BGH, X ZR 67/09 – Sachverständigenablehnung V

BGH, Beschluss vom 3. April 2012 – X ZR 67/09 – Sachverständigenablehnung V

Amtlicher Leitsatz:

Ist einer Partei im Patentnichtigkeitsverfahren vor der Bestellung des gerichtlichen Sachverständigen Gelegenheit gegeben worden, zur fachlichen und persönlichen Eignung einer von der Gegenpartei vorgeschlagenen Person Stellung zu nehmen, und verfügt sie über keinerlei Informationen zur Person des Sachverständigen, handelt sie schuldhaft, wenn sie, ohne zumindest einfache und ohne weiteres mögliche Erkundigungen eingeholt zu haben, die Erklärung abgibt, gegen die als Sachverständigen vorgeschlagene Person bestünden keine Einwände.

Aus der Beschlussbegründung:

Die Findung eines geeigneten Sachverständigen ist in Patentnichtigkeitsverfahren nicht nur deswegen regelmäßig schwierig, weil die wünschenswerte Qualifikation des Sachverständigen eng mit der gegebenenfalls nicht einfach zu beantwortenden und zwischen den Parteien streitigen Frage zusammenhängt, über welche Ausbildung und Erfahrung der Fachmann verfügt, der im Prioritätszeitpunkt mit der Lösung des dem Streitpatent zugrunde liegenden technischen Problems beauftragt worden wäre. Es kommt vielmehr hinzu, dass in vielen Fällen notwendigerweise mehr oder weniger enge fachliche und berufliche Beziehungen zwischen den als Sachverständige in Betracht kommenden Wissenschaftlern, die auf dem betreffenden Gebiet forschen und lehren, und denjenigen am Patentnichtigkeitsverfahren beteiligten Unternehmen bestehen, die auf diesem Gebiet tätig sind und sich ihrerseits mit Forschung und Entwicklung befassen. Für die Parteien erkennbares Ziel ihrer Einbindung in die Sachverständigensuche ist es daher, ihre Fach- und Sachkunde nicht nur hinsichtlich der Qualifikationsanforderungen, sondern auch hinsichtlich etwaiger Bedenken zu nutzen, die gegen die Bestellung eines Sachverständigen wegen eines zu starken Näheverhältnisses des Vorgeschlagenen zu einer Prozesspartei oder einem am Verfahrensausgang interessierten Wettbewerber bestehen könnten. Dies ermöglicht es dem Gericht, Bedenken schon im Vorfeld der Beauftragung Rechnung zu tragen und nicht erst nach der Erstellung des schriftlichen Gutachtens mit der Folge eines beträchtlichen Zeitverlusts bei einer erfolgreichen Ablehnung.

EuGH: Kein positives Benutzungsrecht aus eingetragenem Gemeinschaftsgeschmacksmuster

Der EuGH hat in der Rechtssache C-488/10 entschieden, dass dem Inhaber des jüngeren eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters kein positives Benutzungsrecht gegenüber dem Inhaber des älteren eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters zusteht. Der Inhaber des älteren Geschmacksmusters kann seine Rechte im Verletzungsverfahren durchsetzen, ohne auch eine Löschung des jüngeren eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters betreiben zu müssen.

Erfinderische Tätigkeit – BGH Elektronenstrahltherapiesystem

Das Urteil in der Rechtssache BGH X ZR 88/09 – Elektronenstrahltherapiesystem ruft neben der zum Leitsatz erhobenen Aussage zum Nichtnaheliegen eine Vielzahl wichtiger Grundsätze für die Anspruchsauslegung und Prüfung der erfinderischen Tätigkeit ins Gedächtnis:

– Die Formulierung einer objektiven Aufgabe, die schon Hinweise auf die beanspruchte Lösung beinhaltet (wie sie im vorliegenden Fall vom BPatG formuliert wurde), ist unzulässig (Rz. 12).

– Zweckangaben sind auch in Vorrichtungsansprüchen nicht schlichtweg unbeachtlich (Rz. 17). Das ist zwar vom BGH bereits mehrfach in aller Deutlichkeit ausgeführt worden (z.B. in „Heuwerbungsmaschine II“, „Luftabscheider für Milchsammelanlage“ oder – im Bestandsverfahren – in der Entscheidung „Bauschalungsstütze“), wird aber jedenfalls von vielen Prüfern am DPMA unter Verweis auf eine etwas missverständliche Formulierung in der Kommentierung von Schulte immer noch anders gesehen.

