Internationale Zuständigkeit bei Patentverletzung: EuGH Solvay

Die beiden Entscheidungen des EuGH aus dem Jahr 2006, die sich mit Fragen der internationalen Zuständigkeit (damals noch nach dem EuGVÜ) für Patentrechtsstreitigkeiten auseinandersetzten (Urteil vom 13. Juli 2006, C‑539/03, Slg. 2006, I‑6535 –„Roche Nederland“; Urteil vom 13. Juli 2006, C‑4/03, Slg. 2006, I‑6509 – „GAT“) haben in den Fachkreisen teils Enttäuschung, teils sogar starke Kritik hervorgerufen (siehe Adolphsen, Europäisches und Internationales Zivilprozessrecht in Patentsachen, 2. Auflage 2009; Rauscher, Europäisches Ziviliprozess- und Kollisionsrecht. EuZPR/EuIPR. 2. Aufl. Bearbeitung 2011, siehe z.B. Kommentierung zu Art. 6 Ziff. 8b; jeweils m.w.N.).

Zur Erinnerung:
– Nach der „Roche Nederland“-Entscheidung soll eine den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO eröffnende Konnexität zwischen Klagen dann nicht gegeben sein, wenn unterschiedliche Patentverletzer dieselbe Handlung in jeweils unterschiedlichen EPÜ-Vertragsstaaten vornehmen. Nach der „Roche Nederland“-Entscheidung gilt dies sogar bei „Spider-in-the-web“-Konstellationen, bei denen ein Konzernunternehmen die Handlungen der anderen Patentverletzer koordiniert.
– Nach der „GAT“-Entscheidung hat die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Schutzrechtsstaats nach Art. 22 Nr. 4 EuGVVO unabhängig davon zu gelten, wie der verfahrensrechtliche Rahmen beschaffen ist, in dem sich die Frage der Gültigkeit eines Patents stellt, also unabhängig davon, ob dies (wider)klage- oder einredeweise geschieht.

Das Urteil vom 12.7.2012 in der Rechtssache Solvay (C-616/10) enthält hingegen gute Kunde für Patentinhaber.

1. Zu Art. 6 Nr. 1 EuGVVO: Der EuGH stellt klar, dass eine Anwendung des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft (Art. 6 Nr. 1 EuGVVO) dann nicht ausgeschlossen ist, wenn mehrere in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten ansässige Patentverletzer dieselbe Verletzungshandlung (z.B. Vertrieb eines patentverletzenden Gegenstands) in demselben Mitgliedsstaat vornehmen.
Dies führt dazu, dass ein Patentverletzer (Unternehmen A), der in einem Mitgliedsstaat der EU ansässig ist, auch vor Gerichten eines anderen Mitgliedsstaats verklagt werden kann, der weder sein Sitzstaat noch der Staat ist, in dem er die patentverleztenden Handlungen vornimmt. Dies nämlich dann, wenn ein weiterer Patentverletzer (Unternehmen B) in eben diesem Staat seinen Sitz hat und die patentverletzende Handlung in demselben Staat vornimmt wie der Patentverletzer (Unternehmen A). Relevant ist diese Konstellation also in den Fällen, in denen die beiden Patentverletzer in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten ihren Sitz haben und die patentverletzende Handlung in einem davon verschiedenen Staat vornehmen. Eine Klage am Gerichtsstand der Streitgenossenschaft sollte jedenfalls dann in Betracht kommen, wenn beide Unternehmen die patentverleztenden Handlungen koordiniert vornehmen.

In seinen Anmerkungen zum Solvay-Urteil in GRUR 2012, 1110 weist H. Schacht darauf hin, dass das Solvay-Urteil auch die Konsequenz haben könnte, dass sich ein Patentverletzer (Unternehmer A), der nicht koordiniert mit dem weiteren Patentverletzer (Unternehmen B) handelt und von dessen Aktivitäten möglicherweise gar nichts weiß, auf einmal einer (zulässigen) Klage im Sitzstaat des Unternehmens B ausgesetzt sehen könnte, obwohl dieser weder der Sitzstaat des Unternehmens A noch der Staat, in dem das Unternehmen A die patentverletzende Handlungen vornimmt, ist. Schacht schlägt vor, die subjektive Kenntnis des Patentverletzers (Unternehmen A) von der Tätigkeit des weiteren Patentverletzers (Unternehmen B) als weiteres Merkmal für die Anwendung von Art. 6 Nr. 1 EuGVVO zu fordern.

