EPG, UPC_CFI_501/2023: „Problem-solution Approach“ am Einheitspatentgericht

EPG, Lokalkammer München, Urt. v. 4. April 2025 – UPC_CFI_501/2023

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze:

  1. Art. 33(1)(b) EPGÜ [→ Zuständigkeit der Lokalkammern und Regionalkammern] erlaubt es, mehrere Beklagte am Wohnsitz, Hauptgeschäftssitz oder, falls dies nicht möglich ist, am Geschäftsstandort eines der Beklagten zu verklagen, vorausgesetzt, dass die Beklagten eine Handelsbeziehung haben und die Klage dieselbe angebliche Verletzung betrifft. Im Kontext eines europäischen Patents ohne einheitliche Wirkung bezeichnet der Ausdruck „dieselbe Verletzung“ Situationen, in denen mehreren Beklagten vorgeworfen wird, die relevanten nationalen Benennungen desselben europäischen Patents durch dasselbe Produkt oder Verfahren verletzt zu haben. Eine andere Auslegung würde den Zweck des Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht untergraben, die fragmentierte Patentstreitlandschaft in Europa zu überwinden (Präambel 2 der EPGÜ).
  2. Für die Beurteilung, ob eine Erfindung angesichts des Stands der Technik als naheliegend anzusehen ist [Artikel 65 (2) → Gründe für die Nichtigkeit eines Patents], soll der von der europäischen Patentorganisation entwickelte „problem-solution approach“ vorrangig angewendet werden, soweit dies möglich ist, um die Rechtssicherheit zu erhöhen und die Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts weiter mit der Rechtsprechung der europäischen Patentorganisation und der Beschwerdekammern in Einklang zu bringen.
  3. Eine Unterlassungserklärung ohne Vertragsstrafeverpflichtung durch einen oder zwei, aber nicht alle Beklagten, die Mitglieder einer Gruppe von Unternehmen sind, die gemeinsam ein Patent verletzt haben, kann das Interesse des Patentinhabers, die exklusive Natur seines Rechts zu verteidigen, nicht in der gleichen Weise sichern wie eine gerichtliche Anordnung. Das Risiko bleibt bestehen, dass sich die Mitglieder der Gruppe um solche isolierten Unterlassungserklärungen herum neu organisieren und das Patent in den relevanten Gebieten weiterhin verletzen, ohne das Risiko eingehen zu müssen, eine Vertragsstrafe zahlen zu müssen.
  4. Wenn eine Entscheidung unmittelbar und direkt ab dem Zeitpunkt der Zustellung in jedem der Vertragsmitgliedstaaten gemäß Regel 354.1 EPGVO [→ Unmittelbare Vollstreckbarkeit] vollstreckbar ist, muss keine Sicherheit im Voraus geleistet werden, und es besteht keine Bedingung gemäß Regel 118.2.a EPGVO. Regel 118.8 EPGVO muss jedoch eingehalten werden.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Das Gericht erster Instanz und das Berufungsgericht des Einheitlichen Patentgerichts haben den erfinderischen Schritt in verschiedenen Entscheidungen geprüft. Einige Entscheidungen bezogen sich ausdrücklich auf den Aufgabe-Lösungs-Ansatz, wie er vom Europäischen Patentamt (EPA), einschließlich der Beschwerdekammern, sowie von mehreren nationalen Gerichten angewendet wird; andere wendeten einen anderen Ansatz an, der dem von der deutschen Bundesgerichtshof verwendeten Test zur erfinderischen Tätigkeit ähnlich, wenn nicht sogar identisch ist. Beide Tests, der „deutsche“ Test und der Aufgabe-Lösungs-Ansatz, sollten, wenn sie korrekt angewendet werden, in der Mehrzahl der Fälle zum selben Ergebnis führen (vgl. Deichfuss, GRUR Patent 2024, 94). Beide Tests erfordern einen „realistischen Ausgangspunkt“ und einen „Anreiz“ für die Fachperson, den „nächsten Schritt“ zu machen, also beispielsweise die technische Lösung, die durch den Ausgangspunkt offenbart ist, so zu verändern, dass sie zur patentierten Lösung führt. Da keiner der Tests im Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) verankert ist und beide im Wesentlichen zu denselben Ergebnissen führen, können beide als Instrument zur Beurteilung des erfinderischen Schritts herangezogen werden. Dennoch trifft dieses Spruchkörper die Entscheidung, den vom EPA einschließlich der Beschwerdekammern praktizierten Aufgabe-Lösungs-Ansatz anzuwenden, soweit dies möglich ist, und dies ausdrücklich festzuhalten, da ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit sowohl für die Nutzer des Systems als auch für die verschiedenen Kammern des Einheitlichen Patentgerichts besteht. Die Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes bringt die Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts zudem weiter in Einklang mit der Rechtsprechung des EPA und der Beschwerdekammern.

