Einspruchsbeschwerdeverfahren vor dem BPatG

Die Entscheidung BGH, Beschluss vom 08. November 2016, X ZB 1/16 – Ventileinrichtung, deren Leitsätze in diesem Blog bereits zitiert wurden, dürfte die bedeutendste Entscheidung zum Einspruchsverfahrensrecht seit vielen Jahren sein, da sie den Rahmen der Prüfungsbefugnisse des Bundespatentgerichts im Beschwerdeverfahren absteckt. Dabei ergeben sich wesentliche Unterschiede zum Verfahrensrecht vor dem Europäischen Patentamt.

Nach der Ventileinrichtung-Entscheidung darf der Einsprechende im Einspruchsbeschwerdeverfahren, das ein deutsches (nationales) Patent zum Gegenstand hat, auch neue Widerrufsgründe geltend machen, die nicht zum Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gehören, wenn das Patent von der Patentabteilung aufrechterhalten wurde (Leitsatz b). Das Einspruchsbeschwerdeverfahren vor dem Bundespatentgericht ist insoweit nicht auf die Überprüfung der patentamtlichen Entscheidung beschränkt. Im Gegensatz dazu ist der Einsprechende als Beschwerdeführer im Einspruchsbeschwerdeverfahren vor dem Europäischen Patentamt regelmäßig daran gehindert, neue Einspruchsgründe erstmalig im Beschwerdeverfahren einzuführen (G 10/91, Leitsatz 3); eine (in der Praxis wenig relevante) Ausnahme gilt nur, wenn der Patentinhaber mit der Prüfung der neu eingeführten Einspruchsgründe einverstanden ist.

Wiedereinsetzung am EPA – Jahresgebühren

In den vergangenen Jahren haben die EPA-Beschwerdekammern in mehreren Wiedereinsetzungsfällen eine Kasuistik entwickelt, nach der das nach Art. 122 EPÜ zu erfüllende Kriterium der „nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt“ erfordert, dass der bestellte Vertreter den Anmelder nicht nur einmal, sondern mehrfach an die Frist zur Zahlung einer Jahresgebühr erinnert (J 4/07, Ziffer 4.1, J 12/10, Ziffer 3). Die Verpflichtung zur Erinnerung des Anmelders trifft den Vertreter – insoweit abweichend von der BPatG-Rechtsprechung (beispielsweise nach den Beschlüssen in den Verfahren 10 W (pat) 37/03, 10 W (pat) 36/04, 10 W (pat) 47/05) – selbst dann, wenn nicht der im Patentregister eingetragene Vertreter, sondern ein Dritter vom Anmelder mit der Zahlung der Jahresgebühren beauftragt wurde (J 12/10, Ziffer 3).

In der Entscheidung T 942/12 vom 17.11.2015 hat die Beschwerdekammer nunmehr entschieden, dass den Vertreter dann keine Verpflichtung trifft, den Anmelder an die Frist zur Zahlung einer Jahresgebühr zu erinnern, wenn der Anmelder dem Vertreter ausdrücklich mitgeteilt hatte, dass der Vertreter die Fristen nicht überwachen und auch keine Erinnerungen an den Anmelder senden müsse (T 942/12, Ziffer 3.4).

Für den patentanwaltlichen Anmeldervertreter empfiehlt es sich, ausdrücklich mit dem Anmelder abzuklären, ob dann, wenn die Jahresgebührenzahlung vom Anmelder selbst oder von Dritten vorgenommen wird, der im Register eingetragene Vertreter dennoch die Zahlungsfristen überwachen und den Anmelder an offene Jahresgebührenfristen erinnern soll, und die entsprechende Korrespondenz dauerhaft zu dokumentieren.

EPA-Seminar „Boards of Appeal”

Am 26. und 27.11.2015 fand in München das EPA-Beschwerdekammerseminar statt. Die Vorträge werden online zur Verfügung gestellt werden.

