Gerichtshof der EU zu „BUD“ – ältere Kennzeichenrechte

Der Gerichtshof der EU hat in der Rechtssache C-96/09 – BUD (veröffentlicht in GRUR Int 2011, 506) das Urteil des Gerichts teilweise aufgehoben. Das Urteil des Gerichtshofs enthält zahlreiche praxisrelevante Aussagen zum relativen Eintragungshindernis des Artikels 8 Absatz 4 GMV.

Wichtige Punkte des Urteils, die die Geltendmachung eines älteren Rechts nach Artikel 8 Absatz 4 GMV betreffen, sind:

• Eine Nichtigerklärung einer angegriffenen Marke im Widerspruchsverfahren kann auch dann aus einem älteren Recht nach Artikel 8 Absatz 4 GMV erfolgen, wenn dieses zwar durch ein Urteil eines nationalen Gerichts nichtig erklärt wurde, das Urteil aber noch nicht rechtskräftig ist. Der Gerichtshof bestätigte die diesbezügliche Auffassung des Gerichts.

• Eine Benutzung „im geschäftlichen Verkehr“ im Sinne von Artikel 8 Absatz 4 GMV ist dann gegeben, wenn die Benutzung im Zusammenhang mit einer auf einen wirtschaftlichen Vorteil gerichteten kommerziellen Tätigkeit und nicht im privaten Bereich erfolgte. Auch kostenlose Lieferungen können somit eine Benutzung des älteren Rechts „im geschäftlichen Verkehr“ sein. Auch insoweit bestätigte der Gerichtshof die Auffassung des Gerichts.

• Das ältere Recht muss in einem bedeutenden Teil seines Schutzgebiets im geschäftlichen Verkehr benutzt worden sein. Denn das fragliche Zeichen könne auch dann, wenn die geografische Ausdehnung seines Schutzes mehr als örtlich ist, der Eintragung einer Gemeinschaftsmarke nur dann entgegenstehen, wenn es tatsächlich in hinreichend bedeutsamer Weise im geschäftlichen Verkehr in einem bedeutenden Teil des Gebiets benutzt werde, in dem es geschützt ist. Die Beurteilung der Benutzung im geschäftlichen Verkehr sei dabei für jedes Gebiet, in dem das Zeichen geschützt ist, getrennt vorzunehmen. Insoweit hält der Gerichtshof das Urteil des Gerichts für rechtsfehlerhaft.

• Eine Benutzung außerhalb des Schutzgebiets des älteren Rechts genügt für Artikel 8 Absatz 4 GMV nicht. Würde man eine andere Auffassung vertreten, könne auch bei völlig fehlender Benutzung in dem Schutzgebiet eine Situation eintreten, um die Eintragung einer jüngeren Marke zu verhindern. Die ausschließlichen Rechte an einem Zeichen können aber nur in dessen Schutzgebiet mit einer Gemeinschaftsmarke in Konflikt treten. Auch insoweit ist nach Auffassung des Gerichtshofs das Urteil des Gerichts rechtsfehlerhaft.

• Die Benutzung muss vor dem Anmeldetag der angegriffenen Marke stattgefunden haben. Im Hinblick auf den unter Umständen langen Zeitraum, der zwischen der Anmeldung der Marke und deren Veröffentlichung vergehen kann, sei die Anwendung des Kriteriums des Anmeldetages besser geeignet, um zu gewährleisten, dass es sich bei der geltend gemachten Benutzung des fraglichen Zeichens um eine tatsächliche Benutzung handelt und nicht um eine Vorgehensweise nur zur Verhinderung der Eintragung der neuen Marke.

Internationale Zuständigkeit bei Internetveröffentlichung

Der Bundesgerichtshof konnte in der Entscheidung VI ZR 111/10 – www.womanineurope.com – die in dem Urteil BGH VI ZR 23/09 – New York Times (veröffentlicht in GRUR 2010, 461) aufgestellten Grundsätze zur internationalen Zuständigkeit bei Internetveröffentlichungen fortführen.

