Überprüfungsverfahren durch die Große Beschwerdekammer

Auch wenn das EPÜ2000 mit dem Überprüfungsverfahren nach Art. 112a EPÜ einen Rechtsbehelf bereitstellt, mit dem wesentliche Mängel des Verfahrens vor der Beschwerdekammer gerügt werden können, war den bislang gestellten Anträgen nur selten Erfolg beschieden. Die angefochtene Entscheidung wurde (soweit dem Verfasser bekannt) bislang nur in den Verfahren R 7/09, R 3/10 und R 21/11 aufgehoben. Der Großteil der gestellten Anträge scheiterte schon an der Prüfung auf offensichtliche Unzulässigkeit oder offensichtliche Unbegründetheit. Neben den erfolgreichen Anträgen gelangten nur wenige weitere Anträge (Verfahren R 9/11; R 13/11; R 15/09; R 18/09; R 5/08) bislang überhaupt vor die mit fünf Mitgliedern besetzte Große Beschwerdekammer nach Regel 109 (2) b) EPÜ.

Viele der Verfahren, die schon vor der mit drei Mitgliedern besetzten Großen Beschwerdekammer nach Regel 109 (2) a) EPÜ als offensichtlich unzulässig verworfen wurden, scheiterten an dem Erfordernis der Regel 106 EPÜ. Danach muss der Verfahrensmangel vom Verfahrensbeteiligten schon während des Beschwerdeverfahrens gerügt werden, es sei denn, der Einwand konnte im Beschwerdeverfahren nicht erhoben werden.

Die Große Beschwerdekammer legt bei der Prüfung der Zulässigkeitsvorschrift der Regel 106 EPÜ einen strengen Maßstab an, nach dem nur in seltenen Fällen bejaht werden konnte, die Rüge nach Regel 106 EPÜ hätte im Beschwerdeverfahren noch nicht erhoben werden können. Beispielhaft kann verwiesen werden auf R 14/11, Ziffern 2.5 bis 2.7 der Entscheidungsgründe.

In dem Verfahren R 14/12 hat es ein Überprüfungsantrag wieder einmal bis vor die Fünferbesetzung (Regel 109 (2) b) EPÜ) geschafft, obwohl das Protokoll der Beschwerdeverhandlung keine Rüge nach Regel 106 EPÜ auswies.

Es ist natürlich noch nicht klar, ob auch die Große Beschwerdekammer in der Besetzung mit fünf Mitgliedern nach Regel 109 (2) b) EPÜ der Auffassung ist, dass eine Rüge nach Regel 106 EPÜ im Beschwerdeverfahren nicht erhoben werden konnte. Interessant ist aber, dass in diesem Verfahren zumindest eines der Mitglieder der Dreierbesetzung nach Regel 109 (2) a) EPÜ der Auffassung gewesen sein muss, dass eine – von der Antragstellerin behauptete – Abweichung der erkennenden Beschwerdekammer von früheren Beschwerdekammerentscheidungen vom Vertreter der Antragstellerin trotz des Verlaufs der Verhandlung nicht antizipiert werden musste. Im konkreten Fall ging es dabei um die Frage, inwieweit die Möglichkeit der Kenntnisnahme einer Veröffentlichung durch eine Bibliotheksmitarbeiterin, die eine Druckschrift vor dem Prioritätstag des angegriffenen Patents mit einem Eingangsstempel versehen hatte, schon als Möglichkeit der Kenntnisnahme durch die Öffentlichkeit i.S.v. Artikel 54(2) EPÜ anzusehen ist.

Bei der Entscheidung, das Verfahren an die Große Beschwerdekammer in der Fünferbesetzung zu überweisen, könnte auch eine Rolle gespielt haben, dass zumindest aus dem nur aus wenigen Zeilen bestehenden Protokoll der Verhandlung vor der Beschwerdekammer nicht ersichtlich war, welche Fragen des juristischen Mitglieds dem Vertreter der Antragstellerin hätten zeigen können, dass sich die Beschwerdekammer nicht der Auffassung der Antragstellerin zur Frage der öffentlichen Zugänglichkeit anschließen würde.

BGH: Schutzumfang des Gemeinschaftsgeschmacksmusters

In dem Urteil vom 12. Juli 2012, I ZR 102/11 – Kinderwagen II befasst sich der I. Zivilsenat des BGH erneut mit dem Schutzumfang von Gemeinschaftsgeschmacksmustern.

