Schlagwort: EPG

EPG, UPC_CFI_149/2024: „Argumentationsverbot“

EPG, Lokalkammer München, Anordnung v. 20. Juni 2025 – UPC_CFI_149/2024, ORD_69211/2024

Leitsätze der Entscheidung:

Der Anwendung einer Zuständigkeitsregelung (hier: Art. 33 Abs. 1 (a) EPGÜ → Zuständigkeit der Lokalkammern und Regionalkammern) steht nicht entgegen, dass die Klägerin in der Klageschrift ihre Begründung für die Zuständigkeit der Lokalkammer nicht explizit auf diese Regelung gestützt, sondern lediglich eine andere Vorschrift (hier: Art. 33 Abs. 1 (b) EPGÜ) erwähnt hat. Insofern gilt für die Erwiderung auf den Einspruch nichts anderes als auch für die Replik auf eine Klageerwiderung im
Verletzungsverfahren. Die Klägerin kann sich ergänzend auf die weitere Regelung stützen (Fortführung von Berufungsgericht, Anordnung v. 18.09.2024, UPC_CoA_265/2024, APL_30169/2024 – NST/VW; Anordnung v. 21.11.2024, UPC_CoA_456/2024, APL_44633/2024 – OrthoApnea).

Art. 33 Abs. 1 (b) S. 2 EPGÜ bezieht sich nicht auf Art. 33 Abs. 1 (a) EPGÜ. Weder ermöglicht die Regelung eine Klage gegen mehrere Beklagte, von denen nur einer eine Patentverletzung im Vertragsmitgliedsstaat der angerufenen Kammer begangen hat, noch knüpft sie eine einheitliche Klage gegen mehrere Beklagte, die allesamt Verletzungshandlungen in dem
betroffenen Vertragsmitgliedsstaat begangen haben oder dort ihren Sitz haben, an besondere Voraussetzungen. Art. 33 Abs. 1 (b) S. 2 EPGÜ stellt unter den dort verlangten Voraussetzungen eine Erweiterung der Zuständigkeitsregeln dar auf Klagen gegen Personen, die in dem betroffenen Vertragsmitgliedsstaat weder eine Patentverletzung begangen haben noch einen Sitz haben.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Nach der Rechtsprechung des EPG gelten für die Einführung neuer rechtlicher Argumente Einschränkungen. Regel 13 VerfO  [→ Erforderliche Angaben in der Klageschrift] verlangt, dass die Klageschrift die Gründe enthält, warum die geltend gemachten Tatsachen eine Verletzung der Patentansprüche darstellen, einschließlich rechtlicher Argumente. Diese Bestimmung ist im Lichte des letzten Satzes von Erwägungsgrund 7 der Verfahrensordnung auszulegen, wonach die Parteien ihren Fall so früh wie möglich im Verfahren darlegen müssen. Allerdings schließt Regel 13 VerfO nicht aus, dass ein Kläger nach Einreichung der Klageschrift neue Argumente vorbringen kann. Ob ein neues Argument zulässig ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, einschließlich der Gründe, warum der Kläger das Argument nicht bereits in der Klageschrift vorgebracht hat, und den verfahrensrechtlichen Möglichkeiten des Beklagten, auf das neue Argument zu reagieren. Bei dieser Beurteilung verfügt das erstinstanzliche Gericht über einen gewissen Ermessensspielraum (Berufungsgericht, Anordnung v. 21.11.2024, UPC_CoA_456/2024, APL_44633/2024 – OrthoApnea; vgl. auch vorangehend LK Brüssel, Anordnung v. 19. Juli 2024, APC_CFI_376/2023, ACT_581538/2023 – OrthoApnea). Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass der Kläger alle möglichen Verteidigungslinien vorwegnimmt und alle Argumente, Tatsachen und Beweise in der Klageschrift aufführt und einreicht und dass danach nichts mehr hinzugefügt werden kann. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Kläger, nachdem er ein Argument in seiner Klageschrift vorgebracht hat, dieses Argument in seiner Replik gemäß Regel 29 (a) oder (b) RoP weiter begründet, um auf eine Einwendung des Beklagten gegen das ursprünglich vorgebrachte Argument in seiner Klageerwiderung zu reagieren (Berufungsgericht, Anordnung v. 18.09.2024, UPC_CoA_265/2024, APL_30169/2024 – NST/VW). Im Übrigen sind die vorstehenden Grundsätze vor dem allgemeinen Grundsatz zu verstehen, dass das Gericht das Recht kennt („iura novit curia“) und die Parteien lediglich den Tatsachenstoff liefern müssen („da mihi facta, do tibi ius“).

Anmerkung:

Der Ansatz des Einheitlichen Patentgerichts (EPG), rechtliche Argumente möglichst früh im Verfahren einzufordern, ist aus Gründen der Effizienz nachvollziehbar, birgt jedoch erhebliche Risiken für die materielle Gerechtigkeit. Zwar erlaubt die Verfahrensordnung im Einzelfall ein nachträgliches Vorbringen, doch bleibt dies dem Ermessen des Gerichts überlassen – was zu Intransparenz, Rechtsunsicherheit und einem formalen Verfahrensverständnis führen kann. Wird ein rechtliches Argument allein wegen „Verspätung“ ausgeschlossen, droht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Grundsatzes „iura novit curia“. Damit steht der EPG-Ansatz im Spannungsfeld zwischen Verfahrensökonomie und rechtsstaatlicher Fairness – eine Balance, die durch klarere Kriterien und stärkere gerichtliche Aufklärungspflichten verbessert werden müsste.

Macht das Gericht seine Entscheidung jedoch faktisch davon abhängig, ob und wann eine Partei ein bestimmtes rechtliches Argument einführt, wird die richterliche Rechtsanwendung an formale Prozessregeln gebunden – im Widerspruch zur Pflicht, aus dem festgestellten Sachverhalt die rechtlichen Schlüsse selbstständig zu ziehen. Ein solcher Umgang gefährdet die materielle Gerechtigkeit und läuft dem Zweck eines auf Rechtserkenntnis ausgerichteten Verfahrens zuwider.


