BGH, X ZR 161/12 – Wundbehandlungsvorrichtung

BGH, Urteil vom 17. Februar 2015 – X ZR 161/12 – Wundbehandlungsvorrichtung

Amtlicher Leitsatz:

Ein mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteiltes europäisches Patent ist nicht deshalb für nichtig zu erklären [-> Widerruf wegen unzulässiger Erweiterung], weil der Patentanspruch ein Merkmal enthält, das in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart ist, sofern dieses Merkmal zu einer Beschränkung des Schutzgegenstands und nicht zu einem Aliud führt. Bei der Prüfung der Patentfähigkeit ist das nichtursprungsoffenbarte Merkmal insoweit außer Betracht zu lassen, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden darf (Fortführung von BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2010 – Xa ZB 14/09, GRUR 2011, 40 Rn. 18 ff. – Winkelmesseinrichtung; Urteil vom 21. Juni 2011 – X ZR 43/09, GRUR 2011, 1003 Rn. 24 ff. – Integrationselement).

Aus der Urteilsbegründung:

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu deutschen Patenten und Gebrauchsmustern müssen solche Schutzrechte, wenn ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, nicht für nichtig erklärt oder gelöscht werden, sofern die Änderung in der Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals besteht, die zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt. Dagegen ist die Nichtigerklärung oder Löschung nicht zu vermeiden, wenn die Änderung dazu führt, dass der Gegenstand der Anmeldung gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu einem Aliud abgewandelt wird (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2000
– X ZR 184/98, GRUR 2001, 140 – Zeittelegramm; Beschluss vom 21. Oktober 2010 – Xa ZB 14/09, GRUR 2011, 40 – Winkelmesseinrichtung; Urteil vom 21. Juni 2011 – X ZR 43/09, GRUR 2011, 1003 – Integrationselement; Beschluss vom 6. August 2013 – X ZB 2/12, GRUR 2013, 1135 – Tintenstrahldrucker). Die Frage, ob diese Rechtsprechung auch auf europäische Patente Anwendung findet, hat der Bundesgerichtshof bislang offen gelassen (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 19 – Winkelmesseinrichtung). Sie ist – entgegen der Auffassung des Bundespatentgerichts (Urteil vom 8. April 2014, Mitt. 2014, 436 – Fettabsaugevorrichtung) – zu bejahen.

Der angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt die Überlegung zugrunde, dass die unzulässige Änderung des Gegenstands des Patents gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen dessen Widerruf oder Nichtigerklärung nicht erfordert, wenn den berechtigten Interessen Dritter, insbesondere der Wettbewerber des Patentinhabers, und der Öffentlichkeit durch weniger schwerwiegende Maßnahmen Rechnung getragen werden kann.

Danach ist der Widerruf oder die Nichtigerklärung des Patents nicht geboten, wenn der Gegenstand des Patents gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen in unzulässiger Weise verallgemeinert worden ist. In diesem Fall kann die unzulässige Erweiterung dadurch behoben werden, dass die unzulässige Verallgemeinerung aus dem Patentanspruch gestrichen wird (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 14 – Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 19 – Integrationselement; ebenso EPA, Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 2. Februar 1994 – G 1/93, GRUR Int. 1994, 842 Rn. 11 – beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products).

Der Widerruf oder die Nichtigerklärung des Patents ist andererseits unumgänglich, wenn die Hinzufügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals dazu führt, dass der Patentanspruch des erteilten Patents eine andere Erfindung zum Gegenstand hat als die ursprüngliche Anmeldung, wenn das Patent also etwas schützt, das gegenüber dem der Fachwelt durch die ursprünglichen Unterlagen Offenbarten ein „Aliud“ darstellt (BGH, GRUR 2001, 140, 141 – Zeittelegramm; BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 21 – Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 27 – Integrationselement; BGH, GRUR 2013, 1135 Rn. 16 – Tintenstrahldrucker). Die Aufrechterhaltung eines solchermaßen geänderten Anspruchs gefährdete die Rechtssicherheit für Dritte, die darauf vertrauen dürfen, dass aus der Patentanmeldung kein Patent hervorgeht, das einen weiteren oder anderen Gegenstand hat als denjenigen, der in der Anmeldung offenbart worden ist. Die Aufrechterhaltung eines mit dem Einspruch oder der Nichtigkeitsklage angegriffenen Patents mit der Maßgabe, dass das in Rede stehende Merkmal im Patentanspruch verbleibt, der Patentinhaber daraus aber keine Rechte herleiten kann, scheidet in einem solchen Fall aus, weil sie dazu führen würde, dass das Patent in der Fassung nach dem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren einen anderen Gegenstand hätte als ursprungsoffenbart (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 23 – Winkelmesseinrichtung)

