BGH, X ZR 72/08 – kosmetisches Sonnenschutzmittel III

BGH, Urteil vom 1. März 2011 – X ZR 72/08 – kosmetisches Sonnenschutzmittel III

Amtliche Leitsätze:

a) Als Ausgangspunkt für die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit ist nicht ausschließlich auf die der Beschreibung des Streitpatents zu entnehmende „Aufgabe“ abzustellen; es ist vielmehr auch zu erwägen, ob die Bewältigung eines zum Aufgabenkreis des Fachmanns gehörenden (anderen) Problems dessen Lösung nahegelegt hat (Fortführung von BGH, Urteil vom 12. Februar 2003 – X ZR 200/99, GRUR 2003, 693 – Hochdruckreiniger).

b) Der Patentanspruch, auf den das Europäische Patentamt im europäischen Beschränkungsverfahren (Art. 105a, Art. 105b EPÜ) das Patent beschränkt hat, kann im Nichtigkeitsverfahren mangels eines einschlägigen Nichtigkeitsgrunds ebenso wenig auf das Erfordernis der Klarheit (Art. 84 EPÜ) geprüft werden wie die Patentansprüche des erteilten Patents.

Keine Dringlichkeit für Beweissicherungsverfügung erforderlich

Das OLG Düsseldorf hat in einer Entscheidung zum Urheberrecht (I-20 W 32/10) nunmehr erkannt, dass der Antrag auf Erlass einer Besichtigungsverfügung nicht deswegen zurückgewiesen werden kann, weil der Antragsteller mit Stellung des Antrags zugewartet hat. Das OLG Düsseldorf weicht damit von der entgegenstehenden Ansicht des OLG Köln (6 W 3/09) ab.

Das OLG Düsseldorf begründet seine Auffassung damit, dass eine Prüfung, ob ein Verfügungsgrund vorliegt, aufgrund einer Abwägung im Einzelfall zu erfolgen habe. Wann ein Verfügungsgrund vorliegt, sei verfahrensbezogen zu prüfen. Das OLG Düsseldorf führt sehr überzeugend aus, warum die für die Unterlassungsverfügung geübte Praxis, dass mit längerem Zuwarten mit der Rechtsverfolgung der Antragsteller zum Ausdruck bringt, ihm selbst sei die Sache nicht dringlich, weswegen für ihn dann auch der Verfügungsgrund verneint wird, nicht für das Beweissicherungsverfahren gilt.

Der Gesichtspunkt der Dringlichkeit treffe vielmehr nur dann zu, wenn das besondere Interesse an der Verfahrensart des einstweiligen Verfügungsverfahrens gerade in dem schnellen Erlangen eines Titels liegt.

Hingegen sei das besondere Interesse, das den Erlass einer Verfügung rechtfertigt, im Fall einer Beweissicherungsmaßnahme (hier: § 101 Abs. 3 UrhG)– anders als bei der Unterlassungsverfügung -, den Antragsgegner nicht durch eine Beteiligung am Verfahren in die Lage zu versetzen, die zu sichernden Beweismittel zu vernichten. Es bedürfe des Verfügungsverfahrens zur Beweissicherung, weil nur dieses Verfahren die Anordnung von Maßnahmen ohne Beteiligung des Gegners ermöglicht. Anders als im Falle etwa der Unterlassungsverfügung könne der Antragsteller hier im Fall fehlender Eilbedürftigkeit nicht auf den Klageweg verwiesen werden. Denn würde der Besichtigungsschuldner vorgewarnt, bestünde die Gefahr, dass der Antragsteller seinen Anspruch gar nicht mehr durchsetzen kann. Die Verneinung des Vorliegens des Verfügungsgrundes wegen längeren Zuwartens würde damit zur endgültigen Verweigerung des Besichtigungsanspruchs führen.

Aus diesen Erwägungen folgert das OLG Düsseldorf, dass unabhängig von einer zeitlichen Komponente bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 101a Abs. 3 UrhG auch ein Verfügungsgrund gegeben ist, es sei denn, eine Beseitigung von Beweismitteln sei ausnahmsweise ausgeschlossen.

Wenngleich in dem Verfahren vor dem OLG Düsseldorf eine Urheberrechtssache im Streit stand, dürften diese Überlegungen des OLG Düsseldorf auch für Beweissicherungsverfahren im Gebiet des Patentrechts zutreffen und für künftige Beweissicherungsverfahren zur Vorbereitung von Patentverletzungsklagen wichtig werden.

