EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_9/2023

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 18. Dezember 2024 – UPC_CFI_9/2023

Amtliche Leitsätze:

1. Das einzige online verfügbare amtliche Formular für die Einreichung eines Rücktritts von der Ausnahmeregelung gemäß Regel 5.7 EPGVO [→ Antrag auf Rücktritt von der Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung] ist der entsprechende Workflow im Fallbearbeitungssystem (CMS). Bei dem bereitgestellten Template handelt es sich nicht um ein Formular im Sinne der Regel 4.1 EPGVO [→ Elektronische Einreichung von Unterlagen], sondern um eine Arbeitshilfe für die Nutzer des Systems. Den Nutzern ist es freigestellt, eine andere Arbeitshilfe zu verwenden.

2. Soweit der Erschöpfungseinwand alle angegriffenen Ausführungsformen betrifft, ist ihm sogleich im Erkenntnisverfahren nachzugehen. Bei Erfolg ist die Klage abzuweisen. Soweit der Erschöpfungseinwand nicht alle angegriffenen Ausführungsformen betrifft, kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, ob und inwieweit dem Einwand sogleich, oder erst im Rahmen der Zwangsvollstreckung nachzugehen ist.

3. Soweit der Patentinhaber mehrere unterschiedliche noch annahmefähige Angebote abgegeben hat, zum Beispiel ein Angebot betreffend eine bilaterale Lizenz an dem Portfolio des Patentinhabers und ein Angebot betreffend eine Lizenz an dem Portfolio eines Patentpools, in dem das zu lizenzierende Patent oder Portfolio des Patentinhabers mit enthalten ist, kann die auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung gerichtete Verletzungsklage nicht abgewiesen werden, wenn davon auszugehen ist, dass mindestens eines der beiden Angebote den kartellrechtlichen Anforderungen genügt. Denn der Patentinhaber ist aus kartellrechtlichen Gründen nur gehalten, dem Patentbenutzer einen Lizenzierungsweg aufzuzeigen, der den FRAND-Anforderungen genügt. Der Patentinhaber kann seinen kartellrechtlichen Verpflichtungen insbesondere durch das Angebot einer Pool-Lizenz nachkommen. Dasselbe gilt auch in Bezug auf eine vertragsrechtliche Bewertung, zum Beispiel in Bezug auf einen unter Geltung der IEEE Bylaws 2007 abgegebenen Letter of Assurance (LOA).

4. Die Ausführungen des Unionsgerichtshofs in Randnummern 66-67 des Urteils Huawei v. ZTE bedeuten, dass die Klageerhebung kartellrechtswidrig sein mag, weil das Angebot des Patentinhabers FRAND-Bedingungen widerspricht, der Verletzter dies im Rahmen einer Verteidigung gegen denjenigen Teil der Klage, der auf Unterlassung, Rückruf oder Vernichtung gerichtet ist aber nur dann einwenden darf, wenn er selbst ohne Verzögerungstaktik ein konkretes Gegenangebot unterbreitet hat, das FRAND-Bedingungen entspricht, sowie darüberhinausgehend im Falle von dessen Ablehnung eine angemessene Sicherheit geleistet und Auskunft über den Umfang der Benutzungshandlungen gegeben hat.

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 17. Dezember 2024 – UPC_CFI_390/2023

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 17. Dezember 2024 – UPC_CFI_390/2023

Amtliche Leitsätze:

  • Möchte der Kläger die nach Art. 67 EPGÜ [→ Befugnis, die Erteilung einer Auskunft anzuordnen] zu erteilende Auskunft in elektronischer Form erhalten, muss dies konkret beantragt werden. Lässt der Urteilsausspruch offen, ob eine Auskunft in Papierform oder elektronisch erteilt werden soll, kann die Auskunft grundsätzlich wahlweise in einer der beiden Formen erteilt werden.
  • Das nach Art. 82 EPGÜ [→ Zwangsgeldzahlungen bei Nichtbeachtung der Anordnung] festzusetzende Zwangsgeld hat sowohl Beuge- als auch Straffunktion. Ein Zwangsgeld kann daher nicht nur verhängt werden, um die Befolgung einer Anordnung zu erzwingen, sondern auch, um die Nichtbefolgung einer gerichtlichen Anordnung in der Vergangenheit zu bestrafen.

