EPG, UPC_CFI_16/2024: App-basierte Aktivierung durch den Abnehmer

EPG, Lokalkammer Düsseldorf, Beschl. v. 14. Januar 2025 – UPC_CFI_16/2024

Leitsätze der Entscheidung:

1. Ist eine Vorrichtung im angebotenen bzw. vertriebenen Zustand noch nicht geeignet, von sämtlichen Merkmalen des Patentanspruchs Gebrauch zu machen, weil es zunächst noch der Aktivierung bestimmter Funktionen durch den Abnehmer bedarf, muss sich der vermeintliche Verletzer das Verhalten seiner Abnehmer dann zurechnen lassen, wenn er diese zu einer solchen Aktivierung anleitet oder wenn er eine solche abnehmerseitige Aktivierung in dem Wissen, dass eine solche stattfinden wird, bewusst ausnutzt [→ Verbot der Herstellung, des Anbietens und des Vertriebs von patentierten Erzeugnissen].

2. Die Vernichtung [Artikel 64 (2) e → Vernichtung] soll den Eintritt oder Wiedereintritt der Erzeugnisse in den Markt zuverlässig verhindern. Die Möglichkeit einer softwarebasierten Deaktivierung einer bestimmten, für die Verwirklichung der beanspruchten technischen Lehre notwendigen Funktion kann nur dann gegen eine Vernichtung sprechen, wenn sichergestellt wäre, dass die angegriffene Ausführungsform beim Einsatz einer solchen Lösung nicht erneut in einen patentverletzenden Zustand versetzt werden kann.

3. Art. 80 EPGÜ [→ Veröffentlichung von Entscheidungen] stellt es in das Ermessen des Gerichts, ob es eine solche Veröffentlichung gestattet oder nicht. Damit eine solche Anordnung ergehen kann, muss das Interesse des Klägers an der Veröffentlichung die notwendigen Folgen einer Solchen für den Beklagten überwiegen. Im Regelfall kommt eine solche Veröffentlichung nur in Betracht, wenn der Schutz des Klägers nicht bereits durch andere Maßnahmen gewährleistet ist.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Das Gericht stellte fest, dass die Beklagten das Patent durch das Angebot und den Vertrieb eines Erzeugnisses, das mit einer deaktivierten Sprachsteuerung geliefert wird, verletzt haben. Die Aktivierung ist über eine App möglich, was zu einer patentverletzenden Nutzung führt, falls sie aktiviert wird. Die Beklagten haben es unterlassen, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um eine patentverletzende Nutzung im Inland zu verhindern.

EPG, UPC_CFI_249/2023: Verzinsung

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 10. Januar 2025 – UPC_CFI_249/2023

Leitsatz aus der Entscheidung:

Zu erstattende Verfahrenskosten und Auslagen werden im Kostenfestsetzungsverfahren nicht verzinst.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Weder das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht noch die Verfahrensordnung sehen eine Verzinsung von festgesetzten Kosten im Kostenfestsetzungsverfahren vor.

Eine entsprechende Anwendung der Regeln 125 [→ Gesondertes Verfahren zur Festsetzung der Höhe des angeordneten Schadenersatzes] und 131 VerfO [→ Inhalt des Antrags auf Festsetzung von Schadensersatz], welche die Verfahren zur Festsetzung von Schadenersatz und Entschädigung regeln und eine Verzinsung ausdrücklich vorsehen, scheidet aus. Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke. Die beiden zitierten Vorschriften zeigen vielmehr, dass dem Gesetzgeber die Problematiken des Zeitverzugs und der Inflation bewusst war. Gleichwohl hat der Gesetzgeber für die Kostenerstattung keine Verzinsung vorgesehen.

Im einstweiligen Verfügungsverfahren ist als Ausgleich vielmehr vorgesehen, dass die erfolgreiche Partei eine vorläufige Kostenerstattung beantragen und sogleich vollstrecken kann (Regel 211 Nr. 1 d EPGVO → Arten einstweiliger Maßnahmen). Diese Möglichkeit existiert auch vor dem Berufungsgericht (Regel 242 Nr. 2.a EPGVO → Befugnisse des Berufungsgerichts). 

