EPG – UPC_CoA_845/2024: Auskunftsverpflichtung

EPG, Berufungskammer, Beschl. v. 30. Mai 2025 – UPC_CoA_845/2024

Gerichtliche Leitsätze:

1. Der Antrag nach Art. 67 Abs. 1 EPGÜ [→ Anordnung der Auskunftserteilung durch den Verletzer], die Erteilung einer Auskunft anzuordnen [→ Auskunftsverpflichtung], muss in der Regel die (ab der Mitteilung nach R. 118.8 Satz 1 EPGVO oder im Verfahren betreffend die Anordnung einstweiliger Maßnahmen ab der Zustellung einer solchen Anordnung laufende) Frist zur Auskunftserteilung enthalten. Die Frist ist damit bereits in der Entscheidung oder in der endgültigen Anordnung zu setzen. Erfolgt keine Fristsetzung in der endgültigen Anordnung oder Entscheidung, ist es Sache des Klägers, mit der Mitteilung der Vollstreckungsabsicht nach R. 118.8 EPGVO dem Beklagten auch eine Frist für die Auskunftserteilung zu setzen.

2. Da das Zwangsgeld nicht lediglich Beugefunktion sondern auch Strafcharakter hat, ist eine Verhängung des Zwangsgeldes auch dann gerechtfertigt, wenn der Beklagte inzwischen, aber verspätet, seiner Verpflichtung aus der Anordnung der Auskunftserteilung nachgekommen ist.

3. Die Darlegungs- und Beweislast für die Behauptung, die Erfüllung der Verpflichtung aus der Anordnung der Auskunftserteilung sei erfüllt, obliegt dem Beklagten.

4. Nach Art. 67 Abs. 1 b) EPGÜ [→ Anordnung der Auskunftserteilung durch den Verletzer] sind auch Angaben über Preise, die vom Verletzer für die angegriffenen Ausführungsformen bezahlt wurden (Herstellerpreise), geschuldet.

5. Art. 67 Abs. 1 EPGÜ [→ Anordnung der Auskunftserteilung durch den Verletzer] lässt offen, ob die Auskunft in Schriftform oder in elektronischer Form erteilt werden muss. Ergibt sich aus der Anordnung der Auskunftserteilung nicht, in welcher Form die Auskunft zu erteilen ist, steht es dem Beklagten grundsätzlich frei, die Auskunft wahlweise in Papierform oder elektronisch zu erteilen.

EPG, UPC_CFI_230/2024: mehrere „realistische Ausgangspunkte“ für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit

EPG, Zentralkammer Paris, Beschl. v. 21. Mai 2025 – UPC_CFI_230/2024

In der Entscheidung der Zentralkammer Paris geht es um ein Patent für ein Verfahren und ein System zur Erkennung von Ballkontakten im Sport, insbesondere zur Unterstützung von Schiedsrichtern bei der Abseitsentscheidung im Fußball. Die Zentralkammer erklärte das Patent für nichtig, weil es gegenüber dem Stand der Technik nicht neu und nicht erfinderisch sei.

Gerichtliche Leitsätze:

Ein weit gefasster, allgemeiner Begriff, der in einem Hauptanspruch verwendet wird, ist nicht auf ein Verständnis zu beschränken, das sich aus den spezifischeren oder engeren Merkmalen ergibt, die in einem abhängigen Anspruch oder in der Beschreibung offenbart werden. Stattdessen zeigen der abhängige Anspruch und/oder die Beschreibung lediglich mögliche Ausführungsformen der patentierten Erfindung, die zusätzliche Vorteile bieten können.

Ausführungsformen dienen im Allgemeinen dazu, Optionen für die Verwirklichung der Erfindung zu beschreiben, und erlauben daher keine einschränkende Auslegung eines allgemeineren Patentanspruchs. In der Patentbeschreibung erwähnte Ausführungsformen erlauben nur den Schluss, dass sie unter den Anspruch fallen; sie schränken den Schutzbereich des Patentanspruchs jedoch nicht ein.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Diese Entscheidung UPC_CFI_230/2024 baut in Punkt 8.5 auf der in der früheren Entscheidung UPC_CFI_311/2023 etablierten Möglichkeit, mehrere realistische Ausgangspunkte bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen, auf, indem sie explizit feststellt, dass es nicht notwendig ist, den „vielversprechendsten“ Ausgangspunkt zu identifizieren:

„Um zu beurteilen, ob eine beanspruchte Erfindung für einen Fachmann naheliegend war oder nicht, ist es zunächst notwendig, einen Ausgangspunkt im Stand der Technik zu bestimmen.“

„Es muss eine Begründung dafür geben, warum der Fachmann einen bestimmten Teil des Standes der Technik als realistischen Ausgangspunkt betrachten würde.“

„Ein Ausgangspunkt ist realistisch, wenn seine Lehre für einen Fachmann von Interesse gewesen wäre, der zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents ein ähnliches Produkt oder Verfahren wie das im Stand der Technik offenbarte entwickeln wollte, das somit ein ähnliches zugrunde liegendes Problem wie die beanspruchte Erfindung aufweist (vgl. Beschluss vom 26. Februar 2024 in UPC_CoA_335/2023, NanoString/10x Genomics, S. 34)“

„Es kann mehrere realistische Ausgangspunkte geben.“

Es ist nicht notwendig, einen „vielversprechendsten“ Ausgangspunkt [-> „nächstliegender Stand der Technik“] zu identifizieren.“

Anmerkung:

Die Zentralkammer Paris des Einheitlichen Patentgerichts nimmt mit Punkt 8.5 der Entscheidung UPC_CFI_230/2024 eine vom EPA abweichende Haltung zur Bestimmung des Ausgangspunkts für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ein. Während das Europäische Patentamt (EPA) in seinen Richtlinien für die Prüfung (Abschnitt G-VII, 5.1) im Rahmen des „Aufgabe-Lösungs-Ansatzes“ fordert, den „erfolgversprechendsten“ Ausgangspunkt („nächstliegender Stand der Technik“) zu identifizieren, stellt die Zentralkammer Paris klar, dass es mehrere realistische Ausgangspunkte geben kann – und dass es nicht erforderlich ist, den „vielversprechendsten“ auszuwählen.