Unter den zahlreichen vorgestellten Entscheidungen mögen – neben den ausführlich dargestellten Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer zur Klarheit im Einspruchsverfahren (G 3/14) und zu den Grenzen des Patentierungsausschlusses des Art. 53(b) EPÜ (G 2/13 und G 2/12) – die folgenden Aspekte für Praktiker von besonderem Interesse sein:

In T 899/13 wurde betont, dass der Patentinhaber oder Anmelder als Beschwerdeführer sämtliche Beanstandungen, die nach der angegriffenen Entscheidung der Patenterteilung oder Aufrechterhaltung des Patents entgegenstehen, durch Ausführungen in der Beschwerdebegründung oder Änderungen der Anmeldung adressieren muss. Tut er dies nicht, führt dies zur Unzulässigkeit der Beschwerde, die nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist nicht mehr heilbar ist. Im entschiedenen Fall enthielt die Beschwerdebegründung keine Ausführungen zu Klarheitsbeanstandungen gegen abhängige oder nebengeordnete Ansprüche, was zur Unzulässigkeit der Beschwerde führte. Hingegen muss der Einsprechende als Beschwerdeführer nur einen der Gründe, die der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstehen, in seiner Beschwerdebegründung adressieren, damit die Beschwerde zulässig ist (T 682/11).

In T 2532/11 wurde die Beschwerde als unzulässig verworfen, weil der Patentinhaber neue Anträge stellte und Ausführungen zu deren Zulässigkeit einreichte, ohne den im erstinstanzlichen Verfahren gestellten (Haupt-)Antrag aufrechtzuerhalten. Diese Entscheidung wurde bislang anscheinend nicht von weiteren Entscheidungen aufgegriffen.

In einem rechtsvergleichenden Vortrag wurde von Prof. Ann der Status der Beschwerdeinstanzen der IP5-Ämter dargestellt, insbesondere auch im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Richter/Beschwerdekammermitglieder. So scheint beispielsweise die Ernennung eines Administrative Patent Judge, der PTAB-Mitglied im USPTO ist, nicht auf Lebenszeit zu erfolgen, was nach Darstellung des Vortragenden kritische Fragen zur Unabhängigkeit der PTAB-Mitglieder im USPTO aufwerfen könnte. Natürlich besteht im US-Verfahren noch die Möglichkeit, Rechtsmittel zum CAFC einzulegen, so dass die Überprüfung durch eine unabhängige gerichtliche Instanz sichergestellt ist. Dass auch die Mitglieder der EPA-Beschwerdekammern nur auf einen Zeitraum von fünf Jahren ernannt werden und eine Wiederernennung erforderlich ist (Art. 11(3) EPÜ), wurde bei der EPA-Konferenz nicht thematisiert. Wollte man schon in Frage stellen, ob der Status der PTAB-Mitglieder im USPTO eine wirkliche Unabhängigkeit sicherstellt, könnte man nach meiner Auffassung ähnliche Probleme ebenso im Hinblick auf die zeitlich beschränkte Ernennung der EPA-Beschwerdekammermitglieder sehen. Für das EPA käme erschwerend hinzu, dass – anders als im USPTO-Verfahren – keine Überprüfung durch eine Instanz außerhalb des Amtes vorgesehen ist.

Mehrere der beim EPA-Beschwerdekammerseminar vortragenden Beschwerdekammermitglieder, einschließlich des Vizepräsidenten DG3, betonten, dass im Nachgang zu der Entscheidung R 19/12 (Ablehnung des Vizepräsidenten DG3 als Vorsitzender wegen Besorgnis der Befangenheit aufgrund seiner Doppelfunktion) zwischenzeitlich in mehreren weiteren Entscheidungen (R 8/13, R 2/14) den Anträgen auf Ablehnung des Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit nicht stattgegeben worden war.

Ein ebenso unterhaltsamer wie praxisnaher Vortrag zum Aufgabe-Lösungs-Ansatz (G. Ashley, „Problem-solution approach to inventive step and challenging cases“), insbesondere im Hinblick auf die Wahl des nächstliegenden Stands der Technik, hat mir persönlich besonders gut gefallen und ist es wert, in seiner Online-Aufzeichnung angehört zu werden.

