BGH, X ZR 25/13 – Sitzgelenk

BGH, Beschluss vom 13. Mai 2014 – X ZR 25/13 – Sitzgelenk

Amtliche Leitsätze:

a) Eine Patentnichtigkeitsklage kann auch in der Berufungsinstanz ohne Einwilligung des Beklagten zurückgenommen werden (Bestätigung von BGH, Be-schluss vom 22. Juni 1993 – X ZR 25/86, GRUR 1993, 895 – Hartschaumplatten).

b) Eine Klagerücknahme durch die Hauptpartei bedarf auch dann nicht der Zustimmung eines auf Seiten des Klägers am Rechtsstreit beteiligten Streithelfers, wenn dieser gemäß § 69 ZPO als Streitgenosse anzusehen ist (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 22. Dezember 1965, 297 f. – Nebenintervention).

BGH, I ZR 38/13 – Probiotik: Zur rechtserhaltenden Benutzung einer Marke

BGH, Urteil vom 8. Januar 2014 – I ZR 38/13 – Probiotik

Amtliche Leitsätze:

a) Wird eine Wortmarke dergestalt benutzt, dass das Wortzeichen graphisch oder farblich gestaltet wird oder bildliche Elemente hinzugefügt werden, ist für die Prüfung der rechtserhaltenden Benutzung gemäß § 26 Abs. 3 MarkenG maßgeblich, ob diese weiteren Elemente einen Bezug zur Funktion der Marke als Herkunftshinweis haben oder lediglich allgemeine Sachangaben oder werbliche Hervorhebungsmittel sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Marken auf der Produktverpackung in der Praxis regelmäßig nicht isoliert verwendet werden, sondern dem Verkehr häufig verbunden mit weiteren An-gaben, Zeichen, Aufmachungen und Farben entgegentreten.

b) Ist eine Bezeichnung aus zwei Wortzeichen gebildet, die jeweils für sich genommen und eindeutig räumlich zugeordnet mit dem Zusatz ® versehen und zudem durch ein Pluszeichen im Sinne einer gleichwertigen Aufzählung verbunden sind (hier: „PRAEBIOTIK® + PROBIOTIK®“), bestehen deutliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Verkehr in der benutzten Form zwei voneinander zu unterscheidende Zeichen sieht.

BGH, I ZR 210/12 – fishtailparka

BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 – I ZR 210/12 – fishtailparka

Amtliche Leitsätze:

a) Bei Unterlassungserklärungen, die nach marken- oder wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen abgegeben werden, entspricht es in aller Regel dem objektiven Interesse beider Vertragsparteien, ihre Beseitigung nur dann zuzulassen, wenn auch der Durchsetzung eines entsprechenden Vollstreckungstitels entgegengetreten werden kann. Das setzt regelmäßig Gründe voraus, auf die sich auch eine Vollstreckungsabwehrklage stützen lässt.

b) In der Regel fällt bei Unterlassungserklärungen mit Vertragsstrafeversprechen durch eine Gesellschaft und ihr Organ bei einem Verstoß, welcher der Gesellschaft nach § 31 BGB zuzurechnen ist, nur eine Vertragsstrafe an, für die Gesellschaft und Organ als Gesamtschuldner haften (Fortführung von BGH, Beschluss vom 12. Januar 2012 I ZB 43/11, GRUR 2012, 541 Rn. 6).

BGH, I ZR 218/12 – Nordjob-Messe

BGH, Urteil vom 22. Januar 2014 – I ZR 218/12 – Nordjob-Messe

Amtlicher Leitsatz:

Eine gesetzliche Krankenkasse verstößt gegen das Verbot, die geschäftliche Unerfahrenheit von Jugendlichen auszunutzen (§ 4 Nr. 2 UWG), wenn sie im Zusammenhang mit der Durchführung eines Gewinnspiels von den Teilneh-mern im Alter zwischen 15 und 17 Jahren umfangreiche personenbezogene Daten erhebt, um diese (auch) zu Werbezwecken zu nutzen.

BGH, I ZR 224/12 – Flugvermittlung im Internet

BGH, Urteil vom 30. April 2014 – I ZR 224/12 – Flugvermittlung im Internet

Der Betreiber eines Internetportals, auf dem Kunden im Wege der Vermittlung Flüge buchen können, verstößt auch dann nicht gegen das Verbot unlauterer Behinderung gemäß § 4 Nr. 10 UWG, wenn die der Vermittlung zugrundeliegenden, frei zugänglichen Flugverbindungsdaten im Wege einer automatisierten Abfrage von der Internetseite der Fluggesellschaft ermittelt werden (sog. „Screen Scraping“), und sich der Betreiber des Internetportals während des Buchungsvorgangs durch das Setzen eines Hakens mit den Nutzungsbedingungen der Fluggesellschaft einverstanden erklärt, die einen solchen automatisierten Abruf von Flugdaten untersagen.

