BGH zu äquivalenter Patentverletzung: Hüte Dich vor zu viel Offenbarung!

Der Bundesgerichtshof hatte in der Entscheidung im Verfahren X ZR 16/09 – Okklusionsvorrichtung wieder einmal Gelegenheit, sich näher mit Fragen der äquivalenten Patentverletzung auseinanderzusetzen. Das hat er in einer Weise getan, die für den Praktiker neue Fragen aufwirft: Kann der Anmelder für eine umfassende Offenbarung verschiedener alternativer Lösungen im Verletzungsprozess dadurch bestraft werden, dass der Schutzbereich unter der Äquivalenzlehre kleiner ist, als wenn er nur eine einzige Ausführungsform offenbart hätte?

Interessant ist die Entscheidung schon deswegen, weil eine äquivalente Verletzung mit der Begründung verneint wurde, dass es an der Gleichwertigkeit (und nicht etwa an den anderen in den Custodiol- und Schneidmesser-Entscheidungen aufgestellten Kriterien der objektiven Gleichwirkung und Auffindbarkeit) fehlte.

Einige der zentralen Aussagen aus der Entscheidung sind:

Im zweiten Leitsatz:
„Offenbart die Beschreibung mehrere Möglichkeiten, wie eine bestimmte technische Wirkung erzielt werden kann, ist jedoch nur eine dieser Möglichkeiten in den Patentanspruch aufgenommen worden, begründet die Benutzung einer der übrigen Möglichkeiten regelmäßig keine Verletzung des Patents mit äquivalenten Mitteln.“

In Rz. 35:
„Trifft der Patentanspruch eine Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen Möglichkeiten, eine technische Wirkung zu erzielen, müssen die fachmännischen Überlegungen zu möglichen Abwandlungen gerade auch mit dieser Auswahlentscheidung in Einklang stehen.“

In Rz. 36:
„[Somit führt] die Prüfung der Orientierung am Patentanspruch zum Ausschluss einer Ausführungsform aus dem Schutzbereich des Patents, die zwar offenbart oder für den Fachmann jedenfalls auffindbar sein mag, von der der Leser der Patentschrift aber annehmen muss, dass sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht unter Schutz gestellt werden sollte“.

Bevor einige kritische Überlegungen und Fragen folgen, sei vorangestellt, dass der Verfasser die Entscheidung des Senats im Ergebnis absolut nachvollziehbar findet. Ob es dazu der oben erwähnten Aussagen bedurft hätte, ist jedoch fraglich.

Auch vorangestellt sei, dass – wie jedem Patentanwalt aus seiner Praxis geläufig ist – der Fall, in dem die Ansprüche nicht mehr alle ursprünglich offenbarten Ausführungsbeispiele abdecken und dies in der Beschreibung kenntlich zu machen ist, sei es durch Streichung von Ausführungsbeispielen oder durch entsprechende Klarstellung im Beschreibungstext, eher die Regel als die Ausnahme ist.

Dies gibt Anlass zu folgenden kritischen Überlegungen:

1. Warum soll ein Anmelder keinen Schutz nach der Äquivalenzlehre mehr für eine Ausgestaltung erhalten, die er in seiner Anmeldung als technische Lösung offenbart hat, die aber nicht mehr unter den Wortlaut des erteilten Anspruchs fällt – wohingegen ein anderer Anmelder, der taggleich dieselbe Erfindung zum Patent angemeldet, dabei das nicht mehr vom erteilten Anspruch abgedeckte Ausführungsbeispiel aber von Anfang an gar nicht offenbart hat, für eben dieses (von ihm nie offenbarte) Ausführungsbeispiel nach der Äquivalenzlehre noch Schutz erhalten kann?

2. Möglicherweise hatte der Senat bei den Ausführungen unter Rz. 35 und 36 Konstellationen im Kopf, bei denen ein Anmelder einzelne Ausführungsformen aus dem Anspruchsgegenstand entfernen musste, um Neuheit und erfinderische Tätigkeit herzustellen. Das ist aber nur ein Grund, aus dem ein erteilter Anspruch nicht mehr alles abdecken kann, was offenbart ist.

Gerade die formalen Hürden des EPÜ und die Erhöhung dieser Hürden durch die in den letzten Jahren erfolgten Änderungen der Ausführungsordnung können dazu führen, dass ein Erfinder nicht immer Schutz für alle Ausführungsformen erhalten kann, die neu und erfinderisch wären.