EPG, UPC_CoA_402/2024: Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens

EPG, Berufungskammer, Beschl. v. 19. Juni 2025 – UPC_CoA_402/2024

Leitsatz:

Das Berufungsgericht setzt die allgemeinen Grundsätze dar, die bei der Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens aufgrund eines grundlegenden Verfahrensfehlers gemäß Art. 81(1)(b) EPGÜ [→ Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens] i.V.m. Regel 247(c) EPGVO [→ Verletzung von Artikel 76 des Übereinkommens] zu berücksichtigen sind (grundlegender Verfahrensfehler; grundlegende Verletzung von Art. 76 EPGÜ).

Rechtssätze der Entscheidungsgründe (übersetzt)

Die Gesetzgeber haben ausdrücklich bestimmt, dass Entscheidungen des Berufungsgerichts endgültig sind. Eine weitere Berufung gegen diese Entscheidungen ist im EPGÜ oder der EPGVO nicht vorgesehen.

Art. 81(1) EPGÜ [→ Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens] eröffnet die Möglichkeit, nach einer endgültigen Entscheidung die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen, wenn – kurz gesagt – diese auf einer Handlung beruht, die als Straftat eingestuft wurde, oder wenn ein grundlegender Verfahrensfehler vorliegt. Diese Umstände dürfen nicht bekannt gewesen sein oder, bei einem grundlegenden Verfahrensfehler, sofern bekannt, während des Verfahrens, das zur Entscheidung geführt hat, oder im Berufungsverfahren bereits gerügt worden sein (vgl. R. 248 EPGVO), es sei denn, eine solche Rüge konnte damals nicht erhoben werden.

Der Wortlaut des Art. 81(1) EPGÜ macht deutlich, dass eine Wiederaufnahme nur ausnahmsweise gewährt werden darf, wenn die Entscheidung an einem dieser schwerwiegenden Mängel leidet. Die Wiederaufnahme ist somit kein reguläres Rechtsmittelverfahren, sondern ein außergewöhnliches Rechtsmittel. Nur grundlegende Verfahrensfehler können eine Grundlage für die Wiederaufnahme bilden.

Es ist daher nicht beabsichtigt, dass bloße Fehler jeglicher Art einen Grund für die Wiederaufnahme eines Verfahrens darstellen können. Um als Grund für eine Wiederaufnahme zu qualifizieren, muss ein Verfahrensfehler so fundamental sein, dass er für das Rechtssystem untragbar ist und das Prinzip überwiegt, dass Verfahren, die zu einer endgültigen Entscheidung geführt haben, im Interesse der Rechtssicherheit nicht wiedereröffnet werden sollen.

Ein Mangel kann außerdem nur dann als grundlegend angesehen werden, wenn festgestellt werden kann, dass ohne diesen Mangel nicht dieselbe Entscheidung getroffen worden wäre (vgl. Urteil vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics, C-129/13 und C-130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 79 und die dort zitierte Rechtsprechung). Dies hat der Antragsteller darzulegen.


Es ist Sache der Parteien, die von ihnen für erheblich erachteten Argumente vorzubringen. Die Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Argumente und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen können für sich genommen nicht Gegenstand einer Überprüfung im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens sein. Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, gilt dies selbst dann, wenn eine solche Bewertung als fehlerhaft angesehen werden könnte, solange der Fehler keinen grundlegenden Mangel im Sinne des Art. 81(1) EPGÜ darstellt.

Dasselbe gilt für Beweismittel. Es ist Sache der Parteien, sämtliche zur Untermauerung ihrer Argumente erforderlichen Beweismittel vorzulegen. Das Gericht bewertet die von den Parteien vorgelegten Beweise frei und unabhängig (Art. 76(3) EPGÜ). Das Gericht kann selbst beurteilen, welches Gewicht Gutachten von Sachverständigen und Zeugenaussagen haben, wobei es auch seine Einschätzung der Neutralität eines Sachverständigen oder Zeugen berücksichtigen darf. Die Art und Weise, wie Fragen gestellt oder Antworten formuliert werden, kann bei dieser Beurteilung einen Anhaltspunkt bilden.

Es ist Aufgabe des Gerichts, die Relevanz für den Streitgegenstand und die Notwendigkeit der Vernehmung der benannten und beantragten Zeugen zu beurteilen. Ebenso besteht grundsätzlich keine Verpflichtung für das Gericht, einen der als Beweismittel vorgelegten Sachverständigen anzuhören. Dies gilt umso mehr in Verfahren über vorläufige Maßnahmen. Gemäß letzter Satz von R. 210.2 EPGVO findet Teil 2 der Beweisregeln auf diese Verfahren nur insoweit Anwendung, wie das Gericht dies bestimmt.

Wird eine Tatsachenbehauptung von keiner Partei ausdrücklich bestritten, gilt sie nach R. 171.2 EPGVO zwischen den Parteien als wahr. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die für diese Tatsache geltend gemachte Rechtsfolge automatisch daraus folgt. Es obliegt immer noch dem Gericht zu entscheiden, ob die vorgetragenen Tatsachen die geltend gemachte Rechtsfolge rechtfertigen (Berufungsgericht, Kodak v Fujifilm, 17. April 2025, UPC_CoA_312/2025, Rn. 12).

Die Auslegung eines Patentanspruchs ist eine Rechtsfrage (Berufungsgericht, Insulet v EoFlow, 30. April 2025, UPC_CoA_768/2024, Rn. 37). Bei der Auslegung eines Anspruchs hat das Berufungsgericht festzustellen, wie die Fachkraft die im Patentanspruch verwendeten Begriffe im Kontext des Gesamtpatentanspruchs und unter Berücksichtigung der Beschreibung und Zeichnungen versteht. Hierbei werden die vorgebrachten Argumente und Tatsachen, einschließlich etwaiger Sachverständigengutachten, frei und unabhängig gewürdigt, jedoch ohne daran gebunden zu sein.

Insofern gibt es keinen Grund, weshalb die Entscheidung der Technischen Beschwerdekammern in Einspruchsverfahren bezüglich des Streitpatents, sofern sie von einer der Parteien vorgebracht wird, nicht als Anhaltspunkt für die Ansichten des Fachmanns zum Anmeldetag herangezogen werden könnte.