Der Widerruf oder die Nichtigerklärung eines Patents ist dagegen nicht erforderlich, wenn die Einfügung eines Merkmals, das in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart ist, zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt. In einem solchen Fall wird den berechtigten Interessen der Öffentlichkeit dadurch Rechnung getragen, dass das einschränkende Merkmal im Patentanspruch verbleibt und zugleich dafür gesorgt wird, dass im Übrigen aus der Änderung Rechte nicht
hergeleitet werden können, insbesondere das nicht offenbarte Merkmal bei der Prüfung der Patentfähigkeit insoweit außer Betracht zu lassen ist, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden darf (BGH, GRUR 2001, 140, 142 f. – Zeittelegramm; BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 16 – Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 24 – Integrationselement; BGH, GRUR 2013, 1135 Rn. 16 – Tintenstrahldrucker).

Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht nicht in Widerspruch zu den Regelungen des Europäischen Patentübereinkommens.

Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts führt die Aufnahme eines einschränkenden, in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals in den Patentanspruch regelmäßig zum Widerruf des Patents nach Art. 123 Abs. 2, 100 Buchstabe c EPÜ. Falle ein solches Merkmal unter Art. 123 Abs. 2 EPÜ, könne es weder im Patent beibehalten noch ohne Verstoß gegen Art. 123 Abs. 3 EPÜ aus den Ansprüchen gestrichen werden. Das Patent könne nur dann – ausnahmsweise – aufrechterhalten werden, wenn die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung eine Grundlage dafür biete, dass die einschränkenden Merkmale ohne Verstoß gegen Art. 123 Abs. 3 EPÜ durch andere ersetzt werden könnten (Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 2. Februar 1994 – G 1/93, GRUR Int. 1994, 842 Rn. 12 f. – beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products).

Bundespatentgericht und Bundesgerichtshof wenden bei der Entscheidung über die Nichtigerklärung eines europäischen Patents, das mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist, nicht Art. 123 Abs. 2 und 3 EPÜ an, sondern entscheiden auf der Grundlage von Art. II § 6 IntPatÜbkG. Mit der Schaffung dieser Norm hat der nationale Gesetzgeber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Gründe für die Nichtigerklärung eines europäischen Patents für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe von Art. 138 EPÜ aufzuführen. Nach Art. 138 EPÜ kann ein europäisches Patent – vorbehaltlich des Art. 139 EPÜ – nur aus den dort abschließend aufgeführten Gründen für nichtig erklärt werden. Die Norm steht damit zwar einer Entscheidung des nationalen Gerichts entgegen, durch die ein europäisches Patent auch dann für nichtig erklärt wird, wenn keiner der in Art. 138 EPÜ aufgeführten Gründe vorliegt. Sie eröffnet aber die Möglichkeit, dass das nationale Gericht auch bei Vorliegen eines solchen Grundes von der Nichtigerklärung des Patents absieht, ohne sich damit in Widerspruch zu Art. 123 EPÜ zu setzen, wie er von der Großen Beschwerdekammer verstanden wird.

Ein solches Absehen von der Nichtigerklärung ist auch bei einem europäischen Patent angezeigt, wenn die Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht oder nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt.

Jahresgebühren für das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung

Ein erster Vorschlag des Präsidenten des EPA für die Jahresgebühren des Europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung wurde im März für den Engeren Ausschuss des Verwaltungsrats erstellt.

Kern des Vorschlags ist, dass sich die Jahresgebühren für das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung ab dem 10. Jahr an den Kosten für die vier oder fünf EPÜ-Vertragsstaaten orientieren, in denen europäische Patente derzeit am häufigsten validiert werden. Konsultationen hatten vorher gezeigt, dass Jahresgebühren für das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung, die deutlich über der Summe der derzeitigen Jahresgebühren für DE, FR, GB liegen, das System eher unattraktiv werden lassen.

Der Vorschlag des Präsidenten zu den Jahresgebühren wurde entsprechend eher kritisch kommentiert, beispielsweise auf IPKat, von Allen Overy oder von Grünecker. Ein Problem ist beispielsweise, dass zu den neben DE, FR und GB am häufigsten validierten Staaten auch Länder wie IT, CH und ES gehören, die durch das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung gar nicht abgedeckt sind.