Anmerkung:

Das Urteil der Lokalkammer München bringt mit seiner ausdrücklichen Präferenz für den Aufgabe-Lösungs-Ansatz des Europäischen Patentamts (EPA) eine Weichenstellung für die Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts (UPC).

Die Intention des Gerichts ist nachvollziehbar: Mit der einheitlichen Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes wird eine kohärente Rechtsprechung angestrebt, die sich an den bekannten Standards des EPA orientiert und dadurch die Vorhersehbarkeit für Verfahrensbeteiligte erhöhen soll. In einem System, das grenzüberschreitende Streitigkeiten über europäische Patente bündelt, erscheint dies zunächst als konsequente Harmonisierung.

Allerdings ist kritisch anzumerken, dass der Aufgabe-Lösungs-Ansatz seiner Natur nach lediglich ein methodisches Hilfsmittel zur Strukturierung der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit darstellt, nicht jedoch eine starre Rechtsvorgabe. Der Begriff der „erfinderischen Tätigkeit“ ist im europäischen wie auch im einheitlichen Patentrecht bewusst als unbestimmter Rechtsbegriff ausgestaltet worden. Er soll die notwendige Flexibilität bieten, um den Anforderungen sich wandelnder technischer Entwicklungen und komplexer Einzelfallkonstellationen gerecht zu werden.

Die richterliche Entscheidung, den Aufgabe-Lösungs-Ansatz „vorrangig“, wenn auch nicht zwingend, zur Anwendung zu bringen, birgt daher die Gefahr einer Dogmatisierung dieses Ansatzes. Dabei darf nicht übersehen werden, dass auch innerhalb des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes erhebliche Wertungsspielräume bestehen – insbesondere bei der Definition des objektiv technischen Problems und der Frage, ob für die Fachperson ein Anreiz bestand, zur beanspruchten Lösung zu gelangen. Die vermeintliche Vorhersehbarkeit des Ergebnisses wird durch diese inhärente Subjektivität erheblich relativiert.

Wird der Aufgabe-Lösungs-Ansatz zu einer faktischen Verpflichtung erhoben, besteht das Risiko, dass die notwendige Flexibilität bei der rechtlichen Bewertung unterbleibt. Gerade komplexe oder interdisziplinäre Erfindungen könnten dann unter ein starres Schema gezwungen werden, das der Vielfalt technischer Lösungsansätze nicht immer gerecht wird. Dies könnte zu einer Formalisierung der Prüfung führen, bei der die entscheidende Würdigung der technischen Umstände des Einzelfalls hinter die bloße Anwendung des Schemas zurücktritt.

EPG, Berufungsgericht, UPC_CoA_835/2024: „Schriftsatzverbot“ vor dem Einheitlichen Patentgericht

