BGH, X ZB 1/10 – Modularer Fernseher: Anspruch auf rechtliches Gehör

BGH, Beschluss vom 12. April 2011 – X ZB 1/10 – Modularer Fernseher

Amtlicher Leitsatz:

Hält das Patentgericht den Gegenstand eines mit dem Einspruch angegriffenen Patents im Hinblick auf eine Entgegenhaltung für nahegelegt, die bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden  ist und in der Einspruchsbegründung zwar angeführt, aber eher beiläufig behandelt wird, reicht es zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör grundsätzlich aus, wenn dem Patentinhaber in  der mündlichen Verhandlung ein entsprechender Hinweis erteilt wird. 

BGH, I ZR 174/08 – Änderung der Voreinstellung III: zur Unternehmerhaftung für Wettbewerbshandlungen des Vertriebspartners

BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 – I ZR 174/08 – Änderung der Voreinstellung III

Amtlicher Leitsatz:

Anbieter von Telefondienstleistungen, die nicht über ein eigenes Netz verfügen und die sich daher hinsichtlich der von ihnen angebotenen Leistung bei Netzbetreibern eindecken müssen (sog. Reseller), handeln im Verhältnis zu Endkunden nicht als Beauftragte der Netzbetreiber (§ 8 (2) UWG -> Unternehmerhaftung), die ihnen die benötigten Netzdienstleistungen als Vorprodukt zur Verfügung stellen.

BGH, I ZB 81/09 – Yoghurt-Gums: Teilverzicht auf die Marke, Rechtliches Gehör

BGH, Beschluss vom 9. September 2010 – I ZB 81/09 – Yoghurt-Gums

Amtliche Leitsätze:

a) Ein Teilverzicht auf die Marke kann auch im Löschungsverfahren nicht bedingt erklärt werden.

b) Sieht der Markeninhaber in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundespatentgericht von der Erklärung eines Teilverzichts auf die Marke durch eine Beschränkung des Warenverzeichnisses ab, weil das Gericht die Erklärung eines Teilverzichts auch noch nach Schluss der mündlichen Verhandlung als grundsätzlich unbedenklich bezeichnet, ist der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, wenn der rechtliche Hinweis des Gerichts nicht hinreichend klar erkennen lässt, dass es nach Schluss der mündlichen Verhandlung lediglich einen Teilverzicht berücksichtigen will,  der sich auf eine bloße Streichung einzelner Begriffe des Waren- oder Dienstleistungsverzeichnisses beschränkt.

BGH, X ZB 43/08 – Schweißheizung: Widerrechtliche Entnahme

BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – X ZB 43/08 – Schweißheizung

Amtliche Leitsätze:

PatG § 21 Abs. 1 Nr. 3

Das Patent ist wegen widerrechtlicher Entnahme auch dann zu widerrufen, wenn sein Gegenstand nicht patentfähig ist.

PatG § 46 Abs. 1, 2; § 59 Abs. 4

a) Unter Beteiligten i.S.v. § 46 Abs. 1 PatG sind die jeweiligen Verfahrensbeteiligten zu verstehen (Anmelder, Patentinhaber, Einsprechende).

b) Hören die Prüfungsstelle im Erteilungs- oder die Patentabteilung im Einspruchsverfahren Verfahrensbeteiligte formlos an, ist dies in der Niederschrift über den Gang der Verhandlung zu vermerken. Eine inhaltliche Protokollierung kann auch bei einer solchen formlosen Anhörung bei umfangreicheren tatsächlichen Angaben, die für die Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erheblich sind, angezeigt sein.

c) Ein nicht am Einspruchsverfahren Beteiligter (hier: ein  Miterfinder) ist als Zeuge zu vernehmen. Seine Aussage ist zu protokollieren

BPatG, 25 W (pat) 516/10 – Panprazol / PANTOZOL: Kein Annäherungsmonopol

BPatG, Urt. v. 17. März 2011 – 25 W (pat) 516/10 – Panprazol / PANTOZOL

Amtliche Leitsätze:

Der Schutzumfang einer älteren Marke, der aufgrund einer deutlichen und für den Verkehr ohne weiteres erkennbare Annäherung an eine einschlägige warenbeschreibende Angabe eingeschränkt ist, erfährt keine Erweiterung im Verhältnis zu jüngeren Marken, die sich an  dieselbe Sachangabe annähern (Abgrenzung zu BGH GRUR 2008, 803, Tz. 22 – HEITEC).