Dabei betont der BGH erneut den schon in der Untersetzer-Entscheidung aufgestellten Grundsatz, dass der Schutzumfang nicht nur von der Musterdichte abhängt, sondern auch davon, wie deutlich sich das Klagemustervon diesem Formenschatz unterscheidet. Entsprechend lautet der zweite Leitsatz: „Der Schutzumfang des Klagemusters wird durch die Musterdichte bei den fraglichen Erzeugnissen einerseits und die Ausnutzung des Gestaltungsspielraums durch den Entwerfer und den dadurch erreichten Abstand des Klagemusters vom Formenschatz andererseits bestimmt.“

Neu gegenüber der Untersetzer-Entscheidung ist, dass der BGH nunmehr anscheinend eine Gewichtung von Merkmalen des Klagemusters abhängig davon vornehmen möchte, inwieweit es sich dabei um im einschlägigen Gebiet weithin bekannte Gestaltungsmerkmale handelt. So wird in Rz. 62 des Kinderwagen II-Urteils ausgeführt: „Der informierte Benutzer wird diesem Merkmal [bestimmte Applikationen, Anm.], das ihm von anderen Mustern bekannt ist, allenfalls geringe Bedeutung für den Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Muster beimessen.“

Abzuwarten bleibt, wie eine Gewichtung von Einzelmerkmalen eines Musters in der Instanzrechtsprechung erfolgen kann. Die Beurteilung der Eigenart erfolgt auf einem Einzelvergleich mit jeweils einem Muster des Formenschatzes. Wie beispielsweise schon Ruhl in den Anmerkungen zur Entscheidung „Verlängerte Limousinen“ (GRUR 2010, 692, 695) betont, ist daher eine Berücksichtigung von Übereinstimmungen des Klagemusters mit Elementen des Formenschatzes im Verletzungsverfahren zumindest schwierig.

Praxisnah ist die – ebenfalls zum Leitsatz erhobene – Aussage des Kinderwagen II-Urteils, dass auch Unterschiede in technisch bedingten Merkmalen zu einem unterschiedlichen Gesamteindruck führen können.

Neues zum nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster

Die Klärung vieler offener Fragen zum nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster dürfte zu erwarten sein, wenn der EuGH die Vorlagefragen beantwortet, die der I. Zivilsenat des BGH in dem Vorlagebeschluss I ZR 71/10 – Gartenpavillon vom 16. August 2012 vorgelegt hat.

Die Vorlagefragen betreffen:

– Die Voraussetzungen für das Entstehen des Schutzes des nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters (Art. 11 GGV) (Vorlagefrage 1). Dabei geht es insbesondere darum, ob die Verteilung von Abbildungen des Klagemusters an Händler, Zwischenhändler und Einkaufsverbände in bestimmtem Umfang für die Entstehung eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters ausreicht.

– Der Umfang des Formenschatzes nach Art. 7 Abs. 1 GGV. Konkret geht es im Streitfall um die Frage, ob die Ausstellung eines Musters in einem Ausstellungsraum in China oder die Zusendung des Musters an einen einzelnen Händler in der EU ausreicht, dass dieses Muster dem Klagemuster als neuheitsschädlicher Formenschatz entgegensteht. Allerdings ist fraglich, ob der EuGH auf die sehr breite Vorlagefrage 2 hin sehr erhellende und für die Praxis hilfreiche Antworten gibt, die über eine Wiedergabe des Gesetzestextes und den Hinweis, dass die entsprechenden Feststellung den Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichten obliegen, hinausgehen wird.

– Die Beweislast für das Vorliegen einer Nachahmung (Art. 19 GGV) (Vorlagefrage 3). In der Literatur wird bislang häufig die Auffassung vertreten, dass – ähnlich wie in der BGH-Rechtsprechung zum Nachahmungsschutz unter altem Geschmacksmusterrecht – eine Beweislastumkehr zugunsten des Schutzrechtsinhabers zu bejahen sein kann, wenn Klagemuster und angegriffenes Muster im Wesentlichen identisch sind.

– Verjährung und Verwirkung des Unterlassungsanspruchs aus dem nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster (Vorlagefragen 4 und 5). Nach dem Wortlaut der GGV käme nach Art. 88 Abs. 2 GGV i.V.m. Art. 8, Art. 15 h) Rom-II-VO für die Verjährungsvorschriften die Anwendung des Rechts der jeweiligen Mitgliedsstaaten in Betracht. Unter Hinweis auf der EuGH-Rechtsprechung zur Gemeinschaftsmarke (EuGH, C-316/05, Nokia) zieht der BGH jedoch nur eine einheitliche Verjährungsvorschrift für das gesamte Unionsgebiet in Betracht.