Beispiel: Ursprünglich beansprucht ist ein Gerät, bei dem eine „erste Komponente aus einem ersten Metall ist“. Ausführungsformen beschreiben, dass das erste Metall Gold oder Kupfer sein kann. Nachdem das Prüfungsverfahren vor dem EPA schon zwei Jahre läuft, führt die Prüfungsabteilung erstmals neuheitsschädlichen Stand der Technik an, in dem das erste Metall Silber ist und der zur Einschränkung des breiten Anspruchs führen muss. Die beiden Ausführungsformen sind jedoch jeweils neu und erfinderisch. Und doch kann es sein, dass der arme Anmelder nicht beide schützen kann: Die Prüfungsabteilung macht klar, dass sie uneinheitliche Anspruchssätze nach R. 137(3) EPÜ zurückweisen werde. Somit bleibt dem armen Anmelder noch nicht einmal die Möglichkeit, eine neue Frist zur Teilung nach R. 36 (1) b) EPÜ auszulösen. Ein ganz realistisches Szenario, gerade für viele, die die Praxis des EPA unter „raising the bar“ erleben.

Notgedrungen wird sich der Anmelder in diesem Beispiel für eine der ursprünglich offenbarten Ausführungsformen entscheiden und diese zum Gegenstand seines Anspruchs machen müssen. Warum sollte er – nach dem zweiten Leitsatz von X ZR 16/09 – keinen Schutz nach der Äquivalenzlehre mehr für die andere Ausführungsform erhalten können, falls diese für den Fachmann objektiv gleichwertig und – schon wegen der Offenbarung in der Anmeldung – auffindbar ist?

3. Für den Verfasser dieses Beitrags relativ unklar bleibt die oben zitierte Textpassage in Rz. 35 des Urteils. Wenn es um die Frage der äquivalenten Verletzung geht, muss der Anspruch eigentlich immer eine „Auswahlentscheidung“ getroffen haben. Hätte er es nicht, könnte nicht ein Anspruchsmerkmal mit einem anderen Merkmal gleicher technischer Funktion ersetzt worden sein. In welchen Fällen kann man dann aber noch davon ausgehen, dass die „fachmännischen Überlegungen zu möglichen Abwandlungen … gerade auch mit dieser Auswahlentscheidung in Einklang stehen“? Soll künftig differenziert werden zwischen Abwandlungen, die im Einklang mit einem Anspruchsmerkmal stehen, und solchen, die nicht im Einklang mit einem Anspruchsmerkmal stehen? Welche Kriterien könnten für eine solche Unterscheidung entwickelt werden?

Der Verfasser dieses Beitrags sieht der Aufnahme und Kommentierung des Urteils X ZR 16/09 in den Fachkreisen jedenfalls mit Spannung entgegen.

BGH zu Softwarepatenten

Der X. Senat des Bundesgerichtshofs hatte sich im Nichtigkeitsverfahren X ZR 121/09 wieder einmal mit computerimplementierten Erfindungen zu befassen. Dabei bestätigte er die in der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung (z.B. in BGH X ZR 47/07 – Wiedergabe topographischer Informationen) entwickelte Prüfungsmethodik:

Zunächst wird in einem ersten Prüfungsschritt geprüft, ob wenigstens ein Teilaspekt der beanspruchten Erfindung auf technischem Gebiet liege (§ 1 Abs. 1 PatG). Dann wird in einem zweiten Schritt geprüft, ob der Patentierungsausschluss für Programme für Datenverarbeitungsanlagen eingreift (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG). Zum zweiten Schritt wird ermittelt, ob die beanspruchte Lehre der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dient.

Interessantes enthält diese jüngste BGH-Entscheidung zu beiden genannten Prüfungspunkten:

Was die Technizitätsprüfung (§ 1 Abs. 1 PatG) angeht, ist interessant, dass der Anspruch nicht unbedingt die ausführenden technischen Einheiten (Server, Client) nennen muss, um diese Hürde zu überwinden.

Was den zweiten Prüfungsschritt angeht, werden die früher aufgestellten Kriterien angewandt. So wird ein konkretes technisches Problem jedenfalls dann gelöst,
(a) wenn Gerätekomponenten modifiziert oder grundsätzlich abweichend adressiert werden, oder
(b) wenn der Ablauf eines zur Problemlösung eingesetzten Datenverarbeitungsprogramms durch technische Gegebenheiten außerhalb der Datenverarbeitungsanlage bestimmt wird oder wenn die Lösung gerade darin besteht, ein Datenverarbeitungsprogramm so auszugestalten, dass es auf die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage Rücksicht nimmt.