Diese Abweichung verweist auf einen weniger schematischen Zugang zur Prüfung der Erfindungshöhe. Dabei steht nicht die Suche nach einem einzigen idealen Ausgangspunkt im Vordergrund, sondern die Nachvollziehbarkeit, warum ein Fachmann überhaupt einen bestimmten Stand der Technik zur Lösung des technischen Problems herangezogen hätte.

Diese Herangehensweise der Zentralkammer Paris steht im Einklang mit der ständigen deutschen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Auswahl eines geeigneten Ausgangspunkts für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.

Der BGH betont wiederholt, dass es nicht auf den „nächstkommenden“ oder „nächstliegenden“ Stand der Technik ankommt. Vielmehr ist entscheidend, ob sich dem Fachmann ein bestimmter Stand der Technik aus seiner Sicht als sinnvoller Ausgangspunkt anbot, um eine bessere oder alternative Lösung für ein technisches Problem zu finden.

So heißt es u. a. in BGH, GRUR 2009, 382 – Olanzapin:

„Die Einordnung eines bestimmten Ausgangspunkts als – aus Ex-post-Sicht – nächstkommender Stand der Technik ist weder ausreichend noch erforderlich.“

Und weiter in BGH, GRUR 2017, 498 – Gestricktes Schuhoberteil:

„Die Wahl des Ausgangspunkts bedarf einer besonderen Rechtfertigung, die in der Regel in dem Bemühen des Fachmanns liegt, für einen bestimmten Zweck eine bessere oder andere Lösung zu finden, als sie der Stand der Technik zur Verfügung stellt.“

Auch das Urteil BGH, GRUR 2009, 1039 – Fischbissanzeiger stellt klar:

„Bei der Beurteilung des Naheliegens […] kann nicht stets der ‚nächstkommende‘ Stand der Technik als alleiniger Ausgangspunkt zugrunde gelegt werden. Die Wahl eines Ausgangspunkts (oder auch mehrerer Ausgangspunkte) bedarf vielmehr einer besonderen Rechtfertigung, die in der Regel aus dem Bemühen des Fachmanns abzuleiten ist, für einen bestimmten Zweck eine bessere – oder auch nur eine andere – Lösung zu finden, als sie der Stand der Technik zur Verfügung stellt (vgl. BGHZ 179, 168 Tz. 51 – Olanzapin). Für ein ausschließliches Abstellen auf einen „nächstkommenden“ Stand der Technik bietet auch das Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente (Europäisches Patentübereinkommen) vom 5. Oktober 1973 (BGBl. 1976 II 649) keine Grundlage.“

Innerhalb des EPA existieren unterschiedliche Sichtweisen bezüglich der Herangehensweise bei der Bestimmung des Ausgangspunktes für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit. So gibt es bei den Beschwerdekammern Rechtsprechung, die sowohl den Ansatz der Prüfungsrichtlinien bestätigt als auch solche, die eher in Richtung der Herangehensweise des EPG bzw. des BGH geht.

Viele ältere Entscheidungen der Beschwerdekammern folgen dem etablierten Aufgabe-Lösungs-Ansatz strikt und betonen die objektive Ermittlung des „nächstliegenden Stands der Technik“ anhand fester Kriterien (ähnlicher Zweck, ähnliche Wirkung, geringste strukturelle Änderungen). Beispielsweise legt die Entscheidung T 24/81 (ABl. 1983, 133) den Grundstein für diesen Ansatz, indem sie die Bedeutung des „gleichen Zwecks“ oder „gleichen Problems“ und des „ähnlichen Gebiets der Technik“ hervorhebt. In der Rechtsprechung wurde der „nächstliegende Stand der Technik“ oft als das „erfolgversprechendste Sprungbrett“ zur Erfindung bezeichnet (siehe z.B. T 254/86). Diese Sichtweise impliziert, dass es den einen besten Ausgangspunkt gibt, von dem aus der Fachmann die Erfindung am ehesten hätte entwickeln können. In der Entscheidung T 1742/12 wurde diese Sichtweise noch verstärkt, indem festgestellt wurde, dass, wenn ein Stand der Technik als „nächstliegender“ oder „erfolgversprechendstes Sprungbrett“ identifiziert werden kann und gezeigt wird, dass die Erfindung ausgehend von diesem Stand der Technik nicht naheliegend ist, auf eine Beurteilung ausgehend von anderem Stand der Technik verzichtet werden kann.