Aus der Entscheidungsbegründung:

„Weder Art. 67 EPGÜ [→ Befugnis, die Erteilung einer Auskunft anzuordnen] noch die EPGVO enthalten spezifische Regelungen dazu, ob eine schriftlich zu erteilende Auskunft in elektronischer (digitaler) Form oder auf Papier zu leisten ist. Die Beantragung und Anordnung einer Auskunft in elektronischer Form ist allerdings nach dem insofern offenen Wortlaut von Art. 67 EPGÜ nicht ausgeschlossen. Nach Art. 76 Abs. 1 EPGÜ [→ Entscheidung nach Maßgabe der Anträge] („…Maßgabe der von den Parteien gestellten Anträge…“) obliegt es der Klagepartei, den Antrag nach Art. 67 EPGÜ im Hinblick auf die gewünschte Form der Auskunftserteilung möglichst konkret zu fassen. Soll eine Auskunft (Art. 67 EPGÜ) in elektronischer Form erteilt werden, muss dies folglich konkret beantragt werden. Mangelt es dem Antrag an einer Bestimmung der Form, ist der Auskunftsantrag zwar insofern nicht wegen fehlender Bestimmtheit unzulässig; dem Schuldner der Auskunft steht es dann aber grundsätzlich frei, in welcher Form (elektronisch oder auf Papier) die Auskunft erteilt wird.“

„Das Erfordernis eines hinsichtlich der Form der Auskunftserteilung bestimmt gefassten Antrags und einer dementsprechend bestimmt gefassten gerichtlichen Anordnung ergibt sich auch aus unionsrechtlich geltenden Grundsätzen. Auch für Maßnahmen wie die Verhängung eines Zwangsgeldes wegen Nichtbeachtung einer gerichtlichen Anordnung ist der in Art. 7 EMRK, Art. 49 Abs. 1 GRCh [→ Keine Strafe ohne Gesetz] positivierte unionsrechtliche Grundsatz des »nulla poena sine lege« zu beachten. Daher setzt die Vollstreckung einer Anordnung nach Regel 354.3 EPGVO (Zwangsgeldzahlungen bei Nichtbeachtung der Anordnung) voraus, dass die gerichtliche Anordnung so bestimmt gefasst ist, dass ein Verstoß eindeutig festgestellt werden kann. Steht etwa die Nichtbeachtung der Form der Auskunftserteilung in Rede, kann ein Zwangsgeld nur angeordnet werden, wenn die erforderliche Form in der gerichtlichen Anordnung auch hinreichend bestimmt zum Ausdruck gebracht wurde; andernfalls kann ein Formverstoß nicht festgestellt werden.“

„Mit dem nach Art. 82 Abs. 4 EPGÜ [→ Zwangsgeldzahlungen bei Nichtbeachtung der Anordnung] zu verhängenden Zwangsgeld soll die Nichtbefolgung der Entscheidungen des EPG geahndet werden. Dabei hat das Zwangsgeld, wie insbesondere die englische Sprachfassung („penalty payment“) zeigt, Strafcharakter; ein Zwangsgeld kann also nicht nur verhängt werden, um die Befolgung einer Anordnung zu erzwingen, sondern auch, um die in der Vergangenheit liegende Nichtbefolgung zu bestrafen (wie hier: LK Düsseldorf, UPC_CFI_177/2023; v.Falck/Stoll in Tilmann/Plassmann, EPGÜ Art. 82 Rn. 123 f.; aA Kircher in Bopp/Kircher, Handbuch Europäischer Patentprozess, 2. Auflage 2023, § 27 Rn. 60). Eine Beschränkung des Zwangsgeldes auf den Zweck, die betreffende Partei zur Befolgung einer gerichtlichen Anordnung anzuhalten, lässt sich dem Wortlaut von Art. 82 Abs. 4 EPGÜ nicht entnehmen.“

BGH, X ZR 37/22 – Chemische Verbrauchsmaterialien

BGH, Urteil vom 12. November 2024 – X ZR 37/22 – Chemische Verbrauchsmaterialien

In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12. November 2024 wurde über die Unwirksamkeit einer Vergütungsvereinbarung für Arbeitnehmererfinder verhandelt. Der Kläger, ein promovierter Chemiker, hatte in seiner Tätigkeit als Mitarbeiter für Forschung und Entwicklung bei der Beklagten an mehreren Erfindungen mitgewirkt. Die festgelegte Erfindervergütung wurde vom Berufungsgericht für nichtig erklärt, da ein erhebliches Missverhältnis zwischen der vereinbarten und der gesetzlich geschuldeten Vergütung bestand. Dabei wurde die Mitteilung des Geschäftsführers der Beklagten als unangemessene Vergütung aufgrund der Nichtberücksichtigung eines Anteilsfaktors angesehen.

Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Es wurde festgestellt, dass die zur Überprüfung anstehenden Vergütungsregelungen auch unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zu beurteilen sind, insbesondere wenn Gegebenheiten vorliegen, die eine festgelegte Vereinbarung als durchaus nicht unbillig erscheinen lassen. Weitere Feststellungen zur Festsetzung der Vergütung und zu den angewendeten Maßstäben fehlen noch, weshalb eine abschließende Entscheidung durch den BGH nicht getroffen werden konnte.

Amtliche Leitsätze:

Auf die Unwirksamkeit einer Vereinbarung gemäß § 23 Abs. 1 ArbNErfG [→ Unwirksamkeit unbilliger Vereinbarungen] darf sich gegebenenfalls auch der Arbeitgeber berufen.

Aus Rechtsgründen ist es nicht zu beanstanden, dass ein objektives Missverhältnis in Anlehnung an die Entscheidungspraxis der Schiedsstelle grundsätzlich bejaht wird, wenn die vorgesehene Vergütung bei Berücksichtigung aller für sie maßgeblichen Faktoren das Doppelte des auf der Grundlage der Richtlinien berechneten Betrages überschreitet.

Bei einer Überschreitung des auf diese Weise als angemessen ermittelten Betrages dürfen die Umstände, unter denen die Festlegung zustande gekommen ist, und die Zeitdauer, während der die getroffene Regelung praktiziert worden ist, nicht außer Acht bleiben.

Entscheidung des Gerichts erster Instanz des Einheitspatentgerichts, Lokalkammer Den Haag, UPC_CFI_239/2023, verkündet am 22. November 2024

Entscheidung des Gerichts erster Instanz des Einheitspatentgerichts, Lokalkammer Den Haag, UPC_CFI_239/2023, verkündet am 22. November 2024

Amtliche Leitsätze:

  1. Das Patent ist gültig und wird durch Äquivalenz verletzt.
  2. Der Schutzumfang im Falle einer Verletzung wird in zwei Schritten bewertet, wobei Art. 69 EPÜ  [→ Schutzbereich] und das Protokoll [→ Auslegungsprotokoll] angewendet werden. Der erste Schritt bewertet die ‚wörtliche‘ Verletzung der Merkmale des Patents im Hinblick auf die Auslegung der Ansprüche. Im zweiten Schritt, wenn das Patent nicht als wörtlich verletzt gilt, wird die Äquivalenz bewertet.
  3. Der angewandte Test zur Beurteilung der Verletzung durch Äquivalenz basiert auf der Rechtsprechung in verschiedenen nationalen Jurisdiktionen, wie von beiden Parteien in diesem Fall vorgeschlagen. Dies bedeutet, dass eine Variation als äquivalent zu einem im Anspruch spezifizierten Element gilt, wenn die folgenden vier Fragen bejaht werden:
    1. Technische Äquivalenz: Löst die Variation (im Wesentlichen) das gleiche Problem, das die patentierte Erfindung löst, und erfüllt sie (im Wesentlichen) die gleiche Funktion in diesem Kontext?
    2. Angemessener Schutz für den Patentanmelder: Ist die Erweiterung des Schutzanspruchs auf das Äquivalent ein verhältnismäßiger, fairer Schutz für den Patentanmelder?
    3. Angemessene Rechtssicherheit für Dritte: Versteht der Fachmann aus dem Patent, dass der Schutzumfang der Erfindung breiter ist als das, was wörtlich beansprucht wird?
    4. Ist das angeblich verletzende Produkt neu und erfinderisch im Vergleich zum Stand der Technik?
  4. Das Gericht kann eine spezifische Formulierung für ein Schreiben an die Kunden oder zur Veröffentlichung auf der Website des Verletzers gemäß Art. 64 EPGÜ [→ Abhilfemaßnahmen im Rahmen von Verletzungsverfahren] und Unionsrecht anordnen.