Das Gericht ist frei, in Rechtsfragen eigene Feststellungen zu treffen. Die Parteien haben die relevanten Rechtsnormen, einschließlich hierzu entwickelter Rechtsprechung, zu kennen und deren eventuelle Anwendung im konkreten Fall zu antizipieren.

Zu der Rechtsprechung, deren Kenntnis von den Parteien verlangt werden kann, gehören die Entscheidungspraxis der Technischen Beschwerdekammern (TBA) und der Großen Beschwerdekammer (EBA) des Europäischen Patentamts (EPA), sofern sie für die vorliegende Frage und die vorgebrachten Argumente relevant ist. Zwar ist das Berufungsgericht an diese Rechtsprechung nicht gebunden, es besteht jedoch Anlass, insbesondere TBA- und noch mehr EBA-Entscheidungen zu berücksichtigen, da sie die gleichen materiell-rechtlichen Vorschriften des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) anwenden wie das Gericht. Einen ähnlichen Ansatz verfolgen auch die nationalen Gerichte der Vertragsmitgliedstaaten und anderer EPÜ-Vertragsstaaten wie das Vereinigte Königreich, deren nationales Recht im Wesentlichen auf den materiell-rechtlichen Vorschriften des EPÜ beruht. Parteivertreter müssen daher mit der relevanten von TBA und EBA entwickelten Rechtsprechung vertraut sein.


Relevante Rechtsnormen: Allgemeiner Rechtsgrundsatz im Kontext EPÜ
„Eine Gerichtsentscheidung muss die Gründe und die Tatsachen sowie Argumente enthalten, auf die das Gericht seine Entscheidung stützt (R. 350 EPGVO). Das Gericht muss alle von den Parteien vorgebrachten Argumente berücksichtigen, ist aber nicht verpflichtet, in seinem Beschluss oder Urteil explizit und ausführlich auf jedes einzelne Argument einzugehen. Das Gericht kann Argumente, die irrelevant oder offensichtlich fehlerhaft sind, außer Acht lassen oder ein Argument implizit zurückweisen, etwa wenn dessen Ablehnung aus weiteren Erwägungen des Gerichts hervorgeht. Dies gilt erst recht für in Anlagen, wie etwa Gutachten, vorgebrachte Argumente. Im Verfahren über vorläufige Maßnahmen ist der anzuwendende Prüfungsmaßstab insoweit niedriger.

Das rechtliche Gehör spiegelt sich in Art. 76(2) EPGÜ wider, der vorsieht, dass Entscheidungen in der Sache nur auf Gründe, Tatsachen und Beweise gestützt werden dürfen, die von den Parteien vorgebracht wurden oder durch gerichtlichen Beschluss in das Verfahren eingeführt wurden, und zu denen die Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme hatten. Es ist nicht erforderlich, dass eine Partei immer Gelegenheit haben muss, sich schriftlich zu äußern.

Sofern die Entscheidung nicht objektiv unvorhersehbar war und keine Überraschung für den gut informierten Vertreter enthielte, beispielsweise, weil sie mit der etablierten Rechtsprechung unvereinbar oder von dieser grundlegend abweicht oder sich auf zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht bekannte Rechtsprechung stützt, ist das Gericht nicht verpflichtet, den Parteien im Vorfeld seine (vorläufige) Auffassung zu einer Streitfrage oder deren Grundlage mitzuteilen, weder in einer Zwischenkonferenz noch in einer vor der mündlichen Verhandlung abgegebenen vorläufigen Einschätzung. Weder das EPGÜ noch die EPGVO sehen ein solches System vor. Das Gericht kann eine vorläufige Einführung zur Klage (R. 112.4 EPGVO) liefern, die eine vorläufige Einschätzung enthalten kann, aber nicht enthalten muss.

Auch wenn Art. 76(2) EPGÜ sich auf Entscheidungen in der Sache bezieht, gilt das rechtliche Gehör grundsätzlich auch im Verfahren über vorläufige Maßnahmen, wobei dort ein weniger strenger Maßstab anzulegen ist oder – abhängig von den Umständen – das Prinzip gar nicht gilt (zum Beispiel in ex-parte-Verfahren, in denen aber, um dem Beklagten soweit wie möglich Gehör zu verschaffen, eine Schutzschrift, sofern eingereicht, nebst etwaiger Korrespondenz zwischen den Parteien und weiteren maßgeblichen Tatsachen, die der Antragsteller gemäß R. 205.3(b) und .4 EPGVO vorlegen muss, zu berücksichtigen ist (R. 207.8 EPGVO)).

EPG – UPC_CoA_845/2024: Auskunftsverpflichtung

EPG, Berufungskammer, Beschl. v. 30. Mai 2025 – UPC_CoA_845/2024

Gerichtliche Leitsätze:

1. Der Antrag nach Art. 67 Abs. 1 EPGÜ [→ Anordnung der Auskunftserteilung durch den Verletzer], die Erteilung einer Auskunft anzuordnen [→ Auskunftsverpflichtung], muss in der Regel die (ab der Mitteilung nach R. 118.8 Satz 1 EPGVO oder im Verfahren betreffend die Anordnung einstweiliger Maßnahmen ab der Zustellung einer solchen Anordnung laufende) Frist zur Auskunftserteilung enthalten. Die Frist ist damit bereits in der Entscheidung oder in der endgültigen Anordnung zu setzen. Erfolgt keine Fristsetzung in der endgültigen Anordnung oder Entscheidung, ist es Sache des Klägers, mit der Mitteilung der Vollstreckungsabsicht nach R. 118.8 EPGVO dem Beklagten auch eine Frist für die Auskunftserteilung zu setzen.

2. Da das Zwangsgeld nicht lediglich Beugefunktion sondern auch Strafcharakter hat, ist eine Verhängung des Zwangsgeldes auch dann gerechtfertigt, wenn der Beklagte inzwischen, aber verspätet, seiner Verpflichtung aus der Anordnung der Auskunftserteilung nachgekommen ist.

3. Die Darlegungs- und Beweislast für die Behauptung, die Erfüllung der Verpflichtung aus der Anordnung der Auskunftserteilung sei erfüllt, obliegt dem Beklagten.

4. Nach Art. 67 Abs. 1 b) EPGÜ [→ Anordnung der Auskunftserteilung durch den Verletzer] sind auch Angaben über Preise, die vom Verletzer für die angegriffenen Ausführungsformen bezahlt wurden (Herstellerpreise), geschuldet.