Diese Probleme sind auch dem Präsidenten ersichtlich bekannt. So heißt es in Rn. 11 des Vorschlags:

It is true that, at first glance, paying the total sum of national fees for a small number of states (e.g. three to five) looks a more attractive proposition than the IRF [= Internal Renewal Fees of the EPO] level. However, in addition to paying national fees, users always incur a number of associated costs, in particular for translation and national validation, where charged, but also for hiring a local patent attorney or specialist firm to administer renewal-fee payments. Once these additional costs are also included, the difference between the sum payable for a classical European patent and a unitary patent is less marked; indeed, the unitary patent option is actually cheaper from year 6 on. In any event, once the additional costs are included the two amounts differ by only a few hundred euros, a negligible share of applicants‘ overall costs up to the granting of the patent.

Zielsetzung des europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung sollte es jedoch gerade nicht sein, das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung nur „geringfügig teurer“ (Rn. 11 des Vorschlags) als ein Bündelpatent zu machen. Versprochen war kostengünstiger Patentschutz.

So heißt es beispielsweise in ErwG (4) der Einheitspatent-VO:

Der einheitliche Patentschutz wird durch einen leichteren, weniger kostspieligen und rechtssicheren Zugang zum Patentsystem den wissenschaftlich-technischen Fortschritt und die Funktionsweise des Binnenmarkts fördern. Er wird auch den Umfang des Patentschutzes verbessern, indem die Möglichkeit geschaffen wird, einen einheitlichen Patentschutz in den teilnehmenden Mitgliedstaaten zu erlangen, so dass sich Kosten und Aufwand für die Unternehmen in der gesamten Union verringern.

Deutlich wird aus dem Vorschlag des Präsidenten, dass die Erwartung, kostengünstigen, auch für SMEPs finanziell leicht stemmbaren Patentschutz in ganz Europa zu erhalten, schlicht politisches Wunschdenken ist, dem die Gebührenstruktur in keiner Weise gerecht werden wird. Die Kosten allein für die Jahresgebühren würden sich auf ca. 40 000 EUR über die maximale Laufzeit des Patents bemessen.

Eine sehr gelungene satirische Darstellung, die die Unterschiede zwischen den durch die Politik geschürten Erwartungen von Anmeldern und der absehbaren zukünftigen Gebührenhöhe verdeutlicht, wird in einem fiktiven Mandantengespräch auf IPKat dargestellt.

Seitengebühren-Abzocke am Europäischen Patentamt

Hintergrund: Mit der Änderung der Gebührenstruktur für Anmeldegebühren, die zum 1.4.2009 in Kraft getreten ist, hat der Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation die seitenzahlabhängige Zusatzgebühr als Teil der Anmeldegebühr eingeführt (CA/D 5/08). Durch diese wurde die seitenzahlabhängige Erhöhung der Erteilungsgebühr ersetzt. Nach Angabe des EPA sollten durch diese Maßnahmen Mehrkosten, die durch eine angeblich zunehmende Komplexität der Bearbeitung entstehen, auf den Anmelder umgelegt werden (vgl. Abl. EPA 2009, 118). Der tiefere Grund für die Verschiebung der seitenzahlabhängigen Gebührenerhöhung von der Erteilungsgebühr in die Anmeldegebühr dürfte schlicht darin gelegen haben, dass mit der seit 2009 geltenden Gebührenstruktur diese Zusatzgebühr auch für zurückgewiesene oder fallengelassene Anmeldungen vereinnahmt werden kann.

Sachverhalt: Die Eingangsstelle des EPA vertritt die Auffassung, die – bereits fällige und wirksam entrichtete – Zusatzgebühr zur Anmeldegebühr würde sich nachträglich erhöhen, wenn eine Aufforderung zur Mängelbeseitigung (Regel 58 EPÜ) aus einem der folgenden Gründe ergeht:
– zu kleine Seitenränder,
– zu kleine Schriftgröße in der Beschreibung und den Ansprüchen oder
– zu kleine Schriftgröße in den Figuren.

Die Eingangsstelle des EPA fordert den Anmelder zusammen mit der Mitteilung nach Regel 58 EPÜ auf, die Zusatzgebühr für bei Mängelbehebung eingereichte Zusatzseiten, die die Seitenanzahl von 35 Seiten der Anmeldung überschreiten, nachzuentrichten. Nach Auffassung der Eingangsstelle tritt eine Rücknahmefiktion bei Nichtentrichtung ein. Weiterbehandlung ist möglich.