EPG, Lokalkammer München, Anordnung v. 25. November 2024 – UPC_CFI_443/2024

EPG, Lokalkammer München, Anordnung v. 25. November 2024 – UPC_CFI_443/2024

Das Gericht entschied, dass der Antrag auf einstweilige Maßnahmen [→ Einstweilige Maßnahmen] nicht begründet ist, da es die Interessen der Parteien abwog [→ Abwägung der Interessen der Parteien] und zu dem Schluss kam, dass die Anordnung solcher Maßnahmen nicht erforderlich sei. Die Argumentation basierte auf fehlenden außergewöhnlichen Umständen, die ein sofortiges Eingreifen rechtfertigen würden, insbesondere, weil das Hauptsacheverfahren näher bevorstand. Auch hatte die Antragstellerin keine ausreichend spezifischen Beweise für Schäden vorgelegt, die erst durch einen späteren Unterlassungstitel in der Hauptsache unzumutbar sein könnten. Im Rahmen der Abwägung wurde zudem erörtert, dass die Antragsgegnerin seit Jahren mit den angegriffenen Produkten auf dem Markt ist und dies bei der Bewertung ihres Schutzbedürfnisses zu berücksichtigen war.

Amtliche Leitsätze:

  1. Der Regelungszweck von Regel 8 Abs. 4 [→ Inhaber eines europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung] und 5 EPGVO [→ Vermutung der Inhaberschaft und Anmelderschaft] besteht darin, das Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht von dem Streit über die materiell-rechtliche Inhaberschaft an einem Europäischen Patent unabhängig davon freizuhalten, ob die Inhaberschaft für die Prozessführungsbefugnis oder die Anspruchsberechtigung von Bedeutung ist, indem die (un-)widerlegliche Vermutung aufgestellt wird, dass der eingetragene Inhaber auch der tatsächliche Inhaber ist.
  2. Der Sinngehalt eines Unteranspruchs kann grundsätzlich zur richtigen Auslegung des Hauptanspruchs [→ Auslegung der Patentansprüche] eines Patents beitragen. Unteransprüche engen den Gegenstand des Hauptanspruchs jedoch regelmäßig nicht ein, sondern zeigen nicht anders als Ausführungsbeispiele lediglich – gegebenenfalls mit einem zusätzlichen Vorteil verbundene – Möglichkeiten seiner Ausgestaltung.
  3. Da die Erteilungsakte in Art. 69 EPÜ  [→ Bestimmung des Schutzbereichs] keine Erwähnung findet, bildet sie grundsätzlich kein zulässiges Auslegungsmaterial. Ein Europäisches Patent kann nicht auf der Grundlage von Textstellen, die im Erteilungsverfahren aus der Beschreibung gestrichen wurden, ausgelegt werden (Fortführung von Lokalkammer Düsseldorf, Anordnung vom 9. April 2024, CFI_452/2023 = ACT_589655/2023 – Ortovox Sportartikel gg. Mammut Sports u.a.).
  4. Die in einem einstweiligen Verfügungsverfahren vorzunehmende Interessenabwägung [→ Abwägung der Interessen der Parteien] muss die Wahrscheinlichkeit einer Fehlentscheidung und auch die objektive Dringlichkeit im Sinne einer Erforderlichkeit einstweiliger Maßnahmen im Hinblick auf ein ebenso mögliches Hauptsacheverfahren berücksichtigen. Sämtliche Aspekte sind aufeinander rückbezogen gegeneinander abzuwägen. Die Notwendigkeit der Berücksichtigung auch dieser Aspekte im Rahmen der Interessenabwägung ergibt sich aus dem Verhältnis des einstweiligen Verfügungsverfahrens zu einem möglichen Hauptsacheverfahren. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist nämlich das Hauptsacheverfahren die Regel, während das Eilverfahren mit seiner summarischen Prüfung und der Möglichkeit der nachträglichen Rechtsverteidigung die Ausnahme ist.
  5. Die Interessen der Parteien [→ Abwägung der Interessen der Parteien] sind unter der Fragestellung abzuwägen, ob der Erlass einstweiliger Maßnahmen im Hinblick auf eine spätere Entscheidung im Hauptsacheverfahren erforderlich und geboten ist, d.h. ob es dem Antragsteller im Hinblick auf die Gefahr einer fehlerhaften Anordnung einstweiliger Maßnahmen und die damit verbundenen Auswirkungen für den Antragsgegner einerseits und die mit der Fortdauer der Patentverletzung bis zu einer Hauptsacheentscheidung verbundenen Beeinträchtigungen andererseits unzumutbar ist, mit der Durchsetzung seiner Ansprüche bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu warten.
  6. Regel 211 Abs. 4 EPGVO [→ Berücksichtigung von Verzögerungen] bringt zum Ausdruck, dass ein Antragsteller, dessen Verhalten bereits subjektiv darauf hindeutet, dass er es nicht eilig hat, keine Hilfe durch die Anordnung einstweiliger Maßnahmen erwarten kann. Der Umkehrschluss, dass einstweilige Maßnahmen anzuordnen sind, weil sich der Antragsteller beeilt hat, gilt hingegen nicht. Vielmehr muss die Anordnung einstweiliger Maßnahmen auch objektiv dringlich sein.
  7. Im einstweiligen Verfügungsverfahren [→ Einstweilige Maßnahmen] können Zweifel am Rechtsbestand des Streitpatents im Rahmen der Interessenabwägung ins Gewicht fallen und einer Anordnung einstweiliger Maßnahmen entgegenstehen.