BGH X ZR 112/13 (Teilreflektierende Folie) – Wirksame Priorität

In der Entscheidung BGH, Urteil v. 15.09.2015 – X ZR 112/13 – Teilreflektierende Folie befasste sich der X. Senat unter anderem mit der für eine wirksame Inanspruchnahme der Priorität erforderlichen Erfindungsidentität und dem Offenbarungsgehalt der Prioritätsanmeldung. Der Leitsatz wurde bereits früher in diesem Blog berichtet.

Der Patentanspruch des mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen Patents wies das Merkmal einer Folie mit einer Fläche von mindestens 3 m mal 4 m auf. Das Bundespatentgericht hatte die Auffassung vertreten, dass dieses Merkmal in der Prioritätsanmeldung nicht offenbart sei und es mithin an der für die Wirksamkeit des Prioritätsrechts erforderlichen Erfindungsidentität fehle. Das Merkmal der Folienfläche von mindestens 3 m mal 4 m war in der Beschreibung und den Ansprüchen der Prioritätsanmeldung nicht wörtlich offenbart. Jedoch vermochte der erkennende X. Senat in der Entscheidung BGH, Urteil v. 15.09.2015, X ZR 112/13 – Teilreflektierende Folie einer – nüchtern betrachtet doch eher schematisch anmutenden – Figur der Prioritätsanmeldung das Merkmal zu entnehmen, dass die Fläche der Folie Abmessungen von mindestens 3 m mal 4 m aufweist. Die erforderliche Erfindungsidentität war somit gegeben.

Auch wenn in einigen Entscheidungen des X. Senats (siehe beispielsweise BGH, Urteil v. 17.02.2015 – X ZR 161/12 – Wundbehandlungsvorrichtun) die Grenzen der im Vergleich zu den Beschwerdekammern des EPA großzügigeren Maßstäbe des Offenbarungsbegriffs in der BGH-Rechtsprechung deutlich wurden, veranschaulicht diese jüngste Entscheidung zum Offenbarungsgehalt (hier: der Prioritätsanmeldung), dass auch eine einzige Figur im Einzelfall eine ausreichende Offenbarung für die Grenzen eines beanspruchten Bereichs bieten kann.

BPatG – Präklusion im Nichtigkeitsverfahren

BPatG – Präklusion im Nichtigkeitsverfahren (Anmerkung zu BPatG, Urteil vom 12. Februar 2014, 5 Ni 59/10 (EP))

In der Entscheidung BPatG, Urteil vom 12.02.2014, 5 Ni 59/10 (EP) hatte sich der 5. Nichtigkeitssenat des BPatG mit den Präklusionsvorschriften nach dem neuen Nichtigkeitsverfahrensrecht auseinanderzusetzen. Deutlich wird, wie streng die Präklusionsvorschriften im Ermessen des Gerichts auch gegen den Patentinhaber wirken können, wenn dieser das Patent beschränkt mit – streitgegenständlichen, da ebenfalls mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen – Ansprüchen verteidigt, die auf die Merkmalskombination eines oder mehrerer Unteransprüche gerichtet sind.

So führt der 5. Nichtigkeitssenat aus:

Beruft sich im Nichtigkeitsverfahren der Patentinhaber erstmals in der mündlichen Verhandlung (bzw. nach Ablauf einer gemäß § 83 Abs. 2 PatG gesetzten Frist) darauf, die Merkmalskombination eines Unteranspruchs oder eine solche aus mehreren Unteransprüchen sei neu und erfinderisch, liegt darin eine Verteidigung mit einer geänderten Fassung des Patents und ein neues Verteidigungsmittel im Sinne des § 83 Abs. 4 PatG. (Leitsatz)

