BGH, X ZR 172/18 – Truvada

BGH, Urteil vom 22. September 2020 – X ZR 172/18 – Truvada

Amtliche Leitsätze:

Das nach Ablauf der Schutzdauer eines ergänzenden Schutzzertifikats erforderliche Rechtsschutzinteresse für eine Nichtigkeitsklage liegt vor, wenn nicht auszuschließen ist, dass der Kläger aufgrund von Handlungen eines mit ihm verbundenen Unternehmens wegen Verletzung des Zertifikats in Anspruch genommen wird.

Die Kombination zweier Wirkstoffe wird in der Regel nicht von einem Patent geschützt, das in einem seiner Patentansprüche einen der beiden Wirkstoffe nur als optionalen Bestandteil vorsieht.

Dem Erfordernis, dass ein Wirkstoff nach dem Stand der Technik bei der Einreichung oder am Prioritätstag des Grundpatents in spezifischer Weise identifizierbar sein muss, wird nicht genügt, wenn er weder nach seiner Struktur noch nach seiner Funktion näher bestimmt ist.

Aus der Urteilsbegründung:

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist ein Patentanspruch, der ein Merkmal nur optional vorsieht, nicht ohne weiteres gleichbedeutend mit einer Abfolge von zwei Patentansprüchen, von denen der erste einen bestimmten Gegenstand ohne das in Rede stehende Merkmal und der zweite denselben Gegenstand mit diesem Merkmal schützt.

Aus einer solchen Abfolge von Patentansprüchen kann im Einzelfall zu entnehmen sein, dass das Patent als besondere Ausgestaltung auch eine Ausführungsform schützt, bei der das in Rede stehende Merkmal zwingend verwirklicht ist. Ein Anspruch, der ein Merkmal ausdrücklich als optional bezeichnet, bringt hingegen in der Regel zum Ausdruck, dass diesem Merkmal für die Erfindung gerade keine Bedeutung zukommt. Besondere Anhaltspunkte, die im Streitfall zu einer abweichenden Beurteilung führen könnten, sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.

BGH, X ZR 150/18 – Pemetrexed II

BGH, Urteil vom 7. Juli 2020 – X ZR 150/18 – Pemetrexed II

Amtliche Leitsätze:

Im Patentnichtigkeitsverfahren ist eine Nebenintervention auf Seiten des Klägers in der Berufungsinstanz nicht deshalb unzulässig, weil der Nebenintervenient das Patent mit einer weiteren Nichtigkeitsklage angreift, über die das Patentgericht noch nicht entschieden hat.

Ob für das Beschreiten eines Lösungswegs eine angemessene Erfolgserwartung besteht, ist jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung des in Rede stehenden Fachgebiets, der Größe des Anreizes für den Fachmann, des erforderlichen Aufwands für das Beschreiten und Verfolgen eines bestimmten Ansatzes und der gegebenenfalls in Betracht kommenden Alternativen sowie ihrer jeweiligen Vor- und Nachteile zu bestimmen (Bestätigung von BGH, Urteil vom 16. April 2019 – X ZR 59/17, GRUR 2019, 1032 – Fulvestrant).

BGH, X ZR 90/18 – Signalübertragungssystem

BGH, Beschluss vom 13. Juli 2020 – X ZR 90/18 – Signalübertragungssystem

Amtlicher Leitsatz:

Das nach Ablauf der Schutzdauer eines Patents erforderliche Rechtsschutzinteresse für eine Patentnichtigkeitsklage ist nur dann zu verneinen, wenn eine Inanspruchnahme aus dem Schutzrecht ernstlich nicht mehr in Betracht kommt (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 14. Februar 1995 – X ZB 19/94, GRUR 1995, 342 f. – Tafelförmige Elemente).

