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EPG, Lokalkammer Düsseldorf, Beschl. v. 3. Dezember 2024 – UPC_CFI_140/2024

EPG, Lokalkammer Düsseldorf, Beschl. v. 3. Dezember 2024 – UPC_CFI_140/2024

In einem Streit um die Bereitstellung einer Sicherheit für Prozesskosten entschied das Einheitspatentgericht, dass sowohl der Kläger als auch der Beklagte im Sinne der Regel 158 EPGVO [→ Sicherheitsleistung für die Kosten einer Partei] zur Bereitstellung von Sicherheiten für Prozesskosten verpflichtet werden können. Das Gericht benutzte sein Ermessen unter Berücksichtigung der finanziellen Lage der Parteien und der Durchsetzbarkeit von Kostenentscheidungen, um die Beklagte auf Antrag der Klägerin zur Bereitstellung einer Sicherheit für Prozesskosten zu verpflichten. Es wurde festgestellt, dass die Regel 158 EPGVO in Einklang mit Art. 69(4) EPGÜ steht und auch gegen Beklagte angewandt werden kann, was durch das Ziel des EPGÜ, ein faires Gleichgewicht zwischen den Interessen der Rechteinhaber und anderer Parteien zu schaffen, gestützt wird.


Amtliche Leitsätze:

1. Nicht nur dem Kläger, sondern auch dem Beklagten kann aufgegeben werden, eine Sicherheit für die Verfahrenskosten im Sinne von R. 158 EPGVO [→ Sicherheitsleistung für die Kosten einer Partei] zu leisten.

2. Wenn der Kläger eine solche Sicherheit für Verfahrenskosten von dem Beklagten verlangt, hat das Gericht zu berücksichtigen, dass der Kläger freiwillig beschlossen hat, einen Rechtsstreit zu führen. Diese Tatsache hat Auswirkungen auf die Interessenabwägung bei der Ausübung des Ermessens nach Regel 158 EPGVO [→ Sicherheitsleistung für die Kosten einer Partei]. Dabei muss das Gericht besonders darauf achten, dass das Recht des Beklagten auf ein faires Verfahren geschützt wird und insbesondere, dass dem Beklagten nicht die Möglichkeit genommen wird, seinen Fall wirksam vor Gericht darzustellen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Befugnis zur Anordnung der Stellung einer angemessenen Sicherheit für Prozesskosten beruht auf Artikel 69(4) EPGÜ [→ Sicherheitsleistung für Kosten des Beklagten]. Aus dem Wortlaut von Artikel 69(4) folgt, dass die Anordnung an den Beklagten, auf Antrag des Klägers eine Sicherheit für Prozesskosten zu stellen, nicht ausgeschlossen ist. Artikel 69(4) EPGÜ stellt eine Mindestnorm dar für die Umstände, unter denen diese Abhilfe verfügbar sein muss (siehe den Wortlaut ‚insbesondere‘ in Art. 69(4) EPGÜ).

Das Auflegen einer Sicherheit ist eine Vorsichtsmaßnahme, um das Recht zu wahren, dass, als allgemeine Regel, die unterliegende Partei die angemessenen und verhältnismäßigen Prozesskosten der obsiegenden Partei trägt (festgelegt in Artikel 69(1) EPGÜ [→ Kostenverteilung bei obsiegender Partei]).

Artikel 69 EPGÜ behandelt die Prozesskosten und unterscheidet zwischen der ‚erfolgreichen‘ und der ‚erfolglosen‘ Partei, ohne den Status einer Partei als ‚Kläger‘, ‚Beklagter‘ (oder anders) zu erwähnen. Daraus folgt, dass Artikel 69(4) EPGÜ nicht auf die spezifischen Umstände – oder Parteien – beschränkt ist, die genannt werden.

Die obigen Grundsätze gelten nach Maßgabe für die Situation wie im vorliegenden Fall, in dem der Kläger die Partei ist, die die Sicherheitsanordnung beantragt. Das Gericht erkennt jedoch auch an, dass die Anordnung einer Sicherheit für Prozesskosten typischerweise dazu dient, die Position und (potenziellen) Rechte eines Beklagten zu schützen, der nicht gewählt hat, das Hauptverfahren einzuleiten.