EPG, Berufungsgericht, Verfahrensanordnung vom 24. März 2025 – UPC_CoA_835/2024

In der Entscheidung des Berufungsgerichts des Einheitlichen Patentgerichts vom 24. März 2025 wird der Antrag der Berufungsklägerinnen auf eine weitere schriftliche Stellungnahme im Berufungsverfahren gegen die Berufungsbeklagte abgelehnt. Der Streit drehte sich um die Vorlage von Lizenzverträgen im Zusammenhang mit einem kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand bezüglich eines europäischen Patents. Das Gericht entschied, dass eine solche Stellungnahme zum jetzigen Zeitpunkt des Verfahrens unzulässig ist, da sie gegen die Regelungen der Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts (EPGVO) verstößt, die einen weiteren Schriftsatzaustausch nicht vorsehen, es sei denn, es wurde eine Anschlussberufung eingelegt. Ein solcher Antrag kurz vor einer mündlichen Verhandlung widerspricht dem Grundsatz der fairen und ausgewogenen Verfahrensführung und der Waffengleichheit der Parteien gemäß dem Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ). Ferner sah das Gericht keine Notwendigkeit, die Berufungsbeklagte vor dieser Verfahrensanordnung zu hören, da ihre Rechte nicht berührt wurden. Diese Entscheidung soll eine effiziente Rechtsdurchführung unterstützen und Verzögerungen des Verfahrens vermeiden.

Aus der Entscheidungsbegründung:

„Zusätzliche Berufungsgründe, die nicht innerhalb der in R. 224.2 VerfO [→ Fristen für die Berufungsbegründung] für die Berufungsbegründung vorgesehenen Frist vorgebracht werden, sind nicht zulässig. Daraus ergibt sich, dass ein weiterer Austausch von Schriftsätzen in der Verfahrensordnung des EPG nicht vorgesehen ist, es sei denn, dass eine Anschlussberufung gemäß R. 237 und 238 VerfO eingelegt wurde.“

„Gleichwohl gebietet es auch hier der Grundsatz der fairen und ausgewogenen Verfahrensführung insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit, wie er in Art. 42(2) EPGÜ und Absatz 5 der Präambel der Verfahrensordnung niedergelegt ist, in Verbindung mit dem Grundsatz der effizienten Verfahrensführung wie er in Art. 41(3) EPGÜ und Absatz 4 der Präambel der Verfahrensordnung vorgesehen ist, den Antrag auf Zulassung einer schriftlichen Stellungnahme zurückzuweisen.“

Anmerkung:

Diese Entscheidung des Berufungsgerichts des Einheitlichen Patentgerichts verdeutlicht eine potenziell problematische Auslegung des rechtlichen Gehörs im Berufungsverfahren. Dort wurde ein Antrag der Berufungsklägerin auf Zulassung eines weiteren Schriftsatzes – gestützt auf neu zugänglich gewordene Lizenzverträge und eine nachgereichte Sachverständigenstellungnahme – mit Verweis auf die formale Beschränkung des schriftlichen Verfahrens (R. 224 ff. VerfO) abgelehnt. Das Gericht stellte klar, dass ein weiterer Schriftsatz außerhalb des vorgesehenen Kontingents grundsätzlich unzulässig sei, selbst wenn relevante Unterlagen erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorlagen. Anstelle einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem neuen Vorbringen stellte es dabei vorrangig auf den Grundsatz der Waffengleichheit ab und führte aus, dass eine schriftliche Stellungnahme der Berufungsklägerin kurz vor der mündlichen Verhandlung zu einer prozessualen Unausgewogenheit zulasten der Berufungsbeklagten führen würde.

Diese Praxis steht in einem Spannungsverhältnis zum verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör (Artikel 47 Absatz 2 GRCh → Recht auf ein faires Verfahren; Art. 103 Abs. 1 GG → Anspruch auf rechtliches Gehör). Auch wenn die Entscheidung auf Prinzipien wie Verfahrenseffizienz und Waffengleichheit verweist, wird der Rechtsschutz faktisch verkürzt, wenn erheblicher neuer Vortrag pauschal unbeachtet bleibt. Die restriktive Auslegung birgt das Risiko, effektiven Rechtsschutz zugunsten formaler Prozessökonomie über Gebühr zurückzudrängen. Es bedarf daher einer verfahrensoffenen und einzelfallbezogenen Prüfung, ob ergänzender Vortrag – insbesondere zu neuen Beweismitteln – zumindest zur Kenntnis genommen werden muss.