Insoweit unterscheidet sich die Geltendmachung der eigenständigen erfinderischen Qualität eines Unteranspruchs nicht grundsätzlich von der Geltendmachung der Patentfähigkeit einer (hilfsweise) durch Aufnahme eines oder mehrerer Merkmale aus der Beschreibung beschränkten Fassung. (Ziff. 3 a) aa) der Entscheidungsgründe)

Diese Auffassung des 5. Nichtigkeitssenats erscheint sehr weitgehend, jedenfalls soweit sie sich auf mit der Nichtigkeitsklage angegriffene Unteransprüche bezieht. Ein abhängiger Patentanspruch, der im Nichtigkeitsverfahrens angegriffen wird, definiert einen Gegenstand, der – ganz unabhängig davon, ob der übergeordnete Anspruch sich als rechtsbeständig erweist – auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit zu prüfen ist (BGH GRUR 1980, 166 Doppelachsaggregat; BGH, Urteil vom 29.09.2011, X ZR 109/08 Sensoranordnung). Es würde also einiges dafür sprechen, die beschränkte Verteidigung des Patentinhabers durch hilfsweise Beschränkung auf einen erteilten, mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen Unteranspruchs nur als eine Einschränkung auf einen bereits immer verfahrensgegenständlichen, von der Prüfung des übergeordneten Anspruchs unabhängigen Streitgegenstand anzusehen, die nicht verspätet sein kann.

Die Berufung gegen BPatG, Urteil vom 12.02.2014 – 5 Ni 59/10 (EP) scheint anhängig zu sein (BGH X ZR 41/14). Dies ist übrigens bereits das zweite Mal, dass dieses Nichtigkeitsverfahren zur Fortbildung der Rechtsprechung beiträgt. Im ersten Urteil (BPatG, Urteil vom 15.02.2012, 5 Ni 59/10 (EP)) hatte der 5. Nichtigkeitssenat die Übertragung des Prioritätsrechts als unwirksam angesehen und den deutschen Teil des europäischen Patents im angegriffenen Umfang für nichtig erklärt. Im Nichtigkeitsberufungsurteil (BGH, Urteil vom 16.04.2013, X ZR 49/12 Fahrzeugscheibe) konnte der Bundesgerichtshof zur Klärung der Frage beitragen, welche Formerfordernisse für die wirksame Übertragung des Prioritätsrechts gelten (Qualifikation nach dem Forderungsstatut, Art. 14 Abs,. 2 Rom-I-VO bzw. Art. 33 Abs. 2 EGBGB a.F.; Formfreiheit der Übertragung des Prioritätsrechts nach dem im entschiedenen Fall maßgeblichen deutschen Recht, insoweit Abgrenzung zur EPA-Beschwerdekammerentscheidung T 62/05).

Für die Praxis empfiehlt es sich vorerst, innerhalb der mit dem qualifizierten Hinweis gesetzten Frist ausdrücklich auch eine Verteidigung auf Basis der abhängigen, angegriffenen Ansprüche zu beantragen, sofern diese die Patentfähigkeit zu stützen vermögen. Eine Beschränkung darauf erst in der Verhandlung kann jedenfalls nach den Kriterien der Entscheidung BPatG, Urteil vom 12.02.2014, 5 Ni 59/10 (EP) präkludiert sein.

Probleme mit dem deutschen Trennungsprinzip in Patentstreitigkeiten – Anmerkung zu BGH X ZR 103/13 Kreuzgestänge

Die Leitsätze der Entscheidung BGH, Urteil vom 02.07.2015 – X ZR 103/13 – Kreuzgestänge wurden in diesem Blog bereits berichtet.

Diese Entscheidung zeigt mögliche Probleme auf, die sich aus dem Trennungsprinzip ergeben, nach dem der Instanzenzug für Rechtsbestandsverfahren und Verletzungsverfahren erst beim BGH zusammenläuft. Zum Leitsatz hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung BGH, Urteil vom 02.07.2015 – X ZR 103/13 – Kreuzgestänge erhoben:

Das Verletzungsgericht hat das Klagepatent selbständig auszulegen und ist weder rechtlich noch tatsächlich an die Auslegung durch den Bundesgerichtshof in einem das Klagepatent betreffenden Patentnichtigkeitsverfahren gebunden.