Besondere Vorsicht muss dabei vom Gericht gewahrt werden, dass das Recht des Beklagten auf ein faires Verfahren geschützt wird (Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, erwähnt in der Präambel des EPGÜ), insbesondere, dass dem Beklagten nicht die Möglichkeit genommen wird, seinen Fall effektiv vor dem Gericht zu präsentieren.

EPG, Zentralkammer Paris, Beschl. v. 29. November 2024 – UPC_CFI_307/2023

EPG, Zentralkammer Paris, Beschl. v. 29. November 2024 – UPC_CFI_307/2023

Amtlicher Leitsatz (Übersetzung):

Das allgemeine Fachwissen ist Information, die der Fachmann aus schriftlichen Quellen oder praktischer Erfahrung im relevanten technischen Bereich kennt, und die am Stichtag verfügbar war: Es umfasst Wissen, das direkt aus vertrauten Informationsquellen zu dem spezifischen technischen Bereich verfügbar ist, aber nicht notwendigerweise alles öffentlich verfügbare Wissen, das möglicherweise nicht allgemein und gängig ist.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Die Person des Fachmanns ist eine juristische Fiktion, die den durchschnittlichen Experten mit üblichem Vorwissen, durchschnittlichen Kenntnissen und praktischer Erfahrung im relevanten technischen Bereich darstellt, jedoch ohne erfinderisches Geschick oder kreative Fähigkeiten.

zu den Regel 13, 44 und 263 EPGVO:

Regel 44 EPGVO [→ Inhalt der Klage auf Nichtigerklärung] verlangt, dass eine Klageschrift in einer Nichtigkeitsklage die Nichtigkeitsgründe mit rechtlicher Begründung, die relevanten Tatsachen sowie vorhandene und geplante Beweismittel klar darlegt.

Ähnliche Anforderungen gelten für den Inhalt der Klageschrift in Verletzungsverfahren. Regel 13 EPGVO [→ Inhalt der Klageschrift] legt fest, dass die Klageschrift in einem Verletzungsverfahren die relevanten Tatsachen, die vorgelegten Beweismittel sowie die rechtlichen und sachlichen Gründe für die behauptete Patentverletzung, einschließlich einer möglichen Anspruchsauslegung, enthalten muss.

Diese Bestimmungen müssen jedoch im Lichte des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit interpretiert werden, wie er in der Präambel der EPGVO festgelegt ist. Dieser Grundsatz verlangt, dass den Parteien keine Aufgaben auferlegt werden, die zur Erreichung des festgelegten Ziels nicht notwendig sind. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass Regel 44 der EPGVO lediglich eine „Angabe“ der relevanten Tatsachen verlangt. Dies unterstützt eine Interpretation, die einer übermäßig strikten Anwendung des „front-loaded“-Verfahrensprinzips entgegensteht.1)

Darüber hinaus muss dem Bedarf Rechnung getragen werden, der durch den Grundsatz der Verfahrenseffizienz gedeckt wird, übermäßige und übermäßig detaillierte Tatsachenbehauptungen sowie die Vorlage von mehrfachen Dokumenten zu vermeiden, wenn davon ausgegangen werden kann, dass diese dem Gegner bekannt sind und nicht bestritten werden. Dabei bleibt jedoch die Möglichkeit erhalten, diese Behauptungen und Beweise im Falle einer Anfechtung zu sichern.2)

Zudem können überflüssige und redundante Tatsachenbehauptungen sowie die Vorlage von Dokumenten die effektive Wahrnehmung des Verteidigungsrechts behindern, da sie der Gegenpartei eine Belastung auferlegen, die Berufung und die vorgelegten Beweise zu studieren. Sie können auch die effiziente Funktionsweise des Gerichts beeinträchtigen, indem sie das Gericht mit unnötigen Aktivitäten überlasten.3)

Es kann zusätzlich argumentiert werden, dass ein Dokument in einem späteren Stadium in das Verfahren eingebracht werden darf, wenn es während des Verfahrens erstellt oder einer Partei zugänglich wurde, vorausgesetzt, dies entspricht dem Grundsatz der Fairness, der eine Partei schützt, die mit der gebotenen Sorgfalt gehandelt hat.4)

