Schlagwort: EPG

EPG, UPC_CFI_249/2023: Verzinsung

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 10. Januar 2025 – UPC_CFI_249/2023

Leitsatz aus der Entscheidung:

Zu erstattende Verfahrenskosten und Auslagen werden im Kostenfestsetzungsverfahren nicht verzinst.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Weder das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht noch die Verfahrensordnung sehen eine Verzinsung von festgesetzten Kosten im Kostenfestsetzungsverfahren vor.

Eine entsprechende Anwendung der Regeln 125 [→ Gesondertes Verfahren zur Festsetzung der Höhe des angeordneten Schadenersatzes] und 131 VerfO [→ Inhalt des Antrags auf Festsetzung von Schadensersatz], welche die Verfahren zur Festsetzung von Schadenersatz und Entschädigung regeln und eine Verzinsung ausdrücklich vorsehen, scheidet aus. Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke. Die beiden zitierten Vorschriften zeigen vielmehr, dass dem Gesetzgeber die Problematiken des Zeitverzugs und der Inflation bewusst war. Gleichwohl hat der Gesetzgeber für die Kostenerstattung keine Verzinsung vorgesehen.

Im einstweiligen Verfügungsverfahren ist als Ausgleich vielmehr vorgesehen, dass die erfolgreiche Partei eine vorläufige Kostenerstattung beantragen und sogleich vollstrecken kann (Regel 211 Nr. 1 d EPGVO → Arten einstweiliger Maßnahmen). Diese Möglichkeit existiert auch vor dem Berufungsgericht (Regel 242 Nr. 2.a EPGVO → Befugnisse des Berufungsgerichts). 

EPG, UPC_CFI_412/2023: Einspruch gegen die Versäumnisentscheidung

EPG, Zentralkammer Paris, Beschl. v. 9. Januar 2025 – UPC_CFI_412/2023

Leitsatz aus der Entscheidung:

Regel 356 (2) EPGVO [→ Inhalt des Einspruchs gegen die Versäumnisentscheidung], soweit eine Erklärung des Verzugs erforderlich ist, ist dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller nachweisen muss, dass er aufgrund von Umständen außerhalb seiner Kontrolle nicht in der Lage war, zwingende Fristen einzuhalten oder bei der mündlichen Verhandlung, zu der er geladen wurde, zu erscheinen (außer wie in Regel 116 [→ Abwesenheit einer Partei in der mündlichen Verhandlung] und 117 EPGVO [→ Abwesenheit beider Parteien in der mündlichen Verhandlung] vorgesehen) und dass der Verzug daher nicht seinem eigenen Verschulden zuzuschreiben ist, sondern durch unvorhersehbare Umstände oder höhere Gewalt verursacht wurde.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Laut Regel 356 der EPGVO [→ Einspruch gegen die Versäumnisentscheidung] kann eine Partei, gegen die eine Versäumnisentscheidung ergangen ist, einen Antrag auf Aufhebung dieser Entscheidung innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung stellen (Abs. 1). Der Antrag muss die Erklärung der Partei für das Versäumnis enthalten, mit der Zahlung der entsprechenden Gebühr und mit dem Schritt, den die Partei nicht unternommen hat (Abs. 2). Abs. 3 besagt, dass der Antrag akzeptiert wird, sofern die Bestimmungen von Abs. 2 erfüllt sind, es sei denn, die Partei wurde in einer früheren Entscheidung darauf hingewiesen, dass eine weitere Versäumnisentscheidung endgültig ist.

Obwohl Regel 356 der EPGVO nicht ausdrücklich verlangt, dass der Antragsteller nachweisen muss, dass das Versäumnis nicht durch eigenes Verschulden bestimmt ist, d.h., dass er nicht in der Lage war, zwingende Fristen einzuhalten oder bei einer mündlichen Verhandlung zu erscheinen, zu der er ordnungsgemäß geladen wurde (außer gemäß Regel 116 und 117 der EPGVO) aus Gründen, die außerhalb seiner Kontrolle liegen, ist ein solches Erfordernis inhärent in der Vorschrift, die den Antragsteller verpflichtet, den Grund für das Versäumnis zu erklären und, allgemeiner, im System des Einheitspatentgerichts.