BPatG, 3 Ni 2/09- Lysimeterstation: Vertretung der Patentgemeinschaft

BPatG, Urt. v. 21. Februar 2011 – 3 Ni 2/09 – Lysimeterstation

Amtlicher Leitsatz:

Die für Prozesshandlungen geltende Vertretungsfiktion des § 62 Abs. 1 ZPO – hier für die in der mündlichen Verhandlung nicht erschienene Patentmitinhaberin als gemeinsam Beklagte im Nichtigkeitsverfahren – umfasst auch eine beschränkte Verteidigung des Streitpatents durch die weiteren, erschienenen Patentmitinhaber als notwendige Streitgenossen mittels abweichender Anträge.

Aus der Urteilsbegründung:

Im Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht gilt die Mitinhaberin, für die in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist, nach § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 62 Abs 1 ZPO als von den patentanwaltlich vertretenen übrigen Mitinhaberinnen vertreten.

Im Hinblick auf die gesetzgeberische Absicht, eine einheitliche  – nicht nur gemeinsame  – Entscheidung zu ermöglichen umfasst die Vertretungsfiktion des § 62 Abs. 1 ZPO bei Termin- oder Fristversäumnis das gesamte mündliche Vorbringen und alle Prozesserklärungen der anwesenden Streitgenossen (Gesamtwirkung) – mag dieses Vorbringen und die Anträge dem Abwesenden günstig gewesen sein oder nicht, ohne dass es auf einen tatsächlichen Vertretungswillen ankommt. Dies gilt auch für die nach § 90 Abs. 3 PatG in der mündlichen Verhandlung zu stellenden Anträge, wenn diese eine beschränkte Verteidigung des Streitpatents beinhalten.

BPatG, 7 W (pat) 35/10 – VCR-Antrieb: Nachweis der Übermittlung per Fax

BPatG, Beschluss v. 8. Dezember 2010 – 7 W (pat) 35/10 – VCR-Antrieb

Amtlicher Leitsatz:

Zum Nachweis eines von der Feststellung des Anmeldezeitpunktes durch das Patentamt abweichenden früheren tatsächlichen Eingangs der Anmeldeunterlagen bei deren Übermittlung per Fax (Fortführung von BGH, WM 2004, 648).

Kommt das EU-Patent?

Nach dem negativen Gutachten des EuGH (siehe auch hier) womit ein einheitliches EU-Patentgericht erst einmal in weiter Ferne zu sein scheint, hat der Rat der Europäischen Union grünes Licht für die verstärkte Zusammenarbeit einiger Mitgliedstaaten, darunter auch DE, bei der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes gegeben (Beschluss siehe hier).

Es bleibt spannend, wie das zentrale Problem der Übersetzungen des EU-Patents in die einzelnen Sprachen der Mitgliedstaaten in der Praxis gelöst werden wird. Zunächst wird es wohl eine Übergangsregelung geben, nach der zu Informationszwecken dienende Übersetzungen verlangt werden können, bis diese durch Maschinenübersetzungen abgelöst werden können.

Im o.g. Beschluss heißt es dazu (Grund (7)):

Die Übersetzungsregelung sieht weiterhin die Möglichkeit vor, Patentanmeldungen in einer der Sprachen der Union beim EPA einzureichen, und gewährleistet eine Erstattung der Kosten für die Übersetzung der Anmeldungen, die in einer anderen Sprache als einer der Amtssprachen des EPA eingereicht wurden. Da das Patent einheitliche Wirkung hat, sollte es entsprechend den Bestimmungen des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente (Europäisches Patentübereinkommen) nur in einer der Amtssprachen des EPA erteilt werden. Weitere Übersetzungen würden nicht verlangt, unbeschadet verhältnismäßiger, zeitlich befristeter Übergangsregelungen für zusätzliche Übersetzungen, die rechtlich nicht bindend sind und allein Informationszwecken dienen. Übergangsregelungen würden auf jeden Fall dann enden, sobald qualitativ hochwertige maschinelle Übersetzungen zur Verfügung stehen, die einer objektiven Qualitätsbewertung standhalten. Im Streitfall sollte für den Patentinhaber eine verbindliche Pflicht zur Übersetzung bestehen.