Im Streitfall betraf die Internetveröffentlichung eine Reisebeschreibung, die ein privates Zusammentreffen der Parteien und ihrer ehemaligen Mitschüler in Moskau schilderte. Die Internetveröffentlichung war in russischer Sprache und kyrillischer Schrift abgefasst und ist über eine Webseite in russischer Sprache verbreitet worden. Die Abfassung und Einstellung des Reiseberichts in das Internet erfolgte in den USA.

Der nach den in dem New York Times-Urteil aufgestellten Grundsätzen erforderliche Inlandsbezug war nach Auffassung des Senats nicht gegeben:

– Der maßgebliche deutliche Inlandsbezug lässt sich nicht schon daraus herleiten, dass der Kläger an seinem Wohnsitz im Inland den Bericht abgerufen hat. Zweck der Vorschrift des § 32 ZPO ist es, einen Gerichtsstand dort zu eröffnen, wo die sachliche Aufklärung und Beweis-erhebung in der Regel am besten, sachlichsten und mit den geringsten Kosten erfolgen kann. Im Streitfall fehlt eine solche Sachnähe der deutschen Gerichte zu den Vorgängen in Moskau.

– Wollte man den inländischen Wohnsitz des Klägers, an dem der Abruf erfolgen konnte, als ausreichend für die Begründung eines Schadensortes und somit eines Gerichtsstands der unerlaubten Handlung ansehen, würde dies zu einer uferlosen Ausweitung der Gerichtspflichtigkeit des Beklagten führen.

– Aus dem Standort eines Servers im Inland, über den oder von dem der Kläger die Reisebeschreibung herunterlud, lässt sich eine bis ins Inland wirkende Handlung der Beklagten aufgrund der Nutzung ihres Rechners, einschließlich des Proxy-Servers, der Datenleitung und der Übertragungssoftware des Internets zur physikalischen Beförderung der Dateien ins Inland nicht herleiten. Eine solche die Zuständigkeit begründende Anknüpfung hinge von zufälligen technischen Umständen ab, die zu einer Ubiquität des Gerichtsstandes für Ansprüche wegen rechtsverletzender Äußerungen im Internet führen würde, so dass sich eine derartige Anknüpfung verbietet.

BGH, I ZR 196/08 – Zweite Zahnarztmeinung II: Zum Datenbankschutz

BGH, Urteil vom 1. Dezember 2010 – I ZR 196/08 – Zweite Zahnarztmeinung II

a) Geben Dritte über eine Eingabemaske Daten in eine Datenbank ein, sind die Kosten für die Software, mit der die Daten für Zwecke der Datenbank erfasst und dargestellt werden, eine Investition im Sinne des § 87a Abs. 1 Satz 1 UrhG zur Beschaffung und Darstellung der Datenbankelemente und keine Kosten der Datenerzeugung. Entsprechendes gilt für die Kosten der Überprüfung der von Dritten eingegebenen Daten auf ihre Eignung für Zwecke der Datenbank.

b) Ein Anteil von zehn Prozent des Datenvolumens der gesamten Datenbank erfüllt nicht die Voraussetzungen, die an einen nach dem Umfang wesentlichen Teil der Datenbank im Sinne des § 87b Abs. 1 Satz 1 UrhG zu stellen sind.

c) Für die Übernahme eines nach der Art wesentlichen Teils der Datenbank im Sinne von § 87b Abs. 1 Satz 1 UrhG ist es nicht erforderlich, dass diejenigen Elemente übernommen werden, die die Struktur der Datenbank ausmachen.

d) Für den Eingriff in die Rechte des Datenbankherstellers nach § 87b Abs. 1 Satz 2 UrhG reicht es aus, dass die Entnahmehandlungen darauf gerichtet sind und im Fall ihrer Fortsetzung dazu führen würden, die Datenbank insgesamt oder einen nach Art oder Umfang wesentlichen Teil zu vervielfältigen, zu verbreiten oder öffentlich wiederzugeben.