BGH, X ZR 77/12 – Proteintrennung

BGH, Urteil vom 18. März 2014 – X ZR 77/12 – Proteintrennung

Amtliche Leitsätze:

PatG § 81

Eine Patentnichtigkeitsklage ist nicht schon deshalb als rechtsmissbräuchlich anzusehen, weil sich der Nichtigkeitskläger einer früheren, von einer zusammen mit ihm wegen Verletzung des Streitpatents in Anspruch genommenen Partei erhobenen Klage nicht als Streitgenosse oder Streithelfer angeschlossen, sondern zunächst den Ausgang dieses Verfahrens abgewartet hat.

EPÜ Art. 54; PatG § 3

a) Durch eine Vorveröffentlichung offenbart kann auch dasjenige sein, was im Patentanspruch und in der Beschreibung nicht ausdrücklich erwähnt, aus der Sicht des Fachmanns jedoch für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedarf, sondern „mitgelesen“ wird. Die Einbeziehung von Selbstverständlichem erlaubt jedoch keine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern dient lediglich der vollständigen Ermittlung des Sinngehalts, d.h. derjenigen technischen Information, die der fachkundige Leser der Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt (Bestätigung von BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 = GRUR 2009, 382 – Olanzapin).

b) Ergibt sich für den Fachmann aus der Beschreibung eines Verfahrens zur Herstellung eines zum therapeutischen Einsatz geeigneten Proteinkonzent-rats, dass es weiterer Verfahrensschritte bedarf, um die therapeutische Ein-setzbarkeit herbeizuführen, so ist eine Maßnahme, die im Prioritätszeitpunkt das in der Praxis allgemein übliche Mittel war, um dieses Ziel zu erreichen, vom Offenbarungsgehalt der Veröffentlichung umfasst.

BGH, X ZR 31/11 – Reifendemontiermaschine

BGH, Urteil vom 1. April 2014 – X ZR 31/11 – Reifendemontiermaschine

Es ist durch Auslegung des Patentanspruchs unter Heranziehung der Beschreibung und der Zeichnungen zu ermitteln, ob die Kennzeichnung des Gegenstands eines Nebenanspruchs dahin, dass er eine in Übereinstimmung mit den vorangehenden Ansprüchen ausgebildete Vorrichtung umfasst (hier: comprising a device in accordance with claims 1 to 12), die Verwirklichung der Merkmale sämtlicher vorangehender Unteransprüche erfordert.

Aus der Urteilsbegründung:

Entgegen der Annahme des Patentgerichts, das für die von ihm vertretene Ansicht keine Begründung gegeben hat, ist Patentanspruch 13 nicht so zu lesen, dass die dort beanspruchte Reifendemontiermaschine sämtliche Merkmale der erteilten Ansprüche 1 bis 12 aufweisen muss. Die Anspruchsformulierung ist vielmehr dahin auszulegen, dass Patentanspruch 13 eine Maschine mit den Merkmalen eines oder mehrerer der Patentansprüche 1 bis 12 unter Schutz stellt.

Nachveröffentlichter Stand der Technik für das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung

Die Problematik, dass eine in nur einem Staat existierende nachveröffentlichte nationale Patentanmeldungen das komplette europäische Patent mit einheitlicher Wirkung zu Fall bringen kann, wurde bereits früher in diesem Blog , in anderen Blogs und Fachzeitschriften (vgl. epi Information 1/2014, S. 30-31) diskutiert.

In einem Artikel von A. Hüttermann in Mitt. 2014, S. 72-73 mit dem Titel „Sind einige Patentinhaber gleicher als andere (?) – Ältere Rechte im kommenden Einheitspatentsystem“ wird die Auffassung vertreten, dass nur nachveröffentlichte Patentanmeldungen aus demjenigen Staat, dessen Recht nach Art. 7 der VO 1257/2012 (im Folgenden: EPeW-VO) anwendbar ist, dem europäischen Patent mit einheitlicher Wirkung entgegenstehen können. Die Argumentation beruht auf der Auffassung, Art. 7 EPeW-VO würde auch definieren, was als „nationale“ Patentanmeldung i.S.v. Art. 139 Abs. 2 EPÜ für ein europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung zu verstehen ist.