Ferner stützt sich das Gericht auf Regel 233.3 EPGVO [-→ Unzulässigkeit von verspäteten Berufungsgründen], um die Unzulässigkeit einer weiteren schriftlichen Stellungnahme zu begründen. Diese Vorschrift regelt jedoch lediglich, dass neue Berufungsgründe nach Ablauf der Frist für die Berufungsbegründung nicht mehr vorgebracht werden dürfen. Sie enthält hingegen keine Aussage darüber, dass jegliche spätere Argumente, Beweismittel oder fachliche Stellungnahmen, die zur Stützung fristgerecht vorgetragener Berufungsgründe dienen, per se unzulässig wären. Die Entscheidung verkennt insofern die systematische Abgrenzung zwischen neuen Berufungsgründen und ergänzendem Vortrag zu bereits eingeführten Streitpunkten. Eine solche überdehnte Anwendung von Regel 233.3 EPGVO birgt das Risiko, den Zugang zu rechtlichem Gehör unverhältnismäßig zu beschränken.

EPG, UPC_CFI_702/2024: Zuständigkeit des EPG für Verletzungsklagen in Drittstaaten

EPG, Lokalkammer Paris, Ord. v. 21. März 2025 – UPC_CFI_702/2024

In der Entscheidung EPG, UPC_CFI_702/2024 des Einheitspatentgerichts (EPG) entschied die Lokalkammer Paris über eine vorläufige Einrede der Kompetenzerstreckung im Zusammenhang mit einer Klage auf Patentverletzung. Die Antragsgegner hatten die Zuständigkeit des EPG hinsichtlich der Patentverletzungen in Spanien, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich angefochten, da das Europäische Patent in diesen Staaten keine einheitliche Wirkung entfaltet  [→ Zuständigkeit des EPG für Verletzungsklagen in Drittstaaten]. Die EPG-Regeln erlauben es einer Partei, Einwände bezüglich der gerichtlichen Zuständigkeit zu erheben, das Gericht hielt die vorläufige Einrede jedoch für unzulässig und bestätigte seine Zuständigkeit. Das Hauptargument der Antragstellerin war, dass die Zuständigkeit des EPG gemäß der Vereinbarung über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) und der Konvention von Lugano zu beurteilen sei, sodass die Einrede der Gegenseite keine stichhaltige Basis habe. Das Gericht entschied zugunsten der Antragstellerin, dass das EPG für die behandelten Patentverletzungsfälle zuständig sei und die vorläufige Einrede abgewiesen wurde.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Die internationale Zuständigkeit des EPG beruht auf der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel I bis) oder gegebenenfalls auf der Lugano-Konvention.

Die Zuständigkeit des EPG als gemeinsame Gerichtsbarkeit mehrerer Mitgliedstaaten wird gemäß Artikel 71 bis der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 [→ Zuständigkeit gemeinsamer Gerichte] als die eines Mitgliedstaats der Union angesehen.

Nach Artikel 24 Absatz 4 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 [→ Eintragung und Gültigkeit von Schutzrechten]  sind ausschließlich die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet das Patent beantragt oder eingetragen wurde, und zwar sowohl dann, wenn die Frage der Validität im Rahmen einer Klage als auch im Rahmen eines Einwands aufgeworfen wird.

Das EPG hat die Kompetenz, über eine Patentverletzungsklage zu entscheiden, die von IMC Créations bezüglich der spanischen und schweizerischen Teile des Patents eingeleitet wurde, und kann das Verfahren aussetzen, um die Entscheidung des nationalen Gerichts abzuwarten, falls eine nicht unerhebliche Chance besteht, dass das Patent von der Erteilungsgerichtsinstanz annulliert wird.

Das EPG hat auch die Kompetenz, über die Verletzung der britischen Teile des Patents zu entscheiden und gegebenenfalls über die Validität des Titels, vorausgesetzt, dass die Entscheidung über die Nichtigkeitsausnahme nur inter partes Wirkung hat.

Der Patentinhaber sollte in der Lage sein, alle seine Verletzungsansprüche zu bündeln und umfassenden Schadensersatz vor einem einzigen Gericht einzufordern, um das Risiko divergierender Entscheidungen zu vermeiden.