BGH, 2024 – X ZR 120/22 – Kraftfahrzeugschloss

BGH, Urteil vom 22. Oktober 2024 – X ZR 120/22 – Kraftfahrzeugschloss

Amtlicher Leitsatz:

Die Übernahme eines im Stand der Technik offenbarten Betätigungsmechanismus für eine ähnliche Vorrichtung kann auch dann naheliegen, wenn dieser Mechanismus zwar eine weitere, für die ähnliche Vorrichtung nicht benötigte Funktion erfüllt, im Stand der Technik aber ausdrücklich auf die beiden unterschiedlichen Funktionen hingewiesen wird und diese ohne weiteres voneinander getrennt werden können.

BGH, I ZR 38/24 -Sonntagsverkauf im Gartencenter

BGH, Urteil vom 5. Dezember 2024 – I ZR 38/24 – Sonntagsverkauf im Gartencenter

Amtliche Leitsätze:

a) Über die Zulässigkeit der Öffnung einer Verkaufsstelle an Sonn- und Feiertagen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 LÖG NW entscheidet das dort angebotene Kernsortiment, nicht aber das ergänzend dazu angebotene Randsortiment.


b) Die Zugehörigkeit von Waren zum Randsortiment im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 LÖG NW richtet sich nach deren hauptsächlicher Zweckbestimmung und nicht danach, in welcher Weise sie darüber hinaus noch genutzt werden können. Waren des nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 LÖG NW zulässigen Randsortiments müssen weder zum sofortigen Ge- und Verbrauch bestimmt sein, noch müssen sie gleichzeitig oder kombiniert mit Waren des Kernsortiments erworben werden.

BGH, I ZR 135/23 – Herausgeberanteil

BGH, Beschluss vom 21. November 2024 – I ZR 135/23 – Herausgeberanteil

Amtlicher Leitsatz:

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10), von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (ABl. L 376 vom 27. Dezember 2006, S. 28) sowie von Art. 11 Abs. 4 und Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt (ABl. L 84 vom 20. März 2014,
S. 72) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist es mit Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG, mit Art. 6
Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG sowie mit Art. 11 Abs. 4 und
Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU vereinbar, wenn nach einer
Vorschrift des nationalen Rechts [§ 32 (1) VGG → Förderung kulturell bedeutender Werke] eine Verwertungsgesellschaft kulturell
bedeutende Werke fördern soll und dies zur Folge hat, dass auch Empfänger in den Genuss der Förderung gelangen, die (jedenfalls noch)
nicht zum Kreis der Rechtsinhaber zählen?