Daraus lässt sich schließen, dass der Kläger in Nichtigkeitsverfahren verpflichtet ist, die Nichtigkeitsgründe, die das angefochtene Patent betreffen, sowie die relevanten Stand-der-Technik-Dokumente, die einen Mangel an Neuheit oder erfinderischer Tätigkeit belegen sollen, im Detail anzugeben. Dies definiert den Streitgegenstand und ermöglicht es dem Beklagten, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu verstehen und eine angemessene Verteidigung vorzubereiten. Gleichzeitig erlaubt es dem Gericht, den Umfang seiner Zuständigkeit in Bezug auf die Klage zu bestimmen.5)

Folglich darf der Kläger keine neuen Nichtigkeitsgründe für das angefochtene Patent oder neue Dokumente einführen, die als neuheitsschädlich oder als überzeugende Ausgangspunkte für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit angesehen werden, und zwar in späteren Schriftsätzen. Dies würde zu einer Erweiterung oder zumindest einer Änderung des Streitgegenstands führen, was eine Änderung der Klage darstellt und in den Anwendungsbereich von Regel 263 EPGVO [→ Zulassung von Klageänderungen oder -erweiterungen] fällt. Dies ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Gerichts zulässig, nachdem nachgewiesen wurde, dass die Anforderungen dieser Regel erfüllt sind.6)

Ebenso muss der Kläger in der Klageschrift die Tatsachen angeben, die er für erforderlich hält, um seinen Anspruch zu begründen, zusammen mit den entsprechenden Beweismitteln.7)

Es ist jedoch zu beachten, dass der Kläger in bestimmten Situationen, die sich aus der Verteidigung des Beklagten ergeben, neue Tatsachen [→ Neue Tatsachen und Beweismittel] vorbringen muss, soweit diese geeignet sind, die bereits rechtzeitig vorgebrachten und vom Beklagten bestrittenen Haupttatsachen zu stützen. In diesem Fall rechtfertigt die Notwendigkeit, auf die Verteidigung des Beklagten zu reagieren – deren genaue Form der Kläger nicht vorhersehen konnte –, die Einführung solcher neuer Tatsachen in der Erwiderung auf die Verteidigung gegen die Nichtigkeitsklage.8)

Ebenso kann die Notwendigkeit entstehen, neue Beweismittel [→ Neue Tatsachen und Beweismittel] vorzulegen, wenn der Beklagte die vom Kläger vorgebrachten Tatsachen oder den Beweiswert der bereits beim Gericht eingereichten Beweismittel bestreitet.9)

Dies entspricht den Prinzipien, die vom Berufungsgericht festgelegt wurden (Entscheidung vom 21. November 2024, UPC_CoA_456/2024), wonach die Parteien zwar verpflichtet sind, ihren Fall so früh wie möglich im Verfahren darzulegen, dennoch spezifische neue Argumente unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falles in das Verfahren aufgenommen werden können.10)

Brexit – Vertretungsbefugnis von Anwälten aus dem Vereinigten Königreich

Ein englischer Kollege hat in einem Blog sein Bedauern über die möglichen Auswirkungen der Brexit-Abstimmung verkürzt dahingehend zum Ausdruck gebracht, dass es nunmehr leider keine Anwälte aus dem Vereinigten Königreich vor dem Einheitlichen Patentgericht geben wird. Aus diesem Anlass folgt hier eine Übersicht, wie sich nach der derzeitigen Gesetzeslage ein Vollzug des EU-Austritts auf die Vertretungsbefugnis von Kollegen aus dem Vereinigten Königreich im gewerblichen Rechtsschutz auswirken würde – wodurch auch gezeigt wird, dass die eingangs genannte Einschätzung des englischen Kollegen nicht notwendig richtig sein muss.