Allerdings gibt es auch Entscheidungen der Beschwerdekammern, die diese Sichtweise relativieren. So argumentierte eine Kammer in T 64/16, dass es zwar sinnvoll sei, die Untersuchung auf „erfolgversprechende“ Dokumente zu beschränken, es aber nicht erforderlich sei, das „erfolgversprechendste“ Sprungbrett auszuwählen und andere Dokumente auszuschließen. Diese Spannung in der Rechtsprechung zeigt, dass es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, wie strikt der Aufgabe-Lösungs-Ansatz anzuwenden ist und inwieweit andere Dokumente berücksichtigt werden können, selbst wenn sie nicht als der „nächstliegende Stand der Technik“ gelten. Diese Tendenz zu einer flexibleren und realitätsbezogeneren Herangehensweise zeigt sich auch in Entscheidungen, die eine Abkehr vom „Dogma des nächstliegenden Stands der Technik“ erkennen lassen (siehe z.B. T 1148/15, die feststellt, dass sich die Annahme, wonach der übrige Stand der Technik weniger relevant sei, als falsch erweisen kann, und T 405/14, die anerkennt, dass der Begriff „nächstliegender Stand der Technik“ unterschiedliche Bedeutungen haben kann und es nicht unbedingt den einen nächstliegenden Stand der Technik geben muss). In einigen Entscheidungen, wie beispielsweise in T 870/96, wird den „gegebenen Umständen“ der Erfindung, wie der Bezeichnung des Gegenstands, der Formulierung der ursprünglichen Aufgabe, der beabsichtigten Verwendung und der zu erzielenden Wirkungen, generell mehr Gewicht beigemessen als einer Höchstzahl identischer technischer Merkmale, was auf eine stärkere Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs hindeutet.

Die aktuelle Fassung der EPA-Prüfungsrichtlinien (Abschnitt G-VII, 5.1) ist demgemäß weniger dogmatisch als frühere Versionen. Sie spiegelt aber erkenntlich ein Spannungsfeld wider, indem sie zwar an der Definition des „nächstliegenden Stands der Technik“ als „erfolgversprechendsten Ausgangspunkt“ festhält, aber gleichzeitig einräumt, dass mehrere gleichwertige Ausgangspunkte existieren können; sie versucht jedoch, diese Flexibilität zu begrenzen, indem sie fordert, dass die Gleichwertigkeit „überzeugend gezeigt“ wird und die mangelnde erfinderische Tätigkeit ausgehend von nur einem relevanten Stand der Technik nachgewiesen werden kann.

Fazit: Die Position der Zentralkammer Paris – dass mehrere realistische Ausgangspunkte bestehen können und ein „vielversprechendster“ Ausgangspunkt nicht zwingend zu ermitteln ist – reflektiert eine differenzierte, flexible Sichtweise, wie sie auch der BGH seit langer Zeit vertritt. Sie steht im Gegensatz zur stärker schematisierten EPA-Praxis, die regelmäßig nach dem „nächstliegenden Stand der Technik“ verlangt – wenn auch am EPA eine sehr deutliche Tendenz zu erkennen ist, von der schematischen Suche nach dem „nächstliegenden Stand der Technik“ abzurücken.

BGH, KVB 61/23 – Apple

BGH, Beschluss vom 18. März 2025 – KVB 61/23 – Apple

Der Bundesgerichtshof (BGH) wies Apples Beschwerde gegen den Beschluss des Bundeskartellamts zurück und bestätigte damit, dass Apple eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb gemäß § 19a GWB zukommt. Diese Einschätzung stützt der BGH auf Apples erhebliche Tätigkeit auf mehrseitigen Märkten (wie App Store und Betriebssysteme), seine immense Finanzkraft, die tiefe vertikale Integration seines Ökosystems, den weitreichenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten trotz Datenschutzmaßnahmen sowie seine Schlüsselrolle für den Marktzugang Dritter (z.B. App-Entwickler). Der BGH stellte klar, dass für diese Feststellung keine konkrete Wettbewerbsgefährdung nachgewiesen werden muss und dass auch der Digital Markets Act (DMA) sowie Apples bisherige Anpassungen daran die festgestellte Bedeutung nicht entscheidend schmälern, wobei § 19a GWB als mit Unions- und Verfassungsrecht vereinbar angesehen wird.

Leitsätze:

a) Mehrseitige Märkte im Sinn des § 18 Abs. 3a GWB sind nicht nur Plattformen, auf denen Geschäftsabschlüsse zwischen verschiedenen Nutzergruppen stattfinden oder vermittelt werden; es genügt, dass durch die Plattform die Aufmerksamkeit einer Nutzergruppe auf die andere gelenkt oder eine Interaktion zwischen unterschiedlichen Nutzergruppen technisch ermöglicht wird.

b) Eine Tätigkeit „auf“ mehrseitigen Märkten liegt bereits mit dem Betreiben einer Plattform (insbesondere für digitale Leistungen) vor.

c) Ein Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten im Sinn des § 19a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 GWB setzt voraus, dass das Unternehmen die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit hat, die Daten zu erheben und zu nutzen; das bloße Zugangspotential reicht nicht aus.

d) Das Kriterium des § 19a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GWB nimmt allein die Marktbeherrschung des Unternehmens gemäß § 18 GWB auf einem oder mehreren Märkten in den Blick.

BGH, Urteil vom 10. April 2025 – I ZR 80/24 – Bewegungsspielzeug

BGH, Urteil vom 10. April 2025 – I ZR 80/24 – Bewegungsspielzeug

Leitsätze:

a) Bei der Prüfung einer unlauteren Nachahmung wegen mittelbarer Herkunftstäuschung setzt die Annahme, der Verkehr werde die Nachahmung für eine neue Serie des Originalherstellers halten,
jedenfalls voraus, dass der angesprochene Verkehr aufgrund von deutlich sichtbaren Anlehnungen in Gestaltungsmerkmalen, die den Gesamteindruck der Produkte prägen, davon ausgeht, dass die
Produkte von demselben Hersteller stammen. Je untergeordneter die übereinstimmenden Gestaltungsmerkmale für das Erscheinungsbild der Produkte sind, desto eher wird der angesprochene Verkehr geneigt sein, wegen anderer den Gesamteindruck des Originalprodukts vorrangig prägender, sich in der Nachahmung nicht wiederfindender Gestaltungsmerkmale die Erzeugnisse als individuelle Einzelprodukte anzusehen, und desto gewichtigere tatsächliche Anhaltspunkte müssen
für die Annahme vorliegen, dass der angesprochene Verkehr die Nachahmung einer neuen Serie des Originalherstellers zuordnet.

b) Der Gläubiger kann die Erstattung der Kosten für eine berechtigte Abmahnung grundsätzlich nur nach dem in der Abmahnung angegebenen Gegenstandswert verlangen.