Im Verhältnis zu Markeninhabern, die sich mit ihren Marken an warenbeschreibende Angaben annähern, kann es den Wettbewerbern nicht verwehrt werden, sich mit ihren (prioritätsjüngeren) Kennzeichnungen an dieselben Sachangaben anzunähern (Stichwort: kein Annäherungsmonopol), wenn dies unter angemessener Berücksichtigung der älteren Markenrechte geschieht. Beim Zeichenvergleich nach dem maßgeblichen Gesamteindruck wird dieser Forderung dadurch Rechnung getragen, dass den Faktoren bei der Zeichenbildung mehr (kennzeichnendes) Gewicht beigemessen wird, welche die schutzbegründende Eigenart der Marke ausmachen, die sich aus den Abweichungen gegenüber der Sachangabe ergibt.

Ausgehend davon besteht keine Verwechslungsgefahr zwischen der für Arzneimittel (hier: Magen-Darmtherapeutika für humanmedizinische Zwecke) registrierten Widerspruchsmarke „PANTOZOL“, deren Schutzumfang wegen der deutlichen und für den Verkehr ohne weiteres erkennbaren Annäherung an die einschlägige Wirkstoffangabe „Pantoprazol“ eingeschränkt ist, und der jüngeren Marke „Panprazol“, die sich ebenfalls an diese einschlägige Wirkstoffbezeichnung annähert.

EU-Patent revisited

Wie vor Kurzem in diesem Blog thematisiert wurde, wurde der Entwurf der Verordnung zur Schaffung des EU-Patents im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit veröffentlicht. Ebenfalls bereits diskutiert wurde die Übersetzungsproblematik.

Eine Durchsicht des Entwurfs zeigt aber, dass noch ganz andere Schwierigkeiten auf dem Weg zum EU-Patent bestehen könnten. Diese resultieren nach Auffassung des Verfassers dieses Artikels aus dem Bestreben, das EU-Patent ohne Änderung des EPÜ Wirklichkeit werden zu lassen. Dieses Bemühen ist verständlich, damit nicht einzelne Staaten (beispielsweise aus dem mediterranen Raum) bei einer Ratifizierung eines geänderten EPÜ faktisch ein Vetorecht gegen die Verordnung zum EU-Patent ausüben könnten. Jedoch ist fraglich, ob der Vorschlag so gelingen kann.

Nach Auffassung des Verfassers dieses Artikels besteht ein Problem des Entwurfs zur Verordnung darin, dass der Spagat gemacht wird, einerseits ein neues Schutzrecht (das „EP mit einheitlicher Wirkung“, wie das EU-Patent im Entwurf bezeichnet wird) schaffen zu wollen, das sich durch die Einheitlichkeit vom bisherigen EP und somit auch von EPÜ-Vorschriften unterscheidet, andererseits aber das EP mit einheitlicher Wirkung vollständig auf dem EPÜ in seiner jetzigen Form aufzusetzen.

Dass es sich bei dem „EP mit einheitlicher Wirkung“ um ein „Europäisches Patent“ im Sinne des EPÜ handeln soll, ist aus dem gesamten Verordnungsentwurf ersichtlich. So sind nach Art. 3 Ziff. 1 des Entwurfs EU-Patente „Europäisches Patente, die mit identischem Schutzbereich für alle teilnehmenden Mitgliedsstaaten erteilt wurden, … sofern ihre einheitliche Wirkung in dem … Register für den einheitlichen Patentschutz eingetragen wurde“. Auch aus den Erläuterungen zum rechtlichen Ansatz (Ziffer 1.2) wird klar, dass sich der neue Vorschlag – anders als der Vorschlag aus dem Jahr 2000 – auf das bereits bestehende Europäische Patentsystem stützt. Ein EU-Patent ist immer ein EP im Sinne des EPÜ.

Um die Einheitlichkeit des Schutzrechts sicherzustellen, sieht Art. 4 Ziff. 2 des Entwurfs vor, dass die teilnehmenden Mitgliedsstaaten die notwendigen Maßnahmen ergreifen um sicherzustellen, dass am Tag der Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung des EP im Europäischen Patentblatt die Wirkung eines EPs als nationales Patent als noch nicht eingetreten gelten, wenn die einheitliche Wirkung eingetragen wurde.