EPG, UPC_CFI_425/2025: Sicherheitsleistung bei Sitz in Drittstaat – Zustellungsprobleme mit China

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 19. März 2025 – UPC_CFI_425/2025

Leitsatz der Entscheidung:

Im Hinblick auf ein Land, das seinen Verpflichtungen aus dem Haager Zustellungsübereinkommen nicht nachkommt, ist davon auszugehen, dass ein Kostenersatzbeschluss des EPG in diesem Land möglicherweise nicht durchsetzbar ist oder nur auf unzumutbar erschwerter Weise.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Es kann nicht entscheidend für die Entscheidung über eine Sicherheitsleistung [Regel 158 EPGVO → Sicherheitsleistung für die Kosten einer Partei] sein, dass der Kläger seinen Sitz in einem Nicht-EU/Nicht-EWR-Land hat. Dies wäre eine Form der a priori Diskriminierung, die ausschließlich auf der Nationalität des Sitzes/Wohnsitzes des Klägers beruht und in keiner Rechtsquelle vorgesehen ist.

Nach der Rechtsprechung des Berufungsgerichts ist es entscheidend für einen Antrag auf Sicherheitsleistung (Art. 69 Abs. 4 EPGÜ und R.158 EPGVO), ob die finanzielle Situation des Klägers Anlass zu einer berechtigten und echten Besorgnis gibt, dass ein möglicher Kostenentscheid nicht einbringlich sein könnte und/oder die Wahrscheinlichkeit, dass ein möglicher Kostenentscheid des EPG nicht, oder nur in unzumutbar belastender Weise, durchsetzbar sein könnte (UPC_CoA_217/2024).

Obwohl die Volksrepublik China das Haager Zustellungsübereinkommen ratifiziert hat, stehen europäische Gerichte vor erheblichen Schwierigkeiten bei der Zustellung von Klageschriften und anderen Dokumenten in China: Es ist nicht nur die Erfahrung europäischer nationaler Gerichte (z.B. Oberlandesgericht München, GRUR-RR 2020, 511), sondern auch des Einheitspatentgerichts (z.B. LD Mannheim, UPC_CFI_332/2024), dass Zustellungsersuchen der chinesischen Behörde in vielen Fällen entweder gar nicht weitergeleitet oder beanstandet und zurückgesandt werden. In UPC_CFI_508/2023 und UPC_CFI_509/2023 war die Zustellung von Anträgen auf einstweilige Maßnahmen erfolglos, obwohl der Antrag der zuständigen chinesischen Behörde zugestellt werden konnte und der Gerichtsregistratur per E-Mail Kontakt mit der zuständigen chinesischen Behörde zu diesem Thema hatte. Die chinesische Behörde bearbeitete die Zustellung jedoch mehr als sechs Monate lang ohne ersichtlichen Grund nicht.

BGH, I ZR 50/24 – Produktfotografien

BGH, Urteil vom 5. Dezember 2024 – I ZR 50/24 – Produktfotografien

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Urteil vom 5. Dezember 2024 entschieden, dass eine Verletzung der urheberrechtlichen Ansprüche der Klägerin nicht vorliegt, da es an einem hinreichenden Inlandsbezug der angeblichen Verletzungshandlungen fehlt. Die Klägerin, ein Bekleidungsunternehmen, machte geltend, dass ihre Produktfotografien in der Google-Bildersuche abrufbar waren und von dort auf Webseiten mit kasachischer und ukrainischer Top-Level-Domain verlinkt wurden. Die Beklagte hatte diese Fotografien möglicherweise für diese ausländischen Webseiten genutzt. Der BGH stellte klar, dass nach deutschem Urheberrecht die Nutzungshandlung im Inland erfolgen müsse, um Ansprüche geltend machen zu können. Die Entscheidung bestätigte, dass der für Kennzeichenrechte entwickelte Grundsatz des Territorialitätsprinzips auch im Urheberrecht Anwendung findet. Da die Webseiten auf Kasachstan und die Ukraine ausgerichtet seien und nur unwesentliche Anknüpfungspunkte zu Deutschland aufwiesen, bestehe kein hinreichender Inlandsbezug. Die Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen.

Leitsatz der Entscheidung:

Die Verletzung eines inländischen Urheberrechts durch ein Verhalten, das seinen Schwerpunkt im Ausland hat, setzt voraus, dass das Verhalten einen hinreichenden Inlandsbezug aufweist [-> Territorialitätsprinzip] (Fortführung von BGH, Urteil vom 16. Juni 1994 – I ZR 24/92, BGHZ 126, 252 [juris Rn. 17 bis 20] – Folgerecht bei Auslandsbezug; Urteil vom 15. Februar 2007 – I ZR 114/04, BGHZ 171, 151 [juris Rn. 31] – Wagenfeld-Leuchte I).