Anwaltshaftung – BGH „Mega-Kasten-Gewinnspiel“

In der BGH-Entscheidung „Mega-Kasten-Gewinnspiel“ (I ZR 212/08) beschäftigt sich der BGH eingehend mit der Frage, in wieweit die Haftung eines Rechtsanwalts bei Beratungsfehlern geht und in welchem Umfang sich der Mandant möglicherweise das Verschulden eines Zweitanwalts zurechnen lassen muss.

Dabei stellt der BGH fest, dass es keiner haftungsbegründender Kausalität zwischen dem Beratungsfehler und dem Schadenseintritt bedarf, sondern es ist nur erforderlich, dass der Pflichtverstoß nachteilige Folgen auslösen kann (BGH, Urteil vom 23. Oktober 2003 – IX ZR 249/02, NJW 2004, 444 f.).

Nach der Rechtsprechung des BGH hat der Rechtsanwalt seine Beratung darauf zu erstrecken, dem Auftraggeber die Zweifel und Bedenken, zu denen die Sach- und Rechtslage Anlass gibt, sowie mögliche Risiken und deren abschätzbares Ausmaß darzulegen und sie mit ihm zu erörtern; verharmlosenden Vorstellungen des Mandanten hat der Anwalt entgegenzuwirken (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 2006 – IX ZR 76/04, NJW 2006, 3494 Rn. 9; Urteil vom 7. Februar 2008 – IX ZR 149/04, NJW 2008, 2041 Rn. 13; Urteil vom 3. Juli 2008 – III ZR 189/07, NJW-RR 2008, 1506 Rn. 14).

BGH, I ZR 85/09: Nutzungsrechte für noch nicht bekannte Nutzungsarten

BGH, Urt. v. 28. Oktober 2010 – I ZR 85/09

Aus der Urteilsbegründung:

Eine wirksame Einräumung von Nutzungsrechten für noch nicht bekannte Nutzungsarten setzte eine eindeutige Erklärung des Berechtigten hinsichtlich der Einräumung solcher Nutzungsrechte oder eine angemessene Beteiligung des Berechtigten an den Erlösen aus deren Verwertung voraus; auch eine Einräumung von Nutzungsrechten für unbekannte Nutzungsarten an Filmwerken durch Filmurheber an Filmhersteller war nur unter dieser Voraussetzung gültig (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 – I ZR 18/09 Rn. 16 bis 27 – Der Frosch mit der Maske).

Bei einer Vereinbarung,  die keine angemessene Beteiligung des Urhebers an den Erlösen aus der Verwertung unbekannter Nutzungsarten vorsieht, ist eine eindeutige Erklärung des  Berechtigten hinsichtlich der Einräumung der Nutzungsrechte für unbekannte Nutzungsarten nur anzunehmen, wenn bei der Festlegung der Vergütung erkennbar erörtert und berücksichtigt wurde, dass mit ihr auch die Einräumung dieser Rechte abgegolten ist (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 – I ZR 18/09 Rn. 39 – Der Frosch mit der Maske).

BGH, I ZR 212/08 – Mega-Kasten-Gewinnspiel: Einwand mitwirkenden Verschuldens

BGH, Urteil vom 14. Oktober 2010 – I ZR 212/08– Mega-Kasten-Gewinnspiel

Amtlicher Leitsatz:

Verlangt ein Mandant, der aufgrund einer Abmahnung Kenntnis von der Unvollständigkeit der  Markenrecherche hat, die  sein Rechtsanwalt für ihn durchgeführt hat, von diesem Anwalt Schadensersatz, muss er sich unter Umständen ein Verschulden des von ihm zur Abwehr der Abmahnung eingeschalteten Zweitanwalts anrechnen lassen.

BGH, I ZR 191/08 – AnyDVD

BGH, Urteil vom 14. Oktober 2010 – I ZR 191/08 – AnyDVD

Amtlicher Leitsatz:

Sind in einem im Internet veröffentlichten, seinem übrigen Inhalt nach dem Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit  unterfallenden Beitrag elektronische Verweise (Links) auf fremde Internetseiten in der Weise eingebettet, dass sie einzelne Angaben des Beitrags belegen oder diese durch zusätzliche Informationen ergänzen sollen, so werden auch diese Verweise von der Presse- und Meinungsfreiheit umfasst.

