BGH, I ZB 29/23

BGH, Beschluss vom 23. November 2023 – I ZB 29/23

Gerichtlicher Leitsatz:

Der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde des Gläubigers gegen die Entscheidung, mit der gegen den Schuldner ein Ordnungsgeld verhängt worden ist, steht die fehlende Beschwer entgegen, wenn in seinem Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgelds weder ein konkreter Betrag noch eine ungefähre Größenordnung des Ordnungsgelds angegeben wurde und das Gericht die Höhe des Ordnungsgelds nach seinem Ermessen festgesetzt hat.

Aus der Urteilsbegründung:

Ergibt sich aus dem Ordnungsmittelantrag des Gläubigers – einschließlich dessen Begründung – weder ein (Mindest-)Betrag noch eine Größenordnung für das beantragte Ordnungsgeld, legt der Gläubiger die Sanktionierung des Verhaltens des Schuldners einschließlich der damit zusammenhängenden effektiven Durchsetzung seines titulierten Rechts in das Ermessen des Gerichts. Sein Rechtsschutzziel ist dann beschränkt auf die Verhängung (irgend-)eines Ordnungsmittels. Übt das Gericht – wie hier – sein Ermessen aus und verhängt ein Ordnungsmittel, ist ein solches vom Gläubiger verfolgte Rechtsschutzziel erfüllt und fehlt es an einer Beschwer.

Beziffert der Gläubiger seinen Ordnungsmittelantrag oder lässt sich der Begründung ein (Mindest-)Betrag oder eine bestimmte Größenordnung des angestrebten Ordnungsgelds entnehmen, macht er dagegen deutlich, dass sein Rechtsschutzziel über die bloße Verhängung (irgend-)eines Ordnungsmittels hinausgeht und er zur effektiven Durchsetzung seines titulierten Rechts eine bestimmte Höhe des zu verhängenden Ordnungsgelds für erforderlich hält. Bleibt das festgesetzte Ordnungsmittel hinter dem erstinstanzlich genannten Betrag zurück, hat der Gläubiger sein Rechtsschutzziel nicht vollständig erreicht und ist mithin beschwert.

BGH, X ZR 76/21 – Farb- und Helligkeitseinstellung

BGH, Urteil vom 26. September 2023 – X ZR 76/21 – Farb- und Helligkeitseinstellung

Gerichtlicher Leitsatz:

Eine Verallgemeinerung ist unzulässig, wenn den ursprünglich eingereichten Unterlagen zu entnehmen ist, dass einzelne Merkmale in untrennbarem Zusammenhang miteinander stehen, der Patentanspruch diese Merkmale aber nicht in ihrer Gesamtheit vorsieht (Bestätigung von BGH, Urteil vom 21. Juni 2016 – X ZR 41/14, GRUR 2016, 1038 Rn. 48 – Fahrzeugscheibe II; Urteil vom 17. Februar 2015 – X ZR 161/12, BGHZ 204, 199 Rn. 31 – Wundbehandlungsvorrichtung; Beschluss vom 11. September 2001 – X ZB 18/00, GRUR 2002, 49, 51 – Drehmomentübertragungseinrichtung).

BGH, I ZR 179/22 – Microstock-Portal

BGH, Urteil vom 15. Juni 2023 – I ZR 179/22 – Microstock-Portal

Gerichtliche Leitsätze:

a) Das Recht des Urhebers auf Anbringung der Urheberbezeichnung gemäß § 13 Satz 2 UrhG ist in seinem Kern unverzichtbar. Daraus, dass der Urheber nach § 13 Satz 2 UrhG bestimmen kann, ob das Werk mit einer Urheberbezeichnung zu versehen und welche Bezeichnung zu verwenden ist, ergibt sich jedoch, dass es ihm außerhalb dieses unverzichtbaren Kerns grundsätzlich freisteht, durch ausdrücklich oder stillschweigend getroffene vertragliche Vereinbarungen mit dem Werkverwerter auf die Ausübung dieses Rechts zu verzichten oder in dieses Recht beeinträchtigende Nutzungen einzuwilligen.