Für den Fall, dass die Erbringung sozialer, kultureller oder bildungsbezogener Leistungen gemäß Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU nur an Rechtsinhaber zulässig ist: Ist die Zulässigkeit der Erbringung solcher Leistungen davon abhängig, dass der Empfänger dieser Leistungen einen gegenwärtigen Vergütungsanspruch innehat, oder reicht die Inhaberschaft eines gegenwärtig nicht zu vergütenden Urheberrechts
oder verwandten Schutzrechts aus? Setzt die Zulässigkeit solcher Leistungen das Bestehen eines Wahrnehmungsvertrags mit der Verwertungsgesellschaft voraus?

EPG, Berufungsgericht, Anordnung v. 10. Dezember 2024 – UPC_CoA_470/2023

EPG, Berufungsgericht, Anordnung v. 10. Dezember 2024 – UPC_CoA_470/2023

Amtlicher Leitsatz:

Die Aufhebung gemäß Art. 75(1) EPGÜ [→ Entscheidung des Berufungsgerichts und Zurückverweisung] und R. 242.1 EPGVO [→ Zurückweisung oder Aufhebung der Entscheidung] einer Anordnung des Gerichts erster Instanz, mit der eine einstweilige Verfügung erlassen worden ist, ist in der Regel rückwirkend. Die Anordnung wird aufgehoben, weil durch eine rechtskräftige Anordnung des Berufungsgerichts festgestellt worden ist, dass die Anordnung nicht hätte erlassen werden dürfen. Eine aufgehobene Anordnung ist daher als von Anfang an ohne rechtliche Wirkung zu betrachten. Daraus folgt, dass die Aufhebung einer Anordnung des Gerichts erster Instanz, mit der eine einstweilige Verfügung unter Androhung von Zwangsgeldern erlassen worden ist, die rechtliche Grundlage für jede nachfolgende Entscheidung, die die Zahlung von Zwangsgeldern anordnet, beseitigt, selbst wenn diese Entscheidung mutmaßliche Verstöße gegen die einstweilige Verfügung vor der Aufhebung betrifft

Aus der Entscheidungsbegründung:

Diese Auslegung des EPGÜ und der Verfahrensordnung steht im Einklang mit der Richtlinie 2004/48/EG [→ Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums] des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (im Folgenden: Richtlinie 2004/48). Nach Artikel 3 der Richtlinie 2004/48 müssen die von den Mitgliedstaaten vorgesehenen Mittel zur Sicherstellung der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums gerecht, wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und so angewendet werden, dass die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist. Der Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) hat klargestellt, dass der EU-Gesetzgeber damit beabsichtigte, ein Gleichgewicht zwischen einem hohen Schutzniveau der Rechte des geistigen Eigentums und den Rechten und Freiheiten des Beklagten zu schaffen (EuGH, 11. Januar 2024, C-473/22, ECLI:EU:C:2024:8, Mylan/Gilead, Rn. 44). Dementsprechend fordert die Richtlinie 2004/48 einerseits rasche und wirksame einstweilige Maßnahmen, um mutmaßliche Verletzungen zu verhindern, ohne dass der Antragsteller endgültige Beweise für die Verletzungen vorlegen muss. Andererseits hat der EU-Gesetzgeber verschiedene Rechtsinstrumente vorgesehen, die es ermöglichen, das Risiko, dass der Beklagte durch einstweilige Maßnahmen Schaden erleidet, umfassend zu mindern und so seinen Schutz sicherzustellen. So sehen beispielsweise Art. 7(4)  [→ Entschädigung bei unberechtigten Beweissicherungsmaßnahmen] und Art. 9(7)  [→ Entschädigung bei unberechtigten Maßnahmen] der Richtlinie 2004/48 Maßnahmen vor, die es dem Beklagten ermöglichen, Entschädigung zu verlangen, wenn die einstweiligen Maßnahmen aufgehoben werden (vgl. Art. 60(9)  [→ Entschädigung bei Aufhebung der Maßnahmen] und Art. 62(5) [→ Anwendung von Artikel 60 auf Maßnahmen] UPCA). Die Aufhebung einer Zwangsgeldanordnung, die auf einer aufgehobenen einstweiligen Maßnahme basiert, steht im Einklang mit diesem Ziel.