Dies ist bereits in BGH, Urteil vom 17.04.2007 – X ZR 72/05 – Ziehmaschinenzugeinheit angeklungen, wenn auch spezifisch für den Fall, dass die klageabweisenden Gründe, mit denen ein Patent beschränkt aufrechterhalten wird, zu einer Auslegung unter den Sinngehalt der Patentansprüche führen würden:

Schränken die sich mit der Teilabweisung befassenden Entscheidungsgründe des Nichtigkeitsurteils den Sinngehalt eines die Erfindung allgemein kennzeichnenden Patentanspruchs im Sinne einer Auslegung unter seinen Wortlaut ein, erlaubt dies im Verletzungsprozess ebenso wenig eine einschränkende Auslegung dieses Patentanspruchs wie bei sich aus Beschreibung oder Zeichnungen des Patents ergebenden Beschränkungen.

Der Bundesgerichtshof erkennt im Urteil vom 02.07.2015 – X ZR 103/13 – Kreuzgestänge an, dass Szenarien denkbar sind, in denen das später entscheidende Instanzgericht im Verletzungsverfahren aufgrund weiterer, besserer Erkenntnis zu einer anderen Anspruchsauslegung gelangen kann als der Bundesgerichtshof im vorangegangenen Nichtigkeitsberufungsverfahren (vgl. Rn. 20):

Dies schließt die Möglichkeit ein, dass das Verletzungsgericht zu einem Auslegungsergebnis gelangt, das von demjenigen abweicht, das der Bundesgerichtshof in einem dasselbe Patent betreffenden Patentnichtigkeitsverfahren gewonnen hat. Eine solche Divergenz rechtfertigt zwar, wenn sie entscheidungserheblich ist, die Zulassung der Revision … In diesen wie in jenen Fällen hat das Revisionsgericht zu prüfen, ob es an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält oder die besseren Gründe für die Beurteilung des Berufungsgerichts streiten. Eine solche bessere Erkenntnis kann sich im Patentstreitverfahren zudem aus vom Berufungsgericht festgestellten, der revisionsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legenden Tatsachen ergeben, die im Nichtigkeitsverfahren nicht festgestellt worden sind, sich aber auf die Auslegung des Patents auswirken.

Eine für den vermeintlichen Patentverletzer sehr missliche Situation ergibt sich, wenn im Rechtsbestandsverfahren die Nichtigkeitsklage aufgrund enger Anspruchsauslegung abgewiesen wurde, im Verletzungsverfahren nach dem rechtskräftigen Abschluss des Rechtsbestandsverfahrens das Berufungsgericht die Verletzung aufgrund einer breiten Anspruchsauslegung jedoch bejaht. Wenn – wie in Rn. 20 des Urteils vom 02.07.2015 – X ZR 103/13 – Kreuzgestänge angedeutet – in einem Einzelfall eine bessere Erkenntnis im Patentverletzungsverfahren für eine breite Anspruchsauslegung streiten würde, die der Bundesgerichtshof als Revisionsgericht im Verletzungsverfahren teilt, würde eine Patentverletzung auf Basis einer breiten Anspruchsauslegung festgestellt werden, während die Nichtigkeitsklage bereits vorher aufgrund einer engen Anspruchsauslegung rechtskräftig abgewiesen wurde.