Würdigung: Die Praxis der Eingangsstelle ist jedenfalls fragwürdig (laut Visser: ohne Basis im EPÜ). Wird die fällige Anmeldegebühr mit etwaigen seitenzahlabhängigen Zusatzgebühren fristgerecht entrichtet, könnte die Zusatzgebühr dann, und nur dann, erneut in anderer Höhe fällig werden, wenn das EPÜ dies ausdrücklich anordnet. Dies ist beispielsweise der Fall bei
– der Nachreichung eines Anspruchssatzes (Regel 38 Abs. 3 Alt. 2 EPÜ) oder
– der Einreichung einer Anmeldung durch Bezugnahme auf eine frühere Anmeldung (Regel 38 Abs. 3 Alt. 3 EPÜ),
nicht jedoch bei einer Mängelbehebung auf eine Mitteilung nach Regel 58 EPÜ hin.

Auch die Systematik des EPÜ bei den Anspruchsgebühren zeigt, dass eine fällige, wirksam entrichtete Gebühr nach dem EPÜ nicht bei einer Änderung der Anmeldung automatisch erneut fällig wird, sondern es dazu einer gesetzlichen Anordnung (bei der Anspruchsgebühr: Regel 71(4) EPÜ) bedarf.

Es ist verständlich, dass es das EPA als misslich empfinden mag, dass durch eine Wahl kleiner Schriftgrößen und/oder Seitenränder die Zusatzgebühr als Teil der Anmeldegebühr verringert werden kann. Eine – gesetzlich nicht vorgesehene – nachträgliche Änderung der Zusatzgebühr zu postulieren, kann nicht der richtige Weg sein. Es bleibt zu hoffen, dass bald ein Anmelder den Weg zur Beschwerdekammer beschreitet, um eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Verhaltens der Eingangsstelle herbeizuführen.

BGH, X ZR 69/13 – Audiosignalcodierung: Mittelbare Patentverletzung

BGH, Urteil vom 3.2.2015 – Audiosignalcodierung:

Leitsätze:

a) Ein Mittel bezieht sich nicht schon dann auf ein wesentliches Element der Erfindung im Sinne von § 10 Abs. 1 PatG, wenn es zur Verwirklichung eines Verfahrensschritts eingesetzt wird, der den im Patentanspruch eines Verfahrenspatents vorgesehenen Schritten vorausgeht. Dies gilt auch dann, wenn der vorgelagerte Schritt notwendig ist, um die im Patentanspruch vorgesehenen Schritte ausführen zu können, und wenn das Mittel aufgrund seiner konkreten Ausgestaltung ausschließlich zu diesem Zweck eingesetzt werden kann.

b) Ein Mittel, mit dem bestimmte Verfahrensschritte bei der Übertragung eines Audiosignals ausgeführt werden, bezieht sich nicht auf ein wesentliches Element der Erfindung, wenn das Patent zwar ein Übertragungsverfahren schützt, im Patentanspruch aber nur andere Schritte dieses Verfahrens näher festgelegt sind und die Ausgestaltung der Verfahrensschritte, auf die sich das Mittel bezieht, für die Verwirklichung der Erfindung nicht von Bedeutung ist.

c) Wer im Ausland ein Mittel, das sich auf ein wesentliches Element der Erfindung bezieht, an einen Dritten liefert, der es mit seinem Wissen und Wollen zur Benutzung der Erfindung in Deutschland weiterliefert, veranlasst eine Lieferung des Mittels im Geltungsbereich des Patentgesetzes.

Anmerkungen:

Die Leitsatzentscheidung BGH, Urteil vom 3.2.2015 – Audiosignalcodierung dürfte eine der wichtigsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur mittelbaren Patentverletzung der jüngeren Zeit sein.

Drei Anmerkungen zu dieser Entscheidung:

1. Der Patentanspruch des Klagepatents betraf ein Übertragungsverfahren für Audiodaten. Der Patentanspruch enthielt die coderseitigen und die decoderseitigen Verfahrensschritte der Übertragung.

Für das Übertragungsverfahren nötig, aber nicht im Anspruch enthalten waren darüber hinaus die Modulierung der codierten Daten auf ein Trägersignal und die entsprechende Demodulierung auf der Seite des Decoders.