Aus der Urteilsbegründung

In dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10. April 2025 ging es um die Frage der unlauteren Nachahmung im Wettbewerbsrecht, insbesondere um eine angeblich vermeidbare Herkunftstäuschung im Zusammenhang mit Bewegungsspielzeug. Die Klägerin vertreibt seit 2017 ein Bewegungsspielzeug unter der Bezeichnung „Stapelstein“, während die Beklagte zu 1 seit 2021 ähnliche Produkte unter den Bezeichnungen „MeinKreativStein“ und „MeinVerwandlungsStein“ vertreibt.

Der BGH hob das Berufungsurteil des OLG Hamburg auf, das zugunsten der Klägerin entschieden hatte, und verwies die Angelegenheit teilweise zur erneuten Verhandlung an das Oberlandesgericht zurück. Der BGH führte aus, dass kein ausreichender Nachweis über eine vermeidbare Herkunftstäuschung vorlag. Während das Berufungsgericht der zweigeteilten Oberflächenstruktur und den haptischen Eigenschaften des Materials EPP große Bedeutung zum Maßstab der Herkunftstäuschung beimaß, sah der BGH solche Merkmale als nicht hinreichend prägend an. Die abweichenden Bezeichnungen „Stapelstein“ und „MeinKreativStein“ wurden ebenfalls als unterschiedlich betrachtet, insbesondere in Anbetracht der Produktform und dem fehlenden Bekanntheitsgrad des „Kreiselsteins“ als Serie.

Wegen der tatsachenbedingten und rechtlichen Komplikationen entschied der BGH, dass die Sache im Umfang der Aufhebung einer weiteren Beweisaufnahme bedarf, um festzustellen, ob tatsächlich eine unangemessene Rufaussnutzung vorliege, nach § 4 Nr. 3 Buchst. b UWG.

EPG, UPC_CFI_501/2023: „Problem-solution Approach“ am Einheitspatentgericht

EPG, Lokalkammer München, Urt. v. 4. April 2025 – UPC_CFI_501/2023

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze:

  1. Art. 33(1)(b) EPGÜ [→ Zuständigkeit der Lokalkammern und Regionalkammern] erlaubt es, mehrere Beklagte am Wohnsitz, Hauptgeschäftssitz oder, falls dies nicht möglich ist, am Geschäftsstandort eines der Beklagten zu verklagen, vorausgesetzt, dass die Beklagten eine Handelsbeziehung haben und die Klage dieselbe angebliche Verletzung betrifft. Im Kontext eines europäischen Patents ohne einheitliche Wirkung bezeichnet der Ausdruck „dieselbe Verletzung“ Situationen, in denen mehreren Beklagten vorgeworfen wird, die relevanten nationalen Benennungen desselben europäischen Patents durch dasselbe Produkt oder Verfahren verletzt zu haben. Eine andere Auslegung würde den Zweck des Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht untergraben, die fragmentierte Patentstreitlandschaft in Europa zu überwinden (Präambel 2 der EPGÜ).
  2. Für die Beurteilung, ob eine Erfindung angesichts des Stands der Technik als naheliegend anzusehen ist [Artikel 65 (2) → Gründe für die Nichtigkeit eines Patents], soll der von der europäischen Patentorganisation entwickelte „problem-solution approach“ vorrangig angewendet werden, soweit dies möglich ist, um die Rechtssicherheit zu erhöhen und die Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts weiter mit der Rechtsprechung der europäischen Patentorganisation und der Beschwerdekammern in Einklang zu bringen.
  3. Eine Unterlassungserklärung ohne Vertragsstrafeverpflichtung durch einen oder zwei, aber nicht alle Beklagten, die Mitglieder einer Gruppe von Unternehmen sind, die gemeinsam ein Patent verletzt haben, kann das Interesse des Patentinhabers, die exklusive Natur seines Rechts zu verteidigen, nicht in der gleichen Weise sichern wie eine gerichtliche Anordnung. Das Risiko bleibt bestehen, dass sich die Mitglieder der Gruppe um solche isolierten Unterlassungserklärungen herum neu organisieren und das Patent in den relevanten Gebieten weiterhin verletzen, ohne das Risiko eingehen zu müssen, eine Vertragsstrafe zahlen zu müssen.
  4. Wenn eine Entscheidung unmittelbar und direkt ab dem Zeitpunkt der Zustellung in jedem der Vertragsmitgliedstaaten gemäß Regel 354.1 EPGVO [→ Unmittelbare Vollstreckbarkeit] vollstreckbar ist, muss keine Sicherheit im Voraus geleistet werden, und es besteht keine Bedingung gemäß Regel 118.2.a EPGVO. Regel 118.8 EPGVO muss jedoch eingehalten werden.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Das Gericht erster Instanz und das Berufungsgericht des Einheitlichen Patentgerichts haben den erfinderischen Schritt in verschiedenen Entscheidungen geprüft. Einige Entscheidungen bezogen sich ausdrücklich auf den Aufgabe-Lösungs-Ansatz, wie er vom Europäischen Patentamt (EPA), einschließlich der Beschwerdekammern, sowie von mehreren nationalen Gerichten angewendet wird; andere wendeten einen anderen Ansatz an, der dem von der deutschen Bundesgerichtshof verwendeten Test zur erfinderischen Tätigkeit ähnlich, wenn nicht sogar identisch ist. Beide Tests, der „deutsche“ Test und der Aufgabe-Lösungs-Ansatz, sollten, wenn sie korrekt angewendet werden, in der Mehrzahl der Fälle zum selben Ergebnis führen (vgl. Deichfuss, GRUR Patent 2024, 94). Beide Tests erfordern einen „realistischen Ausgangspunkt“ und einen „Anreiz“ für die Fachperson, den „nächsten Schritt“ zu machen, also beispielsweise die technische Lösung, die durch den Ausgangspunkt offenbart ist, so zu verändern, dass sie zur patentierten Lösung führt. Da keiner der Tests im Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) verankert ist und beide im Wesentlichen zu denselben Ergebnissen führen, können beide als Instrument zur Beurteilung des erfinderischen Schritts herangezogen werden. Dennoch trifft dieses Spruchkörper die Entscheidung, den vom EPA einschließlich der Beschwerdekammern praktizierten Aufgabe-Lösungs-Ansatz anzuwenden, soweit dies möglich ist, und dies ausdrücklich festzuhalten, da ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit sowohl für die Nutzer des Systems als auch für die verschiedenen Kammern des Einheitlichen Patentgerichts besteht. Die Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes bringt die Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts zudem weiter in Einklang mit der Rechtsprechung des EPA und der Beschwerdekammern.