Vertretung vor dem EUIPO – Unionsmarke: Vertretungsberechtigt sind nach Art. 93 UMV Rechtsanwälte, die in einem der Mitgliedsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums zugelassen sind und einen Geschäftssitz im Europäischen Wirtschaftsraum haben. Darüber hinaus vertretungsberechtigt sind die in die Liste der Vertreter beim EUIPO eingetragenen UK Trademark Attorneys. Die Voraussetzungen für die Eintragung in diese Liste beinhalten die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaats des Europäischen Wirtschaftsraums und einen Geschäftssitz oder Arbeitsplatz im Europäischen Wirtschaftsraum. Von der Voraussetzung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaats des Europäischen Wirtschaftsraums kann der Exekutivdirektor dispensieren. Die Eintragung in die Liste der zugelassenen Vertreter wird von Amts wegen gelöscht, wenn der zugelassene Vertreter nicht mehr die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaats des Europäischen Wirtschaftsraums hat oder wenn der zugelassene Vertreter seinen Geschäftssitz oder Arbeitsplatz nicht mehr im Europäischen Wirtschaftsraum hat (Regel 78 UMDV).

Somit wären Rechtsanwälte und Trademark Attorneys aus dem Vereinigten Königreich weiter in Markenangelegenheiten vor dem EUIPO vertretungsbefugt, sofern das Vereinigte Königreich nach Vollzug des EU-Austritts im Europäischen Wirtschaftsraum verbleibt. Würde das Vereinigte Königreich nicht im Europäischen Wirtschaftsraum verbleiben, wären Rechtsanwälte und Trademark Attorneys aus dem Vereinigten Königreich vorbehaltlich noch zu treffender abweichender Regelungen auch nicht mehr in Unionsmarkensachen vor dem EUIPO vertretungsbefugt. Übrigens wurden die Regelungen zur Vertretung in Unionsmarkensachen vor dem EUIPO erst mit der Änderungsverordnung EU 2015/2424 vom24.12.2015 dahingehend geändert, dass Staatsangehörigkeit und Geschäftssitz im Europäischen Wirtschaftsraum ausreichen. Nach der GMV war noch Staatsangehörigkeit und Geschäftssitz in der EU erforderlich.

Vertretung vor dem EUIPO – Gemeinschaftsgeschmacksmuster: Vertretungsberechtigt sind nach Art. 78 GGV Rechtsanwälte, die in ein EU-Mitgliedsstaat zugelassen sind und einen Geschäftssitz in einem EU-Mitgliedsstaat haben. Vorbehaltlich abweichender Regelungen, die bei Neufassung der GGV oder im Rahmen der Austrittsverhandlungen getroffen werden könnten, würden Rechtsanwälte aus dem Vereinigten Königreich mit Vollzug des EU-Austritts die Vertretungsberechtigung in Gemeinschaftsgeschmacksmustersachen vor dem EUIPO verlieren. Darüber hinaus sind die in die Liste für Vertreter in Unionsmarkensachen eingetragene Vertreter auch in Gemeinschaftsgeschmacksmustersachen vertretungsberechtigt (siehe hierzu oben). Darüber hinaus sind die in die Liste der Vertreter eingetragene UK Design Attorneys vertretungsberechtigt, wobei Voraussetzung für die Eintragung die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedsstaats und ein Geschäftssitz oder Arbeitsplatz in einem EU-Mitgliedsstaats sind. Von der Voraussetzung der Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedsstaats kann der Exekutivdirektor dispensieren. Die Eintragung in die Liste der zugelassenen Vertreter für Gemeinschaftsgeschmacksmustersachen am EUIPO wird von Amts wegen gelöscht, wenn der zugelassene Vertreter nicht mehr die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedsstaats hat oder wenn der zugelassene Vertreter seinen Geschäftssitz oder Arbeitsplatz nicht mehr in einem EU-Mitgliedsstaat hat (Regel 64 GGMDV).

Somit wären – nach derzeitiger Rechtslage – Rechtsanwälte und Design Attorneys aus dem Vereinigten Königreich nicht mehr in Gemeinschaftsgeschmacksmustersachen vor dem EUIPO vertretungsberechtigt, sobald der EU-Austritt des Vereinigte Königreichs vollzogen ist. Es wäre allerdings zu erwarten, dass bei der anstehenden Änderung der GGV die Regelungen zur Vertretung in Gemeinschaftsgeschmacksmustersachen ähnlich wie in der neuen UMV geändert werden. Möglich bleibt darüber hinaus auch in Gemeinschaftsgeschmacksmustersachen die Vertretung durch UK Trademark Attorneys, die nach Art. 93 UMV in die Liste der Vertreter vor dem EUIPO eingetragen sind, falls denn das Vereinigte Königreich im Europäischen Wirtschaftsraum verbleibt.