Aus der Urteilsbegründung:

Der beanstandete Link in den Beiträgen des Beklagten auf die Internetseite von SlySoft gehört in diesem Sinne zum nach Art. 11 EU-Grundrechtecharta, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG geschützten Bereich der freien Berichterstattung. Er beschränkt sich nicht, wie das Berufungsgericht angenommen hat, auf eine bloß technische Erleichterung für den Aufruf der betreffenden Internetseite. Wie auch das Berufungsgericht im Ansatz nicht verkannt hat, erschließt ein Link vergleichbar einer Fußnote zusätzliche Informationsquellen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2003 – I ZR 259/00, BGHZ 156, 1, 15 – Paperboy).

Indem das Berufungsgericht diesen informationsverschaffenden Charakter des Links auf der einen Seite und seine in der Erleichterung des Aufrufs der verlinkten Internetseite bestehende technische Funktion auf der anderen Seite als zwei gesondert zu würdigende Aspekte betrachtet, berücksichtigt es nicht hinreichend, welche Bedeutung den vom Beklagten gesetzten Links auf fremde Internetseiten nach dem Gesamteindruck der  beanstandeten Beiträge vom 19. und 28. Januar sowie vom 9. Februar 2005 für das Recht auf freie Berichterstattung zukommt. 

BGH, I ZR 127/09 – Kunstausstellung im Online-Archiv

BGH, Urteil vom 5. Oktober 2010 – I ZR 127/09 – Kunstausstellung im Online-Archiv

Amtlicher Leitsatz:

Wird im Rahmen der Online-Berichterstattung über eine Veranstaltung berichtet, bei der urheberrechtlich geschützte Werke wahrnehmbar werden (hier: Bericht über eine Ausstellungseröffnung), dürfen Abbildungen dieser Werke nur so lange als Teil dieser Berichterstattung im Internet öffentlich zugänglich gemacht werden, wie die Veranstaltung noch als Tagesereignis angesehen werden kann.

Aus der Urteilsbegründung:

Bei der Beurteilung der Aktualität des Ereignisses ist danach zu unterscheiden, ob die beanstandete Verwertungshandlung punktuell oder permanent in Rechte des Urhebers eingreift. Ein Eingriff in das Urheberrecht bedarf stets so lange einer Rechtfertigung, wie er andauert. Besteht der Eingriff in einer punktuellen Handlung, wie etwa bei einer Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes, so muss er zum Zeitpunkt dieser Handlung gerechtfertigt sein. Handelt es sich bei dem Eingriff dagegen um eine Dauerhandlung, wie bei einer öffentlichen Zugänglichmachung des Werkes (Schricker/v. Ungern-Sternberg, Urheberrecht, 4. Aufl., § 19a UrhG Rn. 44), muss er während des gesamten Zeitraums dieser Handlung gerechtfertigt sein. Zur Berichterstattung über ein Ereignis durch Einstellen eines Beitrags ins Internet ist das öffentliche Zugänglichmachen von Werken, die im Verlauf dieses Ereignisses wahrnehmbar werden, daher nur so lange nach § 50 UrhG in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig, wie das Ereignis, über das berichtet wird, noch als ein Tagesereignis anzusehen ist.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Aktualität einer Kunstausstellung es rechtfertigt, zur Berichterstattung über die Kunstausstellung ausgestellte Kunstwerke abzubilden, ist daher danach zu unterscheiden, ob die Kunstwerke dabei vervielfältigt und verbreitet oder ob sie öffentlich zugänglich gemacht werden. Bei einer Vervielfältigung und Verbreitung der Kunstwerke durch deren Abbildung in einer Tageszeitung und den Vertrieb dieser Tageszeitung muss die Aktualität der Kunstausstellung allein zum Zeitpunkt der Vervielfältigung und Verbreitung gegeben sein. Werden die Kunstwerke dagegen dadurch öffentlich zugänglich gemacht, dass die mit Abbildungen der Kunstwerke illustrierten Zeitungsartikel in ein Online-Archiv im Internet eingestellt werden, muss die Aktualität der Kunstausstellung nicht nur zum Zeitpunkt des Einstellens ins Online-Archiv gegeben sein, sondern während der gesamten Dauer des Bereithaltens im Internet fortbestehen.