; ein Zwangsgeld kann also nicht nur verhängt werden, um die Befolgung einer Anordnung zu erzwingen, sondern auch, um die in der Vergangenheit liegende Nichtbefolgung zu bestrafen (wie hier: LK Düsseldorf, UPC_CFI_177/2023; v.Falck/Stoll in Tilmann/Plassmann, EPGÜ Art. 82 Rn. 123 f.; aA Kircher in Bopp/Kircher, Handbuch Europäischer Patentprozess, 2. Auflage 2023, § 27 Rn. 60). Eine Beschränkung des Zwangsgeldes auf den Zweck, die betreffende Partei zur Befolgung einer gerichtlichen Anordnung anzuhalten, lässt sich dem Wortlaut von Art. 82 Abs. 4 EPGÜ nicht entnehmen.“

Entscheidung des Gerichts erster Instanz des Einheitspatentgerichts, Lokalkammer Den Haag, UPC_CFI_239/2023, verkündet am 22. November 2024

Entscheidung des Gerichts erster Instanz des Einheitspatentgerichts, Lokalkammer Den Haag, UPC_CFI_239/2023, verkündet am 22. November 2024

Amtliche Leitsätze:

  1. Das Patent ist gültig und wird durch Äquivalenz verletzt.
  2. Der Schutzumfang im Falle einer Verletzung wird in zwei Schritten bewertet, wobei Art. 69 EPÜ  [→ Schutzbereich] und das Protokoll [→ Auslegungsprotokoll] angewendet werden. Der erste Schritt bewertet die ‚wörtliche‘ Verletzung der Merkmale des Patents im Hinblick auf die Auslegung der Ansprüche. Im zweiten Schritt, wenn das Patent nicht als wörtlich verletzt gilt, wird die Äquivalenz bewertet.
  3. Der angewandte Test zur Beurteilung der Verletzung durch Äquivalenz basiert auf der Rechtsprechung in verschiedenen nationalen Jurisdiktionen, wie von beiden Parteien in diesem Fall vorgeschlagen. Dies bedeutet, dass eine Variation als äquivalent zu einem im Anspruch spezifizierten Element gilt, wenn die folgenden vier Fragen bejaht werden:
    1. Technische Äquivalenz: Löst die Variation (im Wesentlichen) das gleiche Problem, das die patentierte Erfindung löst, und erfüllt sie (im Wesentlichen) die gleiche Funktion in diesem Kontext?
    2. Angemessener Schutz für den Patentanmelder: Ist die Erweiterung des Schutzanspruchs auf das Äquivalent ein verhältnismäßiger, fairer Schutz für den Patentanmelder?
    3. Angemessene Rechtssicherheit für Dritte: Versteht der Fachmann aus dem Patent, dass der Schutzumfang der Erfindung breiter ist als das, was wörtlich beansprucht wird?
    4. Ist das angeblich verletzende Produkt neu und erfinderisch im Vergleich zum Stand der Technik?
  4. Das Gericht kann eine spezifische Formulierung für ein Schreiben an die Kunden oder zur Veröffentlichung auf der Website des Verletzers gemäß Art. 64 EPGÜ [→ Abhilfemaßnahmen im Rahmen von Verletzungsverfahren] und Unionsrecht anordnen.