– Maßgebliches Recht für unionsweit geltend gemachte Vernichtungs-, Auskunfts- und Schadensersatzansprüche (Vorlagefrage 6). Vorgelegt wird die Frage, ob für derartige Ansprüche auf die Rechtsordnung der jeweiligen Mitgliedsstaaten abzustellen ist, für deren Bereich die Ansprüche geltend gemacht werden.

GBK 1/10: Regel 140 EPÜ steht nicht für die Korrektur von Fehlern in Patenten zur Verfügung

Die Entscheidung G 1/10 der Großen Beschwerdekammer ist nunmehr auf den Websites des EPA abrufbar. Nach der Entscheidung können offensichtliche Fehler im Text oder in den Figuren eines erteilten Patents nicht mit einem Antrag auf Korrektur offensichtlicher Fehler nach R. 140 EPÜ korrigiert werden. Die GBK stellt nicht in Frage, dass Text und Figuren des erteilten Patents integraler Bestandteil einer Entscheidung der Prüfungsabteilung sind, nimmt diese aber trotzdem vom Anwendungsbereich der R. 140 EPÜ aus. Dies wird in erster Linie mit der Zäsurwirkung der Patenterteilung begründet, die – vorbehaltlich der Einspruchs-, Beschränkungs- und Widerrufsverfahren vor dem EPA – zum Zerfall des europäischen Patents in ein Bündel nationaler Schutzrechte führt, die der nationalen Jurisdiktion unterworfen sind. Zweckmäßigkeitsüberlegungen würden ebenfalls dafür sprechen, eine Korrektur des Patents nach R. 140 EPÜ nicht zuzulassen.

Auch wenn beispielsweise ein Schreibfehler im erteilten Patent offensichtlich und die gewollte Bedeutung unzweideutig erkennbar ist (was für die „Offensichtlichkeit“ des Fehlers nach R. 140 EPÜ erforderlich sein dürfte), muss der Patentinhaber also mit diesem Fehler leben. Die Bedeutung der kritischen Durchsicht des Druckexemplars, das mit der Mitteilung nach R. 71(3) EPÜ übermittelt wird, sollte also nicht unterschätzt werden. Die GBK deutet bereits an, dass die Grundsätze der Entscheidung G 1/10 wohl nicht auf die Korrektur bibliographischer Angaben anwendbar sind.

Fortsetzung des Einspruchsverfahren

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss in der Rechtssache X ZB 4/11 – Sondensystem entschieden, dass bei Erlöschen des Patents im Einspruchsverfahren das Rechtsschutzbedürfnis des Einsprechenden schon dann entfällt, wenn der Patentinhaber erklärt, dass er auch für die Vergangenheit keine Ansprüche aus dem Patent gegen den Einsprechenden geltend machen werde. Das Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung zu Unrecht erteilter Patente führt nicht dazu, dass eine Fortführung des Verfahrens in Betracht käme.

Der Bundesgerichtshof hat damit einen Meinungsstreit zwischen den Beschwerdesenaten des Bundespatentgerichts entschieden. Während beispielsweise der 21. Senat in dem Beschluss in der Rechtssache 21 W (pat) 301/08 – Radauswuchtmaschine bereits die Auffassung vertreten hatte, dass das Erlöschen des Patents bei individueller Freistellung das Rechtsschutzbedürfnis des Einsprechenden erlöschen lässt und zur Erledigung des Verfahrens führt, ist der 7. Senat in seinem Beschluss in der Rechtssache 7 W (pat) 333/06 – Vorrichtung zum Heißluftnieten dem dezidiert entgegengetreten. Nach Auffassung des 7. Senats könnte auch das Allgemeininteresse eine Fortführung des Einspruchsverfahrens bei (nur) individueller Freistellung des Einsprechenden nach dem Erlöschen des Patents rechtfertigen. Dieser Auffassung ist der Bundesgerichtshof in dem Sondensystem-Beschluss nicht beigetreten. Für eine ausführliche Darstellung des Meinungsstreits sei verwiesen auf die Darstellung in van Hees/Braitmeyer, Verfahrensrecht in Patentsachen, 4. Aufl., Rz. 541-543.