BGH, I ZR 155/09 – Sedo: Zur Haftung für Markenrechtsverstöße beim Domain-Parking

BGH, Urteil vom 18. November 2010 – I ZR 155/09 – Sedo

a) Eine markenmäßige Verwendung eines Domainnamens liegt regelmäßig vor, wenn auf der unter dem Domainnamen erreichbaren Internetseite ein elektronischer Verweis (Link) angebracht ist, der zu einem Produktangebot führt.

b) Bietet ein Diensteanbieter im Sinne des Teledienstegesetzes a.F. – Entsprechendes ist unter Geltung des Telemediengesetzes anzunehmen – seinen Kunden ein sogenanntes Domain-Parking-Programm an, in das der Kunde unter seinem Domainnamen eine Internetseite mit elektronischen Werbeverweisen (Werbelinks) einstellen kann, bei deren Aufruf aufgrund vorher bestimmter Schlüsselwörter Werbung von Drittunternehmen erscheint, haftet der Diensteanbieter weder als Täter noch als Teilnehmer von Kennzeichenverletzungen, wenn die Auswahl des Schlüsselworts ohne seine Mitwirkung oder Kenntnis erfolgt und dem Diensteanbieter die Kennzeichenverletzungen seines Kunden auch nicht bekannt sind.

c) Ist mit dem entsprechenden Programm des Diensteanbieters keine besondere Gefahr für die Verletzung von Kennzeichenrechten Dritter verbunden, trifft dessen Anbieter auch im Rahmen einer Störerhaftung keine allgemeine Pflicht, die in sein System von Kunden eingestellten Domainnamen auf Kennzeichenverletzungen zu prüfen.

d) Die Kunden des Diensteanbieters, die unter ihren Domainnamen Internetseiten mit Werbeverweisen in ein solches Programm des Diensteanbieters einstellen, sind nicht seine Beauftragten im Sinne von § 14 Abs. 7, § 15 Abs. 6 MarkenG.

BGH, X ZR 72/10 – Initialidee: Fiktion der Erfindungsmeldung durch Anmeldung der Erfindung zum Patent

BGH, Urteil vom 12. April 2011 – X ZR 72/10 – Initialidee

Amtliche Leitsätze:

a) Die Frist zur Inanspruchnahme einer Diensterfindung wird, wenn es an
einer schriftlichen Erfindungsmeldung des Diensterfinders fehlt, grundsätzlich nur in Gang gesetzt, wenn der Arbeitgeber, insbesondere durch
eine Patentanmeldung und die Benennung des Arbeitnehmers als Erfinder, dokumentiert, dass es keiner Erfindungsmeldung mehr bedarf,
weil er über die Erkenntnisse bereits verfügt, die ihm der Diensterfinder
durch die Erfindungsmeldung verschaffen soll.

b) Eine derartige Dokumentation der Kenntnis des Arbeitgebers von der
Diensterfindung und den an ihr Beteiligten ergibt sich weder daraus,
dass der Arbeitgeber durch die mündliche Mitteilung einer „Initialidee“
durch den Arbeitnehmer und schriftliche Berichte über anschließend
durchgeführte Versuche Kenntnis von der technischen Lehre der Erfindung erhält, noch aus dem Umstand, dass der Arbeitgeber von einem
Patent erfährt, das der Arbeitnehmer auf die Diensterfindung angemeldet hat (Fortführung von BGH, Urteil vom 4. April 2006  – X ZR 155/03,
BGHZ 167, 118 – Haftetikett).

c) Hat der Arbeitnehmer die Diensterfindung unberechtigt zum Patent angemeldet, bedarf es nach Inanspruchnahme der Diensterfindung durch
den Arbeitgeber gemäß §§ 6, 7 ArbNErfG einer Übertragung und nicht
nur einer Umschreibung der Anmeldung oder eines hierauf erteilten Patents auf den Arbeitgeber.