b) Solche Vereinbarungen unterliegen allerdings Grenzen, deren Überschreitung gemäß § 138 Abs. 1 BGB und – soweit Allgemeine Geschäftsbedingungen in Rede stehen – gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB zur Unwirksamkeit der Vereinbarung führt.

c) Im Rahmen der bei der Prüfung dieser Bestimmungen vorzunehmenden Gesamtabwägung sind sowohl die Interessen von Urheber und Vertragspartner als auch die jeweiligen vertragsrelevanten Umstände wie die Art des Werks sowie der Zweck und die Dauer der Vereinbarung in den Blick zu nehmen. Zu berücksichtigen sind der sachliche und zeitliche Umfang der in Rede stehenden Einschränkung des Namensnennungsrechts. Dabei kommt es etwa darauf an, ob die Einschränkung nur bestimmte Werke oder bestimmte Nutzungen betrifft und nur für eine bestimmte Zeit gelten oder widerruflich sein soll oder aber der Urheber sich pauschal und dauerhaft zum Verzicht auf die Ausübung seines Namensnennungsrechts verpflichtet hat. Im Rahmen der Abwägung können zudem Verkehrsgewohnheiten und Branchenübungen berücksichtigt werden.

BGH, I ZB 114/17 – Kaffeekapsel II

BGH, Beschluss vom 27. Juli 2023 – I ZB 114/17 – Kaffeekapsel II

Amtliche Leitsätze:

a) Verliert der Löschungsantragsteller oder derjenige, der im Hinblick auf eine IRMarke einen Schutzentziehungsantrag stellt, seine Beteiligtenfähigkeit, ist der Löschungsantrag beziehungsweise der Schutzentziehungsantrag als unzulässig zu verwerfen.

b) Ist der angefochtene Beschluss des Bundespatentgerichts aufzuheben, weil der Antragsteller des Verfahrens seine Beteiligtenfähigkeit verloren hat, und ist aus diesem Grund eine Sachentscheidung durch das Bundespatentgericht nicht mehr erforderlich, kann der Bundesgerichtshof von einer Zurückverweisung an das Bundespatentgericht absehen und abschließend selbst entscheiden.

BGH, I ZB 31/20 – Sattelunterseite II

BGH, Beschluss vom 15. Juni 2023 – I ZB 31/20 – Sattelunterseite II

Amtlicher Leitsatz:

Die Sichtbarkeit eines Bauelements (hier: Fahrradsattel) eines komplexen Erzeugnisses (hier: Fahrrad) bei seiner bestimmungsgemäßen Verwendung durch den Endbenutzer im Sinne von §§ 4, 1 Nr. 4 DesignG (Art. 3 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 98/71/EG) ist aus der Sicht dieses Benutzers sowie der Sicht eines außenstehenden Beobachters zu beurteilen. Die bestimmungsgemäße Verwendung umfasst die Handlungen, die bei der hauptsächlichen Verwendung eines komplexen Erzeugnisses (hier: Benutzung als Fortbewegungsmittel) vorgenommen werden, sowie die Handlungen, die der Endbenutzer im Rahmen einer solchen Verwendung üblicherweise vorzunehmen hat (hier: Aufbewahrung und Transport), mit Ausnahme von Instandhaltung, Wartung und Reparatur (Anschluss an EuGH, Urteil vom 16. Februar 2023 – C-472/21, GRUR 2023, 482 = WRP 2023, 430 – Monz Handelsgesellschaft International).

BGH, I ZR 167/21 – Tellerschleifgerät

BGH, Urteil vom 9. März 2023 – I ZR 167/21 – Tellerschleifgerät

Amtlicher Leitsatz:

Die gemäß Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGV) erforderliche Prüfung, ob Erscheinungsmerkmale ausschließlich durch die technische Funktion des Erzeugnisses bedingt sind, ist für jedes den Gesamteindruck prägende Merkmal gesondert anhand aller für den Einzelfall maßgeblichen objektiven Umstände vorzunehmen (Bestätigung von
EuGH, Urteil vom 8. März 2018 – C-395/16, GRUR 2018, 612 = WRP 2018, 546 – DOCERAM; Urteil vom 2. März 2023 – C-684/21, WRP 2023, 434 – Papierfabriek Doetinchem; BGH, Urteil vom 7. Oktober 2020 – I ZR 137/19, GRUR 2021, 473 = WRP 2021, 196 – Papierspender).