Etwas überraschend an der Entscheidung im Verfahren X ZR 121/09 mutet an, dass die Prüfung, ob ein konkretes technisches Problem gelöst wird, so stark auf eine Subsumtion unter die bislang entwickelten – zahlenmäßig sehr wenigen – Fallgruppen reduziert wird.

Die in der Entscheidung X ZR 121/09 angelegten Maßstäbe, was ein „konkretes technisches Problem ist“, erscheinen dem Verfasser dieses Beitrags jedenfalls recht streng. So wird beispielsweise die Verlagerung von bestimmten Operationen in einem Netzwerk von einem Client-Rechner auf einen Server als „äußerlich-organisatorische Umverlagerung der Datenverarbeitung zwischen mehreren Netzwerkkomponenten“ angesehen, die allenfalls eine „Maßnahme der Datenverarbeitung“ und keine Lösung eines konkreten technischen Problems sei. Diese Argumentation ist insofern überraschend, als ja auch eine Maßnahme der Datenverarbeitung durchaus ein technisches Problem lösen kann.

Interessant ist jedenfalls, dass die Nichtigerklärung des Patents auf Grundlage des Ausschlusses für Programme für Datenverarbeitungsanlagen erfolgte, obwohl es die beanspruchte Lehre das Zusammenwirken mehrerer Geräte in einem Netzwerk betraf.

Internationale Zuständigkeit – Ort der unerlaubten Handlung

Der Kartellsenat des BGH hat in dem Beschluss KZR 8/10 dem EuGH nach Art. 267 AEUV die Frage vorgelegt, ob der besondere Gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO auch für negative Feststellungsklagen eröffnet ist.

Diese Frage ist  auch für patentrechtliche Streitigkeiten von großer Bedeutung.

Der vorlegende Senat gibt zu erkennen, dass er der Auffassung zuneigt, die internationale Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO sei auch bei negativen Feststellungsklagen eröffnet. Die Hauptargumente hierfür sind:

– Nach der Tatry-Rechtsprechung des EuGH löst die negative Feststellungsklage die Rechtshängigkeitssperre nach Art. 27 EuGVVO aus. Denn nach der Kerntheorie des EuGH betreffen negative Feststellungsklage und Leistungsklage denselben Streitgegenstand. Nichts anderes kann dann aber für Art. 5 Ziff. 3 EuGVVO gelten.

– Es gibt keinen Grund, dem Kläger der negativen Feststellungsklage einen Gerichtsstand abzuschneiden, der dem Kläger einer Leistungsklage oder positiven Feststellungsklage eröffnet ist.

– Entsprechend kann auch das Problem einer unerwünschten Vermehrung von Gerichtsständen nicht eintreten.

– Auch bei der negativen Feststellungsklage spricht die besondere Sachnähe dafür, eine Zuständigkeit des Gerichts am Ort der (potenziell) unerlaubten Handlung zu begründen.

Es ist erfreulich, dass eine Klärung dieser wichtigen Frage zur Anwendung des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO durch den EuGH nunmehr absehbar sein sollte.

Negatives Gutachten des Gerichtshof der EU zum Entwurf für ein Übereinkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems

Der Gerichtshof der EU hat nunmehr das lange erwartete Gutachten zum Entwurf für ein Übereinkommen eines Gerichts für europäische Patente und Gemeinschaftspatente veröffentlicht. Der Gerichtshof ist in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass das geplante Übereinkommen zur Schaffung eines Gerichts für europäische Patente und Gemeinschaftspatente nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

Die entsprechende Pressemeldung des Gerichtshofs ist hier verfügbar.

Der Entwurf für das Übereinkommen sieht eine ausschließliche Zuständigkeit eines neu geschaffenen internationalen Patentgerichts vor, das außerhalb des institutionellen und gerichtlichen Rahmens der Union stehen würde (Rz. 71 des Gutachtens). Dieses habe nach dem Entwurf für das Übereinkommen auch Unionsrecht anzuwenden und auszulegen. Das internationale Patentgericht könnte sogar die Gültigkeit eines Rechtsakts der Union zu überprüfen haben (Rz. 78 des Gutachtens). Dies unterscheide den Entwurf für das Übereinkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patengerichtssystems von Übereinkommen, die früher Gegenstand von Gutachten des EuGH waren und die nicht die Zuständigkeit der nationalen Gerichte und des EuGH bei der Anwendung und Auslegung des Gemeinschaftsrechts berührten (Rz. 77 des Gutachtens).