EPG, UPC_CFI_412/2023: Einspruch gegen die Versäumnisentscheidung

EPG, Zentralkammer Paris, Beschl. v. 9. Januar 2025 – UPC_CFI_412/2023

Leitsatz aus der Entscheidung:

Regel 356 (2) EPGVO [→ Inhalt des Einspruchs gegen die Versäumnisentscheidung], soweit eine Erklärung des Verzugs erforderlich ist, ist dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller nachweisen muss, dass er aufgrund von Umständen außerhalb seiner Kontrolle nicht in der Lage war, zwingende Fristen einzuhalten oder bei der mündlichen Verhandlung, zu der er geladen wurde, zu erscheinen (außer wie in Regel 116 [→ Abwesenheit einer Partei in der mündlichen Verhandlung] und 117 EPGVO [→ Abwesenheit beider Parteien in der mündlichen Verhandlung] vorgesehen) und dass der Verzug daher nicht seinem eigenen Verschulden zuzuschreiben ist, sondern durch unvorhersehbare Umstände oder höhere Gewalt verursacht wurde.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Laut Regel 356 der EPGVO [→ Einspruch gegen die Versäumnisentscheidung] kann eine Partei, gegen die eine Versäumnisentscheidung ergangen ist, einen Antrag auf Aufhebung dieser Entscheidung innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung stellen (Abs. 1). Der Antrag muss die Erklärung der Partei für das Versäumnis enthalten, mit der Zahlung der entsprechenden Gebühr und mit dem Schritt, den die Partei nicht unternommen hat (Abs. 2). Abs. 3 besagt, dass der Antrag akzeptiert wird, sofern die Bestimmungen von Abs. 2 erfüllt sind, es sei denn, die Partei wurde in einer früheren Entscheidung darauf hingewiesen, dass eine weitere Versäumnisentscheidung endgültig ist.

Obwohl Regel 356 der EPGVO nicht ausdrücklich verlangt, dass der Antragsteller nachweisen muss, dass das Versäumnis nicht durch eigenes Verschulden bestimmt ist, d.h., dass er nicht in der Lage war, zwingende Fristen einzuhalten oder bei einer mündlichen Verhandlung zu erscheinen, zu der er ordnungsgemäß geladen wurde (außer gemäß Regel 116 und 117 der EPGVO) aus Gründen, die außerhalb seiner Kontrolle liegen, ist ein solches Erfordernis inhärent in der Vorschrift, die den Antragsteller verpflichtet, den Grund für das Versäumnis zu erklären und, allgemeiner, im System des Einheitspatentgerichts.

Das Ziel von Regel 356 der EPGVO besteht darin, der Partei, gegen die eine Versäumnisentscheidung ergangen ist, zu ermöglichen, vor dem Gericht, das die Entscheidung gefällt hat, geltend zu machen, dass das Recht auf Verteidigung aufgrund eines fehlerhaften Befunds über den Fristablauf oder die Korrektheit der Ladung zur mündlichen Verhandlung verletzt wurde, und in dieser Weise einen solchen Fehler zu beseitigen, indem das Verfahren ‚wiedereröffnet‘ wird und der Partei ermöglicht wird, ihr verletztes Recht auf Verteidigung vollständig auszuüben.

EPG, UPC_CFI_338/2023: Erfinder als Sachverständiger

EPG, Zentralkammer Paris, Urt. v. 26. Dezember 2024 – UPC_CFI_338/2023

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze:

  1. Zur Gewährleistung einer zügigen Entscheidung und effizienter Verfahrensführung kann das Gericht den Fall entscheiden, indem es die Reihenfolge der zu entscheidenden Fragen umkehrt, wenn eine Entscheidung aufgrund eines leichter lösbaren, wenngleich logisch nachgeordneten Grundes getroffen werden kann, ohne die vorhergehenden zu prüfen.
  2. Obwohl der Erfinder des strittigen Patents keine Partei des Verfahrens ist, kann er/sie nicht als Zeuge oder Sachverständiger vernommen werden, da er/sie ein direktes Interesse am Ausgang des Falles haben kann und nicht die Anforderungen der Regel 181 (1) (a) und (b) ‚EPGVO‘ [→ Vorlage von Sachverständigenbeweisen, → Anforderungen an Sachverständige] an Unparteilichkeit, Objektivität und Unabhängigkeit erfüllt.