Es stellt sich die Frage, wie der Patentverletzer in einem solchen Fall vorgehen könnte. Eine Restitutionsklage hält der BGH aus § 580 Nr. 6 ZPO für möglich, wenn das Verletzungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen wurde, bevor eine teilweise oder vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents erfolgte (BGH, Urteil vom 28.09.2011 – X ZR 68/10 – Klimaschrank), der Zeitablauf also im Vergleich zur Kreuzgestänge-Entscheidung gerade umgekehrt ist. Bei einer umgekehrten zeitlichen Abfolge (rechtskräftiger Abschluss des Rechtsbestandsverfahrens vor dem rechtskräftigen Abschluss des Verletzungsverfahrens) scheint eine Anwendbarkeit des Restitutionsgrunds § 580 Nr. 6 ZPO eher fernliegend, da das Rechtsbestandsverfahren nicht auf das Urteil des Verletzungsverfahrens gegründet ist. Denkbar wäre möglicherweise eine Durchbrechung der Rechtskraftwirkung des ersten Nichtigkeitsverfahrens. Die (breitere) Auslegung des Anspruchs durch das Revisionsgericht im Verletzungsverfahren könnte eine nicht präkludierte, nachträglich entstandene Tatsache darstellen, die für Durchbrechung der Rechtskraftwirkung streiten und dem Patentverletzer eine erneute Nichtigkeitsklage aus dem bereits im ersten Verfahren geltend gemachten Nichtigkeitsgrund eröffnen könnte.

EuGH zu SEPs: Wurde das Standard-Spundfass (BGH KZR 40/02) aufgebohrt?

Das EuGH-Urteil vom 16.07.2015 in der Rechtssache C-170/13 – Huawei/ZTE hat wegen seiner Bedeutung für Patentstreitigkeiten weithin Beachtung gefunden und wurde bereits früher in diesem Blog sowie zahlreichen anderen Blogs wie IPkat kommentiert. Schwerpunkt der Betrachtungen waren dabei die Antworten auf die Vorlagefragen 1 bis 4, die die Umstände betrafen, unter denen der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand dem patentrechtlichen Unterlassungsanspruch entgegengehalten werden kann.

Ein weiterer wichtiger und bislang – soweit für den Verfasser dieses Beitrags ersichtlich – deutlich weniger kommentierter Aspekt des EuGH-Urteils vom 16.07.2015 in der Rechtssache C-170/13 – Huawei/ZTE betrifft die Frage, inwieweit der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand dem patentrechtlichen Schadensersatzanspruch und den Annexansprüchen wie Rechnungslegungs- und Auskunftsansprüchen entgegengehalten werden kann. Der EuGH führt aus (Rn. 73-75 des Urteils):

Wie sich aus den Rn. 52 und 53 des vorliegenden Urteils ergibt, kann es unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden als missbräuchlich eingestuft werden, wenn der Inhaber des SEP seine Rechte des geistigen Eigentums dadurch ausübt, dass er Klagen auf Unterlassung oder Rückruf erhebt, da derartige Klagen geeignet sind, zu verhindern, dass von Wettbewerbern hergestellte Produkte, die dem betreffenden Standard entsprechen, auf den Markt gelangen oder auf dem Markt bleiben.

So, wie die Klagen des Inhabers eines SEP auf Rechnungslegung über die vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf dieses SEP bzw. auf Schadensersatz wegen dieser Handlungen in der Vorlageentscheidung geschildert sind, haben sie jedoch keine unmittelbaren Auswirkungen darauf, ob von Wettbewerbern hergestellte Produkte, die dem betreffenden Standard entsprechen, auf den Markt gelangen oder auf dem Markt bleiben.

Folglich können sie unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht als missbräuchlich im Sinne von Art. 102 AEUV angesehen werden.

Insoweit unterscheidet sich die Auffassung des EuGH zum kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand aus europäischem Kartellrecht deutlich von der Auffassung des Bundesgerichtshofs, der im Urteil vom 13.07.2004 in der Sache KZR 40/02 – Standard-Spundfaß entschieden hatte, dass ein Zwangslizenzeinwand aus deutschem Kartellrecht auch für den vermeintlichen Patentverletzer streiten kann, der auf Schadensersatz und Rechnungslegung in Anspruch genommen wird.