Das Ziel von Regel 356 der EPGVO besteht darin, der Partei, gegen die eine Versäumnisentscheidung ergangen ist, zu ermöglichen, vor dem Gericht, das die Entscheidung gefällt hat, geltend zu machen, dass das Recht auf Verteidigung aufgrund eines fehlerhaften Befunds über den Fristablauf oder die Korrektheit der Ladung zur mündlichen Verhandlung verletzt wurde, und in dieser Weise einen solchen Fehler zu beseitigen, indem das Verfahren ‚wiedereröffnet‘ wird und der Partei ermöglicht wird, ihr verletztes Recht auf Verteidigung vollständig auszuüben.

EPG, UPC_CFI_338/2023: Erfinder als Sachverständiger

EPG, Zentralkammer Paris, Urt. v. 26. Dezember 2024 – UPC_CFI_338/2023

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze:

  1. Zur Gewährleistung einer zügigen Entscheidung und effizienter Verfahrensführung kann das Gericht den Fall entscheiden, indem es die Reihenfolge der zu entscheidenden Fragen umkehrt, wenn eine Entscheidung aufgrund eines leichter lösbaren, wenngleich logisch nachgeordneten Grundes getroffen werden kann, ohne die vorhergehenden zu prüfen.
  2. Obwohl der Erfinder des strittigen Patents keine Partei des Verfahrens ist, kann er/sie nicht als Zeuge oder Sachverständiger vernommen werden, da er/sie ein direktes Interesse am Ausgang des Falles haben kann und nicht die Anforderungen der Regel 181 (1) (a) und (b) ‚EPGVO‘ [→ Vorlage von Sachverständigenbeweisen, → Anforderungen an Sachverständige] an Unparteilichkeit, Objektivität und Unabhängigkeit erfüllt.

EPG, UPC_CFI_791/2024: Zum (ausländischen) Prozessführungs- und/oder Vollstreckungsverbot

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 11. Dezember 2024 – UPC_CFI_791/2024

In der Entscheidung der Lokalkammer München des Einheitlichen Patentgerichts (EPG) vom 11. Dezember 2024 wurde eine einstweilige Maßnahme erlassen, die den Antragsgegnerinnen untersagt, eine „Anti-Enforcement Injunction“ bzw. „Anti-Suit Injunction“ in den USA weiterzuverfolgen. Diese Anordnung verfolgt das Ziel, die Antragstellerin vor rechtswidrigen Eingriffen in ihre Patentrechte zu schützen. Diese Patente umfassen europäische Patente, die für den Wi-Fi 6-Standard als essenziell erklärt wurden.

Leitsätze der Entscheidung:

  1. Art. 32 (1) a), c) EPGÜ [→ Ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts für Patentklagen] eröffnen die sachliche Zuständigkeit des EPG für den Erlass einstweiliger Maßnahmen, mit denen ein Antragsteller um Rechtsschutz vor drohenden (ausländischen) Prozessführungs- und/oder Vollstreckungsverboten nachsucht.
  2. Ein (ausländisches) Prozessführungs- [→ Anti-Suit Injunction] und/oder Vollstreckungsverbot [→ Anti-Enforcement Injunction] verstößt gegen den allgemeinen europäischen Justizgewährungsanspruch (Art. 47 EU-Charta). Die Verbote stehen auch im Widerspruch zum deutschen Justizgewährungsanspruch gem. Art. 2 Abs. 1 [→ Allgemeines Persönlichkeitsrecht], 19 Abs. 4 GG [→ Rechtsweggarantie] und sind als unerlaubte Handlung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB zu qualifizieren.