BGH, X ZR 42/17 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung III

BGH, Teilversäumnis- und Schlussurteil vom 7. Juli 2020 – X ZR 42/17 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung III

Amtliche Leitsätze:

a) Erfolgt eine Schutzrechtsverwarnung teilweise zu Recht, geht sie aber ihrem Umfang nach über das hinaus, was der Rechtsinhaber berechtigterweise fordern kann, liegt darin kein Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, wenn das zu Unrecht beanstandete Verhalten vom Verwarnten nach den gesamten Umständen vernünftigerweise nicht zu erwarten ist.

b) Soweit die an einen Abnehmer gerichtete Schutzrechtsverwarnung unberechtigt ist, liegt darin kein Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Herstellers, wenn ih

BVerfG, 2 BvR 739/17: Verfassungswiedrigkeit des EPGÜ-ZustG

BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 13. Februar 2020 – 2 BvR 739/17

Leitsätze:

Aus der Entscheidungsbegründung:

Das EPGÜ-ZustG überträgt Hoheitsrechte [→ Übertragung von Hoheitsrechten] auf das Einheitliche Patentgericht, steht in einem Ergänzungs- oder sonstigem besonderen Näheverhältnis zum Integrationsprogramm der Europäischen Union und bewirkt der Sache nach eine materielle Verfassungsänderung. Es ist vom Bundestag jedoch nicht mit der gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 3 [→ Übertragung von Hoheitsrechten] in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 GG erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen worden und verletzt den Beschwerdeführer daher in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 [→ Wahlrecht zum deutschen Bundestag] in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 [→ Grundsatz der Volkssouveränität] und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG (e).

Das EPGÜ findet im Primärrecht einen unmittelbaren Anknüpfungspunkt in Art. 262 AEUV. Dieser macht deutlich, dass die Schaffung einer unionalen Rechtsprechungszuständigkeit im Bereich des Patentrechts von den Mitgliedstaaten gewollt, vom Integrationsprogramm allerdings noch nicht umfasst ist. Insoweit sieht Art. 262 AEUV eine Übertragung der Rechtsprechungszuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten über europäische Rechtstitel für das geistige Eigentum auf den Gerichtshof vor, bindet diese jedoch an einen einstimmigen Ratsbeschluss (Satz 1) und an eine Ratifikation durch die Mitgliedstaaten (Satz 2). Für beides gab es bislang keine ausreichende Unterstützung. Unabhängig von der Frage, ob eine Errichtung des Einheitlichen Patentgerichts auf völkerrechtlicher Grundlage diese Vorgabe des Art. 262 AEUV unterläuft, zeigt die Bestimmung doch, dass das Einheitliche Patentgericht nur ein funktionales Äquivalent für eine „richtige“ unionale Patentgerichtsbarkeit sein soll.3) [→ Verhälnis des EPGÜ zum Unionsrecht]

BGH, Urteil vom 19. März 2019 – X ZR 11/17 – Bitratenreduktion II

BGH, Urteil vom 19. März 2019 – X ZR 11/17 – Bitratenreduktion II

Amtlicher Leitsatz:

Wird im Patentnichtigkeitsverfahren die Vorwegnahme der Erfindung oder ein Hinweis auf die technische Lehre des Streitpatents aus einem einzelnen technischen Gesichtspunkt hergeleitet, der in einer Entgegenhaltung dargestellt ist, darf bei der Prüfung des Offenbarungsgehalts der Entgegenhaltung zur Vermeidung einer rückschauenden Betrachtungsweise grundsätzlich nicht dieser einzelne technische Gesichtspunkt isoliert in den Blick genommen werden; maßgeblich ist vielmehr der technische Sinngehalt, der ihm im Zusammenhang mit dem gesamten Inhalt der Entgegenhaltung zukommt.

 

BGH, Urteil vom 16. April 2019 – X ZR 59/17, Fulvestrant

BGH, Urteil vom 16. April 2019 – X ZR 59/17, Fulvestrant

Amtliche Leitsäte:

a) Ob das Beschreiten eines Lösungswegs für den Fachmann naheliegt, kann auch von der damit verbundenen Erfolgserwartung abhängen. Die Anforderungen an eine angemessene Erfolgserwartung lassen sich nicht allgemeingültig formulieren, sondern sind jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung des in Rede stehenden Fachgebiets, der Größe des Anreizes für den Fachmann, des erforderlichen Aufwands für das Beschreiten und Verfolgen eines bestimmten Ansatzes und der gegebenenfalls in Betracht kommenden Alternativen sowie ihrer jeweiligen Vor- und Nachteile zu bestimmen (Bestätigung von BGH, Urteil vom 19. April 2016 – X ZR 148/11, GRUR 2016, 1027 – Zöliakiediagnoseverfahren; Urteil vom 15. Mai 2012 – X ZR 98/09, GRUR 2012, 803 – Calcipotriol-Monohydrat; Urteil vom 10. September 2009 – Xa ZR
130/07, GRUR 2010, 123 – Escitalopram).