Eine spannende Frage, die sich aus dem EuGH-Urteil vom 16.07.2015 in der Rechtssache C-170/13 – Huawei/ZTE ergibt, dürfte somit sein, ob die deutschen Instanzgerichte und schließlich auch der Bundesgerichtshof an den in der Standard-Spundfaß-Entscheidung aufgestellten Grundsätzen festhalten werden. Falls nicht, hätte der Patentinhaber jedenfalls durch die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen und den zugehörigen Annexansprüchen ein Mittel zur Hand, mit dem er den vermeintlichen Patentverletzer zur zügigen Fortführung von Lizenzverhandlungen motivieren könnte. Für den Patentinhaber könnte auch die gerichtliche Geltendmachung zunächst nur von Schadensersatzansprüchen attraktiv werden, wenn derartige Verfahren nicht durch Diskussionen über den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand belastet werden, die – gerade bei FRAND-Szenarien – regelmäßig komplexe Fragestellungen dazu aufwerfen, welche Lizenzbedingungen fair und nicht-diskriminierend wären.

EPÜ: Rechtsfolge der verfristeten Zahlung der Beschwerdegebühr

In der Vorlageentscheidung T 1553/13 wird der Großen Beschwerdekammer die Frage vorgelegt, ob eine Beschwerde unzulässig ist oder als nicht eingelegt gilt, wenn die Beschwerdegebühr erst nach Ablauf der maßgeblichen Frist gezahlt wird.

Die Beantwortung dieser Frage hat Einfluss darauf, ob die verfristet gezahlte Beschwerdegebühr vom Amt zurückzuzahlen ist. Ist die Beschwerde bei verfristeter Gebührenzahlung unzulässig, ist die Beschwerdegebühr verfallen. Gilt die Nichteinlegungsfiktion, wenn die Gebührenzahlung nach der maßgeblichen Frist erfolgt, ist die Beschwerdegebühr vom Amt zurückzuerstatten.

Die vorlegende Beschwerdekammer tendiert zu der Auffassung, die Beschwerde sei bei verfristeter Zahlung der Beschwerdegebühr unzulässig. Dies begründet die vorlegende Kammer damit, die Vorschrift des Art. 108 S. 2 EPÜ („Die Beschwerde gilt erst als eingelegt, wenn die Beschwerdegebühr entrichtet worden ist.“) könne nicht ausgelegt werden im Sinne von: „Die Beschwerde gilt erst als eingelegt, wenn die Beschwerdegebühr rechtzeitig entrichtet worden ist.“ Die Kammer verweist auch auf zwei Absätze aus den travaux préparatoires, Dokument IV/6.514/61-D, die die Frage von Rechtsbehelfen gegen die Feststellung, dass die Beschwerdegebühr nicht rechtzeitig gezahlt wurde, betreffen.

Art. 8 S. 1 GebO stellt den Grundsatz auf, dass nur bei rechtzeitiger Zahlung des vollen Gebührenbetrags die Zahlungsfrist eingehalten ist. Eine Zahlung des vollen Gebührenbetrags, die nicht rechtzeitig erfolgt, steht insoweit einer Nichtzahlung gleich. Im Lichte dieser Wertung sollte Art. 108 S. 2 EPÜ tatsächlich ausgelegt werden im Sinne von: „Die Beschwerde gilt erst als eingelegt, wenn die Beschwerdegebühr rechtzeitig entrichtet worden ist.“

Auf die Gebührenordnung wurde auch in den von der Kammer zitierten Dokument IV/6.514/61-D der travaux préparatoires hingewiesen, und zwar unmittelbar nach der von der Kammer zitierten Textpassage.

Die Vorlagefrage sollte folglich von der Großen Beschwerdekammer – entgegen der Auffassung der vorlegenden Kammer – dahin beantwortet werden, dass die verfristete Zahlung der Beschwerdegebühr zur Fiktion der Nichteinlegung der Beschwerde führt.

Die Beantwortung der Vorlagefrage, die spezifisch im Kontext der Beschwerdegebühr gestellt ist, dürfte übrigens auch für die verfristete Zahlung der Einspruchsgebühr relevant sein, da Art. 99 Abs. 1 S. 2 EPÜ insoweit eine Art. 108 S. 2 EPÜ ähnliche Regelung enthält.