EPG, Beschwerdekammer, Entscheidung UPC_CoA_456/2024: Zulässigkeit neuer Argumente in Verletzungsverfahren

Einheitspatentgericht, Beschwerdekammer, Entscheidung vom 21. November 2024, Aktenzeichen: UPC_CoA_456/2024

Leitsätze am Anfang der Entscheidung in deutscher Übersetzung:

  • Nicht jedes neue Argument ist eine Änderung der Sache, für die eine Partei gemäß R. 263 EPGVO [→ Antrag auf Klageänderung oder -erweiterung] einen Antrag auf Erlaubnis einreichen muss. Eine Änderung der Sache liegt vor, wenn sich die Art oder der Umfang des Streits ändert. In einem Verletzungsverfahren ist dies beispielsweise der Fall, wenn der Kläger sich auf ein anderes Patent beruft oder gegen ein anderes Produkt Einspruch erhebt.
  • Auch wenn ein neues Argument keine Änderung der Sache ist, für die gemäß R. 263 EPGVO [→ Antrag auf Klageänderung oder -erweiterung] gerichtliche Erlaubnis erforderlich ist, gelten Beschränkungen für das Vorbringen neuer Argumente. R. 13 EPGVO [→ Erforderliche Angaben in der Klageschrift] schreibt vor, dass die Klagebegründung die Gründe angeben muss, warum die behaupteten Tatsachen eine Verletzung der Patentansprüche darstellen, einschließlich der juristischen Argumente. Diese Bestimmung muss im Lichte des letzten Satzes von Erwägungsgrund 7 der Präambel der Verfahrensordnung [→ Effizienz des Verfahrens] ausgelegt werden, wo ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Parteien ihre Sache so früh wie möglich im Verfahren darlegen sollten.
  • R. 13 EPGVO [→ Erforderliche Angaben in der Klageschrift] schließt jedoch nicht aus, dass der Kläger nach Einreichung der Klageschrift ein neues Argument vorbringt. Ob ein neues Argument zulässig ist, hängt von den Umständen des Falles ab, einschließlich der Gründe, warum der Kläger das Argument nicht bereits in der Klageschrift erwähnt hat, und den verfahrensrechtlichen Möglichkeiten des Beklagten, auf das neue Argument zu reagieren. Bei dieser Beurteilung hat das Gericht erster Instanz einen gewissen Beurteilungsspielraum. Die Neubewertung durch das Berufungsgericht ist daher begrenzt.
  • Wenn ein neues Argument keine Änderung der Sache im Sinne von R. 263 EPGVO [→ Antrag auf Klageänderung oder -erweiterung] mit sich bringt, muss der Kläger keinen Antrag auf Erlaubnis beim Gericht stellen. Wenn die Gegenpartei der Ansicht ist, dass ein neues Argument des Klägers unzulässig ist, kann sie dagegen Einwendungen erheben. Das Gericht kann die Zulässigkeit eines neuen Arguments auch von Amts wegen aufgreifen. Das Gericht entscheidet nach Anhörung der Parteien. Diese Entscheidung kann das Gericht bis zum Zwischenverfahren oder bis zur Endentscheidung verschieben. Wenn das Argument unzulässig ist und die Gegenpartei in der Sache eine Verteidigung gegen das neue Argument geführt hat, kann das Gericht dies bei der Kostenentscheidung berücksichtigen.