OLG Karlsruhe , 6 U 29/11: Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung

OLG Karlsruhe Beschluß vom 18.4.2011, 6 U 29/11

Amtlicher Leitsatz:

Im Rahmen der Interessenabwägung, die bei der Entscheidung über einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem Urteil wegen Patentverletzung vorzunehmen ist, kommt es u.a. auf die dem Beklagten aus der Vollstreckung drohenden Schäden an. Die Gefahr hoher, nicht kompensierbarer Schäden kann zu verneinen sein, wenn der Beklagte vorträgt, er habe die angegriffenen Geräte so abgeändert, dass sie jedenfalls danach von der technischen Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch mehr machten.

BGH, X ZR 121/0 – Webseitenanzeige: Patentierungsausschluss für Softwarepatente

BGH, Urteil vom 24. Februar 2011 – X ZR 121/0 – Webseitenanzeige

Amtliche Leitsätze:

a) Bei Erfindungen mit Bezug zu Geräten und Verfahren (Programmen) der
elektronischen Datenverarbeitung
ist zunächst zu klären, ob der Gegenstand der  Erfindung zumindest mit einem Teilaspekt auf technischem Gebiet liegt (§ 1 Abs. 1 PatG). Danach ist zu prüfen, ob dieser Gegenstand lediglich ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen als solches darstellt und deshalb vom Patentschutz ausgeschlossen ist. Der Ausschlusstatbestand  greift nicht ein, wenn diese weitere
Prüfung ergibt, dass die Lehre Anweisungen enthält, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen.

b) Ein Verfahren, das der datenverarbeitungsmäßigen Abarbeitung von Verfahrensschritten in netzwerkmäßig verbundenen technischen Geräten (Server, Clients) dient, weist die für den Patentschutz vorauszusetzende Technizität auch dann auf, wenn diese Geräte nicht ausdrücklich im Patentanspruch genannt sind

BGH zu äquivalenter Patentverletzung: Hüte Dich vor zu viel Offenbarung!

Der Bundesgerichtshof hatte in der Entscheidung im Verfahren X ZR 16/09 – Okklusionsvorrichtung wieder einmal Gelegenheit, sich näher mit Fragen der äquivalenten Patentverletzung auseinanderzusetzen. Das hat er in einer Weise getan, die für den Praktiker neue Fragen aufwirft: Kann der Anmelder für eine umfassende Offenbarung verschiedener alternativer Lösungen im Verletzungsprozess dadurch bestraft werden, dass der Schutzbereich unter der Äquivalenzlehre kleiner ist, als wenn er nur eine einzige Ausführungsform offenbart hätte?

Interessant ist die Entscheidung schon deswegen, weil eine äquivalente Verletzung mit der Begründung verneint wurde, dass es an der Gleichwertigkeit (und nicht etwa an den anderen in den Custodiol- und Schneidmesser-Entscheidungen aufgestellten Kriterien der objektiven Gleichwirkung und Auffindbarkeit) fehlte.

Einige der zentralen Aussagen aus der Entscheidung sind:

Im zweiten Leitsatz:
„Offenbart die Beschreibung mehrere Möglichkeiten, wie eine bestimmte technische Wirkung erzielt werden kann, ist jedoch nur eine dieser Möglichkeiten in den Patentanspruch aufgenommen worden, begründet die Benutzung einer der übrigen Möglichkeiten regelmäßig keine Verletzung des Patents mit äquivalenten Mitteln.“

In Rz. 35:
„Trifft der Patentanspruch eine Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen Möglichkeiten, eine technische Wirkung zu erzielen, müssen die fachmännischen Überlegungen zu möglichen Abwandlungen gerade auch mit dieser Auswahlentscheidung in Einklang stehen.“

In Rz. 36:
„[Somit führt] die Prüfung der Orientierung am Patentanspruch zum Ausschluss einer Ausführungsform aus dem Schutzbereich des Patents, die zwar offenbart oder für den Fachmann jedenfalls auffindbar sein mag, von der der Leser der Patentschrift aber annehmen muss, dass sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht unter Schutz gestellt werden sollte“.