5. Art. 67 Abs. 1 EPGÜ [→ Anordnung der Auskunftserteilung durch den Verletzer] lässt offen, ob die Auskunft in Schriftform oder in elektronischer Form erteilt werden muss. Ergibt sich aus der Anordnung der Auskunftserteilung nicht, in welcher Form die Auskunft zu erteilen ist, steht es dem Beklagten grundsätzlich frei, die Auskunft wahlweise in Papierform oder elektronisch zu erteilen.

EPG, UPC_CFI_230/2024: mehrere „realistische Ausgangspunkte“ für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit

EPG, Zentralkammer Paris, Beschl. v. 21. Mai 2025 – UPC_CFI_230/2024

In der Entscheidung der Zentralkammer Paris geht es um ein Patent für ein Verfahren und ein System zur Erkennung von Ballkontakten im Sport, insbesondere zur Unterstützung von Schiedsrichtern bei der Abseitsentscheidung im Fußball. Die Zentralkammer erklärte das Patent für nichtig, weil es gegenüber dem Stand der Technik nicht neu und nicht erfinderisch sei.

Gerichtliche Leitsätze:

Ein weit gefasster, allgemeiner Begriff, der in einem Hauptanspruch verwendet wird, ist nicht auf ein Verständnis zu beschränken, das sich aus den spezifischeren oder engeren Merkmalen ergibt, die in einem abhängigen Anspruch oder in der Beschreibung offenbart werden. Stattdessen zeigen der abhängige Anspruch und/oder die Beschreibung lediglich mögliche Ausführungsformen der patentierten Erfindung, die zusätzliche Vorteile bieten können.

Ausführungsformen dienen im Allgemeinen dazu, Optionen für die Verwirklichung der Erfindung zu beschreiben, und erlauben daher keine einschränkende Auslegung eines allgemeineren Patentanspruchs. In der Patentbeschreibung erwähnte Ausführungsformen erlauben nur den Schluss, dass sie unter den Anspruch fallen; sie schränken den Schutzbereich des Patentanspruchs jedoch nicht ein.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Diese Entscheidung UPC_CFI_230/2024 baut in Punkt 8.5 auf der in der früheren Entscheidung UPC_CFI_311/2023 etablierten Möglichkeit, mehrere realistische Ausgangspunkte bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen, auf, indem sie explizit feststellt, dass es nicht notwendig ist, den „vielversprechendsten“ Ausgangspunkt zu identifizieren:

„Um zu beurteilen, ob eine beanspruchte Erfindung für einen Fachmann naheliegend war oder nicht, ist es zunächst notwendig, einen Ausgangspunkt im Stand der Technik zu bestimmen.“

„Es muss eine Begründung dafür geben, warum der Fachmann einen bestimmten Teil des Standes der Technik als realistischen Ausgangspunkt betrachten würde.“

„Ein Ausgangspunkt ist realistisch, wenn seine Lehre für einen Fachmann von Interesse gewesen wäre, der zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents ein ähnliches Produkt oder Verfahren wie das im Stand der Technik offenbarte entwickeln wollte, das somit ein ähnliches zugrunde liegendes Problem wie die beanspruchte Erfindung aufweist (vgl. Beschluss vom 26. Februar 2024 in UPC_CoA_335/2023, NanoString/10x Genomics, S. 34)“

„Es kann mehrere realistische Ausgangspunkte geben.“

Es ist nicht notwendig, einen „vielversprechendsten“ Ausgangspunkt [-> „nächstliegender Stand der Technik“] zu identifizieren.“

Anmerkung:

Die Zentralkammer Paris des Einheitlichen Patentgerichts nimmt mit Punkt 8.5 der Entscheidung UPC_CFI_230/2024 eine vom EPA abweichende Haltung zur Bestimmung des Ausgangspunkts für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ein. Während das Europäische Patentamt (EPA) in seinen Richtlinien für die Prüfung (Abschnitt G-VII, 5.1) im Rahmen des „Aufgabe-Lösungs-Ansatzes“ fordert, den „erfolgversprechendsten“ Ausgangspunkt („nächstliegender Stand der Technik“) zu identifizieren, stellt die Zentralkammer Paris klar, dass es mehrere realistische Ausgangspunkte geben kann – und dass es nicht erforderlich ist, den „vielversprechendsten“ auszuwählen.

Diese Abweichung verweist auf einen weniger schematischen Zugang zur Prüfung der Erfindungshöhe. Dabei steht nicht die Suche nach einem einzigen idealen Ausgangspunkt im Vordergrund, sondern die Nachvollziehbarkeit, warum ein Fachmann überhaupt einen bestimmten Stand der Technik zur Lösung des technischen Problems herangezogen hätte.

Diese Herangehensweise der Zentralkammer Paris steht im Einklang mit der ständigen deutschen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Auswahl eines geeigneten Ausgangspunkts für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.

Der BGH betont wiederholt, dass es nicht auf den „nächstkommenden“ oder „nächstliegenden“ Stand der Technik ankommt. Vielmehr ist entscheidend, ob sich dem Fachmann ein bestimmter Stand der Technik aus seiner Sicht als sinnvoller Ausgangspunkt anbot, um eine bessere oder alternative Lösung für ein technisches Problem zu finden.