EPG, Berufungsgericht, UPC_CoA_511/2024: Aussetzung aufgrund eines anhängigen Einspruchsverfahrens

Berufungsgericht des Einheitspatentgerichts, Entscheidung vom 21 November 2024, UPC_CoA_511/2024

In der vorliegenden Entscheidung hat das Berufungsgericht des Einheitspatentgerichts die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben, die einen Antrag der Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens abgelehnt hatte. Das Gericht klärte, dass gemäß Art. 33(10) EPGÜ [→ Unterrichtung des Gerichts über Verfahren beim Europäischen Patentamt] und R. 295(a) EPGVO [→ Aussetzung aufgrund eines anhängigen Einspruchsverfahrens] das Gericht Verfahren aussetzen kann, wenn mit einer schnellen Entscheidung des Europäischen Patentamts (EPA) zu rechnen ist. Diese Regelungen erfordern keine endgültige Entscheidung des EPA. Die Berufungskläger argumentierten erfolgreich, dass das Gericht auch während schriftlicher Verfahren die Möglichkeit habe, den Fortgang des Prozesses im Interesse der Verfahrensökonomie zu unterbrechen, insbesondere wenn sehr bald mit einer Entscheidung der Oppositionsabteilung des EPA zu rechnen sei. Dieser Ansatz soll Konflikte zwischen den Entscheidungen in Verletzungsverfahren und den Entscheidungen des EPA in Einspruchsverfahren vermeiden. Das Gericht betonte die diskretionäre Befugnis des Gerichts, die Aussetzung zu gewähren, basierend auf dem Interessenabwägung und den spezifischen Umständen des Falles. Die Sache wurde zur weiteren Prüfung des Antrags auf Verfahrensaussetzung zurück an die Vorinstanz verwiesen.

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze:

  1. Artikel 33(10) EPGÜ [→ Unterrichtung des Gerichts über Verfahren beim Europäischen Patentamt] sieht vor, dass das Gericht seine Verfahren aussetzen kann, wenn eine rasche Entscheidung des Europäischen Patentamts zu erwarten ist. Diese Bestimmung wurde sowohl in Regel 295(g) EPGVO [→ Aussetzung des Verfahrens bei paralleler Entscheidung über zentrale Verfahrensfragen], die sich auf Regel 118 EPGVO [→ Entscheidung in der Sache] bezieht, als auch in Regel 295(a) EPGVO [→ Aussetzung aufgrund eines anhängigen Einspruchsverfahrens] umgesetzt. Regel 118 EPGVO enthält Bestimmungen zu Entscheidungen über die Sache selbst. Regel 118.2(b) EPGVO [→ Bedingte Entscheidungen] und Regel 295(g) EPGVO [→ Aussetzung des Verfahrens bei paralleler Entscheidung über zentrale Verfahrensfragen] sind daher anwendbar, wenn der Fall entscheidungsreif ist. Vor diesem Stadium richten sich Anordnungen bezüglich der Aussetzung von Verfahren, solange Einspruchsverfahren anhängig sind, nach Regel 295(a) EPGVO [→ Aussetzung aufgrund eines anhängigen Einspruchsverfahrens].
  2. Gemäß Artikel 33(10) EPGÜ [→ Unterrichtung des Gerichts über Verfahren beim Europäischen Patentamt] und Regel 295(a) EPGVO kann das Gericht Verfahren aussetzen, die sich auf ein Patent beziehen, das auch Gegenstand von Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt ist, wenn eine rasche Entscheidung des Europäischen Patentamts zu erwarten ist. Diese Bestimmungen erfordern nicht, dass eine endgültige Entscheidung des Europäischen Patentamts rasch zu erwarten ist. Das Gericht kann Verfahren gemäß Artikel 33(10) EPGÜ und Regel 295(a) EPGVO aussetzen, wenn zu erwarten ist, dass die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts ihre Entscheidung rasch trifft, selbst wenn es wahrscheinlich ist, dass eine solche Entscheidung angefochten wird.
  3. Eine Aussetzung gemäß Artikel 33(10) EPGÜ und Regel 295(a) EPGVO ist eines der Mittel, das dem Gericht zur Verfügung steht, um mit parallelen Verletzungs- und Einspruchsverfahren umzugehen. Insbesondere soll dadurch verhindert werden, dass Konflikte zwischen seinen Entscheidungen in Verletzungsverfahren und den vom Europäischen Patentamt in Einspruchsverfahren erlassenen Entscheidungen entstehen. Im Gegensatz zu Entscheidungen in parallelen Widerrufsverfahren und Einspruchsverfahren, die nicht unvereinbar sind3), können Entscheidungen in parallelen Verletzungs- und Einspruchsverfahren in Konflikt geraten. Solche Konflikte können insbesondere auftreten, wenn das Europäische Patentamt ein Patent im Rahmen eines Einspruchsverfahrens widerruft, das die Grundlage für eine Anordnung des Gerichts in Verletzungsverfahren bildete. Solche Konflikte sollten grundsätzlich vermieden werden, auch wenn die Entscheidung des Europäischen Patentamts anfechtbar ist und ihre Wirkung bis zur Berufung ausgesetzt ist. Eine Aussetzung von Verletzungsverfahren gemäß Artikel 33(10) EPGÜ und Regel 295(a) EPGVO kann dazu genutzt werden, diesen Zweck zu erreichen.
  4. Das Gericht ist nicht verpflichtet, Verfahren auszusetzen, wenn eine endgültige oder nicht endgültige rasche Entscheidung des Europäischen Patentamts zu erwarten ist. Artikel 33(10) EPGÜ und Regel 295(a) EPGVO sehen vor, dass das Gericht dies „kann“. Das Wort „kann“ bedeutet, dass das Gericht ein Ermessen hat. Ob eine Aussetzung gewährt wird, hängt von der Interessenabwägung der Parteien und den spezifischen Umständen des Falls ab, wie dem Stand des Einspruchsverfahrens, dem Stand des Verletzungsverfahrens und der Wahrscheinlichkeit, dass das Patent im Einspruchsverfahren widerrufen wird. In diesem Kontext ist die Tatsache, dass die erwartete Entscheidung des Europäischen Patentamts keine endgültige Entscheidung ist und wahrscheinlich angefochten wird, nur einer von mehreren Faktoren, die berücksichtigt werden können.