Bevor einige kritische Überlegungen und Fragen folgen, sei vorangestellt, dass der Verfasser die Entscheidung des Senats im Ergebnis absolut nachvollziehbar findet. Ob es dazu der oben erwähnten Aussagen bedurft hätte, ist jedoch fraglich.

Auch vorangestellt sei, dass – wie jedem Patentanwalt aus seiner Praxis geläufig ist – der Fall, in dem die Ansprüche nicht mehr alle ursprünglich offenbarten Ausführungsbeispiele abdecken und dies in der Beschreibung kenntlich zu machen ist, sei es durch Streichung von Ausführungsbeispielen oder durch entsprechende Klarstellung im Beschreibungstext, eher die Regel als die Ausnahme ist.

Dies gibt Anlass zu folgenden kritischen Überlegungen:

1. Warum soll ein Anmelder keinen Schutz nach der Äquivalenzlehre mehr für eine Ausgestaltung erhalten, die er in seiner Anmeldung als technische Lösung offenbart hat, die aber nicht mehr unter den Wortlaut des erteilten Anspruchs fällt – wohingegen ein anderer Anmelder, der taggleich dieselbe Erfindung zum Patent angemeldet, dabei das nicht mehr vom erteilten Anspruch abgedeckte Ausführungsbeispiel aber von Anfang an gar nicht offenbart hat, für eben dieses (von ihm nie offenbarte) Ausführungsbeispiel nach der Äquivalenzlehre noch Schutz erhalten kann?

2. Möglicherweise hatte der Senat bei den Ausführungen unter Rz. 35 und 36 Konstellationen im Kopf, bei denen ein Anmelder einzelne Ausführungsformen aus dem Anspruchsgegenstand entfernen musste, um Neuheit und erfinderische Tätigkeit herzustellen. Das ist aber nur ein Grund, aus dem ein erteilter Anspruch nicht mehr alles abdecken kann, was offenbart ist.

Gerade die formalen Hürden des EPÜ und die Erhöhung dieser Hürden durch die in den letzten Jahren erfolgten Änderungen der Ausführungsordnung können dazu führen, dass ein Erfinder nicht immer Schutz für alle Ausführungsformen erhalten kann, die neu und erfinderisch wären.

Beispiel: Ursprünglich beansprucht ist ein Gerät, bei dem eine „erste Komponente aus einem ersten Metall ist“. Ausführungsformen beschreiben, dass das erste Metall Gold oder Kupfer sein kann. Nachdem das Prüfungsverfahren vor dem EPA schon zwei Jahre läuft, führt die Prüfungsabteilung erstmals neuheitsschädlichen Stand der Technik an, in dem das erste Metall Silber ist und der zur Einschränkung des breiten Anspruchs führen muss. Die beiden Ausführungsformen sind jedoch jeweils neu und erfinderisch. Und doch kann es sein, dass der arme Anmelder nicht beide schützen kann: Die Prüfungsabteilung macht klar, dass sie uneinheitliche Anspruchssätze nach R. 137(3) EPÜ zurückweisen werde. Somit bleibt dem armen Anmelder noch nicht einmal die Möglichkeit, eine neue Frist zur Teilung nach R. 36 (1) b) EPÜ auszulösen. Ein ganz realistisches Szenario, gerade für viele, die die Praxis des EPA unter „raising the bar“ erleben.