Anmerkung:

Das Urteil der Lokalkammer München bringt mit seiner ausdrücklichen Präferenz für den Aufgabe-Lösungs-Ansatz des Europäischen Patentamts (EPA) eine Weichenstellung für die Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts (UPC).

Die Intention des Gerichts ist nachvollziehbar: Mit der einheitlichen Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes wird eine kohärente Rechtsprechung angestrebt, die sich an den bekannten Standards des EPA orientiert und dadurch die Vorhersehbarkeit für Verfahrensbeteiligte erhöhen soll. In einem System, das grenzüberschreitende Streitigkeiten über europäische Patente bündelt, erscheint dies zunächst als konsequente Harmonisierung.

Allerdings ist kritisch anzumerken, dass der Aufgabe-Lösungs-Ansatz seiner Natur nach lediglich ein methodisches Hilfsmittel zur Strukturierung der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit darstellt, nicht jedoch eine starre Rechtsvorgabe. Der Begriff der „erfinderischen Tätigkeit“ ist im europäischen wie auch im einheitlichen Patentrecht bewusst als unbestimmter Rechtsbegriff ausgestaltet worden. Er soll die notwendige Flexibilität bieten, um den Anforderungen sich wandelnder technischer Entwicklungen und komplexer Einzelfallkonstellationen gerecht zu werden.

Die richterliche Entscheidung, den Aufgabe-Lösungs-Ansatz „vorrangig“, wenn auch nicht zwingend, zur Anwendung zu bringen, birgt daher die Gefahr einer Dogmatisierung dieses Ansatzes. Dabei darf nicht übersehen werden, dass auch innerhalb des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes erhebliche Wertungsspielräume bestehen – insbesondere bei der Definition des objektiv technischen Problems und der Frage, ob für die Fachperson ein Anreiz bestand, zur beanspruchten Lösung zu gelangen. Die vermeintliche Vorhersehbarkeit des Ergebnisses wird durch diese inhärente Subjektivität erheblich relativiert.

Wird der Aufgabe-Lösungs-Ansatz zu einer faktischen Verpflichtung erhoben, besteht das Risiko, dass die notwendige Flexibilität bei der rechtlichen Bewertung unterbleibt. Gerade komplexe oder interdisziplinäre Erfindungen könnten dann unter ein starres Schema gezwungen werden, das der Vielfalt technischer Lösungsansätze nicht immer gerecht wird. Dies könnte zu einer Formalisierung der Prüfung führen, bei der die entscheidende Würdigung der technischen Umstände des Einzelfalls hinter die bloße Anwendung des Schemas zurücktritt.

EPG, Berufungsgericht, UPC_CoA_835/2024: „Schriftsatzverbot“ vor dem Einheitlichen Patentgericht

EPG, Berufungsgericht, Verfahrensanordnung vom 24. März 2025 – UPC_CoA_835/2024

In der Entscheidung des Berufungsgerichts des Einheitlichen Patentgerichts vom 24. März 2025 wird der Antrag der Berufungsklägerinnen auf eine weitere schriftliche Stellungnahme im Berufungsverfahren gegen die Berufungsbeklagte abgelehnt. Der Streit drehte sich um die Vorlage von Lizenzverträgen im Zusammenhang mit einem kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand bezüglich eines europäischen Patents. Das Gericht entschied, dass eine solche Stellungnahme zum jetzigen Zeitpunkt des Verfahrens unzulässig ist, da sie gegen die Regelungen der Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts (EPGVO) verstößt, die einen weiteren Schriftsatzaustausch nicht vorsehen, es sei denn, es wurde eine Anschlussberufung eingelegt. Ein solcher Antrag kurz vor einer mündlichen Verhandlung widerspricht dem Grundsatz der fairen und ausgewogenen Verfahrensführung und der Waffengleichheit der Parteien gemäß dem Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ). Ferner sah das Gericht keine Notwendigkeit, die Berufungsbeklagte vor dieser Verfahrensanordnung zu hören, da ihre Rechte nicht berührt wurden. Diese Entscheidung soll eine effiziente Rechtsdurchführung unterstützen und Verzögerungen des Verfahrens vermeiden.