„IP Translator“ führt zu neuer HABM-Praxis

In der Entscheidung „IP TRANSLATOR“ hat sich der EuGH zur Auslegung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnissen einer Markenanmeldung geäußert.

Hintergrund der Entscheidung sind Unterschiede in der amtlichen Praxis des HABM einerseits und zahlreicher nationaler Ämtern (z.B. DPMA und UKIPO) andererseits, wenn zur Angabe der Waren oder Dienstleistungen sämtliche Oberbegriffe einer Klassenüberschrift der Nizza-Klassifikation verwendet werden. Nach Praxis des HABM wurde die Angabe der Oberbegriffe der Klassenüberschriften dahingehend ausgelegt, dass damit alle Waren oder Dienstleistungen der entsprechenden Klasse beansprucht wurden, selbst wenn diese nach herkömmlichem Sprachverständnis den Oberbegriffen nicht unterfallen. Diese frühere Praxis des HABM wurde durch die (nunmehr außer Kraft gesetzte) Mitteilung Nr. 4/03 des Präsidenten amtlich verlautbart. Ein – im vom EuGH entschiedenen Fall einschlägiges – Beispiel für eine derartige Konstellation sind die Oberbegriffe der Klasse 41 (Erziehung, Ausbildung, Unterhaltung, sportliche Aktivitäten, kulturelle Aktivitäten). Die Klasse 41 enthält auch die Dienstleistung „Übersetzungsdienstleistungen“, die jedoch keinem der Oberbegriffe unterfällt.

Anders als die (frühere) Auslegungspraxis des HABM wird beispielsweise nach Praxis des DPMA die Angabe der Oberbegriffe einer Klassenüberschrift dahingehend ausgelegt, dass nur diejenigen Waren oder Dienstleistungen in der entsprechenden Klasse beansprucht werden, die diesen Oberbegriffen nach herkömmlichem semantischen Verständnis auch unterfallen.

Der (früheren) Auslegungspraxis des HABM erteilte der EuGH in der Entscheidung „IP TRANSLATOR“ eine Absage. So heißt es in Rz. 61 und Rz. 62 der Entscheidung:

„Accordingly, in order to respect the requirements of clarity and precision mentioned above, an applicant for a national trade mark who uses all the general indications of a particular class heading of the Nice Classification to identify the goods or services for which the protection of the trade mark is sought must specify whether its application for registration is intended to cover all the goods or services included in the alphabetical list of the particular class concerned or only some of those goods or services. If the application concerns only some of those goods or services, the applicant is required to specify which of the goods or services in that class are intended to be covered.

An application for registration which does not make it possible to establish whether, by using a particular class heading of the Nice Classification, the applicant intends to cover all or only some of the goods in that class cannot be considered sufficiently clear and precise.“

Der Präsident des HABM hat bereits mitgeteilt (Mitteilung des Präsidenten Nr. 2/12), dass das HABM an der früheren Praxis nicht mehr uneingeschränkt festhalten werde und dass demnächst neue Richtlinien erlassen werden. Das HABM werde „auch weiterhin die Verwendung der Oberbegriffe der Klassenüberschriften akzeptieren, allerdings nur auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung“. Das DPMA scheint noch mit sich zu ringen (Mitteilung Nr. 11/12 der Präsidentin des DPMA), ob die „IP TRANSLATOR“-Entscheidung eine Anpassung der amtlichen Praxis erfordern wird.

Für Anmelder, die tatsächlich Schutz für alle Waren oder Dienstleistungen einer Klasse begehren, hat der EuGH bereits einen gangbaren Weg aufgezeigt: Nach Rz. 112 der „Postkantoor“-Entscheidung wird die Angabe, dass für „alle Waren der Klasse …“ oder „alle Dienstleistungen der Klasse …“ Schutz begehrt wird, als ausreichend klar und somit zulässig angesehen.

Rechtsbeschwerde: Kostenfestsetzungsverfahren vor dem BPatG

Da der 4. Nichtigkeitssenat in einer weiteren Entscheidung (Beschluss vom 7. Mai 2012 in der Rechtssache 4 ZA (pat) 13/12) die Rechtsbeschwerde im Kostenfestsetzungsverfahren zugelassen und somit den in diesem Blog schon mehrfach diskutierten Beschluss 4 ZA (pat) 35/11 fortgeführt hat, soll hier noch einmal auf die letztgenannte Entscheidung eingegangen werden, die mittlerweile auch im Volltext veröffentlicht ist.