Das Dilemma besteht darin, dass diese Verpflichtung EPÜ-Regelungen widerspricht. So gewährt nach Art. 64 Abs.1 EPÜ das EP seinem Inhaber ab dem Tag der Bekanntmachung des Erteilungshinweises (vorbehaltlich der Übersetzungserfordernisse des Art. 64 Abs. 2 EPÜ) dieselben Rechte wie ein nationales Patent. Nach Art. 4 Ziff. 2 des Entwurfs soll durch nationalstaatliche Regelungen sichergestellt werden, dass diese nationalen Wirkungen nicht eintreten. Soll Art. 64 EPÜ einfach dadurch ausgehebelt werden können, dass durch nationales Recht fingiert wird, dass der Hinweis auf die Erteilung eines EPs als nicht veröffentlicht gilt, wenn es sich um ein EP mit einheitlicher Wirkung handelt?

Um die Problematik zusammenzufassen:
– Alle Mitgliedsstaaten, für die das EU-Patent potenziell Geltung haben kann, sind EPÜ-Vertragsstaaten.
– Der Verordnungsentwurf sieht vor, dass das EU-Patent als Europäisches Patent im Sinne des EPÜ erteilt wird. Als einziger – verfahrensrechtlicher – Unterschied erfolgt eine Eintragung der einheitlichen Wirkung in einem separaten Register (Art. 12 Ziff. 1 (b) des Verordnungsentwurfs).
– Obwohl die Mitgliedsstaaten als EPÜ-Vertragsstaaten verpflichtet sind, dem erteilten Patent in ihrem Hoheitsgebiet dieselbe Wirkung zuzuerkennen wie einem nationalen Patent, sollen nach Art. 4 Ziff. 2 des Verordnungsentwurfs die Mitgliedsstaaten durch nationale Regelungen sicherstellen, dass das EP, für das einheitliche Wirkung eingetragen wird, anders behandelt wird als ein EP, für das keine einheitliche Wirkung eingetragen wird.

Es ist dem Verfasser dieses Artikels unklar, wie Art. 4 Ziff. 2 des Verordnungsentwurfs realisiert werden kann, ohne dass die Mitgliedsstaaten gegen ihre vertraglichen Verpflichtungen aus dem EPÜ (insbesondere Art. 64 Abs. 1 EPÜ) verstoßen müssten.

Möglich erscheint eine Verpflichtung der EU-Mitgliedsstaaten, auf eine entsprechende Änderung des EPÜ hinzuwirken. Dabei würde jedoch wieder das Problem bestehen, dass die Verwirklichung des EU-Patents durch die erforderliche Revision des EPÜ lange verzögert oder durch einzelne Staaten blockiert werden könnte.

Es scheint also auch neben der Übersetzungsproblematik sehr wesentliche Probleme zu geben, die dem EU-Patent noch im Weg stehen.

Nur als Randnotiz sei angemerkt, dass die deutschsprachige Fassung des Entwurfs nur mit Vorsicht zu Rate gezogen werden sollte. So ist beispielsweise Artikel 5 mit „Prioritätsrecht“ überschrieben. Die Regelung bezieht sich aber ganz offensichtlich nicht auf das Prioritätsrecht, sondern auf das Verhältnis zu älteren Rechten (wie dies in der englischsprachigen Fassung zutreffend angegeben ist).

BGH, X ZR 72/08 – kosmetisches Sonnenschutzmittel III

BGH, Urteil vom 1. März 2011 – X ZR 72/08 – kosmetisches Sonnenschutzmittel III

Amtliche Leitsätze:

a) Als Ausgangspunkt für die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit ist nicht ausschließlich auf die der Beschreibung des Streitpatents zu entnehmende „Aufgabe“ abzustellen; es ist vielmehr auch zu erwägen, ob die Bewältigung eines zum Aufgabenkreis des Fachmanns gehörenden (anderen) Problems dessen Lösung nahegelegt hat (Fortführung von BGH, Urteil vom 12. Februar 2003 – X ZR 200/99, GRUR 2003, 693 – Hochdruckreiniger).

b) Der Patentanspruch, auf den das Europäische Patentamt im europäischen Beschränkungsverfahren (Art. 105a, Art. 105b EPÜ) das Patent beschränkt hat, kann im Nichtigkeitsverfahren mangels eines einschlägigen Nichtigkeitsgrunds ebenso wenig auf das Erfordernis der Klarheit (Art. 84 EPÜ) geprüft werden wie die Patentansprüche des erteilten Patents.

Keine Dringlichkeit für Beweissicherungsverfügung erforderlich

Das OLG Düsseldorf hat in einer Entscheidung zum Urheberrecht (I-20 W 32/10) nunmehr erkannt, dass der Antrag auf Erlass einer Besichtigungsverfügung nicht deswegen zurückgewiesen werden kann, weil der Antragsteller mit Stellung des Antrags zugewartet hat. Das OLG Düsseldorf weicht damit von der entgegenstehenden Ansicht des OLG Köln (6 W 3/09) ab.