So heißt es u. a. in BGH, GRUR 2009, 382 – Olanzapin:

„Die Einordnung eines bestimmten Ausgangspunkts als – aus Ex-post-Sicht – nächstkommender Stand der Technik ist weder ausreichend noch erforderlich.“

Und weiter in BGH, GRUR 2017, 498 – Gestricktes Schuhoberteil:

„Die Wahl des Ausgangspunkts bedarf einer besonderen Rechtfertigung, die in der Regel in dem Bemühen des Fachmanns liegt, für einen bestimmten Zweck eine bessere oder andere Lösung zu finden, als sie der Stand der Technik zur Verfügung stellt.“

Auch das Urteil BGH, GRUR 2009, 1039 – Fischbissanzeiger stellt klar:

„Bei der Beurteilung des Naheliegens […] kann nicht stets der ‚nächstkommende‘ Stand der Technik als alleiniger Ausgangspunkt zugrunde gelegt werden. Die Wahl eines Ausgangspunkts (oder auch mehrerer Ausgangspunkte) bedarf vielmehr einer besonderen Rechtfertigung, die in der Regel aus dem Bemühen des Fachmanns abzuleiten ist, für einen bestimmten Zweck eine bessere – oder auch nur eine andere – Lösung zu finden, als sie der Stand der Technik zur Verfügung stellt (vgl. BGHZ 179, 168 Tz. 51 – Olanzapin). Für ein ausschließliches Abstellen auf einen „nächstkommenden“ Stand der Technik bietet auch das Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente (Europäisches Patentübereinkommen) vom 5. Oktober 1973 (BGBl. 1976 II 649) keine Grundlage.“

Innerhalb des EPA existieren unterschiedliche Sichtweisen bezüglich der Herangehensweise bei der Bestimmung des Ausgangspunktes für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit. So gibt es bei den Beschwerdekammern Rechtsprechung, die sowohl den Ansatz der Prüfungsrichtlinien bestätigt als auch solche, die eher in Richtung der Herangehensweise des EPG bzw. des BGH geht.

Viele ältere Entscheidungen der Beschwerdekammern folgen dem etablierten Aufgabe-Lösungs-Ansatz strikt und betonen die objektive Ermittlung des „nächstliegenden Stands der Technik“ anhand fester Kriterien (ähnlicher Zweck, ähnliche Wirkung, geringste strukturelle Änderungen). Beispielsweise legt die Entscheidung T 24/81 (ABl. 1983, 133) den Grundstein für diesen Ansatz, indem sie die Bedeutung des „gleichen Zwecks“ oder „gleichen Problems“ und des „ähnlichen Gebiets der Technik“ hervorhebt. In der Rechtsprechung wurde der „nächstliegende Stand der Technik“ oft als das „erfolgversprechendste Sprungbrett“ zur Erfindung bezeichnet (siehe z.B. T 254/86). Diese Sichtweise impliziert, dass es den einen besten Ausgangspunkt gibt, von dem aus der Fachmann die Erfindung am ehesten hätte entwickeln können. In der Entscheidung T 1742/12 wurde diese Sichtweise noch verstärkt, indem festgestellt wurde, dass, wenn ein Stand der Technik als „nächstliegender“ oder „erfolgversprechendstes Sprungbrett“ identifiziert werden kann und gezeigt wird, dass die Erfindung ausgehend von diesem Stand der Technik nicht naheliegend ist, auf eine Beurteilung ausgehend von anderem Stand der Technik verzichtet werden kann.

Allerdings gibt es auch Entscheidungen der Beschwerdekammern, die diese Sichtweise relativieren. So argumentierte eine Kammer in T 64/16, dass es zwar sinnvoll sei, die Untersuchung auf „erfolgversprechende“ Dokumente zu beschränken, es aber nicht erforderlich sei, das „erfolgversprechendste“ Sprungbrett auszuwählen und andere Dokumente auszuschließen. Diese Spannung in der Rechtsprechung zeigt, dass es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, wie strikt der Aufgabe-Lösungs-Ansatz anzuwenden ist und inwieweit andere Dokumente berücksichtigt werden können, selbst wenn sie nicht als der „nächstliegende Stand der Technik“ gelten. Diese Tendenz zu einer flexibleren und realitätsbezogeneren Herangehensweise zeigt sich auch in Entscheidungen, die eine Abkehr vom „Dogma des nächstliegenden Stands der Technik“ erkennen lassen (siehe z.B. T 1148/15, die feststellt, dass sich die Annahme, wonach der übrige Stand der Technik weniger relevant sei, als falsch erweisen kann, und T 405/14, die anerkennt, dass der Begriff „nächstliegender Stand der Technik“ unterschiedliche Bedeutungen haben kann und es nicht unbedingt den einen nächstliegenden Stand der Technik geben muss). In einigen Entscheidungen, wie beispielsweise in T 870/96, wird den „gegebenen Umständen“ der Erfindung, wie der Bezeichnung des Gegenstands, der Formulierung der ursprünglichen Aufgabe, der beabsichtigten Verwendung und der zu erzielenden Wirkungen, generell mehr Gewicht beigemessen als einer Höchstzahl identischer technischer Merkmale, was auf eine stärkere Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs hindeutet.

Die aktuelle Fassung der EPA-Prüfungsrichtlinien (Abschnitt G-VII, 5.1) ist demgemäß weniger dogmatisch als frühere Versionen. Sie spiegelt aber erkenntlich ein Spannungsfeld wider, indem sie zwar an der Definition des „nächstliegenden Stands der Technik“ als „erfolgversprechendsten Ausgangspunkt“ festhält, aber gleichzeitig einräumt, dass mehrere gleichwertige Ausgangspunkte existieren können; sie versucht jedoch, diese Flexibilität zu begrenzen, indem sie fordert, dass die Gleichwertigkeit „überzeugend gezeigt“ wird und die mangelnde erfinderische Tätigkeit ausgehend von nur einem relevanten Stand der Technik nachgewiesen werden kann.

Fazit: Die Position der Zentralkammer Paris – dass mehrere realistische Ausgangspunkte bestehen können und ein „vielversprechendster“ Ausgangspunkt nicht zwingend zu ermitteln ist – reflektiert eine differenzierte, flexible Sichtweise, wie sie auch der BGH seit langer Zeit vertritt. Sie steht im Gegensatz zur stärker schematisierten EPA-Praxis, die regelmäßig nach dem „nächstliegenden Stand der Technik“ verlangt – wenn auch am EPA eine sehr deutliche Tendenz zu erkennen ist, von der schematischen Suche nach dem „nächstliegenden Stand der Technik“ abzurücken.