EPG, UPC_CFI_112/2025: Anti-Anti-Suit Injunction durch die Lokalkammer München des EPG

EPG, Lokalkammer München, Anordnung vom 19. Februar 2025 – UPC_CFI_112/2025

Die Lokalkammer München des Einheitlichen Patentgerichts erließ eine Anordnung [Artikel 62 (1) → Verfügungen gegen angebliche Verletzer] zugunsten der Antragstellerinnen, um eine Anti-Anti-Suit Injunction (AASI) zu erlassen. Diese Anordnung wurde aufgrund der drohenden Gefahr erlassen, dass die Antragsgegnerinnen eine Anti-Suit Injunction (ASI) bei chinesischen Gerichten einleiten könnten, um die Patentinhaberin daran zu hindern, ihre Patentrechte gerichtlich durchzusetzen. Die Anordnung soll verhindern, dass die Antragsgegnerinnen die Patentinhaberin daran hindern, Patentverletzungsverfahren in Europa durchzuführen oder entstehende Urteile zu vollstrecken.

Das Einheitliche Patentgericht, Lokalkammer München, sah konkrete und greifbare Anhaltspunkte für eine drohende Anti-Suit Injunction (ASI), weil die Antragsgegnerinnen bereits heimlich ein Lizenzratenbestimmungsverfahren („Rate-Setting“) vor einem chinesischen Gericht eingeleitet hatten, ohne die Antragstellerinnen zu informieren. Die Zustellung der europäischen Patentverletzungsklagen auf der Messe EuroCIS am 18. Februar 2025 erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass die Antragsgegnerinnen mit einer ASI reagieren würden, um die Durchsetzung der Klagen zu verhindern. Da chinesische Gerichte ASIs regelmäßig kurzfristig und ex parte erlassen, bestand die Gefahr, dass die Patentinhaberin an der gerichtlichen Durchsetzung ihrer Patente gehindert würde oder erhebliche Strafzahlungen riskieren müsste. Zudem zeigte die strategische Verzögerungstaktik der Antragsgegnerinnen, dass sie ein starkes Interesse daran hatten, das chinesische Rate-Setting-Verfahren vor einer europäischen Gerichtsentscheidung zu schützen. Angesichts dieser Umstände entschied das Gericht, dass eine Anti-Anti-Suit Injunction (AASI) erforderlich war, um die gerichtliche Durchsetzbarkeit der europäischen Patente zu sichern.

Außerdem wurde ausnahmsweise auf eine Sicherheitsleistung verzichtet, da eine solche den Antragstellern binnen der kurzen Zeitspanne nicht möglich war. Das Gericht verpflichtete die Antragsgegnerinnen zur Zahlung eines Zwangsgeldes bei Zuwiderhandlung gegen die Anordnung.

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze:

  1. Die Verletzung eines Rechts des Patentinhabers droht im Sinne von Art. 62 Abs. 1 EPGÜ dann, wenn die Verletzung noch nicht eingetreten ist, aber aufgrund konkreter Umstände ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich der Antragsgegner in naher Zukunft rechtswidrig verhalten wird. Die Verletzungshandlung muss sich konkret abzeichnen. Es muss nur noch vom Willen des Antragsgegners abhängen, ob der letzte Schritt zum Beginn der Verletzung umgesetzt wird. Dies hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab.
  2. Im Fall einer Anti-Suit Injunction tritt die Verletzung des Eigentumsrechts des Patentinhabers zwar erst mit dem Erlass der Anti-Suit Injunction durch ein anderes Gericht ein, die Verletzungshandlung besteht jedoch in der auf ihren Erlass gerichteten Antragstellung durch den Verletzer.
  3. Eine Verletzung des Eigentumsrechts des Patentinhabers durch den Erlass einer Anti-Suit Injunction kann in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls schon vor der auf ihren Erlass gerichteten Antragstellung drohen.
  4. Die Anordnung einer Sicherheitsleistung im Falle einer ohne die Anhörung des Antragsgegners ergangenen einstweiligen Maßnahme kann gemäß Regel 211.5 S. 2 EPGVO [→ Sicherheitsleistung durch den Antragsteller] ausnahmsweise unterbleiben, wenn es dem Antragsteller in zeitlicher Hinsicht nicht möglich ist, die Sicherheit bis zu der auf einer Messe erfolgenden Zustellung der Anordnung der einstweiligen Maßnahme zu leisten, und andere Zustellungsmöglichkeiten mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sind.