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 20. Dezember 2024 – UPC_CFI_342/2024

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 20. Dezember 2024 – UPC_CFI_342/2024

Amtlicher Leitsatz:

Der Einsprechende eines anhängigen Einspruchsverfahrens betreffend das Streitpatent hat ein rechtliches Interesse an Akteneinsicht gemäß Regel 262.1 (b) EPGVO [→ Veröffentlichung und Zugangsanträge] während des laufenden Verfahrens.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Die beim Gericht geführten Verfahrensakten sind nach den Bestimmungen des EPGÜ grundsätzlich öffentlich zugänglich. Dies leitet sich sowohl aus Art. 10 Abs. 1 EPGÜ [→ Einrichtung der Kanzlei beim Berufungsgericht] als auch aus Art. 45 EPGÜ [→ Öffentlichkeit der Verhandlungen] ab. Ersterer bestimmt, dass das von der Kanzlei geführte Register öffentlich ist. Art. 45 EPGÜ zufolge sind Verhandlungen des Gerichts öffentlich, es sei denn, das Gericht beschließt, soweit erforderlich, sie im Interesse einer der Parteien oder sonstiger Betroffener oder im allgemeinen Interesse der Justiz oder der öffentlichen Ordnung unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu führen. Der Zugang ist der Öffentlichkeit demzufolge nur dann verwehrt, wenn eine Interessensabwägung, welche die in Art. 45 EPGÜ genannten Belange beinhaltet, zu dem Ergebnis führt, dass im konkreten Fall eine Zugangsbeschränkung notwendig ist.

Stellt ein Mitglied der Öffentlichkeit gemäß Regel 262.1 (b) VerfO [→ Veröffentlichung und Zugangsanträge] einen begründeten Antrag, ist deshalb grundsätzlich Zugang zu den Schriftsätzen und Beweismitteln des Verfahrens zu gewähren, unabhängig vom Stand oder von der Art des Verfahrens.