– Allein die Tatsache, dass eine mobile Ausgestaltung eines Geräts für den Fachmann wünschenswert erscheint, führt noch nicht zum Naheliegen einer solchen Ausgestaltung (Leitsatz; Rz. 45-46). Auch das (breite) Merkmal der „Mobilität“ eines Behandlungsgeräts kann den Kern einer erfinderischen Lehre ausmachen, wenn erstmals offenbart wird, durch welche Merkmale die Mobilität erreicht werden kann. Die Aufnahme der entsprechenden konstruktiven Merkmale der offenbarten Ausführungsform in den Anspruch ist dann nicht unbedingt erforderlich.

Es bleibt zu hoffen, dass dieses Urteil auf eine aufgeschlossene Leserschaft trifft und auch in der amtlichen Praxis Niederschlag findet.

BGH, I ZR 96/10 – INJECTIO: Werbung für homöopathisches Arzneimittel

BGH, Urteil vom 28. September 2011 – I ZR 96/10 – INJECTIO

Amtliche Leitsätze;

a) Eine Werbung für ein registriertes homöopathisches Arzneimittel, in der die Wirkstoffe des Arzneimittels und deren jeweilige Anwendungsgebiete genannt sind, fällt auch dann unter das Verbot der Werbung mit Anwendungsgebieten nach § 5 HWG, wenn in der Werbung die Pflichtangabe gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 9, § 11 Abs. 3 Satz 1 AMG („Anwendungsgebiete: Registriertes homöopathisches Arzneimittel, daher ohne Angabe einer therapeutischen Indikation.“) aufgeführt ist.

b) § 5 HWG ist nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass ein Werbeverbot nur in Betracht kommt, wenn die konkrete Werbeaussage zu einer unmittelbaren oder

BGH, I ZR 75/10 – OSCAR: Zum Territorialitätsprinzip

BGH, Urteil vom 8. März 2012 – I ZR 75/10 – OSCAR

Amtliche Leitsätze:

a) Im Verhältnis zum Verwechslungsschutz stellt die Geltendmachung einer identischen Verletzung der Marke im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG denselben Streitgegenstand dar. Werden aus einem Schutzrecht sowohl Ansprüche wegen Verwechslungsschutz nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 als auch wegen Bekanntheitsschutz nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG geltend gemacht, handelt es sich ebenfalls um einen einheitlichen Streitgegenstand (Fortführung von BGH, Beschluss vom 24. März 2011 I ZR 108/09, BGHZ 189, 56 Rn. 3 TÜV I; Urteil vom 17. August 2011 I ZR 108/09, GRUR 2011, 1043 Rn. 27 TÜV II).

b) Ob eine zeichenrechtlich relevante Verletzungshandlung im Inland vorliegt, hängt davon ab, ob das Angebot einen hinreichenden wirtschaftlich relevanten Inlandsbezug („commercial effect“) aufweist. Dabei ist eine Gesamtabwägung vorzunehmen, bei der auf der einen Seite zu berücksichtigen ist, wie groß die Auswirkungen der Kennzeichenbenutzung auf die inländischen wirtschaftlichen Interessen des Zeicheninhabers sind. Auf der anderen Seite ist maßgebend, ob und inwieweit die Rechtsverletzung sich als unvermeidbare Begleiterscheinung technischer oder organisatorischer Sachverhalte darstellt, auf die der Inanspruchgenommene keinen Einfluss hat oder ob dieser etwa – zum Beispiel durch die Schaffung von Bestellmöglichkeiten aus dem Inland oder die Lieferung auch ins Inland – zielgerichtet von der inländischen Erreichbarkeit profitiert (Fortführung von BGH, Urteil vom 13. Oktober 2004 I ZR 163/02, GRUR 2005, 431, 433 – HOTEL MARITIME).