Fraglich dürfte derzeit sein, wie weit die Kognitionsbefugnis des Gerichts am Gerichtsstand der Streitgenossenschaft reicht (d.h. ob dieses nur für diejenigen Verletzungshandlungen eines Patentverletzers kognitionsbefugt ist, die in demselben Staat stattgefunden haben wie die Handlungen des weiteren Patentverletzers, in dessen Sitzstaat die Klage erhoben wird).

2. Zu Art. 22 Nr. 4 EuGVVO: Der EuGH führt aus, dass die „GAT“-Entscheidung einer durch Art. 31 EuGVVO begründeten Zuständigkeit eines anderen Gerichts als dem des Schutzrechtsstaats für Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes nicht entgegensteht.

Begründet wird dies damit, dass eine „Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ersichtlich nicht [besteht], da die vorläufige Entscheidung des im Zwischenverfahren angerufenen Richters in keiner Weise der Entscheidung vorgreift, die das nach Art. 22 Nr. 4 der Verordnung Nr. 44/2001 zuständige Gericht in der Hauptsache zu treffen hat.“ (Solvay-Urteil, Rz. 50).

Für die Praxis bedeutet dies, dass in einem Fall, wie er beispielsweise dem GAT/LuK-Verfahren zugrunde lag, das deutsche Verletzungsgericht für den Erlass einstweiliger Verfügungen wegen Verletzung eines anderen nationalen Teils eines Europäischen Patents (z.B. des französischen Teils) international zuständig wäre.

Falls natürlich das oben genannte und vom EuGH angeführte Kriterium maßgeblich sein soll, dass „die vorläufige Entscheidung des im Zwischenverfahren angerufenen Richters in keiner Weise der Entscheidung vorgreift“, die nach Art. 22 Nr. 4 EuGVVO den Gerichten des Schutzrechtsstaates vorbehalten ist, könnte dies auch für die Anwendung des Art. 22 Nr. 4 EuGVVO in Hauptsacheverfahren Bedeutung gewinnen. So hat beispielsweise der nur einredeweise (und nicht widerklageweise) erhobene Einwand der Nichtigkeit des Patents im Verletzungsverfahren vor englischen Gerichten nur Wirkung inter partes. Auch in einem solchen Fall könnte also argumentiert werden, dass die Entscheidung eines deutschen Verletzungsgerichts über den einredeweise erhobenen Nichtigkeitseinwand betreffend den englischen Teil eines Europäischen Patents in keiner Weise der Entscheidung vorgreift über die Nichtigerklärung erga omnes vorgreift, die nach Art. 22 Nr. 4 EuGVVO englischen Gerichten vorbehalten wäre.

BGH, X ZR 110/11 – Vorausbezahlte Telefongespräche II

BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2012 – X ZR 110/11 – Vorausbezahlte Telefongespräche II

Amtlicher Leitsatz:

Übereinstimmende und nicht offensichtlich unzutreffende Angaben der Parteien im erstinstanzlichen Verfahren zum Streitwert des Patentverletzungsverfahrens sind ein widerlegbares Indiz für den wirtschaftlichen Wert des Klagebegehrens.

BPatG, 30 W (pat) 40/11 – Aus Akten werden Fakten: zur Markenfähigkeit eines Werbeslogans

BPatG, Urteil v. 5. Juli 2012 – 30 W (pat) 40/11 – Aus Akten werden Fakten

Amtlicher Leitsatz:

Ein von Hause aus unterscheidungskräftiger Werbespruch kann nicht als Marke geschützt werden, wenn er im Zeitpunkt der Entscheidung über die Eintragung zu einem branchenüblichen Werbemittel geworden ist.