Europäisches Patentamt: Es wird keine Änderungen geben. Die Anwälte aus dem Vereinigten Königreich bleiben auch nach einem etwaigen Vollzug des EU-Austritts vertretungsberechtigt.

Einheitliches Patentgericht: Bei der Vertretung durch Rechtsanwälte knüpft Art. 48 Abs. 1 EPGÜ an die Zulassung bei einem Gericht eines Vertragsmitgliedstaats an. Allgemein wird davon ausgegangen, dass das Vereinigte Königreich aufgrund des Gutachtens des EuGH 1/09 kein Vertragsmitgliedstaats des EPGÜ sein kann, falls der EU-Austritt vollzogen wird (a.A.: Tilmann: „A possible way for a non-EU UK to participate in the Unitary Patent and Unified Patent Court?“). Rechtsanwälte, die nur bei einem Gericht des Vereinigten Königreichs zugelassen sind, nicht aber auch vor einem Gericht eines anderen EU-Mitgliedsstaats, wären vor dem EPG nicht vertretungsberechtigt.

Anders ist die Lage bei Patentanwälten. Vertretungsberechtigt sind nach Art. 48 Abs. 2 EPGÜ Europäische Patentanwälte, die die erforderliche Qualifikation, beispielsweise das Patent Litigation Certificate, besitzen. Selbst wenn die derzeit recht umfassende Liste von Kursen im Entwurf für die Regelungen über das European Patent Litigation Certificate, die derzeit für die Übergangsregelung auch zahlreiche von Institutionen des Vereinigten Königreichs angebotene Kurse anführt, noch einmal geändert werden würde, stünde es einem Europäischen Patentanwalt mit britischer Staatsangehörigkeit oder britischem Geschäftssitz immer noch frei, das Patent Litigation Certificate zu erwerben. Europäische Patentanwälte aus dem Vereinigten Königreich könnten also auch nach einem Vollzug des EU-Austritts die Vertretung vor dem EPG ausüben. Die eingangs genannte Einschätzung des englischen Kollegen erscheint also nicht zutreffend, selbst wenn der EU-Austritt vollzogen werden würde. Wahr ist allerdings, dass die Zukunft des EPG insgesamt und insbesondere der Zeitrahmen zur Realisierung des EPG durch die Brexit-Abstimmung recht ungewiss geworden sind.

Fazit:
– Die Vertretung vor dem EUIPO in Unionsmarkensachen knüpft an Staatsangehörigkeit und Geschäftssitz im Europäischen Wirtschaftsraums an. Anwälte aus dem Vereinigten Königreich könnten auch nach einem etwaigen EU-Austritt vertretungsberechtigt bleiben, wenn das Vereinigten Königreich im Europäischen Wirtschaftsraums bleibt.
– Die Vertretung vor dem EUIPO in Gemeinschaftsgeschmacksmustersachen knüpft – derzeit – an Staatsangehörigkeit und Geschäftssitz in einem EU-Mitgliedsstaat an an. Anwälte aus dem Vereinigten Königreich wären nach einem etwaigen EU-Austritt nicht mehr in Gemeinschaftsgeschmacksmustersachen vertretungsberechtigt, außer sie sind auch in die Liste der Vertreter für Unionsmarkensachen eingetragen.
– Die Vertretung vor dem EPG knüpft für Rechtsanwälte an die Zulassung bei einem Gericht eines Vertragsmitgliedstaats an. Rechtsanwälte aus dem Vereinigten Königreich wären vor dem EPG nicht vertretungsberechtigt, wenn das Vereinigte Königreich nach dem EU-Austritt kein Vertragsmitgliedstaats mehr sein kann. Andererseits könnten Europäische Patentanwälte aus dem Vereinigten Königreich als Vertreter vor dem EPG wirken, sofern sie ein European Patent Litigation Certificate oder eine äquivalente Qualifikation besitzen.

Geplante Änderung des Doppelschutzverbots

Der Referentenentwurf für ein Gesetz zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften auf Grund der europäischen Patentreform soll der Anpassung des deutschen Rechts an das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) dienen. Der Referentenentwurf schlägt auch eine Änderung der Vorschriften über das Doppelschutzverbot (Art. II § 8 IntPatÜbkG) vor, nach denen bislang ein deutsches (nationales) Patent in dem Umfang seine Wirkung verliert, in welchem ein zeitranggleiches europäisches Patent für denselben Patentinhaber oder seinen Rechtsnachfolger erteilt wird.