Das OLG Düsseldorf begründet seine Auffassung damit, dass eine Prüfung, ob ein Verfügungsgrund vorliegt, aufgrund einer Abwägung im Einzelfall zu erfolgen habe. Wann ein Verfügungsgrund vorliegt, sei verfahrensbezogen zu prüfen. Das OLG Düsseldorf führt sehr überzeugend aus, warum die für die Unterlassungsverfügung geübte Praxis, dass mit längerem Zuwarten mit der Rechtsverfolgung der Antragsteller zum Ausdruck bringt, ihm selbst sei die Sache nicht dringlich, weswegen für ihn dann auch der Verfügungsgrund verneint wird, nicht für das Beweissicherungsverfahren gilt.

Der Gesichtspunkt der Dringlichkeit treffe vielmehr nur dann zu, wenn das besondere Interesse an der Verfahrensart des einstweiligen Verfügungsverfahrens gerade in dem schnellen Erlangen eines Titels liegt.

Hingegen sei das besondere Interesse, das den Erlass einer Verfügung rechtfertigt, im Fall einer Beweissicherungsmaßnahme (hier: § 101 Abs. 3 UrhG)– anders als bei der Unterlassungsverfügung -, den Antragsgegner nicht durch eine Beteiligung am Verfahren in die Lage zu versetzen, die zu sichernden Beweismittel zu vernichten. Es bedürfe des Verfügungsverfahrens zur Beweissicherung, weil nur dieses Verfahren die Anordnung von Maßnahmen ohne Beteiligung des Gegners ermöglicht. Anders als im Falle etwa der Unterlassungsverfügung könne der Antragsteller hier im Fall fehlender Eilbedürftigkeit nicht auf den Klageweg verwiesen werden. Denn würde der Besichtigungsschuldner vorgewarnt, bestünde die Gefahr, dass der Antragsteller seinen Anspruch gar nicht mehr durchsetzen kann. Die Verneinung des Vorliegens des Verfügungsgrundes wegen längeren Zuwartens würde damit zur endgültigen Verweigerung des Besichtigungsanspruchs führen.

Aus diesen Erwägungen folgert das OLG Düsseldorf, dass unabhängig von einer zeitlichen Komponente bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 101a Abs. 3 UrhG auch ein Verfügungsgrund gegeben ist, es sei denn, eine Beseitigung von Beweismitteln sei ausnahmsweise ausgeschlossen.

Wenngleich in dem Verfahren vor dem OLG Düsseldorf eine Urheberrechtssache im Streit stand, dürften diese Überlegungen des OLG Düsseldorf auch für Beweissicherungsverfahren im Gebiet des Patentrechts zutreffen und für künftige Beweissicherungsverfahren zur Vorbereitung von Patentverletzungsklagen wichtig werden.

BPatG, 3 Ni 2/09- Lysimeterstation: Vertretung der Patentgemeinschaft

BPatG, Urt. v. 21. Februar 2011 – 3 Ni 2/09 – Lysimeterstation

Amtlicher Leitsatz:

Die für Prozesshandlungen geltende Vertretungsfiktion des § 62 Abs. 1 ZPO – hier für die in der mündlichen Verhandlung nicht erschienene Patentmitinhaberin als gemeinsam Beklagte im Nichtigkeitsverfahren – umfasst auch eine beschränkte Verteidigung des Streitpatents durch die weiteren, erschienenen Patentmitinhaber als notwendige Streitgenossen mittels abweichender Anträge.

Aus der Urteilsbegründung:

Im Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht gilt die Mitinhaberin, für die in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist, nach § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 62 Abs 1 ZPO als von den patentanwaltlich vertretenen übrigen Mitinhaberinnen vertreten.

Im Hinblick auf die gesetzgeberische Absicht, eine einheitliche  – nicht nur gemeinsame  – Entscheidung zu ermöglichen umfasst die Vertretungsfiktion des § 62 Abs. 1 ZPO bei Termin- oder Fristversäumnis das gesamte mündliche Vorbringen und alle Prozesserklärungen der anwesenden Streitgenossen (Gesamtwirkung) – mag dieses Vorbringen und die Anträge dem Abwesenden günstig gewesen sein oder nicht, ohne dass es auf einen tatsächlichen Vertretungswillen ankommt. Dies gilt auch für die nach § 90 Abs. 3 PatG in der mündlichen Verhandlung zu stellenden Anträge, wenn diese eine beschränkte Verteidigung des Streitpatents beinhalten.