OLG Karlsruhe, 6 U 12/11: Bella FONTANIS Mango-Orangenblüte

OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.3.2012 – 6 U 12/11

Aus der Urteilsbegründung:

Entgegen der Annahme des Landgerichts erwecken die Darstellung der Orangenblüte und die Bezeichnung „Mango – Orangenblüte“ auf dem Etikett des Erfrischungsgetränkes für die angesprochenen Verkehrskreise den Eindruck, Orangenblüten oder Bestandteile davon seien als Inhaltsstoffe in dem Getränk enthalten. Dies ist aber tatsächlich nicht der Fall. Die Werbung der Beklagten mit dieser Darstellung verstößt daher gegen das Irreführungsverbot des § 11 Abs. 1 S. 1 LFGB. Sie stellt zugleich eine unlautere geschäftliche Handlung im Sinne der §§ 3, 4 Nr. 11 UWG dar, die nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG zu unterlassen ist. Ob daneben auch der allgemeine Irreführungstatbestand des § 5 UWG anwendbar ist oder der lebensmittelrechtliche Irreführungstatbestand als Spezialregelung Vorrang genießt, kann dahingestellt bleiben.

Die nach § 15 LFGB aufgestellten Leitsätze für Erfrischungsgetränke des deutschen Lebensmittelbuches (BAnz. Nr. 62 v. 29.03.2003, GMBl. Nr. 18 S. 383 vom 15.04.2003) stellen zwar keine verbindliche Rechtsnormen und auch nicht in jedem Fall ein zuverlässiges Abbild des aktuellen Verbraucherverständnisses dar, wohl aber eine sachverständige Beschreibung der für die Verkehrsfähigkeit bedeutsamen Herstellung, Beschaffenheit und der sonstigen Merkmale von Lebensmitteln, die unter Umständen entsprechende bestehende oder künftig herauszubildende Erwartungen der Verbraucher nahelegen können (OLG Köln Magazindienst 2012, 214 – Sparkling Tea).

BGH, X ZR 50/09: Zur erfinderischen Tätigkeit

BGH, Urteil v. 6. März 2012 – X ZR 50/09

Aus der Urteilsbegründung:

Der Patentfähigkeit ermangelt nicht nur das nächstliegende Vorgehen, sondern jede für den Fachmann naheliegende Lösung eines technischen Problems (BGH, Urteil vom 7. Dezember 1999 X ZR 40/95, GRUR 2000, 591, 596 Inkrustierungsinhibitoren; vom 10. Dezember 2002 X ZR 68/99, GRUR 2003, 317, 320 kosmetisches Sonnenschutzmittel I).

Es gibt auch keinen Rechtssatz, dass nur die Lösungsalternative, die der Fachmann voraussichtlich zunächst ausprobieren würde, naheliegend sei (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 X ZR 25/95, bei Bausch, Nichtigkeitsrechtsprechung in Patentsachen, BGH 1994 bis 1998, 445 Zerstäubervorrichtung; vom 26. Juli 2001 X ZR 93/95, Mitt. 2002, 16 – Filtereinheit).

Kommen für den Fachmann Alternativen in Betracht, können somit mehrere von ihnen naheliegend sein (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 2003 X ZR 113/00 [Flachantenne], juris Rn. 47).

BGH, I ZR 55/10 – METRO/ROLLER’s Metro: zur Branchennähe, Kennzeichnungskraft und Prägetheorie

BGH, Urteil vom 22. März 2012 – I ZR 55/10 – METRO/ROLLER’s Metro

Amtlicher Leitsatz:

Zwischen Fachhandel und Cash&Carry-Märkten als Formen des Vertriebs an Gewerbetreibende besteht eine beträchtliche Branchennähe.

Aus der Urteilsbegründung:

Für die Beurteilung der Branchennähe kommt es in erster Linie auf die Produktbereiche und Arbeitsgebiete an, die nach der Verkehrsauffassung typisch für die Parteien sind. Anhaltspunkte für eine Branchennähe können Berührungspunkte der Waren oder Dienstleistungen der Unternehmen auf den Märkten sowie Gemeinsamkeiten der Vertriebswege und der Verwendbarkeit der Produkte und Dienstleistungen sein. In die Beurteilung einzubeziehen sind naheliegende und nicht nur theoretische Ausweitungen der Tätigkeitsbereiche der Parteien. Im Einzelfall können auch Überschneidungen in Randbereichen der Unternehmenstätigkeiten zu berücksichtigen sein (BGH, Urteil vom 20. Ja-nuar 2011 I ZR 10/09, GRUR 2011, 831 Rn. 23 = WRP 2011, 1174 BCC, mwN).