Da das neue internationale Gericht im Rahmen seiner ausschließlichen Zuständigkeit an die Stelle der nationalen Gerichte treten würde, würde es diesen die Möglichkeit nehmen, dem Gerichtshof Ersuchen um Vorabentscheidungen in diesem Bereich vorzulegen (Rz. 79 des Gutachtens) – auch wenn das neue internationale Patentgericht selbst die Möglichkeit der Vorlage hätte (Rz. 81 des Gutachtens). Darüber hinaus könnte eine das Unionsrecht verletzende Entscheidung des Gerichts für europäische Patente und Gemeinschaftspatente weder Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens sein noch zu irgendeiner vermögensrechtlichen Haftung eines oder mehrerer Mitgliedstaaten führen (Rz. 86 des Gutachtens).

Das geplante Übereinkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems würde somit den Gerichten der Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeiten zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts nehmen, da es einem außerhalb des institutionellen und gerichtlichen Rahmens der Union stehenden internationalen Gericht eine ausschließliche Zuständigkeit für die Entscheidung über eine beträchtliche Zahl von Klagen Einzelner im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftspatent und zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts in diesem Bereich übertragen würde. Das Übereinkommen hätte außerdem eine Auswirkung auf die Zuständigkeit des Gerichtshofs, auf die von den nationalen Gerichten zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen zu antworten. Somit würde das Übereinkommen die den Unionsorganen und den Mitgliedstaaten zugewiesenen Zuständigkeiten verfälschen, die für die Wahrung der Natur des Unionsrechts wesentlich sind (Rz. 89 des Gutachtens).

Abzuwarten ist, ob das Gutachten die Bemühungen um ein Gemeinschaftspatent und/oder ein einheitliches Patentgerichtssystem auf absehbare Zeit bremsen wird oder einer Verstärkten Zusammenarbeit nach Art. 20 EUV Vorschub leisten wird. Selbst eine Renaissance des EPLA scheint denkbar. So wird unter Rz. 62 des Gutachtens ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Art. 262 AEUV kein Monopol des Gerichtshofs auf dem Gebiet europäischer Rechtstitel für das geistige Eigentum schafft und auch nicht die Wahl eines gerichtlichen Rahmens für Rechtsstreitigkeiten zwischen Einzelnen im Zusammenhang mit derartigen Rechtstiteln präjudiziert. Auch in Rz. 82 des Gutachtens scheint anzuklingen, dass die Zuständigkeit von Gerichten, die in das Gerichtssystem der Union eingebunden sind, für Entscheidungen über Patentverletzungen im Rahmen einer Verstärkten Zusammenarbeit nicht zu beanstanden wäre.

Unentrinnbare Falle: BGH kontra Große Beschwerdekammer!?

Der BGH hat in der Entscheidung „Winkelmesseinrichtung“ (Xa ZB 14/09) über die Frage entschieden, wie nach deutschem Recht mit der sogenannten „unentrinnbaren Falle“ (Art. 123 (2), (3) EPÜ bzw. PatG & 21 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ) umzugehen ist.

Kurz gesagt lässt es der BGH zu, dass ein nicht ursprünglich offenbartes Merkmal im Patentanspruch verbleibt, wenn es zu einer Einschränkung des Patentanspruches führt – vorausgesetzt, der derart beanspruchte Gegenstand ist nicht auf ein Aliud gerichtet. Laut BGH muss in diesem Fall nicht einmal ein Disclaimer aufgenommen werden, der klarstellt, dass aus dem ursprünglich nicht offenbarten Merkmale keine Rechte abgeleitet werden können.

Damit stellt sich der BGH in gewissem Sinne gegen die Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer, die in derartigen Fällen (bis auf wenigen Ausnahmen) nur den vollständigen Widerruf vorsieht (s. auch G93/0001).

Leitsätze der Entscheidung:

PatG § 21 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2

  1. Ein Merkmal, das in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart ist und dessen Streichung oder Ersetzung durch ein von der ursprünglichen Offenbarung gedecktes Merkmal zu einer Erweiterung des Schutzbereichs führen würde, kann im Patentanspruch verbleiben, wenn seine Einfügung zu einer Einschränkung gegenüber dem Inhalt der Anmeldung führt.
  2. Eine Einschränkung in diesem Sinne liegt vor, wenn das hinzugefügte Merkmal eine Anweisung zum technischen Handeln konkretisiert, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist.
  3. Um in solchen Fällen sicherzustellen, dass aus der Einfügung des Merkmals Rechte nicht hergeleitet werden, bedarf es grundsätzlich nicht der Aufnahme eines entsprechenden Hinweises („disclaimer“) in die Patentschrift.