Im Patentverletzungsverfahren wurden verschiedene Ausführungsbeispiele angegriffen: Zunächst gab es angegriffene Ausführungsformen, bei denen die Kombination aus einem Gerät zur Demodulation (typischerweise ein USB-Stick) und eine Software zur Decodierung angeboten wurde. Diese Ausführungsbeispiele stellten eine mittelbare Patentverletzung dar.

Darüber hinaus gab es jedoch angegriffene Ausführungsformen, bei denen nur das Gerät zur Demodulation (typischerweise ein USB-Stick) geliefert wurde. Die Decodierung wurde von anderer Software (z.B. Windows Media Player) ausgeführt, die nicht zur angebotenen Ausführungsform gehörten. Für diese wurde die Verletzung verneint.

2. Ein bedeutender Aspekt dieser Entscheidung liegt nach meiner Auffassung darin, dass der BGH klarstellt, dass auch bei mittelbarer Patentverletzung eines Verfahrensanspruchs nicht erforderlich ist, dass die beanspruchten Verfahrensschritte von ein- und derselben Person ausgeführt werden müssen. Eine mittelbare Patentverletzung kommt auch dann in Betracht, wenn ein wesentliches Mittel zur Realisierung eines Verfahrens angeboten oder geliefert wird, wenn die Verfahrensschritte dieses Verfahrens von zwei oder mehr unterschiedlichen Personen ausgeführt werden (vorliegend: Codierung durch eine Sendeanstalt, Decodierung durch die Software auf dem Computer des Benutzers). Dies ist eine Folge der vom BGH bejahten Möglichkeit der nebentäterschaftlichen Haftung für Patentverletzungen (BGH, Urteil vom 27. Februar 2007 – X ZR 113/04 Rn. 19 – Rohrschweißverfahren; BGH, Urteil vom 17. September 2009 – Xa ZR 2/08 Rn. 34 – MP3-Player-Import).

Dies ist für die Praxis des Patentverletzungsverfahrens insofern von Bedeutung, als die deutsche Praxis sich von der höchstrichterlichen Rechtsprechung des U.S. Supreme Court unterscheidet. Die Entscheidung US Supreme Court – LIMELIGHT NETWORKS scheint darauf hinzudeuten, dass eine mittelbare Verletzung eines Verfahrensanspruchs nur in Betracht kommt, wenn alle Verfahrensschritte des Patentanspruchs von derselben Person ausgeführt werden („single entity“-Theorie). So führt der Supreme Court in Abschnitt II.A der Entscheidung aus:

… there has simply been no infringement of the method in which respondents have staked out an interest, because the performance of all the patent’s steps is not attributable to any one person. And, as both the Federal Circuit and respondents admit, where there has been no direct infringement, there can be no inducement of infringement under §271(b).

3. Ein weiterer bedeutender Aspekt der BGH-Entscheidung: Der allgemeine Ansatz bei der patentanwaltlichen Praxis des Patent-Drafting ist, dass in den Patentansprüche meist gilt: „weniger ist mehr“. Überflüssige Merkmale sind aus den Ansprüchen wegzulassen.

In dem dieser BGH-Entscheidung zugrundeliegenden Fall hätte jedoch die mittelbare Patentverletzung durch diejenigen Ausführungsformen, die nur den Demodulierer, aber nicht den Decoder enthielten, wohl nicht mit der vom BGH gegebenen Begründung verneint worden können. Möglicherweise wäre die Entscheidung also anders ausgefallen, wenn der Patentanspruch nicht nur die Codierung und Decodierung der Daten, sondern auch die Modulations- und Demodulationsschritte, wenn auch nur in allgemeiner und breiter Form, enthalten hätte.

BGH, X ZR 76/13 – Stabilisierung der Wasserqualität

BGH, Urteil vom 3. Februar 2015 – X ZR 76/13 – Stabilisierung der Wasserqualität

Amtliche Leitsätze:

a) Ob eine Erfindung so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fach-mann sie ausführen kann, ist ebenso eine Rechtsfrage wie die Frage, ob dem Gegenstand eines Patents Patentfähigkeit zukommt.

b) Die Ausführbarkeit der in einem Patentanspruch umschriebenen technischen Lehre darf nicht mit der Erreichbarkeit derjenigen Vorteile gleichgesetzt wer-den, die der Erfindung in der Beschreibung zugeschrieben werden.

G 3/14: Klarheit im EPA-Einspruchsverfahren

Die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer in der Sache G 3/14 vom 24.3.2015 wurde nunmehr bereits auf der EPA-Website veröffentlicht.