Die Kennzeichnungskraft einer Firmenbezeichnung wird durch den Grad der Eignung des Zeichens bestimmt, sich auf Grund seiner Eigenart und seines durch Benutzung erlangten Bekanntheitsgrades dem Verkehr als Name des Unternehmensträgers einzuprägen (BGH, Urteil vom 21. Februar 2002 I ZR 230/99, GRUR 2002, 898, 890 = WRP 2002, 1066 defacto).

Für die Bestimmung des Grades der Kennzeichnungskraft kommt es bei einem Unternehmenskennzeichen deshalb anders als bei der Marke darauf an, ob der Verkehr das fragliche Kennzeichen nicht nur einem bestimmten, sondern gerade dem Unternehmen zuordnet, das für diese Bezeichnung Schutz beansprucht (BGH, Urteil vom 27. November 2003 I ZR 79/01, GRUR 2004, 514, 516 = WRP 2004, 758 Telekom).

Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit sind die sich gegenüberstehenden Kennzeichen jeweils als Ganzes zu betrachten und in ihrem Gesamteindruck miteinander zu vergleichen (BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 I ZR 34/07, GRUR-RR 2010, 205 Rn. 37 Haus & Grund IV, mwN). Das schließt es nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile eines komplexen Zeichens für den durch das Kennzeichen im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2005 C120/04, Slg. 2005, I-8551 = GRUR 2005, 1042 Rn. 28 f. = WRP 2005, 1505 THOMSON LIFE; BGH, Beschluss vom 11. Mai. 2006 I ZB 28/04, BGHZ 167, 322 Rn. 18 Malteserkreuz I).

Schutzbereichserweiterung – BGH X ZR 23/09

Im der Rechtssache X ZR 23/09 – Notablaufvorrichtung hat sich der BGH mit der Frage beschäftigt, inwieweit nach Patenterteilung ein Übergang von einem Erzeugnisanspruch zu einem Verwendungsanspruch zulässig ist.

Der erkennende Senat hält einen solchen Übergang für – wohl grundsätzlich – zulässig. So heißt es unter Rz. 14 des Urteils: „Dabei hält der Senat an seiner gefestigten Rechtsprechung fest, nach der ein Übergang von einem Erzeugnisanspruch zu einer VerwendungDies entspricht auch dem praktischen Bedürfnis, dem Patentinhaber, der im Erteilungsverfahren zu weit gehenden Sachschutz erhalten hat, dessen erfinderische Leistung aber darin begründet ist, eine neue und nicht naheliegende Verwendung der an sich bekannten Sache aufgezeigt zu haben, den ihm gebührenden Schutz zukommen zu lassen. Sofern und soweit dabei, etwa bei der Einbeziehung des sinnfälligen Herrichtens, einer Erstreckung auf Verfahrenserzeugnisse oder bei der mittelbaren Patentverletzung, die Gefahr einer Ausweitung des Schutzumfangs in Betracht kommen sollte, kann und muss dem bei der Bestimmung des Schutzumfangs insbesondere im Verletzungsstreit Rechnung getragen werden.“

Anmerkungen hierzu:

1. Der Senat erkannt an, dass Situationen vorstellbar sind, in denen eine Handlung eine Verletzungshandlung, beispielsweise im Hinblick auf mittelbare Verletzung, in den Schutzbereich des Verwendungsanspruchs darstellen würde, obwohl sie nicht dem Schutzbereich des Erzeugnisanspruchs unterfallen wäre. Dies sei im Verletzungsverfahren durch eine entsprechende Beschränkung des Schutzbereichs des Verwendungsanspruchs zu berücksichtigen