1. Der Senat führt in dem Beschluss 4 ZA (pat) 35/11 in Ziffer 3. der Entscheidungsgründe aus: „Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nach § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG i. V. m.§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 ZPO auch im Verfahren vor dem Bundespatentgericht statthaft …, da § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG ausdrücklich die Vorschriften der Zivilprozessordung über das Kostenfestsetzungsverfahren für entsprechend anwendbar erklärt. Diese Gesamtverweisung erfüllt damit zugleich die von § 99 Abs. 2 PatG geforderte Zulassung einer Anfechtung der Entscheidungen des Patentgerichts und gewährleistet damit Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde in entsprechender Anwendung des § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO.“

2. Der Senat begründet dies in dem Beschluss 4 ZA (pat) 35/11 in Ziffer 3a. der Entscheidungsgründe weiter wie folgt:
– Die Änderung des Beschwerderechts durch die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO zugelassene Rechtsbeschwerde gegen Beschlüsse des Beschwerde- und Berufungsgerichts würde dazu führen, dass die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde im Verfahren vor dem Bundespatentgericht neu zu bewerten sei und auch in Kostenfestsetzungsverfahren durch die entsprechende Verweisung auf die ZPO nicht ausgeschlossen sei.
– 99 Abs. 2 PatG würde „nur ‚eine Zulassung durch dieses Gesetz‘ fordern“. Auch die im Hinblick auf die Besonderheiten des Verfahrens vor dem Bundespatentgericht einschränkende Verweisung in § 99 Abs. 1 PatG fordere eher einen Gleichklang mit der Regelung des § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO als dass sie diesem entgegenstünde.
– Die Generalverweisung des § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG würde auch ohne ausdrückliche Erwähnung des § 574 ZPO das insoweit eigenständige Rechtsmittelrecht der Zivilprozessordung im Kostenfestsetzungsrecht umfassen.

3. Diese Auffassung erscheint immer noch etwas überraschend.

Zwar ist zuzugeben, dass § 84 Abs. 2 S. 2 PatG eine dynamische Verweisung auf die ZPO-Vorschriften zum Kostenfestsetzungsverfahren ist. Änderungen der ZPO-Vorschriften wirken sich unmittelbar auf das Verfahren vor dem BPatG aus – sofern ihre Anwendung nicht nach § 99 Abs. 1 oder Abs. 2 PatG ausgeschlossen ist.

Nach § 84 Abs. 2 S. 3 PatG i.V.m. § 99 Abs. 2 PatG sind jedoch die ZPO-Vorschriften über die Rechtsmittel zum BGH von dieser Verweisung gerade ausgeschlossen. Bei jeder anderen Auslegung hätte die Vorschrift des § 84 Abs. 2 S. 3 PatG keinerlei Bedeutung und wäre schlicht hinfällig.

Insofern ist schon erstaunlich, dass es sich bei § 84 Abs. 2 S. 2 PatG um eine „Gesamtverweisung“ handeln soll. Aufgrund des Ausschlusses der Vorschriften über die Rechtsmittel von der Verweisung des § 84 Abs. 2 S. 2 PatG kann eine Änderung der ZPO-Vorschriften zur Statthaftigkeit von Rechtsmitteln zum BGH nach meiner Auffassung nicht eine Neubewertung erfordern, ob diese ZPO-Vorschriften von der Verweisung des § 84 Abs. 2 S. 2 PatG umfasst sein sollen.

4. Sofern der Senat in dem Beschluss 4 ZA (pat) 35/11 in Ziffer 3a. der Entscheidungsgründe auf die Kommentarliteratur zu § 83 MarkenG Bezug nimmt, dürfte zu beachten sein, dass die analoge Anwendung des § 83 MarkenG auf ein Nebenverfahren zu einem Beschwerdeverfahren vor dem Marken-Beschwerdesenat wohl näherliegend sein dürfte als eine Anwendung entsprechender Vorschriften bei einem Nebenverfahren vor einem Nichtigkeitssenat. Die Hinweise auf § 83 MarkenG in dem Beschluss 4 ZA (pat) 35/11 verwundern auch insoweit etwas, als der Senat in dem Beschluss 4 ZA (pat) 35/11 die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde eben nicht mit einer analogen Anwendung des § 100 PatG begründet. Zur relevanten Frage, ob § 84 Abs. 2 S. 2 PatG eine Anwendung des Rechtsbeschwerderechts der ZPO umfasst, dürfte sich die Kommentarliteratur zu § 83 MarkenG nur schwerlich fruchtbar machen lassen.