BGH, I ZR 16/24 – Birkenstocksandale

BGH, Urteil vom 20. Februar 2025 – I ZR 16/24 – Birkenstocksandale

In dem vorliegenden Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) wird die Revision der Klägerin, Teil der Birkenstock-Gruppe, gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Köln zurückgewiesen. Die Klägerin hatte die Beklagte, eine Lizenznehmerin, wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen in Bezug auf die Sandalenmodelle „Arizona“ und „Gizeh“ verklagt. Diese Modelle wurden von Karl Birkenstock in den Jahren 1973 und 1983 entworfen und die Klägerin behauptete, es handele sich um urheberrechtlich geschützte Werke der angewandten Kunst. Das Landgericht hatte der Klage weitgehend stattgegeben, während das Berufungsgericht die Klage abwies.

Das Berufungsgericht und der BGH stellten fest, dass die Sandalenmodelle nicht die notwendigen Kriterien erfüllten, um als urheberrechtlich geschützte Werke der angewandten Kunst anerkannt zu werden. Die Modelle spiegelten zwar individuelle Gestaltungsmerkmale wider und es bestanden freie Gestaltungsmöglichkeiten, jedoch sei der bestehende kreative Freiraum nicht künstlerisch genutzt worden, sodass kein Urheberrechtsschutz begründet werden konnte. Der BGH bestätigte damit die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte nicht gegen Urheberrechte der Klägerin verstoßen hat.

Leitsätze der Entscheidung:

a) Eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG ist eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer künstlerischen Leistung gesprochen werden kann. Die ästhetische Wirkung der Gestaltung kann einen Urheberrechtsschutz nur begründen, soweit sie auf einer künstlerischen Leistung beruht und diese zum Ausdruck bringt. Für die Gewährung urheberrechtlichen Schutzes muss eine gestalterische Freiheit bestehen, die in künstlerischer Weise ausgenutzt wird. Eine persönliche geistige Schöpfung ist ausgeschlossen, wo für eine künstlerische Gestaltung kein Raum besteht, weil die Gestaltung durch technische Erfordernisse vorgegeben ist. Mit einer künstlerischen Leistung ist nicht mehr und nicht weniger als eine schöpferische, kreative, originelle, die individuelle Persönlichkeit ihres Urhebers widerspiegelnde Leistung auf dem Gebiet der Kunst gemeint.

b) Für den urheberrechtlichen Schutz eines Werks der angewandten Kunst im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG ist – wie für alle anderen Werkarten auch – eine nicht zu geringe Gestaltungshöhe zu fordern. Das rein handwerkliche Schaffen unter Verwendung formaler Gestaltungselemente ist dem Urheberrechtsschutz nicht zugänglich. Für den Urheberrechtsschutz muss vielmehr ein Grad an Gestaltungshöhe erreicht werden, der Individualität überhaupt erkennen lässt.

c) Die Klägerseite trägt im urheberrechtlichen Verletzungsprozess die Darlegungslast für das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung. Sie hat daher nicht nur das betreffende Werk vorzulegen, sondern grundsätzlich auch die konkreten Gestaltungselemente darzulegen, aus denen sich der urheberrechtliche Schutz ergeben soll. Bei Gebrauchsgegenständen muss genau und deutlich dargelegt werden, inwieweit sie über ihre von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet sind.