Aus den Gründen:

Weder aus § 21 Abs. 1 Nr. 4 noch aus § 22 Abs. 1 PatG kann abgeleitet werden, dass ein Patent stets zu widerrufen ist, wenn sein Gegenstand gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen durch Aufnahme eines darin nicht offenbarten Merkmals eingeschränkt worden ist. Aus den genannten Vorschriften ergibt sich zwar, dass das Gesetz dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes gegenüber der Öffentlichkeit hohes Gewicht einräumt. Gemäß § 21 Abs. 2 PatG ist diesem Interesse aber schon dann hinreichend Rechnung getragen, wenn ein Verstoß gegen eines dieser Verbote durch entsprechende Beschränkung des Patents rückgängig gemacht wird. In der hier zu beurteilenden Situation kann dies dadurch geschehen, dass das nicht offenbarte einschränkende Merkmal im Anspruch verbleibt, bei der Prüfung der Patentfähigkeit aber jedenfalls insoweit außer Betracht zu lassen ist, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden darf. Schon damit ist sichergestellt, dass das Merkmal für die Bestimmung des Schutzbereichs maßgeblich bleibt, der Rechtsbestand des Patents aber nicht auf technische Anweisungen gestützt wird, die in der Anmeldung nicht als zur Erfindung gehörend offenbart sind. Eines Widerrufs des Patents bedarf es in dieser Konstellation folglich nicht.

Der Senat verkennt nicht, dass diese Lösung jedenfalls im theoretischen Ansatz nicht mit der Auffassung der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts in Einklang steht und in Fällen, in denen die Einfügung des Merkmals nicht zur Patentierung eines „Aliud“ geführt hat, zu abweichenden Ergebnissen führen kann. Er vermag der Auffassung der Großen Beschwerdekammer aber jedenfalls für den Anwendungsbereich von §§ 21 und 22 PatG nicht beizutreten. Die Große Beschwerdekammer hat gesehen, dass die von ihr vertretene Auffassung zu harten Folgen für den Anmelder führen kann (aaO ABl. EPA 1994, 541 = GRUR Int. 1994, 842 Rn. 13 – Beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products). Sie sieht sich an einer abweichenden Lösung durch den verbindlichen Charakter von Art. 123 Abs. 1 und 2 EPÜ gehindert. Diesem Gesichtspunkt kommt nach Auffassung des Senats jedenfalls für das deutsche Recht keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

Der Wortlaut des Patentgesetzes sieht für den Fall, dass die zur Ausräumung eines Widerrufs- oder Nichtigkeitsgrunds an sich erforderliche Streichung eines Merkmals aus dem Patentanspruch einen neuen Nichtigkeitsgrund entstehen ließe, weder in die eine noch in die andere Richtung eine ausdrückliche Regelung vor. Deshalb ist unter Rückgriff auf allgemeine Auslegungskriterien zu ermitteln, ob die unzulässige Einfügung des Merkmals gemäß § 21 Abs. 1 PatG zwingend zum vollständigen Widerruf führt oder ob den berechtigten Belangen der Öffentlichkeit nicht dadurch Genüge getan ist, dass – wie sich aus § 38 Abs. 2 PatG ergibt – aus der Änderung Rechte nicht hergeleitet werden können. Diese Frage ist aus den bereits angeführten Gründen im zuletzt genannten Sinne zu entscheiden. Auch die Große Beschwerdekammer hält die Belassung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig. Dies bestätigt nach Auffassung des Senats, dass Art. 123 Abs. 1 und 2 EPÜ diesen Lösungsweg nicht kategorisch ausschließen.

BGH: Bildunterstützung bei Katheternavigation fällt nicht unter § 2a Abs. 1 Nr. 2 PatG

Bei der BGH-Entscheidung „Bildunterstützung bei Katheternavigation“ hattte der BGH zu untersuchen inwieweit ein Verfahren zur Bildunterstützung bei der gezielten Navigation eines in ein Hohlraumorgan des menschlichen oder tierischen Körpers invasiv eingeführten medizinischen Instruments als Katheter an einen pathologischen Ort im Hohlraumorgan unter das Patentierungsverbot nach § 2a Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 PatG fällt.