EPG, UPC_CFI_791/2024: Zum (ausländischen) Prozessführungs- und/oder Vollstreckungsverbot

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 11. Dezember 2024 – UPC_CFI_791/2024

In der Entscheidung der Lokalkammer München des Einheitlichen Patentgerichts (EPG) vom 11. Dezember 2024 wurde eine einstweilige Maßnahme erlassen, die den Antragsgegnerinnen untersagt, eine „Anti-Enforcement Injunction“ bzw. „Anti-Suit Injunction“ in den USA weiterzuverfolgen. Diese Anordnung verfolgt das Ziel, die Antragstellerin vor rechtswidrigen Eingriffen in ihre Patentrechte zu schützen. Diese Patente umfassen europäische Patente, die für den Wi-Fi 6-Standard als essenziell erklärt wurden.

Leitsätze der Entscheidung:

  1. Art. 32 (1) a), c) EPGÜ [→ Ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts für Patentklagen] eröffnen die sachliche Zuständigkeit des EPG für den Erlass einstweiliger Maßnahmen, mit denen ein Antragsteller um Rechtsschutz vor drohenden (ausländischen) Prozessführungs- und/oder Vollstreckungsverboten nachsucht.
  2. Ein (ausländisches) Prozessführungs- [→ Anti-Suit Injunction] und/oder Vollstreckungsverbot [→ Anti-Enforcement Injunction] verstößt gegen den allgemeinen europäischen Justizgewährungsanspruch (Art. 47 EU-Charta). Die Verbote stehen auch im Widerspruch zum deutschen Justizgewährungsanspruch gem. Art. 2 Abs. 1 [→ Allgemeines Persönlichkeitsrecht], 19 Abs. 4 GG [→ Rechtsweggarantie] und sind als unerlaubte Handlung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB zu qualifizieren.

EPG, Berufungskammer, UPC_CoA_402/2024: sprachliche Fehler, Rechtschreibfehler oder sonstige Ungenauigkeiten in einem Patentanspruch

EPG, Berufungskammer, Beschl. v. 20. Dezember 2024 – UPC_CoA_402/2024

Leitsätze der Entscheidung:

  1. Ein sprachlicher Fehler, ein Rechtschreibfehler oder eine sonstige Ungenauigkeit in einem Patentanspruch  [→ Fehler in einem Patentanspruch] kann nur durch Auslegung des Patentanspruchs korrigiert werden, wenn das Vorliegen eines Fehlers und die genaue Art der Korrektur dem durchschnittlichen Fachmann auf der Grundlage des Patentanspruchs unter Berücksichtigung der Beschreibung und der Zeichnungen sowie unter Verwendung allgemeinen Fachwissens hinreichend sicher erscheinen.
  2. Der Patentanspruch muss aus der Perspektive eines Fachmanns ausgelegt werden. Die Behauptungen des Antragstellers während des Erteilungsverfahrens, insbesondere die Billigung durch die Technische Beschwerdekammer (TBA), können als Hinweis auf die Sichtweise des Fachmanns zum Zeitpunkt der Anmeldung betrachtet werden.

BGH, X ZR 124/22: Bremsanlage

BGH, Urteil vom 14. November 2024 – X ZR 124/22 – Bremsanlage

Leitsätze des Urteils:

Das Schiedsgericht kann über die eigene Zuständigkeit und im Zusammenhang hiermit über das Bestehen oder die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung auch insoweit entscheiden, als seine Befugnis zur Beurteilung des Bestands eines Patents in Rede steht.


Verteidigt der Beklagte erst nach der Zustellung des qualifizierten Hinweises [§ 83 PatG → Gerichtlicher Hinweis im Nichtigkeitsverfahren] das Streitpatent hilfsweise in einer geänderten Fassung, die technische Aspekte betrifft, die in den bisher gestellten Hilfsanträgen nicht berührt waren, kann es nicht ohne Weiteres als nachlässig angesehen
werden, wenn der Kläger Entgegenhaltungen hierzu noch nicht in der ersten Instanz vorlegt.