Es gibt jedoch gewichtige Gründe dafür, dass nicht nur nachveröffentlichte nationale Patentanmeldungen in dem Staat, dessen Recht nach Art. 7 EPeW-VO auf das europäische Patent als Gegenstand des Vermögens anzuwenden ist, Stand der Technik für das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung sind, sondern auch die nachveröffentlichten Anmeldungen aus allen anderen Staaten, für die die einheitliche Wirkung eingetragen wurde:

1. Art. 7 EPeW-VO betrifft nur die Bestimmung des anwendbaren Rechts für das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung „als Gegenstand des Vermögens“. Dieser Begriff dürfte ähnlich wie im EPÜ auszulegen sein und somit nur Fragen wie die Übertragung, Lizenzierung oder dingliche Rechte am europäischen Patent mit einheitlicher Wirkung betreffen, nicht jedoch die materiellen Schutzvoraussetzungen.

2. Sowohl die EPeW-VO als auch das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) enthalten keine Vorschriften zu materiellen Schutzvoraussetzungen, da auch ein europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung den entsprechenden Vorschriften des EPÜ unterliegt. Nach Art. 138 i.V.m. Art. 139 Abs. 2 EPÜ sind nachveröffentlichte Anmeldungen jedes Staates, für den das europäische Patent erteilt ist, Stand der Technik.

3. Eine Beschränkung des Stands der Technik derart, dass nur nachveröffentlichte Patentanmeldungen aus dem nach Art. 7 EPeW-VO bestimmten Staat dem europäischen Patent mit einheitlicher Wirkung entgegenstehen können, würde auch dem Normzweck des Art. 139 Abs. 2 EPÜ widersprechen. Art. 139 Abs. 2 EPÜ soll eine Doppelpatentierung verhindern. Wäre beispielsweise nach Art. 7 EPeW-VO auf das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung als Gegenstand des Vermögens das Recht Deutschlands anwendbar, könnten gegenstandsgleiche ältere nachveröffentlichte Patente aus jedem anderen Staat (FR, GB, …) nicht zur Nichtigkeit des europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung führen. Gegenstandsgleiche Patente könnten in allen Staaten mit Ausnahme des nach Art. 7 EPeW-VO bestimmten Staates koexistieren, was durch Art. 139 Abs. 2 EPÜ gerade ausgeschlossen werden soll.

Zusammenfassend dürften also entgegen der in Mitt. 2014, S. 72-73 geäußerten Auffassung nationale nachveröffentlichte Patentanmeldungen aller Staaten, für die das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung erteilt wurde, Stand der Technik nach Art. 139 Abs. 2 EPÜ sein.

Die Problematik, dass einem europäischen Patent mit einheitlicher Wirkung potenziell sehr umfangreicher nachveröffentlichter Stand der Technik entgegenstehen kann, hat in jüngerer Zeit auch zu Vorschlägen sowohl des Select Committee als auch des EEPC des epi (vgl. epi Information 1/2014, S. 20) geführt. Nach diesen Vorschlägen soll durch nationale Gesetzgebung ermöglicht werden, dass nach einer aufgrund eines kollidierenden älteren Rechts erfolgten Nichtigerklärung des europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung eine Validierung in denjenigen Staaten erfolgen kann, in denen der entsprechende nachveröffentlichte Stand der Technik nicht existiert. Das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung würde so nachträglich in ein Bündel zerfallen. Sinnvoller wäre es natürlich gewesen, entsprechende Regelungen gleich in die EPeW-VO aufzunehmen, wie dies in den ersten Verordnungsentwürfen im Ansatz vorgesehen war, oder im EPGÜ zu vereinbaren. Eine derartige nationale Regelung könnte auch im Hinblick auf Art. 4 Abs. 2 EPeW-VO problematisch sein, nach der die beteiligten Staaten sicherstellen müssen, dass die Wirkungen des europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung als nationales Patent nicht eintreten, soweit die einheitliche Wirkung eingetragen wurde.

BGH, I ZB 42/11 – Reichweite des Unterlassungsgebots

BGH, Beschluss vom 3. April 2014 – I ZB 42/11 – Reichweite des Unterlassungsgebots

a) Die Verletzung eines bestimmten Schutzrechts kann die Verhängung eines Ordnungsmittels für kerngleiche Verletzungen anderer Schutzrechte rechtfertigen, wenn die kerngleichen Verletzungshandlungen in das Erkenntnisverfahren und die Verurteilung einbezogen sind (Fortführung von BGH, Urteil vom 20. Juni 2013 I ZR 55/12, GRUR 2013, 1235 Rn. 18 = WRP 2014, 75 Restwertbörse II).

b) Das rechtlich Charakteristische der konkreten Verletzungsform, das für die Bestimmung des Kerns der verbotenen Handlung und die Reichweite des Vollstreckungstitels maßgeblich ist, ist auf die Schutzrechte beschränkt, die Prüfungsgegenstand im Erkenntnisverfahren gewesen sind.