Aus den Leitsätzen:

PatG §§ 14, 34 Abs. 3 Nr. 3; EPÜ Art. 69 Abs. 1, Art. 78 Abs. 1 lit. c

In einem Patentanspruch enthaltene Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben müssen sich nicht zwangsläufig auf den Gegenstand des Anspruchs oder auf dessen einzelne Merkmale beziehen. Sie können den Erfindungsgegenstand auch sprachlich zu solchen Gegenständen oder Verfahren in Beziehung setzen, die zur beanspruchten Lehre nur in einem bestimmten Sachzusammenhang stehen und deren Erwähnung dem Fachmann eine Orientierungshilfe bei der technisch-gegenständlichen Erfassung und Einordnung des Gegenstands der Lehre sein kann (hier: Bezeichnung eines Verfahrens als Verfahren bei der gezielten Navigation eines Katheters an einen pathologischen Ort in einem menschlichen oder tierischen Hohlraumorgan).

PatG § 2a Abs. 1 Nr. 2, § 5; EPÜ 2000 Art. 53 lit. c, Art. 57

Ein Verfahren zur Bildunterstützung bei der gezielten Navigation eines in ein Hohlraumorgan des menschlichen oder tierischen Körpers invasiv eingeführten Katheters an einen pathologischen Ort im Hohlraumorgan unterfällt nicht dem Patentierungsausschluss für Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers, weil dieser nicht die Patentierung von Verfahren einschließt, die im Zusammenhang mit der Durchführung eines chirurgischen Verfahrens verwendet werden können (vgl. EPA, Große Beschwerdekammer, Entscheidung vom 15. Februar 2010 – G 1/07, Gliederungspunkt 5).

Ein solches Verfahren ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt fehlender Gewerblichkeit von der Patentierung ausgeschlossen.

Aus den Gründen:

In dem im Erteilungsverfahren zuletzt formulierten Patentanspruch 1 (Gliederungspunkte M1 bis M6 des Bundespatentgerichts in eckigen Klammern) wurde ein Verfahren zur Bildunterstützung bei der gezielten Navigation eines in ein Hohlraumorgan des menschlichen oder tierischen Körpers invasiv eingeführten medizinischen Instruments als Katheter an einen pathologischen Ort im Hohlraumorgan [M1] vorgeschlagen, bei welchem

  1. anhand einer vorab mittels einer nicht-invasiven Untersuchungsmodalität aufgenommenen ersten Bilddarstellung zumindest eines Teils des Hohlraumorgans die Position eines oder mehrerer pathologischer Orte manuell durch den Benutzer oder automatisch unter Verwendung eines Bildanalysesystems
    a) lokalisiert [M2, M5],
    b) markiert [M4, M5], und
    c) hervorgehoben dargestellt werden [M4, M5] und
  2. die Bilddarstellung während der nachfolgenden Navigation des Instruments zusammen mit einer zweiten kontinuierlichen angiografisch aufgenommenen Bilddarstellung zumindest eines Teils des Hohlraumorgans, in dem sich die Spitze des Instruments befindet, wiedergegeben wird [M3],
  3. wobei die Angiografiebilder derart aufgenommen werden, dass sie die Katheterspitze des Instruments zeigen [M6].

Das Patentgericht hat das beanspruchte Verfahren als ein solches zur chirurgischen Behandlung des menschlichen Körpers eingeordnet, das nach § 5 Abs. 2 PatG a.F. als nicht gewerblich gelte bzw. das nach dem Patentierungsausschluss in § 2a Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 PatG nicht patentierbar sei. Zu dem beanspruchten Verfahren gehöre als ein Verfahrensschritt, dass chirurgisch zur Untersuchung eines Organs bzw. zum Auffinden von pathologischen Orten in den lebenden Körper eines Menschen oder eines Tieres eingegriffen und ein Katheter in ein Hohlraumorgan invasiv eingeführt und gezielt an einen pathologischen Ort navigiert werde. Beim Legen eines Katheters handle es sich um eine als Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers einzustufende Intensivtechnik.

Dieser Ansicht des Patentgerichts, dass die gezielte Navigation eines invasiv an einen pathologischen Ort in einem menschlichen Hohlraumorgan geführten Katheters mit zum Gegenstand der Anmeldung gehören und dieser das Gepräge einer von der Patentierung auszuschließenden chirurgischen Behandlung geben soll, folgt der BGH nicht, da diese Ansicht auf einer unzutreffenden Auslegung von Patentanspruch 1 beruht.