EPG, Berufungsgericht, UPC_CoA_835/2024: „Schriftsatzverbot“ vor dem Einheitlichen Patentgericht

EPG, Berufungsgericht, Verfahrensanordnung vom 24. März 2025 – UPC_CoA_835/2024

In der Entscheidung des Berufungsgerichts des Einheitlichen Patentgerichts vom 24. März 2025 wird der Antrag der Berufungsklägerinnen auf eine weitere schriftliche Stellungnahme im Berufungsverfahren gegen die Berufungsbeklagte abgelehnt. Der Streit drehte sich um die Vorlage von Lizenzverträgen im Zusammenhang mit einem kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand bezüglich eines europäischen Patents. Das Gericht entschied, dass eine solche Stellungnahme zum jetzigen Zeitpunkt des Verfahrens unzulässig ist, da sie gegen die Regelungen der Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts (EPGVO) verstößt, die einen weiteren Schriftsatzaustausch nicht vorsehen, es sei denn, es wurde eine Anschlussberufung eingelegt. Ein solcher Antrag kurz vor einer mündlichen Verhandlung widerspricht dem Grundsatz der fairen und ausgewogenen Verfahrensführung und der Waffengleichheit der Parteien gemäß dem Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ). Ferner sah das Gericht keine Notwendigkeit, die Berufungsbeklagte vor dieser Verfahrensanordnung zu hören, da ihre Rechte nicht berührt wurden. Diese Entscheidung soll eine effiziente Rechtsdurchführung unterstützen und Verzögerungen des Verfahrens vermeiden.

Aus der Entscheidungsbegründung:

„Zusätzliche Berufungsgründe, die nicht innerhalb der in R. 224.2 VerfO [→ Fristen für die Berufungsbegründung] für die Berufungsbegründung vorgesehenen Frist vorgebracht werden, sind nicht zulässig. Daraus ergibt sich, dass ein weiterer Austausch von Schriftsätzen in der Verfahrensordnung des EPG nicht vorgesehen ist, es sei denn, dass eine Anschlussberufung gemäß R. 237 und 238 VerfO eingelegt wurde.“

„Gleichwohl gebietet es auch hier der Grundsatz der fairen und ausgewogenen Verfahrensführung insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit, wie er in Art. 42(2) EPGÜ und Absatz 5 der Präambel der Verfahrensordnung niedergelegt ist, in Verbindung mit dem Grundsatz der effizienten Verfahrensführung wie er in Art. 41(3) EPGÜ und Absatz 4 der Präambel der Verfahrensordnung vorgesehen ist, den Antrag auf Zulassung einer schriftlichen Stellungnahme zurückzuweisen.“

Anmerkung:

Diese Entscheidung des Berufungsgerichts des Einheitlichen Patentgerichts verdeutlicht eine potenziell problematische Auslegung des rechtlichen Gehörs im Berufungsverfahren. Dort wurde ein Antrag der Berufungsklägerin auf Zulassung eines weiteren Schriftsatzes – gestützt auf neu zugänglich gewordene Lizenzverträge und eine nachgereichte Sachverständigenstellungnahme – mit Verweis auf die formale Beschränkung des schriftlichen Verfahrens (R. 224 ff. VerfO) abgelehnt. Das Gericht stellte klar, dass ein weiterer Schriftsatz außerhalb des vorgesehenen Kontingents grundsätzlich unzulässig sei, selbst wenn relevante Unterlagen erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorlagen. Anstelle einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem neuen Vorbringen stellte es dabei vorrangig auf den Grundsatz der Waffengleichheit ab und führte aus, dass eine schriftliche Stellungnahme der Berufungsklägerin kurz vor der mündlichen Verhandlung zu einer prozessualen Unausgewogenheit zulasten der Berufungsbeklagten führen würde.

Diese Praxis steht in einem Spannungsverhältnis zum verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör (Artikel 47 Absatz 2 GRCh → Recht auf ein faires Verfahren; Art. 103 Abs. 1 GG → Anspruch auf rechtliches Gehör). Auch wenn die Entscheidung auf Prinzipien wie Verfahrenseffizienz und Waffengleichheit verweist, wird der Rechtsschutz faktisch verkürzt, wenn erheblicher neuer Vortrag pauschal unbeachtet bleibt. Die restriktive Auslegung birgt das Risiko, effektiven Rechtsschutz zugunsten formaler Prozessökonomie über Gebühr zurückzudrängen. Es bedarf daher einer verfahrensoffenen und einzelfallbezogenen Prüfung, ob ergänzender Vortrag – insbesondere zu neuen Beweismitteln – zumindest zur Kenntnis genommen werden muss.

Ferner stützt sich das Gericht auf Regel 233.3 EPGVO [-→ Unzulässigkeit von verspäteten Berufungsgründen], um die Unzulässigkeit einer weiteren schriftlichen Stellungnahme zu begründen. Diese Vorschrift regelt jedoch lediglich, dass neue Berufungsgründe nach Ablauf der Frist für die Berufungsbegründung nicht mehr vorgebracht werden dürfen. Sie enthält hingegen keine Aussage darüber, dass jegliche spätere Argumente, Beweismittel oder fachliche Stellungnahmen, die zur Stützung fristgerecht vorgetragener Berufungsgründe dienen, per se unzulässig wären. Die Entscheidung verkennt insofern die systematische Abgrenzung zwischen neuen Berufungsgründen und ergänzendem Vortrag zu bereits eingeführten Streitpunkten. Eine solche überdehnte Anwendung von Regel 233.3 EPGVO birgt das Risiko, den Zugang zu rechtlichem Gehör unverhältnismäßig zu beschränken.

EPG, UPC_CFI_702/2024: Zuständigkeit des EPG für Verletzungsklagen in Drittstaaten

EPG, Lokalkammer Paris, Ord. v. 21. März 2025 – UPC_CFI_702/2024

In der Entscheidung EPG, UPC_CFI_702/2024 des Einheitspatentgerichts (EPG) entschied die Lokalkammer Paris über eine vorläufige Einrede der Kompetenzerstreckung im Zusammenhang mit einer Klage auf Patentverletzung. Die Antragsgegner hatten die Zuständigkeit des EPG hinsichtlich der Patentverletzungen in Spanien, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich angefochten, da das Europäische Patent in diesen Staaten keine einheitliche Wirkung entfaltet  [→ Zuständigkeit des EPG für Verletzungsklagen in Drittstaaten]. Die EPG-Regeln erlauben es einer Partei, Einwände bezüglich der gerichtlichen Zuständigkeit zu erheben, das Gericht hielt die vorläufige Einrede jedoch für unzulässig und bestätigte seine Zuständigkeit. Das Hauptargument der Antragstellerin war, dass die Zuständigkeit des EPG gemäß der Vereinbarung über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) und der Konvention von Lugano zu beurteilen sei, sodass die Einrede der Gegenseite keine stichhaltige Basis habe. Das Gericht entschied zugunsten der Antragstellerin, dass das EPG für die behandelten Patentverletzungsfälle zuständig sei und die vorläufige Einrede abgewiesen wurde.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Die internationale Zuständigkeit des EPG beruht auf der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel I bis) oder gegebenenfalls auf der Lugano-Konvention.