EPG, UPC_CFI_483/2024: Zuständigkeit für Patentverletzungen vor Inkrafttreten des EPG

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 10. Februar 2025 – UPC_CFI_483/2024

Leitsätze der Entscheidung:
  1. Die Zuständigkeit des EPG gemäß Art. 32(1)(a) EPGÜ, Art. 2g), Art. 3c) EPGÜ [→ Ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts für Patentklagen] umfasst auch Verletzungsklagen, soweit sie auf Nutzungshandlungen gestützt sind, die angeblich vor dem Inkrafttreten der EPGÜ und/oder in der Zeit zwischen einem Opt-out und dessen Rücknahme stattgefunden haben sollen.
  2. Zuständigkeit und anwendbares Recht sind separate Aspekte, die separat beurteilt werden müssen. Aus der Zuständigkeit des EPG kann nicht geschlossen werden, dass die EPGÜ immer auf jeden zu entscheidenden Fall Anwendung findet, noch ist das anwendbare Recht für die Zuständigkeit des EPG entscheidend.

Zusammenfassung der Entscheidung

In der Entscheidung vom 10. Februar 2025 befasste sich das Einheitspatentgericht (EPG) mit der Frage der Zuständigkeit für Klagen wegen Patentverletzungen, die vor dem Inkrafttreten des EPGÜ am 1. Juni 2023 und während eines Opt-Out-Zeitraums stattfanden. Das Gericht stellte fest, dass seine Zuständigkeit nach Art. 32(1)(a) EPGÜ nicht durch zeitliche Begrenzungen auf nach diesem Datum stattfindende Handlungen beschränkt ist. Die Entscheidung betonte die Unabhängigkeit der Zuständigkeit von der Frage des anwendbaren Rechts und hielt fest, dass das EPG auch über Fälle entscheiden könne, die auf Handlungen basieren, die vor dem EPGÜ-Startdatum oder während eines wirksamen Opt-Outs lagen, solange eine Opt-In-Erklärung abgegeben wurde. Diese Auslegung des Art. 32(1)(a) EPGÜ wurde im Hinblick auf die Rechtssicherheit und die Verhältnismäßigkeit bestätigt. Der Einwand wegen fehlender Zuständigkeit wurde zurückgewiesen und das Verfahren wird fortgesetzt. Eine Berufung gegen diesen Beschluss wurde zugelassen, da die Entscheidung als potenziell richtungsweisend für ähnliche zukünftige Fälle angesehen wird.

EPG, Berufungskammer, Beschl. v. 12. Februar 2025 – UPC_CoA_635/2024

EPG, Berufungskammer, Beschl. v. 12. Februar 2025 – UPC_CoA_635/2024

Leitsätze der Entscheidung

  • Anwälte und europäische Patentanwälte sind nicht von der Pflicht zur Vertretung [Regel 8.1 EPGVO → Vertretungspflicht gemäß Artikel 48 des Übereinkommens] befreit, wenn sie selbst Parteien in Verfahren vor dem EPG sind.
  • Vertretung ist ein Zulässigkeitspunkt, der Überlegungen zur öffentlichen Ordnung (fairer Prozess) beinhaltet, den das Gericht jederzeit, auch von Amts wegen, überprüfen kann.

BGH, – Kabelwickelband: Einschränkung neuer Angriffsmittel in der Patentnichtigkeitsberufung

BGH, Urteil vom 14. Januar 2025 – X ZR 1/23 – Kabelwickelband

Leitsätze des Urteils:

a) Hat das Patentgericht in dem gemäß § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis [→ Gerichtlicher Hinweis im Nichtigkeitsverfahren] dargelegt, dass sich das bisherige Klagevorbringen als unzureichend erweisen könnte, liegt es am Kläger, bereits in erster Instanz gegebenenfalls neue Angriffsmittel vorzutragen. Der Umstand, dass das Patentgericht auch diese Angriffsmittel als nicht ausreichend ansieht, reicht nicht aus, um die Zulassung weiterer Angriffsmittel im Berufungsrechtszug zu rechtfertigen [§ 117 PatG → Tatsachen und Beweise im Berufungsverfahren]. (Bestätigung von BGH, Urteil vom 8. August 2013 – X ZR 36/12, GRUR 2013, 1174 Rn. 33 – Mischerbefestigung.)

b) Dies gilt auch hinsichtlich solcher Dokumente, die von bei der Patentrecherche gebräuchlichen Datenbanken nicht umfasst sind.