EPG, Lokalkammer Düsseldorf, Beschl. v. 3. Dezember 2024 – UPC_CFI_140/2024

EPG, Lokalkammer Düsseldorf, Beschl. v. 3. Dezember 2024 – UPC_CFI_140/2024

In einem Streit um die Bereitstellung einer Sicherheit für Prozesskosten entschied das Einheitspatentgericht, dass sowohl der Kläger als auch der Beklagte im Sinne der Regel 158 EPGVO [→ Sicherheitsleistung für die Kosten einer Partei] zur Bereitstellung von Sicherheiten für Prozesskosten verpflichtet werden können. Das Gericht benutzte sein Ermessen unter Berücksichtigung der finanziellen Lage der Parteien und der Durchsetzbarkeit von Kostenentscheidungen, um die Beklagte auf Antrag der Klägerin zur Bereitstellung einer Sicherheit für Prozesskosten zu verpflichten. Es wurde festgestellt, dass die Regel 158 EPGVO in Einklang mit Art. 69(4) EPGÜ steht und auch gegen Beklagte angewandt werden kann, was durch das Ziel des EPGÜ, ein faires Gleichgewicht zwischen den Interessen der Rechteinhaber und anderer Parteien zu schaffen, gestützt wird.


Amtliche Leitsätze:

1. Nicht nur dem Kläger, sondern auch dem Beklagten kann aufgegeben werden, eine Sicherheit für die Verfahrenskosten im Sinne von R. 158 EPGVO [→ Sicherheitsleistung für die Kosten einer Partei] zu leisten.

2. Wenn der Kläger eine solche Sicherheit für Verfahrenskosten von dem Beklagten verlangt, hat das Gericht zu berücksichtigen, dass der Kläger freiwillig beschlossen hat, einen Rechtsstreit zu führen. Diese Tatsache hat Auswirkungen auf die Interessenabwägung bei der Ausübung des Ermessens nach Regel 158 EPGVO [→ Sicherheitsleistung für die Kosten einer Partei]. Dabei muss das Gericht besonders darauf achten, dass das Recht des Beklagten auf ein faires Verfahren geschützt wird und insbesondere, dass dem Beklagten nicht die Möglichkeit genommen wird, seinen Fall wirksam vor Gericht darzustellen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Befugnis zur Anordnung der Stellung einer angemessenen Sicherheit für Prozesskosten beruht auf Artikel 69(4) EPGÜ [→ Sicherheitsleistung für Kosten des Beklagten]. Aus dem Wortlaut von Artikel 69(4) folgt, dass die Anordnung an den Beklagten, auf Antrag des Klägers eine Sicherheit für Prozesskosten zu stellen, nicht ausgeschlossen ist. Artikel 69(4) EPGÜ stellt eine Mindestnorm dar für die Umstände, unter denen diese Abhilfe verfügbar sein muss (siehe den Wortlaut ‚insbesondere‘ in Art. 69(4) EPGÜ).

Das Auflegen einer Sicherheit ist eine Vorsichtsmaßnahme, um das Recht zu wahren, dass, als allgemeine Regel, die unterliegende Partei die angemessenen und verhältnismäßigen Prozesskosten der obsiegenden Partei trägt (festgelegt in Artikel 69(1) EPGÜ [→ Kostenverteilung bei obsiegender Partei]).

Artikel 69 EPGÜ behandelt die Prozesskosten und unterscheidet zwischen der ‚erfolgreichen‘ und der ‚erfolglosen‘ Partei, ohne den Status einer Partei als ‚Kläger‘, ‚Beklagter‘ (oder anders) zu erwähnen. Daraus folgt, dass Artikel 69(4) EPGÜ nicht auf die spezifischen Umstände – oder Parteien – beschränkt ist, die genannt werden.

Die obigen Grundsätze gelten nach Maßgabe für die Situation wie im vorliegenden Fall, in dem der Kläger die Partei ist, die die Sicherheitsanordnung beantragt. Das Gericht erkennt jedoch auch an, dass die Anordnung einer Sicherheit für Prozesskosten typischerweise dazu dient, die Position und (potenziellen) Rechte eines Beklagten zu schützen, der nicht gewählt hat, das Hauptverfahren einzuleiten.

Besondere Vorsicht muss dabei vom Gericht gewahrt werden, dass das Recht des Beklagten auf ein faires Verfahren geschützt wird (Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, erwähnt in der Präambel des EPGÜ), insbesondere, dass dem Beklagten nicht die Möglichkeit genommen wird, seinen Fall effektiv vor dem Gericht zu präsentieren.