Die Zuständigkeit des EPG als gemeinsame Gerichtsbarkeit mehrerer Mitgliedstaaten wird gemäß Artikel 71 bis der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 [→ Zuständigkeit gemeinsamer Gerichte] als die eines Mitgliedstaats der Union angesehen.

Nach Artikel 24 Absatz 4 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 [→ Eintragung und Gültigkeit von Schutzrechten]  sind ausschließlich die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet das Patent beantragt oder eingetragen wurde, und zwar sowohl dann, wenn die Frage der Validität im Rahmen einer Klage als auch im Rahmen eines Einwands aufgeworfen wird.

Das EPG hat die Kompetenz, über eine Patentverletzungsklage zu entscheiden, die von IMC Créations bezüglich der spanischen und schweizerischen Teile des Patents eingeleitet wurde, und kann das Verfahren aussetzen, um die Entscheidung des nationalen Gerichts abzuwarten, falls eine nicht unerhebliche Chance besteht, dass das Patent von der Erteilungsgerichtsinstanz annulliert wird.

Das EPG hat auch die Kompetenz, über die Verletzung der britischen Teile des Patents zu entscheiden und gegebenenfalls über die Validität des Titels, vorausgesetzt, dass die Entscheidung über die Nichtigkeitsausnahme nur inter partes Wirkung hat.

Der Patentinhaber sollte in der Lage sein, alle seine Verletzungsansprüche zu bündeln und umfassenden Schadensersatz vor einem einzigen Gericht einzufordern, um das Risiko divergierender Entscheidungen zu vermeiden.

EPG, UPC_CFI_425/2025: Sicherheitsleistung bei Sitz in Drittstaat – Zustellungsprobleme mit China

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 19. März 2025 – UPC_CFI_425/2025

Leitsatz der Entscheidung:

Im Hinblick auf ein Land, das seinen Verpflichtungen aus dem Haager Zustellungsübereinkommen nicht nachkommt, ist davon auszugehen, dass ein Kostenersatzbeschluss des EPG in diesem Land möglicherweise nicht durchsetzbar ist oder nur auf unzumutbar erschwerter Weise.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Es kann nicht entscheidend für die Entscheidung über eine Sicherheitsleistung [Regel 158 EPGVO → Sicherheitsleistung für die Kosten einer Partei] sein, dass der Kläger seinen Sitz in einem Nicht-EU/Nicht-EWR-Land hat. Dies wäre eine Form der a priori Diskriminierung, die ausschließlich auf der Nationalität des Sitzes/Wohnsitzes des Klägers beruht und in keiner Rechtsquelle vorgesehen ist.

Nach der Rechtsprechung des Berufungsgerichts ist es entscheidend für einen Antrag auf Sicherheitsleistung (Art. 69 Abs. 4 EPGÜ und R.158 EPGVO), ob die finanzielle Situation des Klägers Anlass zu einer berechtigten und echten Besorgnis gibt, dass ein möglicher Kostenentscheid nicht einbringlich sein könnte und/oder die Wahrscheinlichkeit, dass ein möglicher Kostenentscheid des EPG nicht, oder nur in unzumutbar belastender Weise, durchsetzbar sein könnte (UPC_CoA_217/2024).

Obwohl die Volksrepublik China das Haager Zustellungsübereinkommen ratifiziert hat, stehen europäische Gerichte vor erheblichen Schwierigkeiten bei der Zustellung von Klageschriften und anderen Dokumenten in China: Es ist nicht nur die Erfahrung europäischer nationaler Gerichte (z.B. Oberlandesgericht München, GRUR-RR 2020, 511), sondern auch des Einheitspatentgerichts (z.B. LD Mannheim, UPC_CFI_332/2024), dass Zustellungsersuchen der chinesischen Behörde in vielen Fällen entweder gar nicht weitergeleitet oder beanstandet und zurückgesandt werden. In UPC_CFI_508/2023 und UPC_CFI_509/2023 war die Zustellung von Anträgen auf einstweilige Maßnahmen erfolglos, obwohl der Antrag der zuständigen chinesischen Behörde zugestellt werden konnte und der Gerichtsregistratur per E-Mail Kontakt mit der zuständigen chinesischen Behörde zu diesem Thema hatte. Die chinesische Behörde bearbeitete die Zustellung jedoch mehr als sechs Monate lang ohne ersichtlichen Grund nicht.

EPG, UPC_CFI_112/2025: Anti-Anti-Suit Injunction durch die Lokalkammer München des EPG

EPG, Lokalkammer München, Anordnung vom 19. Februar 2025 – UPC_CFI_112/2025

Die Lokalkammer München des Einheitlichen Patentgerichts erließ eine Anordnung [Artikel 62 (1) → Verfügungen gegen angebliche Verletzer] zugunsten der Antragstellerinnen, um eine Anti-Anti-Suit Injunction (AASI) zu erlassen. Diese Anordnung wurde aufgrund der drohenden Gefahr erlassen, dass die Antragsgegnerinnen eine Anti-Suit Injunction (ASI) bei chinesischen Gerichten einleiten könnten, um die Patentinhaberin daran zu hindern, ihre Patentrechte gerichtlich durchzusetzen. Die Anordnung soll verhindern, dass die Antragsgegnerinnen die Patentinhaberin daran hindern, Patentverletzungsverfahren in Europa durchzuführen oder entstehende Urteile zu vollstrecken.