Aus der Entscheidungsbegründung:

„Zusätzliche Berufungsgründe, die nicht innerhalb der in R. 224.2 VerfO [→ Fristen für die Berufungsbegründung] für die Berufungsbegründung vorgesehenen Frist vorgebracht werden, sind nicht zulässig. Daraus ergibt sich, dass ein weiterer Austausch von Schriftsätzen in der Verfahrensordnung des EPG nicht vorgesehen ist, es sei denn, dass eine Anschlussberufung gemäß R. 237 und 238 VerfO eingelegt wurde.“

„Gleichwohl gebietet es auch hier der Grundsatz der fairen und ausgewogenen Verfahrensführung insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit, wie er in Art. 42(2) EPGÜ und Absatz 5 der Präambel der Verfahrensordnung niedergelegt ist, in Verbindung mit dem Grundsatz der effizienten Verfahrensführung wie er in Art. 41(3) EPGÜ und Absatz 4 der Präambel der Verfahrensordnung vorgesehen ist, den Antrag auf Zulassung einer schriftlichen Stellungnahme zurückzuweisen.“

Anmerkung:

Diese Entscheidung des Berufungsgerichts des Einheitlichen Patentgerichts verdeutlicht eine potenziell problematische Auslegung des rechtlichen Gehörs im Berufungsverfahren. Dort wurde ein Antrag der Berufungsklägerin auf Zulassung eines weiteren Schriftsatzes – gestützt auf neu zugänglich gewordene Lizenzverträge und eine nachgereichte Sachverständigenstellungnahme – mit Verweis auf die formale Beschränkung des schriftlichen Verfahrens (R. 224 ff. VerfO) abgelehnt. Das Gericht stellte klar, dass ein weiterer Schriftsatz außerhalb des vorgesehenen Kontingents grundsätzlich unzulässig sei, selbst wenn relevante Unterlagen erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorlagen. Anstelle einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem neuen Vorbringen stellte es dabei vorrangig auf den Grundsatz der Waffengleichheit ab und führte aus, dass eine schriftliche Stellungnahme der Berufungsklägerin kurz vor der mündlichen Verhandlung zu einer prozessualen Unausgewogenheit zulasten der Berufungsbeklagten führen würde.

Diese Praxis steht in einem Spannungsverhältnis zum verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör (Artikel 47 Absatz 2 GRCh → Recht auf ein faires Verfahren; Art. 103 Abs. 1 GG → Anspruch auf rechtliches Gehör). Auch wenn die Entscheidung auf Prinzipien wie Verfahrenseffizienz und Waffengleichheit verweist, wird der Rechtsschutz faktisch verkürzt, wenn erheblicher neuer Vortrag pauschal unbeachtet bleibt. Die restriktive Auslegung birgt das Risiko, effektiven Rechtsschutz zugunsten formaler Prozessökonomie über Gebühr zurückzudrängen. Es bedarf daher einer verfahrensoffenen und einzelfallbezogenen Prüfung, ob ergänzender Vortrag – insbesondere zu neuen Beweismitteln – zumindest zur Kenntnis genommen werden muss.

Ferner stützt sich das Gericht auf Regel 233.3 EPGVO [-→ Unzulässigkeit von verspäteten Berufungsgründen], um die Unzulässigkeit einer weiteren schriftlichen Stellungnahme zu begründen. Diese Vorschrift regelt jedoch lediglich, dass neue Berufungsgründe nach Ablauf der Frist für die Berufungsbegründung nicht mehr vorgebracht werden dürfen. Sie enthält hingegen keine Aussage darüber, dass jegliche spätere Argumente, Beweismittel oder fachliche Stellungnahmen, die zur Stützung fristgerecht vorgetragener Berufungsgründe dienen, per se unzulässig wären. Die Entscheidung verkennt insofern die systematische Abgrenzung zwischen neuen Berufungsgründen und ergänzendem Vortrag zu bereits eingeführten Streitpunkten. Eine solche überdehnte Anwendung von Regel 233.3 EPGVO birgt das Risiko, den Zugang zu rechtlichem Gehör unverhältnismäßig zu beschränken.

EPG, UPC_CFI_702/2024: Zuständigkeit des EPG für Verletzungsklagen in Drittstaaten

EPG, Lokalkammer Paris, Ord. v. 21. März 2025 – UPC_CFI_702/2024

In der Entscheidung EPG, UPC_CFI_702/2024 des Einheitspatentgerichts (EPG) entschied die Lokalkammer Paris über eine vorläufige Einrede der Kompetenzerstreckung im Zusammenhang mit einer Klage auf Patentverletzung. Die Antragsgegner hatten die Zuständigkeit des EPG hinsichtlich der Patentverletzungen in Spanien, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich angefochten, da das Europäische Patent in diesen Staaten keine einheitliche Wirkung entfaltet  [→ Zuständigkeit des EPG für Verletzungsklagen in Drittstaaten]. Die EPG-Regeln erlauben es einer Partei, Einwände bezüglich der gerichtlichen Zuständigkeit zu erheben, das Gericht hielt die vorläufige Einrede jedoch für unzulässig und bestätigte seine Zuständigkeit. Das Hauptargument der Antragstellerin war, dass die Zuständigkeit des EPG gemäß der Vereinbarung über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) und der Konvention von Lugano zu beurteilen sei, sodass die Einrede der Gegenseite keine stichhaltige Basis habe. Das Gericht entschied zugunsten der Antragstellerin, dass das EPG für die behandelten Patentverletzungsfälle zuständig sei und die vorläufige Einrede abgewiesen wurde.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Die internationale Zuständigkeit des EPG beruht auf der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel I bis) oder gegebenenfalls auf der Lugano-Konvention.