b) Bei der Entwicklung einer Formulierung für einen Humanarzneimittelwirkstoff ist in der Regel nicht maßgeblich, ob der Fachmann erwarten kann, ein für eine klinische Studie geeignetes Ergebnis zu finden. Eine angemessene Erfolgserwartung kann sich vielmehr schon aus der Möglichkeit ergeben, Wirksamkeit und Verträglichkeit einer Formulierung in einem Tierversuch mit hinreichendem Vorhersagewert für die therapeutische Verwendung beim Menschen zu verifizieren.

BGH, X ZB 2/19 – Alirocumab

BGH, Urteil vom 4. Juni 2019 – X ZB 2/19 – Alirocumab

Amtliche Leitsätze:

a) In welchem Umfang und über welchen Zeitraum sich der Lizenzsucher um eine Lizenz zu angemessenen und üblichen Bedingungen bemühen muss, hängt auch von der Reaktion des Patentinhabers ab. Weiterer Bemühungen bedarf es in der Regel nicht, wenn der Patentinhaber die Zustimmung zur Benutzung der Erfindung schlechthin verweigert. Hierfür reicht es jedoch nicht aus, wenn der Patentinhaber erklärt, die Vergabe einer Lizenz zwar grundsätzlich abzulehnen, unter außergewöhnlichen Umständen aber zu erwägen.

b) Ein die Erteilung einer Zwangslizenz für ein Arzneimittel gebietendes öffentliches Interesse kann zu bejahen sein, wenn durch nach anerkannten Grundsätzen der Biostatistik signifikante Ergebnisse einer klinischen Studie nachgewiesen ist, dass der Wirkstoff des Arzneimittels bei der Behandlung schwerer Erkrankungen therapeutische Eigenschaften aufweist, die für andere auf dem Markt erhältliche Mittel nicht oder nicht in demselben Maße belegt sind, insbesondere durch die Behandlung das Risiko des Patienten gesenkt wird, infolge der Erkrankung zu versterben, oder wenn solche überlegenen Eigenschaften auf andere Weise nachgewiesen werden (Fortführung von BGH, Urteil vom 5. Dezember 1995 – X ZR 26/92, BGHZ 131, 247 – Interferon-gamma, und Urteil vom 11. Juli 2017 – X ZB 2/17, BGHZ 215, 214 –
Raltegravir).

BGH, X ZR 14/17 – Drahtloses Kommunikationsnetz

BGH, Urteil vom 4. September 2018 – X ZR 14/17 – Drahtloses Kommunikationsnetz

Amtliche Leitsätze:

a) Die Wirksamkeit der Überleitung der Rechte an einer Erfindung durch Inanspruchnahme als Diensterfindung durch den Arbeitgeber richtet sich nach dem Arbeitsstatut.

b) Welche Rechte und Pflichten der Vertragsparteien sich aus einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung über die Übertragung eines Prioritätsrechts ergeben, ist nicht nach dem für die Erstanmeldung maßgeblichen Recht zu beurteilen, sondern nach dem Vertragsstatut. Wird die Vereinbarung zwischen dem Diensterfinder und seinem Arbeitgeber getroffen, entspricht das Vertragsstatut regelmäßig dem Arbeitsstatut.

c) Eine technische Lehre, die der Öffentlichkeit dadurch zugänglich gemacht wird, dass sie auf einen Webserver hochgeladen und über das Internet allgemein oder einem Teil der Fachöffentlichkeit weltweit verfügbar gemacht wird, bildet nicht bereits dann Stand der Technik, wenn zum Zeitpunkt des Hochladens in einer andern Zeitzone als derjenigen des Ortes des Hochladens der Prioritäts- oder Anmeldetag noch nicht angebrochen war.