Aus den gesetzlichen Vorgaben folgt laut BGH nicht, dass alle sprachlichen Elemente eines formulierten Patentanspruchs Merkmale des Gegenstands beschreiben, der mit dem Anspruch unter Schutz gestellt werden soll. So können Sach- bzw. Vorrichtungsansprüche Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben enthalten, die nur unter besonderen Voraussetzungen als Bestandteile des Patentanspruchs an dessen Aufgabe teilnehmen, den geschützten Gegenstand zu bestimmen und damit zugleich zu begrenzen etwa im Hinblick auf dessen vorausgesetzte Eignung. Im Allgemeinen wird die Sache oder Vorrichtung aber unabhängig von dem Zweck, zu dem sie nach den Angaben im Patentanspruch verwendet werden soll, durch räumlich-körperlich umschriebene Merkmale als Schutzgegenstand definiert (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 2006 – X ZR 105/04, GRUR 2006, 923 Rn. 15; Urteil vom 28. Mai 2009 – Xa ZR 140/05, GRUR 2009, 837 Rn. 15 – Bauschalungsstütze). In solchen Fällen benennen Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben keine Merkmale des unter Schutz gestellten Gegenstands. Entsprechendes gilt grundsätzlich auch für gegebenenfalls in Verfahrensansprüchen enthaltene Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben (vgl. Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 6. Aufl., § 14 Rn. 52). Zweck-, Wirkungs- bzw. Funktionsangaben müssen sich des Weiteren nicht zwangsläufig auf den Gegenstand des Anspruchs bzw. einzelne seiner Merkmale beziehen. Es ist einem Anmelder vielmehr unbenommen, den Erfindungsgegenstand im Patentanspruch sprachlich auch zu solchen Erzeugnissen oder Verfahren in Beziehung zu setzen, die zur beanspruchten Lehre in einem bestimmten Sachzusammenhang stehen und deren Erwähnung dem Fachmann eine Orientierungshilfe bei der technisch-gegenständlichen Erfassung und Einordnung des Gegenstands der Lehre sein kann.

Daher kommt der BGH zum Schluss, dass hiernach im vorliegenden Fall die gezielte Navigation des invasiv eingeführten medizinischen Elements als Katheter an einen pathologischen Ort in einem menschlichen Hohlraumorgan nicht zu den Merkmalen der beanspruchten Lehre gehört.

Entscheidend ist dabei, dass der Patentanspruch gezielt zwischen dem Bildgebungsverfahren und der Katheternavigation unterscheidet und auch die Patentanmeldung nur eine Lehre zum technischen Handeln für das Bildgebungsvefahren gibt.

In diesem Punkt unterscheidet sich das vorgeschlagene Ver-ahren auch von demjenigen, auf das sich Leitsatz 1 der Entscheidung G 1/07 der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 15. Februar 2010 bezieht. Dort ging es um ein Bildgebungsverfahren zur Magnetresonanzdarstellung der Lungen- und/oder Herzgefäße, bei dem polarisiertes Xenon, das eine gelöste Bildgebungsphase umfasst, verabreicht wird, und zwar unter anderem durch Injektion in eine Herzregion. Diese Maßnahme, in der die Große Beschwerdekammer ein Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen Körpers gesehen hat, war konstitutiver Bestandteil des dort beanspruchten Bildgebungsverfahrens, und nicht, wie vorliegend, ein außerhalb eines solchen Verfahrens liegender Vorgang.

Im Übrigen schließt der BGH auch aus, dass es sich bei dem beanspruchten Verfahren um ein Diagnostizierverfahren handelt, das unter den mit Art. 52 Abs. 4 EPÜ 2000 sachlich übereinstimmenden Patentierungsausschluss für diagnostische Verfahren in § 2a Abs. 1 Nr. 2 PatG fallen könnte. Es mag zwar mit der ersten Bilddarstellung (Merkmalsgruppe 1) aufgrund einer am menschlichen Körper vorgenommenen Untersuchung Bilddaten liefern, die der Lokalisierung, Markierung und hervorgehobenen Darstellung pathologischer Orte eines Hohlraumorgans dienen und damit für die spätere Erstellung einer Diagnose hilfreich sein. Damit stellt dieser Verfahrensschritt aber allenfalls ein für eine Krankheitsbestimmung relevantes Zwischenverfahren dar, was für sich den Patentierungsausschluss indes nicht begründet (vgl. Busse/Keukenschrijver aaO § 5 Rn. 35 mwN in Fn. 138; Schulte/Moufang, Patentgesetz, 8. Aufl., § 2a Rn. 85). Denn der weitere beanspruchte Verfahrensgang macht deutlich, dass es nicht um eine Diagnose geht. Das zweite Bildgebungsverfahren dient räumlich allein der kontinuierlichen Aufnahme der Katheterspitze; die für die Befunderhebung maßgeblichen Daten dürften nach dem gesamten Inhalt der Anmeldungsunterlagen maßgeblich über den Katheter selbst geliefert werden, dessen Führung, wie ausgeführt, aber nicht Bestandteil des beanspruchten Verfahrens ist.