BPatG, 10 W (pat) 701/09 – Folienbeutelaufdrucke

BPatG, Urteil v. 21. August 2012 – 10 W (pat) 701/09 – Folienbeutelaufdrucke

Amtlicher Leitsatz:

Ein angemeldetes Muster, das nahezu ausschließlich aus der Abbildung einer 100 Euro-Banknote besteht, ist wegen missbräuchlicher Benutzung eines Hoheitszeichens bzw. sonstigen Zeichens von öffentlichem Interesse nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 GeschmMG vom Geschmacksmusterschutz ausgeschlossen. Der mögliche Gebrauchszweck des Musters (hier: Aufdruck auf Folienbeutel, der zur Aufnahme von Flüssigkeiten bestimmt ist) ist, auch wenn hierdurch ein hinreichender Abstand zum hoheitlichen Zeichen gewahrt wäre, bei der Frage der Missbräuchlichkeit nicht zu berücksichtigen, soweit dieser nicht im Muster selbst abgebildet ist.

BGH, X ZR 137/09 – Sachverständigenablehnung VI

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&az=X%20ZR%20137/09&nr=62036

Amtlicher Leitsatz:

Der Anschein nicht vollständiger Unvoreingenommenheit kann begründet sein, wenn der Sachverständige in einer wirtschaftlichen Verbindung zu einer der Parteien steht. Nimmt der Sachverständige einen Gutachtenauftrag eines Dritten an, der seinerseits in einem Beratungsverhältnis zu einer der Parteien steht, kommt dies nur unter engen Voraussetzungen in Betracht.

BGH, I ZR 145/11 – Fluch der Karibik

BGH, Urteil vom 10. Mai 2012 – I ZR 145/11 – Fluch der Karibik

Amtliche Leitsätze:

a) Dem Urheber kann ein grob fahrlässiges Verhalten im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht allein aufgrund fehlender Marktbeobachtung angelas-tet werden.

b) Hat der Urheber aufgrund nachprüfbarer Tatsachen klare Anhaltspunkte für einen Anspruch nach § 32a Abs. 2 Satz 1 UrhG, kann er diesen Anspruch aber noch nicht beziffern, weil er hierzu noch Angaben des Dritten benötigt, gegen den sich der Anspruch richtet, ist ihm regelmäßig die Erhebung einer Stufenklage zuzumuten, um die Verjährung zu hemmen.

c) Die Synchronisationsleistungen eines Synchronsprechers für die Person eines Hauptdarstellers eines Kinofilms sind üblicherweise nicht derart marginal, dass der Anwendungsbereich des § 32a UrhG generell ausgeschlossen ist.

OLG, 6 U 126/11: Recht zur Inanspruchnahme einer Diensterfindung

OLG Karlsruhe Urteil vom 26.9.2012, 6 U 126/11

Amtlicher Leitsatz:

Das Recht zur Inanspruchnahme einer Diensterfindung ist kein Anwartschaftsrecht, sondern ein Recht eigener Art. Es handelt sich dabei um ein höchstpersönliches Recht des Arbeitgebers, das als solches nicht übertragbar, verpfändbar oder pfändbar ist, und damit nicht in die Insolvenzmasse fällt.

BGH, Mitteilung der Pressestelle Nr. 193/2012, Haftung von Eltern für illegales Filesharing ihrer minderjährigen Kinder

BGH, Mitteilung der Pressestelle Nr. 193/2012, Haftung von Eltern für illegales Filesharing ihrer minderjährigen Kinder zu BGH, Urteil vom 15. November 2012 – I ZR 74/12 – Morpheus

Laut Pressemitteilung hat der I. Zivilsenat entschieden:

Eltern haften für das illegale Filesharing eines 13-jährigen Kindes grundsätzlich nicht, wenn sie das Kind über das Verbot einer rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen belehrt hatten und keine Anhaltspunkte dafür hatten, dass ihr Kind diesem Verbot zuwiderhandelt.

Eltern genügen ihrer Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes 13-jähriges Kind, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig bereits dadurch, dass sie das Kind über das Verbot einer rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen belehren. Eine Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internet durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren, besteht grundsätzlich nicht. Zu derartigen Maßnahmen sind Eltern erst verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte für eine rechtsverletzende Nutzung des Internetanschlusses durch das Kind haben.