Der Referentenentwurf schlägt in Artikel 1 Nr. 1 lit. c) vor, dass für

– ein deutsches Patent und ein gegenstandsgleiches europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung und

– ein deutsches Patent und ein gegenstandsgleiches europäisches Bündelpatent, das der ausschließlichen Zuständigkeit des Einheitspatentgerichts (EPG) unterliegt,

kein Doppelschutzverbot mehr besteht.

Wird ein Opt-out nach Art. 83 Abs. 3 EPGÜ erklärt, so dass die Zuständigkeit des EPG für das europäische Patent derogiert ist und weiterhin nationale Gerichte für den deutschen Teil des europäischen Patents betreffende Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren zuständig sind, verliert das deutsche Patent – wie bisher – insoweit seine Wirkung, als sein Schutzbereich mit dem des europäischen Patents überlappt.

Wird der Opt-out nach Art. 83 Abs. 4 EPGÜ zurückgenommen (oft etwas missverständlich als Opt-in bezeichnet), so bleibt es dennoch bei dem durch Opt-out eingetretenen Verlust des Wirksamkeit des deutschen Patents in dem Umfang, in dem sein Schutzbereich mit dem des europäischen Patents überlappt (vorgeschlagener Art. II § 8 Abs. 3 IntPatÜbkG-E nach Artikel 1 Nr. 1 lit. c) bb) des Referentenentwurfs).

Als Ausgleich dafür, dass bei einer derartigen Änderung des Art. II § 8 IntPatÜbkG dieselbe Erfindung sowohl durch ein der Zuständigkeit deutscher Gerichte unterliegendes deutsches Patent als auch durch ein der Zuständigkeit des EPG unterliegendes europäisches Bündelpatent oder europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung geschützt sein kann, soll dem Verletzungsbeklagten eine Einrede der doppelten Inanspruchnahme vor den deutschen Gerichten eröffnet werden (neuer Art. II § 18 IntPatÜbkG-E gemäß Artikel 1 Nr. 1 lit. d) des Referentenentwurfs).

Hingegen würde das EPG möglicherweise nur in Ausnahmefällen eine nach Abschluss des Verletzungsverfahrens aus dem deutschen Patent erhobene zweite Klage vor dem EPG aus dem gegenstandsgleichen europäischen Patent wegen Rechtsmissbräuchlichkeit zurückweisen (Tilmann in GRUR Int. 2016, 409, 419). Somit könnte für Patentinhaber die Möglichkeit bestehen, zunächst ein Verletzungsverfahren aus dem deutschen Patent vor einem nationalen Gericht zu führen, wobei möglicherweise später ein zweites Verletzungsverfahren gegen denselben Beklagten aus dem gegenstandsgleichen europäischen Patent vor dem EPG geführt werden könnte.

Sowohl Tilmann, GRUR Int. 2016, 409, 419 als auch Romandini/Hilty/Lamping, GRUR Int. 2016, 554, 557f. äußern Bedenken gegen die Aufhebung des Doppelschutzverbotes. Jedoch wird gerade dadurch, dass das Doppelschutzverbot weiterbesteht, wenn mit einem Opt-out die Zuständigkeit des EPG für das europäische Patent derogiert wird, eine nicht zu unterschätzende Motivation für Patentinhaber geschaffen, kein Opt-out zu erklären. Dies dürfte politisch gewünscht sein, um dem neuen EPG zum Erfolg zu verhelfen. Auch angesichts der bei den Nutzern des Patentsystems, also insbesondere innovativen Unternehmen, bestehenden Unsicherheit, was sie vor dem EPG erwarten wird, scheint es wünschenswert, durch die Aufhebung des Doppelschutzverbots Patentinhabern die Möglichkeit zu eröffnen, aus ihren nationalen Patenten vor nationalen Gerichten Verletzungsverfahren führen zu können, selbst falls sie auch Inhaber gegenstandsgleicher europäischer Patente sind, die der Zuständigkeit des EPG unterliegen.

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