Schokolade in Weinrankenform – 3D-Marke

Das Bundespatentgericht hatte kürzlich die Aufgabe, über die Unterscheidungskraft einer 3-D-Marke für Schokoladenwaren – eine Art Weinrankenform aus Schokolade in der unten abgebildeten Form – zu urteilen (25 W (pat) 8/09).

Das DPMA hatte aufgrund der ungewöhnlichen Form die Marke als 3D-Marke mit der Begründung eingetragen, dass auf dem Gebiet der Schokoladenwaren neben der klassischen „Riegelform“ nur Gestaltungen, die einen ohne weiteres erkennbaren realen Bezug hätten und außerdem von einem gewissen Wert seien gebe; es gebe daher u. a. Schokoladenhandys, -armbanduhren, -autos, -CDs und Tiere aller Art. Dies träfe aber auf die oben gezeigte Form nicht zu.

Dagegen richtet sich ein Löschungsantrag, in dem die Unterscheidungskraft der Marke angezweifelt wird, da das Zeichen rein beschreibend sei – eine Schokoladenwellenform mit Schokostreuseln.

Interessant an diesem Verfahren ist, dass das Bundespatentgericht von Amts wegen bemängelt hat, dass die Marke nach dem der Eintragung zugrundeliegenden Bild nicht hinreichend eindeutig bestimmt und definiert sei und damit nicht den Anforderungen an eine grafische Darstellbarkeit i. S. des § 8 Abs. 1 MarkenG genüge.

Die Markeninhaberin hat dieses Vorgehen des BPatG mit der Begründung gerügt, dass es sich bei dem vorliegenden Verfahren um ein Löschungsverfahren handelt, das kontraditkorischer Natur ist, und folglich nur die von der Löschungsantragstellerin vorgebrachten Löschungsgründe zu beachten seien.

Für das Bundespatentgericht ergeben sich aus diesem Verfahren zwei Rechtsfragen, die nicht höchstrichterlich geklärt sind.

So erscheint z. B. nicht geklärt, ob eine (komplexe) dreidimensionale Gestaltung, die unter Schutz gestellt
werden soll, durch die grafische Darstellung im Sinne des Art. 2 der Markenrechtsrichtlinie bzw. nach § 8 Abs. 1 MarkenG von allen Seiten dargestellt und insoweit (vollständig) definiert sein muss oder ob die Ansicht von
nur einer Seite ausreicht und quasi Teilschutz für eine Seitenansicht einer dreidimensionalen Gestaltung gewährt werden kann. Es erscheint denkbar, dass solche „3D Teilansichtsschutzgegenstände“ keine dreidimensionalen
Gestaltungen sind, sondern als sonstige Markenformen zu werten sind.

Obergerichtlich ist ferner nicht geklärt, ob die eindeutige grafische Darstellung des Zeichens, für das Markenschutz begehrt bzw. im Falle der Eintragung Schutz beansprucht wird, und die sich daraus ergebende eindeutige
Festlegung dessen, was geschützt werden soll, Bestandteil des deutschen und auch des europäischen ordre-public im Sinne von Art. 6 quinquies B Nr. 3 PVÜ ist und ob ein entsprechender Mangel eine Löschung nach § 50
Abs. 1 MarkenG bzw. Schutzentziehung nach §§ 50 Abs. 1, 107 Abs. 1, 115 Abs. 1 MarkenG rechtfertigt.

Während die zweite Frage in erster Linie für Juristen interessant ist, ist die erste Frage auch für potentielle Markenanmelder bzw. Markeninhaber relevant. Sollte der Bundesgerichtshof nämlich zu dem Schluss kommen, dass eine einzelne Ansicht für eine (komplexe) 3D-Marke nicht ausreichend ist, wären alle (komplexen) 3D-Marken, die nur mit einer Ansicht angemeldet bzw. eingetragen wurden, quasi auf einen Schlag löschungsreif.