Die Zuständigkeit des EPG als gemeinsame Gerichtsbarkeit mehrerer Mitgliedstaaten wird gemäß Artikel 71 bis der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 [→ Zuständigkeit gemeinsamer Gerichte] als die eines Mitgliedstaats der Union angesehen.

Nach Artikel 24 Absatz 4 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 [→ Eintragung und Gültigkeit von Schutzrechten]  sind ausschließlich die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet das Patent beantragt oder eingetragen wurde, und zwar sowohl dann, wenn die Frage der Validität im Rahmen einer Klage als auch im Rahmen eines Einwands aufgeworfen wird.

Das EPG hat die Kompetenz, über eine Patentverletzungsklage zu entscheiden, die von IMC Créations bezüglich der spanischen und schweizerischen Teile des Patents eingeleitet wurde, und kann das Verfahren aussetzen, um die Entscheidung des nationalen Gerichts abzuwarten, falls eine nicht unerhebliche Chance besteht, dass das Patent von der Erteilungsgerichtsinstanz annulliert wird.

Das EPG hat auch die Kompetenz, über die Verletzung der britischen Teile des Patents zu entscheiden und gegebenenfalls über die Validität des Titels, vorausgesetzt, dass die Entscheidung über die Nichtigkeitsausnahme nur inter partes Wirkung hat.

Der Patentinhaber sollte in der Lage sein, alle seine Verletzungsansprüche zu bündeln und umfassenden Schadensersatz vor einem einzigen Gericht einzufordern, um das Risiko divergierender Entscheidungen zu vermeiden.

EPG, UPC_CFI_425/2025: Sicherheitsleistung bei Sitz in Drittstaat – Zustellungsprobleme mit China

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 19. März 2025 – UPC_CFI_425/2025

Leitsatz der Entscheidung:

Im Hinblick auf ein Land, das seinen Verpflichtungen aus dem Haager Zustellungsübereinkommen nicht nachkommt, ist davon auszugehen, dass ein Kostenersatzbeschluss des EPG in diesem Land möglicherweise nicht durchsetzbar ist oder nur auf unzumutbar erschwerter Weise.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Es kann nicht entscheidend für die Entscheidung über eine Sicherheitsleistung [Regel 158 EPGVO → Sicherheitsleistung für die Kosten einer Partei] sein, dass der Kläger seinen Sitz in einem Nicht-EU/Nicht-EWR-Land hat. Dies wäre eine Form der a priori Diskriminierung, die ausschließlich auf der Nationalität des Sitzes/Wohnsitzes des Klägers beruht und in keiner Rechtsquelle vorgesehen ist.

Nach der Rechtsprechung des Berufungsgerichts ist es entscheidend für einen Antrag auf Sicherheitsleistung (Art. 69 Abs. 4 EPGÜ und R.158 EPGVO), ob die finanzielle Situation des Klägers Anlass zu einer berechtigten und echten Besorgnis gibt, dass ein möglicher Kostenentscheid nicht einbringlich sein könnte und/oder die Wahrscheinlichkeit, dass ein möglicher Kostenentscheid des EPG nicht, oder nur in unzumutbar belastender Weise, durchsetzbar sein könnte (UPC_CoA_217/2024).

Obwohl die Volksrepublik China das Haager Zustellungsübereinkommen ratifiziert hat, stehen europäische Gerichte vor erheblichen Schwierigkeiten bei der Zustellung von Klageschriften und anderen Dokumenten in China: Es ist nicht nur die Erfahrung europäischer nationaler Gerichte (z.B. Oberlandesgericht München, GRUR-RR 2020, 511), sondern auch des Einheitspatentgerichts (z.B. LD Mannheim, UPC_CFI_332/2024), dass Zustellungsersuchen der chinesischen Behörde in vielen Fällen entweder gar nicht weitergeleitet oder beanstandet und zurückgesandt werden. In UPC_CFI_508/2023 und UPC_CFI_509/2023 war die Zustellung von Anträgen auf einstweilige Maßnahmen erfolglos, obwohl der Antrag der zuständigen chinesischen Behörde zugestellt werden konnte und der Gerichtsregistratur per E-Mail Kontakt mit der zuständigen chinesischen Behörde zu diesem Thema hatte. Die chinesische Behörde bearbeitete die Zustellung jedoch mehr als sechs Monate lang ohne ersichtlichen Grund nicht.

BGH, I ZR 50/24 – Produktfotografien

BGH, Urteil vom 5. Dezember 2024 – I ZR 50/24 – Produktfotografien

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Urteil vom 5. Dezember 2024 entschieden, dass eine Verletzung der urheberrechtlichen Ansprüche der Klägerin nicht vorliegt, da es an einem hinreichenden Inlandsbezug der angeblichen Verletzungshandlungen fehlt. Die Klägerin, ein Bekleidungsunternehmen, machte geltend, dass ihre Produktfotografien in der Google-Bildersuche abrufbar waren und von dort auf Webseiten mit kasachischer und ukrainischer Top-Level-Domain verlinkt wurden. Die Beklagte hatte diese Fotografien möglicherweise für diese ausländischen Webseiten genutzt. Der BGH stellte klar, dass nach deutschem Urheberrecht die Nutzungshandlung im Inland erfolgen müsse, um Ansprüche geltend machen zu können. Die Entscheidung bestätigte, dass der für Kennzeichenrechte entwickelte Grundsatz des Territorialitätsprinzips auch im Urheberrecht Anwendung findet. Da die Webseiten auf Kasachstan und die Ukraine ausgerichtet seien und nur unwesentliche Anknüpfungspunkte zu Deutschland aufwiesen, bestehe kein hinreichender Inlandsbezug. Die Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen.