Die Entscheidung befasst sich mit den – in der patentamtlichen Praxis sehr relevanten – Fragen, unter welchen Umständen die Einspruchsabteilungen des EPA einen Einwand mangelnder Klarheit bei der Einreichung geänderter Ansprüche im Einspruchsverfahren prüfen dürfen und müssen. Ausgangspunkt der Vorlageentscheidung war, ob auch bei einer Kombination zweier erteilter Ansprüche durch den Patentinhaber, die dazu führt, dass der im Einspruchsverfahren verteidigte Gegenstand grundsätzlich schon von der Prüfungsabteilung auf Klarheit geprüft worden sein sollte, im Einspruchsverfahren eine Prüfungsbefugnis der Einspruchsabteilung im Hinblick auf das Klarheitserfordernis des Art. 84 EPÜ eröffnet ist.

BGH, X ZR 6/13 – Presszange

BGH, Urteil vom 9. Dezember 2014 – X ZR 6/13 – Presszange

Amtliche Leitsätze:

a) Ein Angebot, das nicht an die Öffentlichkeit, sondern an einen (potentiellen)
Vertragspartner gerichtet ist, stellt nur dann eine offenkundige Vorbenutzung
dar, wenn die Weiterverbreitung der dem Angebotsempfänger damit übermittelten
Kenntnis an beliebige Dritte nach der Lebenserfahrung nahegelegen
hat. Ist das Angebot auf die Herstellung eines erst noch zu entwickelnden
Gegenstands gerichtet, kann dies nicht ohne weiteres angenommen werden.

b) Die Schlussfolgerung, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung die nicht
nur entfernte Möglichkeit bestanden hat, dass beliebige Dritte und damit
auch Fachkundige durch eine Vorbenutzung zuverlässige Kenntnis von der
Erfindung erhalten, setzt voraus, dass wie etwa bei einem Angebot oder einer
Lieferung mindestens ein Kommunikationsakt feststeht, an den ein Erfahrungssatz
anknüpfen kann.

BGH, X ZR 41/13 – Quetiapin

BGH, Urteil vom 13. Januar 2015 – X ZR 41/13 – Quetiapin

Amtlicher Leitsatz:

Bei der Definition des technischen Problems, das einer Erfindung zugrunde liegt, darf nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass für den Fachmann die Befassung mit einer bestimmten Aufgabenstellung angezeigt war. Vielmehr ist
das technische Problem so allgemein und neutral zu formulieren, dass sich die Frage, welche Anregungen der Fachmann durch den Stand der Technik insoweit erhielt, ausschließlich bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit stellt.

BPatG, 11 W (pat) 12/10 – Ratschenschlüssel

BPatG, Beschl. v. 10. November 2014 – 11 W (pat) 12/10 – Ratschenschlüssel

Amtliche Leitsätze:

Die Zulässigkeit des Beitritts zum Einspruchsverfahren setzt die Erhebung einer „Klage“ voraus, deren Begriff im deutschen Recht klar, eindeutig und abschließend definiert ist.

Die Ausdehnung der gesetzlichen Beitrittsmöglichkeit im Wege einer „erweiternden Auslegung“ des Begriffs der „Klage“ oder einer Analogie, welche eine einstweilige Verfügung umfasste, ist nach deutschem Recht nicht möglich (a.A. Beschluss des 8. Senats des BPatG vom 12. Juli 2011 – 8 W (pat) 23/08).

Aus der Beschlussbegründung:

Das Argument, der angebliche Patentverletzer, der durch eine einstweilige Verfügung in Anspruch genommen worden sei, müsse sich während des Einspruchsverfahrens mittels Beitritts unverzüglich wehren können, ohne den Zeitpunkt abzuwarten, bis eine Nichtigkeitsklage zulässig wird, erscheint nicht tragfähig. Denn er hat drei Möglichkeiten zur Verfügung: Er kann die negative Feststellungsklage gemäß § 59 Abs. 2 Satz 2 PatG erheben und so unmittelbar die Voraussetzung für seinen Beitritt schaffen. Er kann gemäß § 926 ZPO i. V. m. § 936 ZPO beantragen, dass die Klageerhebung des Patentinhabers gerichtlich angeordnet wird. Oder er kann gegen den Beschluss, durch den die einstweilige Verfügung angeordnet worden ist, Widerspruch einlegen (§ 924 ZPO i. V. m. § 936 ZPO).