Das Einheitliche Patentgericht, Lokalkammer München, sah konkrete und greifbare Anhaltspunkte für eine drohende Anti-Suit Injunction (ASI), weil die Antragsgegnerinnen bereits heimlich ein Lizenzratenbestimmungsverfahren („Rate-Setting“) vor einem chinesischen Gericht eingeleitet hatten, ohne die Antragstellerinnen zu informieren. Die Zustellung der europäischen Patentverletzungsklagen auf der Messe EuroCIS am 18. Februar 2025 erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass die Antragsgegnerinnen mit einer ASI reagieren würden, um die Durchsetzung der Klagen zu verhindern. Da chinesische Gerichte ASIs regelmäßig kurzfristig und ex parte erlassen, bestand die Gefahr, dass die Patentinhaberin an der gerichtlichen Durchsetzung ihrer Patente gehindert würde oder erhebliche Strafzahlungen riskieren müsste. Zudem zeigte die strategische Verzögerungstaktik der Antragsgegnerinnen, dass sie ein starkes Interesse daran hatten, das chinesische Rate-Setting-Verfahren vor einer europäischen Gerichtsentscheidung zu schützen. Angesichts dieser Umstände entschied das Gericht, dass eine Anti-Anti-Suit Injunction (AASI) erforderlich war, um die gerichtliche Durchsetzbarkeit der europäischen Patente zu sichern.

Außerdem wurde ausnahmsweise auf eine Sicherheitsleistung verzichtet, da eine solche den Antragstellern binnen der kurzen Zeitspanne nicht möglich war. Das Gericht verpflichtete die Antragsgegnerinnen zur Zahlung eines Zwangsgeldes bei Zuwiderhandlung gegen die Anordnung.

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze:

  1. Die Verletzung eines Rechts des Patentinhabers droht im Sinne von Art. 62 Abs. 1 EPGÜ dann, wenn die Verletzung noch nicht eingetreten ist, aber aufgrund konkreter Umstände ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich der Antragsgegner in naher Zukunft rechtswidrig verhalten wird. Die Verletzungshandlung muss sich konkret abzeichnen. Es muss nur noch vom Willen des Antragsgegners abhängen, ob der letzte Schritt zum Beginn der Verletzung umgesetzt wird. Dies hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab.
  2. Im Fall einer Anti-Suit Injunction tritt die Verletzung des Eigentumsrechts des Patentinhabers zwar erst mit dem Erlass der Anti-Suit Injunction durch ein anderes Gericht ein, die Verletzungshandlung besteht jedoch in der auf ihren Erlass gerichteten Antragstellung durch den Verletzer.
  3. Eine Verletzung des Eigentumsrechts des Patentinhabers durch den Erlass einer Anti-Suit Injunction kann in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls schon vor der auf ihren Erlass gerichteten Antragstellung drohen.
  4. Die Anordnung einer Sicherheitsleistung im Falle einer ohne die Anhörung des Antragsgegners ergangenen einstweiligen Maßnahme kann gemäß Regel 211.5 S. 2 EPGVO [→ Sicherheitsleistung durch den Antragsteller] ausnahmsweise unterbleiben, wenn es dem Antragsteller in zeitlicher Hinsicht nicht möglich ist, die Sicherheit bis zu der auf einer Messe erfolgenden Zustellung der Anordnung der einstweiligen Maßnahme zu leisten, und andere Zustellungsmöglichkeiten mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sind.

EPG, UPC_CFI_483/2024: Zuständigkeit für Patentverletzungen vor Inkrafttreten des EPG

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 10. Februar 2025 – UPC_CFI_483/2024

Leitsätze der Entscheidung:
  1. Die Zuständigkeit des EPG gemäß Art. 32(1)(a) EPGÜ, Art. 2g), Art. 3c) EPGÜ [→ Ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts für Patentklagen] umfasst auch Verletzungsklagen, soweit sie auf Nutzungshandlungen gestützt sind, die angeblich vor dem Inkrafttreten der EPGÜ und/oder in der Zeit zwischen einem Opt-out und dessen Rücknahme stattgefunden haben sollen.
  2. Zuständigkeit und anwendbares Recht sind separate Aspekte, die separat beurteilt werden müssen. Aus der Zuständigkeit des EPG kann nicht geschlossen werden, dass die EPGÜ immer auf jeden zu entscheidenden Fall Anwendung findet, noch ist das anwendbare Recht für die Zuständigkeit des EPG entscheidend.

Zusammenfassung der Entscheidung

In der Entscheidung vom 10. Februar 2025 befasste sich das Einheitspatentgericht (EPG) mit der Frage der Zuständigkeit für Klagen wegen Patentverletzungen, die vor dem Inkrafttreten des EPGÜ am 1. Juni 2023 und während eines Opt-Out-Zeitraums stattfanden. Das Gericht stellte fest, dass seine Zuständigkeit nach Art. 32(1)(a) EPGÜ nicht durch zeitliche Begrenzungen auf nach diesem Datum stattfindende Handlungen beschränkt ist. Die Entscheidung betonte die Unabhängigkeit der Zuständigkeit von der Frage des anwendbaren Rechts und hielt fest, dass das EPG auch über Fälle entscheiden könne, die auf Handlungen basieren, die vor dem EPGÜ-Startdatum oder während eines wirksamen Opt-Outs lagen, solange eine Opt-In-Erklärung abgegeben wurde. Diese Auslegung des Art. 32(1)(a) EPGÜ wurde im Hinblick auf die Rechtssicherheit und die Verhältnismäßigkeit bestätigt. Der Einwand wegen fehlender Zuständigkeit wurde zurückgewiesen und das Verfahren wird fortgesetzt. Eine Berufung gegen diesen Beschluss wurde zugelassen, da die Entscheidung als potenziell richtungsweisend für ähnliche zukünftige Fälle angesehen wird.

EPG, Berufungskammer, Beschl. v. 12. Februar 2025 – UPC_CoA_635/2024

EPG, Berufungskammer, Beschl. v. 12. Februar 2025 – UPC_CoA_635/2024

Leitsätze der Entscheidung

  • Anwälte und europäische Patentanwälte sind nicht von der Pflicht zur Vertretung [Regel 8.1 EPGVO → Vertretungspflicht gemäß Artikel 48 des Übereinkommens] befreit, wenn sie selbst Parteien in Verfahren vor dem EPG sind.
  • Vertretung ist ein Zulässigkeitspunkt, der Überlegungen zur öffentlichen Ordnung (fairer Prozess) beinhaltet, den das Gericht jederzeit, auch von Amts wegen, überprüfen kann.