Aus der Urteilsbegründung:

Die Frage, ob die Entscheidung über den Rechtbestand eines Patents Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein kann, ist bislang höchstrichterlich noch nicht entschieden. In der Literatur wird sie unterschiedlich beurteilt. Zum Teil wird unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien die Auffassung vertreten, Streitigkeiten über die Nichtigerklärung oder Zurücknahme von Patenten könnten nicht wirksam zum Gegenstand einer Schiedsvereinbarung gemacht werden.1) Die in Bezug genommenen Materialien führen hierzu aus, solche Verfahren beträfen Rechte, die kraft Verwaltungsakt erteilt worden seien und die deshalb nicht der Disposition der Beteiligten im Wege von Vereinbarungen unterlägen. Über diese Rechte sei deshalb durch richterliches Gestaltungsurteil zu entscheiden, das nicht nur zwischen den Parteien, sondern gegenüber jedermann wirke.2)

Nach einer Gegenansicht, der die Beklagte beitritt, können die Parteien auch die Entscheidung über den Rechtsbestand eines Patents zum Gegenstand einer Schiedsvereinbarung machen.3) Komme das Schiedsgericht zu dem Ergebnis, dass das Patent keinen Bestand habe, habe diese Entscheidung zwar nicht unmittelbar rechtsgestaltende Wirkung, wie sie der Nichtigerklärung eines Patents durch ein staatliches Gericht zukomme, die im Patentregister vermerkt werde (§ 30 Abs. 1 PatG), sondern wirke nur inter partes. Die Schiedsvereinbarung könne jedoch weitergehend vorsehen, dass der Patentinhaber für diesen Fall verpflichtet sei, gegenüber dem Patentamt auf das betreffende Patent zu verzichten, wodurch das Patent seine Wirkung auch erga omnes verliere.4)

EPG, Beschwerdekammer, Entscheidung UPC_CoA_456/2024: Zulässigkeit neuer Argumente in Verletzungsverfahren

Einheitspatentgericht, Beschwerdekammer, Entscheidung vom 21. November 2024, Aktenzeichen: UPC_CoA_456/2024

Leitsätze am Anfang der Entscheidung in deutscher Übersetzung:

  • Nicht jedes neue Argument ist eine Änderung der Sache, für die eine Partei gemäß R. 263 EPGVO [→ Antrag auf Klageänderung oder -erweiterung] einen Antrag auf Erlaubnis einreichen muss. Eine Änderung der Sache liegt vor, wenn sich die Art oder der Umfang des Streits ändert. In einem Verletzungsverfahren ist dies beispielsweise der Fall, wenn der Kläger sich auf ein anderes Patent beruft oder gegen ein anderes Produkt Einspruch erhebt.
  • Auch wenn ein neues Argument keine Änderung der Sache ist, für die gemäß R. 263 EPGVO [→ Antrag auf Klageänderung oder -erweiterung] gerichtliche Erlaubnis erforderlich ist, gelten Beschränkungen für das Vorbringen neuer Argumente. R. 13 EPGVO [→ Erforderliche Angaben in der Klageschrift] schreibt vor, dass die Klagebegründung die Gründe angeben muss, warum die behaupteten Tatsachen eine Verletzung der Patentansprüche darstellen, einschließlich der juristischen Argumente. Diese Bestimmung muss im Lichte des letzten Satzes von Erwägungsgrund 7 der Präambel der Verfahrensordnung [→ Effizienz des Verfahrens] ausgelegt werden, wo ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Parteien ihre Sache so früh wie möglich im Verfahren darlegen sollten.
  • R. 13 EPGVO [→ Erforderliche Angaben in der Klageschrift] schließt jedoch nicht aus, dass der Kläger nach Einreichung der Klageschrift ein neues Argument vorbringt. Ob ein neues Argument zulässig ist, hängt von den Umständen des Falles ab, einschließlich der Gründe, warum der Kläger das Argument nicht bereits in der Klageschrift erwähnt hat, und den verfahrensrechtlichen Möglichkeiten des Beklagten, auf das neue Argument zu reagieren. Bei dieser Beurteilung hat das Gericht erster Instanz einen gewissen Beurteilungsspielraum. Die Neubewertung durch das Berufungsgericht ist daher begrenzt.
  • Wenn ein neues Argument keine Änderung der Sache im Sinne von R. 263 EPGVO [→ Antrag auf Klageänderung oder -erweiterung] mit sich bringt, muss der Kläger keinen Antrag auf Erlaubnis beim Gericht stellen. Wenn die Gegenpartei der Ansicht ist, dass ein neues Argument des Klägers unzulässig ist, kann sie dagegen Einwendungen erheben. Das Gericht kann die Zulässigkeit eines neuen Arguments auch von Amts wegen aufgreifen. Das Gericht entscheidet nach Anhörung der Parteien. Diese Entscheidung kann das Gericht bis zum Zwischenverfahren oder bis zur Endentscheidung verschieben. Wenn das Argument unzulässig ist und die Gegenpartei in der Sache eine Verteidigung gegen das neue Argument geführt hat, kann das Gericht dies bei der Kostenentscheidung berücksichtigen.