BGH: Beweislast für Inhaberschaft an nicht eingetragenem Gemeinschaftsgeschmacksmuster

In dem Urteil in der Sache I ZR 23/12 – Bolerojäckchen hat der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshof entschieden, dass derjenige, der Rechte aus einem nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster geltend macht, die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass er Inhaber des nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters ist. Die Partei muss somit beweisen, dass sie Entwerferin oder Rechtsnachfolgerin des Entwerfers oder, falls der Entwerfer in einem Arbeitsverhältnis stand, Arbeitgeberin des Entwerfers ist.

Die Tatsache, dass die Klägerin ein Geschmacksmuster erstmalig der Öffentlichkeit innerhalb der Union zugänglich gemacht hat, begründet keine Vermutung dahingehend, dass sie auch die Inhaberin des nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters ist.

Formerfordernisse für die Übertragung des Prioritätsrechts

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich im Verfahren X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe mit den Formerfordernissen für die Übertragung des Prioritätsrechts zu befassen, wenn die Priorität einer nationalen Erstanmeldung für eine europäische Nachanmeldung in Anspruch genommen wird.

Nach der BGH-Entscheidung sind die Formerfordernisse, denen die Übertragung des Prioritätsrechts unterliegt, nach dem Forderungsstatut (Art. 33 Abs. 2 EGBGB in der bis zum 17.12.2009 geltenden Fassung bzw. nunmehr Art. 14 Abs. 2 Rom-I-VO) zu bestimmen. Dies führt dazu, dass die Formerfordernisse für die Übertragung des Prioritätsrechts dem Recht des Staats der Erstanmeldung unterliegen. Entsprechend ist die Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität einer deutschen Patentanmeldung auch dann nicht formbedürftig, wenn die Priorität für eine europäische Patentanmeldung in Anspruch genommen werden soll (Leitsatz 1).

Die Entscheidung X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe grenzt sich dezidiert von der Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 ab. In der Entscheidung T 62/05 hatte die Beschwerdekammer für den Fall einer europäischen Nachanmeldung gefordert, dass die Übertragung des Prioritätsrechts den Formerfordernissen des Art. 72 EPÜ genügen muss, also der Schriftform unterliegt und von beiden Vertragsparteien unterschieben sein muss. Die Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 führt zur Anwendbarkeit der Formerfordernisse des Rechts, dem die Nachanmeldung unterliegt, und nicht – wie nunmehr die BGH-Entscheidung X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe – zur Anwendbarkeit des Rechts, dem die Erstanmeldung unterliegt. Die in der Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 aufgestellten Formerfordernisse für die Übertragung des Prioritätsrechts hatten sich insbesondere im Einspruchsverfahren zu einer scharfen Waffe für den Einsprechenden entwickelt, da beispielsweise die nach US-Recht nur vom Erfinder als Zedenten zu unterschreibende Übertragungserklärung regelmäßig nicht der Formvorschrift des Art. 72 EPÜ genügt und eine Heilung nach Einreichung der Nachanmeldung nicht mehr möglich war. Die Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 wurde in der Literatur auch stark kritisiert (vgl. T. Bremi: ‚Traps when transferring priority rights, or When in Rome do as the Romans do: A discussion of some recent European and national case law and its practical implications.‘ In: epi Information, 1/2010).

Der Patentanmelder wird dennoch gut beraten sein, das Prioritätsrecht auch weiterhin so zu übertragen, dass die Übertragung den Formvorschriften des Art. 72 EPÜ genügt. So lange das Risiko besteht, dass eine Beschwerdekammer ein europäisches Patent im Einspruchsbeschwerdeverfahren wegen nicht wirksamer Inanspruchnahme der Priorität widerruft, ist es nur ein schwacher Trost, dass der BGH in einem etwaigen Nichtigkeitsverfahren basierend auf den in der Entscheidung X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe aufgestellten Grundsätzen anders entschieden hätte.