Die Begründetheit im Sinne der Regel 262.1 (b) VerfO [→ Veröffentlichung und Zugangsanträge] ist nach der Rechtsprechung des Berufungsgerichts ein (nur) formales Erfordernis. Es ist erfüllt, wenn dem Antrag zu entnehmen ist, hinsichtlich welcher Schriftsätze und Beweismittel Zugang begehrt wird, wenn darüber hinaus der Zweck der Akteneinsicht genannt und zudem erklärt wird, weshalb der Zugang zu den genannten Schriftsätzen und Beweismitteln für den genannten Zweck notwendig ist.

Ist ein Antrag gem. Regel 262.1 (b) VerfO [→ Veröffentlichung und Zugangsanträge] in diesem Sinne begründet, sind die Interessen des Mitglieds der Öffentlichkeit auf Zugang zu den Schriftsätzen und Beweismitteln gegen die in Art. 45 EPGÜ genannten Interessen abzuwägen.

In diese Abwägung einzustellen sind insbesondere der Schutz vertraulicher Informationen und persönlicher Daten sowie die allgemeinen Interessen der Justiz und die öffentliche Ordnung, wozu auch der Schutz der Integrität des Verfahrens zählt. Die öffentliche Ordnung ist z.B. tangiert bei missbräuchlichen Anträgen oder wenn Sicherheitsinteressen auf dem Spiel stehen.

Ist das Verfahren, zu dessen Schriftsätzen und Beweismitteln ein Antragsteller Zugang haben möchte, noch nicht abgeschlossen, genügt das grundsätzlich gegebene allgemeine Informationsinteresse der Öffentlichkeit für die Gewährung des Zugangs nicht. Es bedarf vielmehr eines konkreten, vom Antragsteller darzulegenden rechtlichen Interesses an der Akteneinsicht.

Zu bedenken ist des Weiteren, dass die Antragstellerin Wettbewerberin auch der Klägerin und mit einem eigenen Produkt auf dem Markt ist. Sie hat demzufolge ein berechtigtes Interesse an der Klärung des Rechtsbestandes des Streitpatents.

EPG, Lokalkammer Hamburg, Beschl. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_525/2024

EPG, Lokalkammer Hamburg, Beschl. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_525/2024

Amtliche Leitsätze übersetzt in deutscher Sprache:

  1. Eine angebliche Patentverletzung fällt unter das Deliktsrecht im Sinne von Art. 7 Abs. 2 [→ Unerlaubte Handlungen und schädigende Ereignisse] der Brüssel I-Neufassung. Somit hat das EPG auch für Ansprüche auf persönliche (Direktor)haftung im Hinblick auf eine angebliche Verletzung eines europäischen Patents gemäß Artikel 32 EPGÜ [→ Ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts für Patentklagen] Gerichtsbarkeit.
  2. Ob der Direktor eines Unternehmens erfolgreich vor dem EPG verklagt und für die Verletzung eines Patents haftbar gemacht werden kann [→ Direktorenhaftung], ist eine Frage des Sachverhalts, die nicht der Bestimmung von Gerichtsbarkeit und Zuständigkeit unterliegt.


EPG, Zentralkammer Paris, Urt. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_454/2023

EPG, Zentralkammer Paris, Urt. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_454/2023

Amtlicher Leitsatz:

Die Verletzung einer Stillhalteklausel entzieht der verletzenden Partei nicht das Recht, eine Klage zu erheben, wenn die zeitliche Beschränkung des Klagerechts durch kein öffentliches Interesse gerechtfertigt ist, sondern
sie kann nur eine Haftung wegen Vertragsverletzung begründen.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Es sollte berücksichtigt werden, dass der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ein allgemeiner Grundsatz des EU-Rechts ist, der aus den verfassungsmäßigen Traditionen der Mitgliedstaaten hervorgeht und in Artikel 6 [→ Recht auf ein faires Verfahren] und 13 [→ Recht auf wirksame Beschwerde] der EMRK verankert ist und der auch durch Artikel 47  [→ Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht] der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bestätigt wurde (vgl. EuGH 16. Juli 2009, C-12/08, Mono Car Styling). Während Grundrechte nicht unbeschränkte Vorrechte darstellen und eingeschränkt werden können, müssen die Beschränkungen Zielen des allgemeinen Interesses entsprechen, die mit der betreffenden Maßnahme verfolgt werden, und dürfen in Bezug auf die verfolgten Ziele keine unverhältnismäßige und unerträgliche Beeinträchtigung darstellen, die die Substanz der garantierten Rechte verletzt (vgl. EuGH 18. März 2010, C-317/08, Alassini und andere).

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_9/2023

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_9/2023

Amtliche Leitsätze:

1. Das einzige online verfügbare amtliche Formular für die Einreichung eines Rücktritts von der Ausnahmeregelung gemäß Regel 5.7 EPGVO [→ Antrag auf Rücktritt von der Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung] ist der entsprechende Workflow im Fallbearbeitungssystem (CMS). Bei dem bereitgestellten Template handelt es sich nicht um ein Formular im Sinne der Regel 4.1 EPGVO [→ Elektronische Einreichung von Unterlagen], sondern um eine Arbeitshilfe für die Nutzer des Systems. Den Nutzern ist es freigestellt, eine andere Arbeitshilfe zu verwenden.

2. Soweit der Erschöpfungseinwand alle angegriffenen Ausführungsformen betrifft, ist ihm sogleich im Erkenntnisverfahren nachzugehen. Bei Erfolg ist die Klage abzuweisen. Soweit der Erschöpfungseinwand nicht alle angegriffenen Ausführungsformen betrifft, kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, ob und inwieweit dem Einwand sogleich, oder erst im Rahmen der Zwangsvollstreckung nachzugehen ist.

3. Soweit der Patentinhaber mehrere unterschiedliche noch annahmefähige Angebote abgegeben hat, zum Beispiel ein Angebot betreffend eine bilaterale Lizenz an dem Portfolio des Patentinhabers und ein Angebot betreffend eine Lizenz an dem Portfolio eines Patentpools, in dem das zu lizenzierende Patent oder Portfolio des Patentinhabers mit enthalten ist, kann die auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung gerichtete Verletzungsklage nicht abgewiesen werden, wenn davon auszugehen ist, dass mindestens eines der beiden Angebote den kartellrechtlichen Anforderungen genügt. Denn der Patentinhaber ist aus kartellrechtlichen Gründen nur gehalten, dem Patentbenutzer einen Lizenzierungsweg aufzuzeigen, der den FRAND-Anforderungen genügt. Der Patentinhaber kann seinen kartellrechtlichen Verpflichtungen insbesondere durch das Angebot einer Pool-Lizenz nachkommen. Dasselbe gilt auch in Bezug auf eine vertragsrechtliche Bewertung, zum Beispiel in Bezug auf einen unter Geltung der IEEE Bylaws 2007 abgegebenen Letter of Assurance (LOA).

4. Die Ausführungen des Unionsgerichtshofs in Randnummern 66-67 des Urteils Huawei v. ZTE bedeuten, dass die Klageerhebung kartellrechtswidrig sein mag, weil das Angebot des Patentinhabers FRAND-Bedingungen widerspricht, der Verletzter dies im Rahmen einer Verteidigung gegen denjenigen Teil der Klage, der auf Unterlassung, Rückruf oder Vernichtung gerichtet ist aber nur dann einwenden darf, wenn er selbst ohne Verzögerungstaktik ein konkretes Gegenangebot unterbreitet hat, das FRAND-Bedingungen entspricht, sowie darüberhinausgehend im Falle von dessen Ablehnung eine angemessene Sicherheit geleistet und Auskunft über den Umfang der Benutzungshandlungen gegeben hat.

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