Der Ansatz, derartige Fragestellungen einer etwaigen Erweiterung des Schutzbereichs dem Verletzungsverfahren zu überlassen, erscheint zwar auf den ersten Blick etwas systemfremd, da Fragen, die das BPatG traditionell schon im Bestandsverfahren entscheidet, im Verletzungsverfahren geklärt werden sollen. Diese Vorgehensweise ist jedoch sachgerecht. Dem Patentinhaber wird die Umstellung von Erzeugnisanspruch auf Verwendungsanspruch, der für eine Aufrechterhaltung erforderlich sein kann, nicht schon deswegen verwehrt, weil beispielsweise Handlungen, die auf das sinnfällige Herrichten zur beanspruchten Verwendung gerichtet sind, dem Erzeugnisanspruch nicht unterfallen wären. Eine Überprüfung, ob beim Übergang von Erzeugnis- auf Verwendungsanspruch eine Erweiterung des Schutzbereichs vorliegt, erfolgt im Verletzungsverfahren anhand der konkret angegriffenen Handlung bzw. Ausführungsform, nicht aufgrund rein abstrakter Überlegungen im Nichtigkeits- oder Einspruchsverfahren.

2. Fraglich ist, ob derartige Überlegungen nicht auch dann greifen sollten, wenn der Patentinhaber nach Patenterteilung den Anspruch von einem erteilten Vorrichtungsanspruch auf einen Systemanspruch ändert, wobei das System die (im erteilten Anspruch beanspruchte) Vorrichtung umfasst. Jedenfalls die vom erkennenden Senat angestellte Überlegung, dass derjenige, der im Erteilungsverfahren zu weit gehenden Vorrichtungsschutz erhalten hat, diesen nach Erteilung noch auf eine nicht naheliegende Verwendung – gekleidet in die Form eines Systemanspruchs und nicht eines Verwendungsanspruchs – einschränken können soll, sollte auch für Systemansprüche gelten.

Zur Illustration, dass es sich hierbei nicht um ein rein abstrakets Problem handelt, sei auf die BPatG-Entscheidung in der Sache 3 Ni 77/06 – Paneelelement verwiesen. Der Nichtigkeitssenat des BPatG hatte dort in einem (nach Erteilung aufgestellten) Systemanspruch, der die (im erteilten Anspruch allein beanspruchte) Vorrichtung umfasst, eine unzulässige Änderung des Schutzbereichs gesehen, da das System ein aliud zur Vorrichtung sei. Der Nichtigkeitssenat hat in dieser Entscheidung in 3.d) der Entscheidungsgründe beispielsweise die folgende Auffassung vertreten: „Gegenüber einem einzelnen Paneelelement [Gegenstand des erteilten Anspruchs 1, Anm.] als gedankliche Verkörperung der hieraus ausschließlich gebildeten Wand- und Deckenverkleidung [Gegenstand des nach Erteilung geänderten Anspruchs, Anm.] und der hierdurch repräsentierten technischen Lehre stellt ein mit weiteren, für die Erfindung wesentlichen Elementen komplettiertes Wand- und Deckenverkleidungssystem jedoch keine beschränkende Ausgestaltung des geschützten Gegenstandes, sondern etwas Anderes, außerhalb des „Paneelelements“ Stehendes dar.“

Auch für die „Verwendung eines Paneelelements für eine Wand- oder Deckenverkleidung“ würde gelten, dass diese etwas anderes als das Paneelement als solches ist. Die hier diskutierte Entscheidung des BGH zeigt aber gerade auf, dass dies an sich nicht ausreicht, um eine Erweiterung des Schutzbereichs zu bejahen. Der in der BGH-Entscheidung in der Rechtssache X ZR 23/09 aufgezeigte Ansatz wäre auch für den Übergang von Vorrichtungs- zu Systemansprüchen nach Erteilung ein gangbarer (und im Vergleich zur Paneelelement-Entscheidung des BPatG wohl angemessenerer) Weg, der Interessen des Patentinhabers und Rechtssicherheit für die Allgemeinheit in ein ausgewogenes Verhältnis stellt.