BGH, I ZR 141/21 – Vertragsstrafenverjährung

BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 – I ZR 141/21 – Vertragsstrafenverjährung

Amtlicher Leitsatz:

Bei einem Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe nach „Hamburger Brauch“ beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist nicht, bevor der Gläubiger die Höhe der vom Schuldner verwirkten Vertragsstrafe festgelegt hat und der Vertragsstrafeanspruch damit fällig geworden ist.

BGH, X ZR 10/20 – Scheibenbremse II

BGH, Urteil vom 8. November 2022 – X ZR 10/20 – Scheibenbremse II

Amtliche Leitsätze:

a) Damit sich die technischen Wirkungen einer Erfindung in bestimmten Teilen widerspiegeln und deren Einbau zu einer die Erschöpfungswirkung verdrängenden Neuherstellung führt, müssen diese in besonderer, auf die Erfindung abgestimmter Weise ausgestaltet sein, um die ihnen zukommende Funktion erfüllen zu können, etwa durch eine besondere Formgebung (BGH, Urteil vom 4. Mai 2004 – X ZR 48/03, BGHZ 159, 76, 92 f. – Flügelradzähler; Urteil vom 3. Mai 2006 – X ZR 45/05, GRUR 2006, 837 Rn. 22 – Laufkranz).

b) Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn die maßgebliche Wirkung der zu beurteilenden Teile allein darin besteht, dass sie verschleißen.

BGH, I ZR 121/21 – Google-Drittauskunft

Amtliche Leitsätze:

Der Umfang der Auskunftspflichten von Verletzern von Kennzeichenrechten und bestimmten Dritten über die Herkunft und den Vertriebsweg von widerrechtlich gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen gemäß § 19 Abs. 1 MarkenG beschränkt sich auf die in § 19 Abs. 3 MarkenG ausdrücklich genannten Angaben. Davon wird die Angabe zum Zeitpunkt der Veröffentlichung einer Werbeanzeige im Internet nicht erfasst.

Die Regelung des § 19 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG bezieht die Auskunftspflicht nicht auf Werbemittel und damit nicht auf die Anzahl der Klicks auf eine rechtsverletzende Internetanzeige, mit denen die Internetseite des Bestellers der Anzeige aufgerufen wurde. § 19 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG kann auch nicht analog auf rechtsverletzende Werbemittel angewendet werden.

Der Auskunftsanspruch gemäß § 19 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG bezieht sich auf die Preise für rechtsverletzende Dienstleistungen, nicht jedoch auf die Preise für Dienstleistungen gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG, die für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzt worden sind. Es besteht daher kein Anspruch auf Auskunft über den Preis, den der Besteller für eine rechtsverletzende Internetanzeige bezahlt hat.

BGH, X ZR 110/21 – Stammzellengewinnung

BGH, Urteil vom 21. Juli 2022 – X ZR 110/21 – Stammzellengewinnung

Amtlicher Leitsatz:

Das Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung eines zu Unrecht erteilten Patents rechtfertigt die Nichtigkeitsklage nur solange, als das Recht noch wirksam und in Kraft ist. Ab dem Zeitpunkt, in dem das Recht entfallen ist, ist die Nichtigkeitsklage nur zulässig, wenn dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht. Das allgemeine Interesse an der Sicherung einer gesetzeskonformen Erteilungspraxis des Patentamts – hier hinsichtlich § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PatG – ist nicht geeignet, ein Rechtsschutzbedürfnis zu begründen (Fortführung von BGH, Beschluss vom 17. April 1997 – X ZB 10/96, GRUR 1997, 615 – Vornapf).