Leitsatz der Entscheidung:

Die Verletzung eines inländischen Urheberrechts durch ein Verhalten, das seinen Schwerpunkt im Ausland hat, setzt voraus, dass das Verhalten einen hinreichenden Inlandsbezug aufweist [-> Territorialitätsprinzip] (Fortführung von BGH, Urteil vom 16. Juni 1994 – I ZR 24/92, BGHZ 126, 252 [juris Rn. 17 bis 20] – Folgerecht bei Auslandsbezug; Urteil vom 15. Februar 2007 – I ZR 114/04, BGHZ 171, 151 [juris Rn. 31] – Wagenfeld-Leuchte I).

EPG, UPC_CFI_112/2025: Anti-Anti-Suit Injunction durch die Lokalkammer München des EPG

EPG, Lokalkammer München, Anordnung vom 19. Februar 2025 – UPC_CFI_112/2025

Die Lokalkammer München des Einheitlichen Patentgerichts erließ eine Anordnung [Artikel 62 (1) → Verfügungen gegen angebliche Verletzer] zugunsten der Antragstellerinnen, um eine Anti-Anti-Suit Injunction (AASI) zu erlassen. Diese Anordnung wurde aufgrund der drohenden Gefahr erlassen, dass die Antragsgegnerinnen eine Anti-Suit Injunction (ASI) bei chinesischen Gerichten einleiten könnten, um die Patentinhaberin daran zu hindern, ihre Patentrechte gerichtlich durchzusetzen. Die Anordnung soll verhindern, dass die Antragsgegnerinnen die Patentinhaberin daran hindern, Patentverletzungsverfahren in Europa durchzuführen oder entstehende Urteile zu vollstrecken.

Das Einheitliche Patentgericht, Lokalkammer München, sah konkrete und greifbare Anhaltspunkte für eine drohende Anti-Suit Injunction (ASI), weil die Antragsgegnerinnen bereits heimlich ein Lizenzratenbestimmungsverfahren („Rate-Setting“) vor einem chinesischen Gericht eingeleitet hatten, ohne die Antragstellerinnen zu informieren. Die Zustellung der europäischen Patentverletzungsklagen auf der Messe EuroCIS am 18. Februar 2025 erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass die Antragsgegnerinnen mit einer ASI reagieren würden, um die Durchsetzung der Klagen zu verhindern. Da chinesische Gerichte ASIs regelmäßig kurzfristig und ex parte erlassen, bestand die Gefahr, dass die Patentinhaberin an der gerichtlichen Durchsetzung ihrer Patente gehindert würde oder erhebliche Strafzahlungen riskieren müsste. Zudem zeigte die strategische Verzögerungstaktik der Antragsgegnerinnen, dass sie ein starkes Interesse daran hatten, das chinesische Rate-Setting-Verfahren vor einer europäischen Gerichtsentscheidung zu schützen. Angesichts dieser Umstände entschied das Gericht, dass eine Anti-Anti-Suit Injunction (AASI) erforderlich war, um die gerichtliche Durchsetzbarkeit der europäischen Patente zu sichern.

Außerdem wurde ausnahmsweise auf eine Sicherheitsleistung verzichtet, da eine solche den Antragstellern binnen der kurzen Zeitspanne nicht möglich war. Das Gericht verpflichtete die Antragsgegnerinnen zur Zahlung eines Zwangsgeldes bei Zuwiderhandlung gegen die Anordnung.

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze:

  1. Die Verletzung eines Rechts des Patentinhabers droht im Sinne von Art. 62 Abs. 1 EPGÜ dann, wenn die Verletzung noch nicht eingetreten ist, aber aufgrund konkreter Umstände ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich der Antragsgegner in naher Zukunft rechtswidrig verhalten wird. Die Verletzungshandlung muss sich konkret abzeichnen. Es muss nur noch vom Willen des Antragsgegners abhängen, ob der letzte Schritt zum Beginn der Verletzung umgesetzt wird. Dies hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab.
  2. Im Fall einer Anti-Suit Injunction tritt die Verletzung des Eigentumsrechts des Patentinhabers zwar erst mit dem Erlass der Anti-Suit Injunction durch ein anderes Gericht ein, die Verletzungshandlung besteht jedoch in der auf ihren Erlass gerichteten Antragstellung durch den Verletzer.
  3. Eine Verletzung des Eigentumsrechts des Patentinhabers durch den Erlass einer Anti-Suit Injunction kann in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls schon vor der auf ihren Erlass gerichteten Antragstellung drohen.
  4. Die Anordnung einer Sicherheitsleistung im Falle einer ohne die Anhörung des Antragsgegners ergangenen einstweiligen Maßnahme kann gemäß Regel 211.5 S. 2 EPGVO [→ Sicherheitsleistung durch den Antragsteller] ausnahmsweise unterbleiben, wenn es dem Antragsteller in zeitlicher Hinsicht nicht möglich ist, die Sicherheit bis zu der auf einer Messe erfolgenden Zustellung der Anordnung der einstweiligen Maßnahme zu leisten, und andere Zustellungsmöglichkeiten mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sind.