BGH, X ZR 111/09 – Rohrreinigungsdüse II: Zum Klageantrag und Streitgegenstand im Patentverletzungsverfahren

BGH, Urteil vom 21. Februar 2012 – X ZR 111/09 – Rohrreinigungsdüse II

Amtlicher Leitsatz:

Der Kläger ist durch das Prozessrecht nicht gehindert, Ansprüche wegen Patentverletzung nicht nur wegen einer bestimmten angegriffenen Ausführungsform geltend zu machen, sondern auf das Klagepatent umfassende (prozessuale) Ansprüche zu stützen, die auf weitere Ausführungsformen, die sich unter den Patentanspruch subsumieren lassen, bezogene Handlungen des Beklagten erfassen sollen. Dass ein solches umfassendes Klagebegehren zur gerichtlichen Entscheidung gestellt werden soll, kann regelmäßig nicht schon daraus abgeleitet werden, dass es der Kläger unterlässt, einen wie geboten (BGH, Urteil vom 30. März 2005 X ZR 126/01, BGHZ 162, 365 Blasfolienherstellung) auf die von ihm vorgetragene angegriffene Ausführungsform zugeschnittenen Klageantrag zu formulieren.

Aus der Urteilsbegründung:

Urteile sind der Rechtskraft insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden worden ist (§ 322 Abs. 1 ZPO), wobei die Bestimmung des erhobenen Anspruchs nach dem der höchstrichterlichen Rechtsprechung zugrunde liegenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff unter Würdigung der gestellten Anträge und des zu ihrer Begründung vorgetragenen Lebenssachverhalts zu erfolgen hat (BGH, Urteil vom 19. Dezember 1991 IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1, 5 = NJW 1992, 1172; Beschluss vom 10. Dezember 2002 X ARZ 208/02, BGHZ 153, 173, 175; Urteil vom 3. April 2003 I ZR 1/01, BGHZ 154, 342 = GRUR 2003, 716 f. Reinigungsarbeiten) und zur Auslegung der Urteilsformel, d.h. zur Klärung, wieweit über den erhobenen Anspruch entschieden worden ist, Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils heranzuziehen sind.

Das gilt im Grundsatz auch für ein die Klage abweisendes Versäumnisurteil, das keinen Tatbestand und keine Entscheidungsgründe enthält (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2002 XI ZR 90/02, BGHZ 153, 239 = NJW 2003, 104 f.). Anstelle des Tatbestands und der Entscheidungsgründe ist in diesem Fall zur Bestimmung der Reichweite der Rechtskraft auf das Parteivorbringen zurückzugreifen (BGH, Urteil vom 14. Februar 2008 I ZR 135/05, GRUR 2008, 933 Rn. 13 Schmiermittel; Urteil vom 16. April 2002 KZR 5/01, GRUR 2002, 915 f. Wettbewerbsverbot in Realteilungsvertrag).

Über welchen Lebenssachverhalt das Gericht nach dem Klagebegehren zu entscheiden hat, kann nicht ohne Berücksichtigung der rechtlichen Grundlage entschieden werden, auf die der Kläger seine Klageanträge stützt. Denn diese rechtliche Grundlage bestimmt, welche Einzelheiten eines (behaupteten) tatsächlichen Geschehens in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht für das gerichtliche Erkenntnis (zumindest potentiell) von Bedeutung sind. Bei einer Patentverletzungsklage sind demgemäß für die Eingrenzung des Streitgegenstands, der der gerichtlichen Entscheidungsfindung unterworfen wird, vornehmlich diejenigen tatsächlichen Elemente von Bedeutung, aus denen sich Handlungen des Beklagten ergeben sollen, die einen der Tatbestände des § 9 PatG ausfüllen. Zur sachlichen Eingrenzung dieser vom Klagebegehren umfassten Handlungen kommt es wiederum typischerweise in erster Linie darauf an, aus welcher tatsächlichen Ausgestaltung eines angegriffenen Erzeugnisses oder Verfahrens sich nach dem Klagevortrag ergeben soll, dass das Erzeugnis oder Verfahren unter den mit der Klage geltend gemachten Patentanspruch subsumiert werden kann. Dabei ist grundsätzlich unerheblich, ob diese Subsumtion nach Meinung des Klägers eine wortsinngemäße oder eine unter dem Gesichtspunkt der gleichwertigen (äquivalenten) Verwirklichung eines oder mehrerer Merkmale der geschützten Erfindung in den Schutzbereich des Klagepatents fallende Benutzung der geschützten Erfindung ergibt. Grundsätzlich unerheblich sind ebenso Ort und Zeit der angegriffenen Handlungen. Für die Definition des Streitgegenstands können sie nur soweit Bedeutung erlangen, als sie die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens beeinflussen können, weil es entweder nach dem Gesetz (wie etwa vor oder nach Veröffentlichung der Patenterteilung oder innerhalb oder außerhalb des territorialen Geltungsbereichs des Patentgesetzes begangene Handlungen) oder auf Grund einer entsprechenden Beschränkung des Klageantrags (wie etwa bei einer auf Handlungen während eines Teils der Patentlaufzeit beschränkten Schadensersatzklage) insoweit auf den Ort oder den Zeitpunkt der Handlung ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 2004 X ZR 234/02, BGHZ 159, 66, 70 ff. = GRUR 2004, 755 Taxameter).