Notgedrungen wird sich der Anmelder in diesem Beispiel für eine der ursprünglich offenbarten Ausführungsformen entscheiden und diese zum Gegenstand seines Anspruchs machen müssen. Warum sollte er – nach dem zweiten Leitsatz von X ZR 16/09 – keinen Schutz nach der Äquivalenzlehre mehr für die andere Ausführungsform erhalten können, falls diese für den Fachmann objektiv gleichwertig und – schon wegen der Offenbarung in der Anmeldung – auffindbar ist?

3. Für den Verfasser dieses Beitrags relativ unklar bleibt die oben zitierte Textpassage in Rz. 35 des Urteils. Wenn es um die Frage der äquivalenten Verletzung geht, muss der Anspruch eigentlich immer eine „Auswahlentscheidung“ getroffen haben. Hätte er es nicht, könnte nicht ein Anspruchsmerkmal mit einem anderen Merkmal gleicher technischer Funktion ersetzt worden sein. In welchen Fällen kann man dann aber noch davon ausgehen, dass die „fachmännischen Überlegungen zu möglichen Abwandlungen … gerade auch mit dieser Auswahlentscheidung in Einklang stehen“? Soll künftig differenziert werden zwischen Abwandlungen, die im Einklang mit einem Anspruchsmerkmal stehen, und solchen, die nicht im Einklang mit einem Anspruchsmerkmal stehen? Welche Kriterien könnten für eine solche Unterscheidung entwickelt werden?

Der Verfasser dieses Beitrags sieht der Aufnahme und Kommentierung des Urteils X ZR 16/09 in den Fachkreisen jedenfalls mit Spannung entgegen.

BPatG, 21 W (pat) 308/08 – Optische Inspektion von Rohrleistungen

BPatG, Entsch. v. 13. April 2011  – 21 W (pat) 308/08 – Optische Inspektion von Rohrleistungen

Amtliche Leitsätze:

1. Dass ein Einsprechender nach Erlöschen des Patents kein eigenes Rechtsschutzbedürfnis geltend gemacht hat, führt regelmäßig zur Erledigung des Einspruchsverfahrens.

2. Der Annahme einer Erledigung steht nicht entgegen, dass das Patent nicht widerrufen und damit das Ziel des Einspruchsverfahren nicht erreicht oder der Erteilungsbeschluss nicht mit Wirkung ex tunc beseitigt worden wäre, ebenso wenig ein Fortbestand des Allgemeininteresses. Es ist auch nicht erforderlich, dass der Patentinhaber gegenüber der Allgemeinheit eine Freistellungserklärung abgibt.

(im Anschluss an BGH GRUR 1997, 615 ff – Vornapf; BPatGE 51, 128 ff – Radauswuchtmaschine, in Abgrenzung zu BPatG, Beschluss vom 20. Oktober 2010,

BGH, I ZR 108/09 – TÜV: Alternative Klagehäufung

BGH, Beschluss vom 24. März 2011 – I ZR 108/09 – TÜV

Amtliche Leitsätze:

a) Die alternative Klagehäufung, bei der der Kläger ein einheitliches Klagebegehren aus mehreren prozessualen Ansprüchen (Streitgegenständen) herleitet und dem Gericht die Auswahl  überlässt, auf welchen Klagegrund es die Verurteilung stützt, verstößt  gegen das Gebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, den Klagegrund bestimmt zu bezeichnen.

b) Hat der Kläger mehrere Klagegründe im Wege einer alternativen Klagehäufung verfolgt, kann er die gebotene Bestimmung der Reihenfolge, in der er die prozessualen Ansprüche geltend machen will, noch in der Berufungs- oder der Revisionsinstanz nachholen.

c) Nimmt der Kläger die Bestimmung erst  in der Revisionsinstanz vor, kann der auch im Prozessrecht geltende  Grundsatz von Treu und Glauben den Kläger in der Wahl der Reihenfolge in der Weise beschränken, dass er zunächst die vom Berufungsgericht behandelten Streitgegenstände zur Entscheidung des Revisionsgerichts stellen muss.