BPatG, 3 ZA (pat) 6/12 – Doppelvertretungskosten im Nichtigkeitsverfahren VI

BPatG, Entsch. v. 7. Mai 2012, 3 ZA (pat) 6/12 zu 3 Ni 2/09 – Doppelvertretungskosten im Nichtigkeitsverfahren VII:

Amtlicher Leitsatz:

Soweit im Nichtigkeitsverfahren die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts wegen eines zeitgleich anhängigen, das Streitpatent betreffenden Verletzungsverfahren als notwendig angesehen wird, kann diese Wertung jedenfalls dann nicht auf ein paralleles Verfügungsverfahren übertragen werden, wenn sich Verfügungs- und Nichtigkeitsverfahren nur kurz zeitlich überschneiden. Ein spezieller Abstimmungsbedarf, etwa hinsichtlich der Auswirkungen einer beschränkten Verteidigung des Patents auf das Verletzungsverfahren, der die Notwendigkeit einer Doppelvertretung im Nichtigkeitsverfahren begründen könnte, ist in diesem Fall nicht gegeben.

EPA, T 2334/11: Änderung auf nicht recherchierte Gegenstände

EPA, Beschwerdekammerentscheidung T 2334/11 vom 24.5.2012

Aus der Entscheidungsbegründung:

Aus der Tatsache, dass ein Merkmal in dem Anspruchssatz, der der Recherche zugrunde lag, nicht enthalten war, folgt nicht zwangsläufig, dass das Merkmal nicht recherchiert wurde (vgl. Entscheidung T 708/00 (ABl. EPA 2004, 160), Entscheidungsgründe, Nr. 4, T 377/01, Nr. 3.1, und T 789/07, Nr. 5.2). So wird in Artikel 92 (1) des zum Zeitpunkt der Recherche anwendbaren EPÜ 1973 – bei einer internationalen Anmeldung wie der vorliegenden i. V. mit Artikel 157 EPÜ 1973 – verlangt, dass der Recherchenbericht „auf der Grundlage der Patentansprüche unter angemessener Berücksichtigung der Beschreibung“ zu erstellen ist, und in den Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt – in der heutigen wie auch in der zum Recherchenzeitpunkt einschlägigen Fassung – wird ausgeführt, dass die Recherche „grundsätzlich den gesamten Gegenstand erfassen [sollte], auf den die Ansprüche gerichtet sind oder auf den sie einer vernünftiger Annahme zufolge nach einer Anspruchsänderung gerichtet werden könnte“ (Richtlinien, Teil B, Kapitel III, 3.5).