Der Streitgegenstand der Patentverletzungsklage wird demgemäß regelmäßig im Wesentlichen durch die üblicherweise als angegriffene Ausführungsform bezeichnete tatsächliche Ausgestaltung eines bestimmten Produkts im Hinblick auf die Merkmale des geltend gemachten Patentanspruchs bestimmt. Die Identität des Klagegrunds wird (erst) aufgehoben, wenn dieser Kern des in der Klage angeführten Lebenssachverhalts durch neue Tatsachen verändert wird (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2006 KZR 45/05, GRUR 2007, 172 Rn. 11 Lesezirkel II; Urteil vom 3. April 2003 I ZR 1/01, BGHZ 154, 342, 348 f. = GRUR 2003, 716 Reinigungsarbeiten).

Der Kläger ist durch das Prozessrecht nicht gehindert, Ansprüche nicht nur wegen einer bestimmten angegriffenen Ausführungsform geltend zu machen, sondern auf das Klagepatent umfassende (prozessuale) Ansprüche zu stützen, die auf weitere Ausführungsformen, die sich nach Meinung des Klägers ebenfalls unter den Patentanspruch subsumieren lassen, bezogene Handlungen des Beklagten erfassen sollen.

Ob dem Kläger solche Ansprüche auch zuerkannt werden können, hängt (unter anderem) davon ab, ob der Kläger dartun kann, dass der Beklagte auch solche Handlungen begangen hat oder deren Begehung zumindest droht.

Dass ein solches umfassendes Klagebegehren zur gerichtlichen Entscheidung gestellt werden soll, kann jedoch in aller Regel nicht schon daraus abgeleitet werden, dass der Kläger es unterlässt, einen wie geboten (BGH, Urteil vom 30. März 2005 X ZR 126/01, BGHZ 162, 365 Blasfolienherstellung) auf die von ihm vorgetragene angegriffene Ausführungsform zugeschnittenen Klageantrag zu formulieren. Denn maßgeblich für Inhalt und Reichweite des materiellen Klagebegehrens ist nicht allein der Wortlaut des Klageantrags; dieser ist vielmehr unter Berücksichtigung des zu seiner Begründung Vorgetragenen auszulegen. Nicht der Wortlaut des Antrags, sondern das Klagebegehren definiert den Streitgegenstand, und nur an dieses und nicht an jenen ist das Gericht nach § 308 Abs. 1 ZPO gebunden. Ebenso wie mangels abweichender Anhaltspunkte im Parteivortrag anzunehmen ist, dass sich das Rechtsschutzbegehren auf sämtliche Handlungen des Beklagten erstrecken soll, die diejenigen Merkmale aufweisen, aus denen der Kläger die Qualifikation der Handlungen als rechtsverletzend herleitet (BGHZ 159, 66, 70 f. = GRUR 2004, 755 Taxameter), ist umgekehrt mangels abweichender Anhaltspunkte anzunehmen, dass der Kläger Ansprüche nur wegen solcher Handlungen des Beklagten geltend machen will, die sich auf eine Ausführungsform beziehen, für die der Kläger vorträgt, dass sie auf Grund ihrer tatsächlichen Ausgestaltung sämtliche Merkmale des Patentanspruchs aufweist und vom Beklagten entgegen § 9 PatG benutzt wird oder benutzt zu werden droht. Kommt dies im Klageantrag nicht hinreichend zum Ausdruck, hat das Gericht nach § 139 Abs. 1 ZPO auf eine sachdienliche Antragsfassung hinzuwirken.