EPG, Berufungsgericht, UPC_CoA_511/2024: Aussetzung aufgrund eines anhängigen Einspruchsverfahrens

Berufungsgericht des Einheitspatentgerichts, Entscheidung vom 21 November 2024, UPC_CoA_511/2024

In der vorliegenden Entscheidung hat das Berufungsgericht des Einheitspatentgerichts die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben, die einen Antrag der Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens abgelehnt hatte. Das Gericht klärte, dass gemäß Art. 33(10) EPGÜ [→ Unterrichtung des Gerichts über Verfahren beim Europäischen Patentamt] und R. 295(a) EPGVO [→ Aussetzung aufgrund eines anhängigen Einspruchsverfahrens] das Gericht Verfahren aussetzen kann, wenn mit einer schnellen Entscheidung des Europäischen Patentamts (EPA) zu rechnen ist. Diese Regelungen erfordern keine endgültige Entscheidung des EPA. Die Berufungskläger argumentierten erfolgreich, dass das Gericht auch während schriftlicher Verfahren die Möglichkeit habe, den Fortgang des Prozesses im Interesse der Verfahrensökonomie zu unterbrechen, insbesondere wenn sehr bald mit einer Entscheidung der Oppositionsabteilung des EPA zu rechnen sei. Dieser Ansatz soll Konflikte zwischen den Entscheidungen in Verletzungsverfahren und den Entscheidungen des EPA in Einspruchsverfahren vermeiden. Das Gericht betonte die diskretionäre Befugnis des Gerichts, die Aussetzung zu gewähren, basierend auf dem Interessenabwägung und den spezifischen Umständen des Falles. Die Sache wurde zur weiteren Prüfung des Antrags auf Verfahrensaussetzung zurück an die Vorinstanz verwiesen.

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze:

  1. Artikel 33(10) EPGÜ [→ Unterrichtung des Gerichts über Verfahren beim Europäischen Patentamt] sieht vor, dass das Gericht seine Verfahren aussetzen kann, wenn eine rasche Entscheidung des Europäischen Patentamts zu erwarten ist. Diese Bestimmung wurde sowohl in Regel 295(g) EPGVO [→ Aussetzung des Verfahrens bei paralleler Entscheidung über zentrale Verfahrensfragen], die sich auf Regel 118 EPGVO [→ Entscheidung in der Sache] bezieht, als auch in Regel 295(a) EPGVO [→ Aussetzung aufgrund eines anhängigen Einspruchsverfahrens] umgesetzt. Regel 118 EPGVO enthält Bestimmungen zu Entscheidungen über die Sache selbst. Regel 118.2(b) EPGVO [→ Bedingte Entscheidungen] und Regel 295(g) EPGVO [→ Aussetzung des Verfahrens bei paralleler Entscheidung über zentrale Verfahrensfragen] sind daher anwendbar, wenn der Fall entscheidungsreif ist. Vor diesem Stadium richten sich Anordnungen bezüglich der Aussetzung von Verfahren, solange Einspruchsverfahren anhängig sind, nach Regel 295(a) EPGVO [→ Aussetzung aufgrund eines anhängigen Einspruchsverfahrens].
  2. Gemäß Artikel 33(10) EPGÜ [→ Unterrichtung des Gerichts über Verfahren beim Europäischen Patentamt] und Regel 295(a) EPGVO kann das Gericht Verfahren aussetzen, die sich auf ein Patent beziehen, das auch Gegenstand von Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt ist, wenn eine rasche Entscheidung des Europäischen Patentamts zu erwarten ist. Diese Bestimmungen erfordern nicht, dass eine endgültige Entscheidung des Europäischen Patentamts rasch zu erwarten ist. Das Gericht kann Verfahren gemäß Artikel 33(10) EPGÜ und Regel 295(a) EPGVO aussetzen, wenn zu erwarten ist, dass die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts ihre Entscheidung rasch trifft, selbst wenn es wahrscheinlich ist, dass eine solche Entscheidung angefochten wird.
  3. Eine Aussetzung gemäß Artikel 33(10) EPGÜ und Regel 295(a) EPGVO ist eines der Mittel, das dem Gericht zur Verfügung steht, um mit parallelen Verletzungs- und Einspruchsverfahren umzugehen. Insbesondere soll dadurch verhindert werden, dass Konflikte zwischen seinen Entscheidungen in Verletzungsverfahren und den vom Europäischen Patentamt in Einspruchsverfahren erlassenen Entscheidungen entstehen. Im Gegensatz zu Entscheidungen in parallelen Widerrufsverfahren und Einspruchsverfahren, die nicht unvereinbar sind3), können Entscheidungen in parallelen Verletzungs- und Einspruchsverfahren in Konflikt geraten. Solche Konflikte können insbesondere auftreten, wenn das Europäische Patentamt ein Patent im Rahmen eines Einspruchsverfahrens widerruft, das die Grundlage für eine Anordnung des Gerichts in Verletzungsverfahren bildete. Solche Konflikte sollten grundsätzlich vermieden werden, auch wenn die Entscheidung des Europäischen Patentamts anfechtbar ist und ihre Wirkung bis zur Berufung ausgesetzt ist. Eine Aussetzung von Verletzungsverfahren gemäß Artikel 33(10) EPGÜ und Regel 295(a) EPGVO kann dazu genutzt werden, diesen Zweck zu erreichen.
  4. Das Gericht ist nicht verpflichtet, Verfahren auszusetzen, wenn eine endgültige oder nicht endgültige rasche Entscheidung des Europäischen Patentamts zu erwarten ist. Artikel 33(10) EPGÜ und Regel 295(a) EPGVO sehen vor, dass das Gericht dies „kann“. Das Wort „kann“ bedeutet, dass das Gericht ein Ermessen hat. Ob eine Aussetzung gewährt wird, hängt von der Interessenabwägung der Parteien und den spezifischen Umständen des Falls ab, wie dem Stand des Einspruchsverfahrens, dem Stand des Verletzungsverfahrens und der Wahrscheinlichkeit, dass das Patent im Einspruchsverfahren widerrufen wird. In diesem Kontext ist die Tatsache, dass die erwartete Entscheidung des Europäischen Patentamts keine endgültige Entscheidung ist und wahrscheinlich angefochten wird, nur einer von mehreren Faktoren, die berücksichtigt werden können.