5. Ungeachtet der obigen Anmerkungen sei noch einmal betont, dass auch nach Auffassung des Verfassers dieses Beitrags die divergierende Rechtsprechung der Nichtigkeitssenate zur Erstattungsfähigkeit von Doppelvertretungskosten unbefriedigend ist. Ein Rechtsmittel zum BGH (oder alternativ die Schaffung eines gemeinsamen Senats am BPatG) wäre wünschenswert, um eine einheitliche Praxis sicherzustellen. Ob dies im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Vorschriften möglich ist, wie der 4. Nichtigkeitssenat meint, oder es dazu einer Gesetzesänderung bedarf, wird hoffentlich bald durch den BGH geklärt werden.

Internationale Zuständigkeit bei Markenverletzung im Internet

Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (Artikel 5 Nr. 3 EuGVO) begründet die internationale Zuständigkeit nicht nur am Erfolgsort, sondern – nach Wahl der Klägers – auch am Handlungsort. Im Urteil vom 19.4.2012 in der Rechtssache C-523/10 – Wintersteiger AG/Products 4U Sondermaschinenbau GmbH konnte der EuGH den Begriff des Handlungs- und Erfolgsorts für Markenverletzungen im Internet auslegen. Im Ausgangsverfahren ging es um eine mutmaßliche Markenverletzung einer österreichischen Marke durch Angabe der Marke als Adword in einer Suchmaschine, die unter deutscher Top-Level-Domain betrieben wurde.

Der Erfolgsort der Markenverletzung liegt im Gebiet des Staates, in dem oder für den die Marke eingetragen ist. Der EuGH führt für die Entscheidungszuständigkeit der Gerichte dieses Staates auch den Normzweck der besonderen Sachnähe dieser Gerichte an.

Den Handlungsort sieht der EuGH bei der genannten Konstellation als den Ort der Niederlassung des Werbenden (d.h. desjenigen, der das Adword bucht) an. Das vorlegende Gericht hatte demgegenüber noch in Betracht gezogen, dass der Handlungs- oder Erfolgsort durch die Top-Level-Domain der Suchmaschine festgelegt werden könnte, auf der die Werbung gebucht wird.

Ebenfalls als Handlungsort in Betracht käme der Ort, an dem der Server des Suchmaschinenbetreibers aufgestellt ist. Die Anknüpfung des EuGH an den Ort der Niederlassung des Werbenden hat demgegenüber den Vorteil, dass der Ort der Niederlassung des Werbenden einfach zu bestimmen ist, während der Aufstellungsort des Servers meist unbekannt bleibt. Die internationale Zuständigkeit wird nach dem vom EuGH aufgestellten Kriterium einfacher vorhersehbar. Eine Belastung von Zuständigkeitsfragen mit möglicher Beweisaufnahme zur Ermittlung, an welchem Ort ein Suchmaschinenbetreiber Suchanfragen verarbeitet, kann vermieden werden.

BGH Tintepatrone III: Frist zur Erhebung der Restitutionsklage

Der X. Zivilsenat konnte nunmehr in der Rechtssache X ZR 55/09 – Tintepatrone III die in der Bordako-Entscheidung aufgestellten Grundsätze, nach denen bei (Teil-)Vernichtung eines gewerblichen Schutzrechts die Restitutionsklage entsprechend § 580 Nr. 6 ZPO stattfindet, für eine patentrechtliche Fallgestaltung weiter erläutern.

Das Patent, aus dem der Restitutionskläger im Verletzungsverfahren verurteilt worden war, wurde mit einem Einspruch vor dem Europäischen Patentamt angegriffen. Im Einspruchsbeschwerdeverfahren entschied die Technische Beschwerdekammer nicht nach Art. 111 Abs.1 S. 1 EPÜ selbst abschließend in der Sache, sondern verwies das Verfahren an die Einspruchsabteilung mit der Anweisung zurück, das Patent mit bestimmten Unterlagen in eingeschränktem Umfang aufrecht zu erhalten. Angesichts der nach Regel 82 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 EPÜ vom Patentinhaber noch vorzunehmenden Handlungen formeller Natur (Einreichung der Übersetzung der eingeschränkten Ansprüche, Gebührenzahlung) ist diese Vorgehensweise nicht unüblich.

Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, dass die Frist zur Erhebung der Restitutionsklage bereits durch Kenntnis der Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer ausgelöst wird.

Dem ist der BGH nicht gefolgt. Der X. Senat betont, dass es für den Anfechtungsgrund des § 580 Nr. 6 ZPO nicht auf die rechtskräftige oder bindende Beurteilung der Patentfähigkeit (hier durch die Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer) ankomme. Ein Anfechtungsgrund liege vielmehr erst dann vor, wenn bestandskräftig in den formellen Bestand des Patents eingegriffen wird. Entscheidend sei der Rechtsakt, der die Bindung des Verletzungsgerichts an die Erteilung des Klagepatents beseitigt (Rz. 15 der Entscheidung). Im vorliegenden Fall wurde die Frist zur Erhebung der Restitutionsklage somit erst durch Kenntnis der abschließenden Entscheidung der Einspruchsabteilung ausgelöst, auch wenn schon durch die Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer feststand, in welchem Umfang das Patent aufrecht erhalten wird, sofern der Patentinhaber die im obliegenden formellen Handlungen vornimmt.

Doppelvertretungskosten im Nichtigkeitsverfahren – Hoffnung auf den BGH?

Der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts hat in der Rechtssache 4 ZA (pat) 35/11 die Rechtsbeschwerde zugelassen, um eine Klärung der Frage der Erstattungsfähigkeit von Doppelvertretungskosten durch den BGH zu erlauben. Nach dem erkennenden Senat ist aufgrund der divergierenden Rechtsprechung der Senate des Bundespatentgerichts zu der Erstattungsfähigkeit der Kosten des mitwirkenden Rechtsanwalts (Doppelvertretungskosten) in Nichtigkeitsverfahren die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts und wegen der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.

Die derzeitige uneinheitliche Praxis der verschiedenen Nichtigkeitssenate des BPatG zu der Frage, wann auch die Kosten des im Nichtigkeitsverfahren mitwirkenden Rechtsanwalts erstattungsfähig sind, ist in der Tat sehr unbefriedigend.

Ob der BGH im Rechtsbeschwerdeverfahren eine Vereinheitlichung herbeiführen kann, ist jedoch sehr fraglich. Während nach § 84 Abs. 2 S. 2 PatG die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren im Nichtigkeitsverfahren entsprechend anwendbar sind, bleibt nach § 84 Abs. 2 S. 3 PatG die Vorschrift des § 99 Abs. 2 PatG davon unberührt. Danach findet eine Anfechtung der Entscheidungen des Patentgerichts nur statt, sofern das PatG sie zulässt. Die Rechtsbeschwerde findet nach § 100 PatG aber nur gegen die Beschlüsse der Beschwerdesenate (nicht der Nichtigkeitssenate) statt, durch die über eine Beschwerde nach § 73 PatG oder erstinstanzlich im Einspruchsverfahren (nicht aber über eine Erinnerung im Kostenfestsetzungsverfahren) entschieden wird. Entsprechend wird auch in der Kommentarliteratur die Auffassung vertreten, dass die Entscheidungen der Nichtigkeitssenate im Kostenfestsetzungsverfahren unanfechtbar sind (Benkard, 10. Aufl., § 84 Rdnr. 41; Schulte, 8. Aufl., § 100 Rdnr. 5-6).

Soweit in der Literatur die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde im Kostenfestsetzungsverfahren bejaht wird (z.B. in van Hees/Braitmeyer, Verfahrensrecht in Patentsachen, 4. Aufl., Rz. 715; Benkard, 10. Aufl., § 100 Rdnr. 6), dürfte zu beachten sein, dass die dort häufig in Bezug genommene Entscheidung BGH GRUR 2001, 139 – Parkkarte die Entscheidung eines Beschwerdesenats, nicht eines Nichtigkeitssenats betrifft.

Es ist zu hoffen, dass die zugelassene Rechtsbeschwerde auch eingelegt wird, um möglicherweise gleich für zwei Fragen von grundsätzlicher Bedeutung eine Klärung durch den BGH zu erlauben: Neben der Frage, wann Doppelvertretungskosten im Nichtigkeitsverfahren erstattungsfähig sind, steht nämlich auch die Frage im Raum, ob § 84 Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 99 Abs. 2 PatG die Rechtsbeschwerde gegen die Erinnerungsentscheidung des Nichtigkeitssenats ausschließt.