EPA, Große Beschwerdekammer G 2/10: Disclaimer

Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 30. August 2011 – G 2/10

Amtliche Leitsätze:

a. Die Änderung eines Anspruchs durch Aufnahme eines Disclaimers, der einen in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung offenbarten Gegenstand ausklammert, verstößt gegen Artikel 123 (2) EPÜ, wenn der nach Aufnahme des Disclaimers im Patentanspruch verbleibende Gegenstand dem Fachmann, der allgemeines Fachwissen heranzieht, nicht in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung unmittelbar und eindeutig offenbart wird, sei es implizit oder explizit.

1b. Ob dies der Fall ist, muss anhand einer technischen Beurteilung aller
technischen Umstände des jeweiligen Einzelfalls bestimmt werden, bei der es
Art und Umfang der Offenbarung in der ursprünglich eingereichten Fassung der
Anmeldung, Art und Umfang des ausgeklammerten Gegenstands sowie dessen
Verhältnis zu dem nach der Änderung im Anspruch verbleibenden Gegenstand zu
berücksichtigen gilt.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Wenn etwa, wie in G 1/03 (Nr. 2.1.3 der Entscheidungsgründe) dargelegt, in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung eine Erfindung allgemein offenbart und beansprucht wurde und darüber hinaus mehrere spezifische Ausführungsformen oder Gruppen solcher Ausführungsformen offenbart wurden, von denen eine später durch den Disclaimer aus dem Schutzbegehren ausgeklammert wird, so wird der verbleibende Gegenstand, d. h. die verbleibende allgemeine Lehre, durch den Disclaimer in der Regel nicht verändert. Anders verhält es sich dagegen, wenn z. B. der im Anspruch verbleibende Gegenstand durch den Disclaimer auf eine Untergruppe des ursprünglich beanspruchten Gegenstands beschränkt würde und diese Untergruppe nicht als in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung offenbart angesehen werden könnte, auch nicht unter Berücksichtigung dessen, was der Fachmann unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens als implizit in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung enthalten ansehen würde. In diesem Fall wäre die Änderung ein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ. Analog zu der Entscheidung T 615/95 läge eine unzulässige Erweiterung vor, wenn die Aufnahme eines Disclaimers in einen Anspruch zur Abgrenzung einer bis dahin nicht speziell erwähnten oder zumindest implizit offenbarten einzelnen Verbindung oder Gruppe von Verbindungen führen würde oder zur Folge hätte, dass dem verbleibenden beanspruchten Gegenstand eine bestimmte, ursprünglich nicht offenbarte Bedeutung verliehen würde.

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