Lokalkammer München, Entscheidung vom 21. November 2024, UPC_CFI_550/2024

Lokalkammer München, Entscheidung vom 21. November 2024, UPC_CFI_550/2024

Amtlicher Leitsatz:

Die Verfahrensordnung des EPG enthält keinen Grundsatz, nach dem Beweismittel für sich aus der Klage ergebende Tatsachenbehauptungen der Klagepartei nach Einreichung der Klage nicht mehr vorgelegt werden dürfen [Regel 172 (2) EPGVO → Gerichtliche Anordnung zur Beweisvorlage].

Aus der Entscheidungsbegründung:

Nach Regel 172.2 EPGVO kann das Gericht zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens anordnen, dass eine Partei, die eine Tatsache behauptet, die in ihrer Verfügungsgewalt befindlichen Beweismittel vorlegt. Die Verfahrensordnung enthält allerdings keinen Grundsatz, nach dem Beweismittel für Tatsachenbehauptungen der Klagepartei nach Einreichung der Klage nicht mehr vorgelegt werden dürfen; andernfalls bestünde für die Regeln 103.1 (c) [→ Aufforderungen des Berichterstatters], 104 (e) [→ Anordnungen hinsichtlich weiterer Schriftsätze und Beweismittel], 172.2 und 114 EPGVO [→ Vertagung, wenn das Gericht weitere Beweise für erforderlich hält] keine Grundlage.

Ein vorprozessuales Bestreiten einer Tatsachenbehauptung führt nicht ohne weiteres dazu, dass entsprechende Beweismittel nur mit der Klage angegeben werden können und zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr vorgelegt werden dürfen.

Zu unterscheiden ist ohnehin zwischen der Vorlage eines Beweismittels und der Frage, ob es bei der Entscheidung berücksichtigt werden kann.

Der Berichterstatter hat die Pflicht, alle notwendigen Vorbereitungen zu treffen, so dass später eine Vertagung der mündlichen Verhandlung mit dem Zweck, zu weiterem Beweisantritt aufzufordern (Regel 114 EPGVO → Vertagung, wenn das Gericht weitere Beweise für erforderlich hält), vermieden wird.