Bei der Änderung eines ursprünglichen Anspruchs durch das Hinzufügen eines Merkmals bei Anwendung der Regel 137 (5) EPÜ ist grundsätzlich zu untersuchen, ob sich das hinzugefügte Merkmal der ursprünglichen allgemeinen erfinderischen Idee, so wie diese aus den ursprünglich eingereichten Ansprüchen und der Beschreibung hervorgeht, unterordnen lässt (siehe Entscheidung T 1640/07, Nr. 5), und nicht – wie von der Prüfungsabteilung unterstellt -, ob der ursprünglich beanspruchte Gegenstand und der in dem geänderten Anspruch definierte Gegenstand einer a posteriori vorgenommenen Beurteilung der Einheitlichkeit der Erfindung standhalten (vgl. T 708/00, supra, Nr. 5 bis 8 und 16, und T 274/03, Nr. 6). Wäre ein solcher a posteriori-Ansatz – d.h. ein Ansatz unter Berücksichtigung der Patentierbarkeit des ursprünglich beanspruchten Gegenstandes gegenüber dem durch die Recherche aufgefundenen Stand der Technik – bei der Anwendung der Regel 137 (5) EPÜ zu grunde zu legen, so hätte dies zur Folge, dass wenn z.B. der ursprüngliche Anspruch 1 gegenüber dem Stand der Technik – wie es in der vorliegenden Sache nach Meinung der Prüfungsabteilung der Fall ist – nicht neu wäre, jede Einschränkung des ursprünglich beanspruchten Gegenstandes auf der Basis eines nicht recherchierten Merkmals unmittelbar zu beanstanden wäre, weil aufgrund der mangelnden Neuheit des ursprünglichen Anspruchs 1 der Gegenstand des geänderten Anspruchs mit der ursprünglich beanspruchten Erfindung unweigerlich durch keine erfinderische Idee zu verbinden wäre. Dies entspräche nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammer jedoch weder dem Sinn noch dem beabsichtigten Zweck der Regel 137 (5) EPÜ (vgl. T 708/00, supra, Nr. 4 bis 8 und 16, T 274/03, Nr. 4 bis 6, T 915/03, Nr. 4, T 141/04, Nr. 5.2 und 5.3, und T 1394/04, Nr. 4). Vielmehr hat sich die Rechtsprechung zur Anwendbarkeit der Regel 137 (5) EPÜ (früher Regel 137 (4) EPÜ bzw. Regel 86 (4) EPÜ 1973) u. a. daran orientiert, dass während Änderungen eines beanspruchten Gegenstands, die das Wesen oder die Natur der Erfindung – insbesondere durch das Ersetzen bzw. das Weglassen von Merkmalen in einem Anspruch, vgl. T 442/95, Nr. 5 und 6, und T 274/07, Nr. 3 – erheblich verändern, Anlass zu einer Beanstandung nach Regel 137 (5) EPÜ geben können, die bloße Einschränkung bzw. die Konkretisierung oder Ergänzung eines Anspruchs durch Aufnahme eines in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbarten Merkmals – um z. B. einem Einwand fehlender Klarheit bzw. mangelnder Neuheit oder erfinderischer Tätigkeit zu begegnen – in der Regel nicht zu einem Mangel an Einheitlichkeit mit der ursprünglich beanspruchten Erfindung im Sinne von Regel 137 (5) EPÜ führt (vgl. T 708/00, supra, Entscheidungsgründe, Nr. 17, T 377/01, Nr. 3.1, T 274/03, Nr. 5 und 6, T 915/03, Nr. 4.1, T 141/04, Nr. 5.4 bis 5.6, T 978/04, Nr. 3.3 und 3.4, T 1394/04, Nr. 3 bis 7, T 372/05, Nr. 2.2, T 1719/06, Nr. 3, und T 264/09, Nr. 4.2; siehe auch die Richtlinien, Teil C, Kapitel VI, Nr. 5.2-ii), erster Absatz).

CDU/CSU: Diskussionspapier zur Vereinfachung des Urheberrechts und Softwarepatenten

Die beiden stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Günter Krings und Michael Kretschmer haben am Dienstag ein Diskussionspapier veröffentlicht, in dem sie ihre Vorstellung über die Zukunft des Urheberrechts darlegen. Das Papier weist zurecht darauf hin, dass „das deutsche Urheberrecht sich im Grundsatz bewährt hat“ und „nicht neu geschaffen werden muss“. In der aktuellen Urheberrechtsdebatte wird leider allzu oft – in Unkenntnis der Materie – die in Jahrhunderten erfolgte Entwicklung des Urheberrechts blind negiert. Das Urheberrecht entwickelt sich, wie jeder andere Rechtsbereich auch, ständig fort und passt sich den aktuellen Gegebenheiten an. Etabliertes umzustürzen zu wollen ist schlicht naiv – und in Unkenntnis der Materie zudem eine Anmaßung.

Im Detail ist das Papier aber durchaus problematisch. Die Aussage, „Computerprogramme werden richtigerweise durch das Urheberrecht geschützt“, „Softwarepatente auf Quell-Codes laufen dem urheberrechtlichen Schutzzweck zuwider“ ist nicht mit der aktuellen Rechtssituation kompatibel. Patentschutz und Urheberschutz laufen einander nicht zuwider. Der Schutzgedanke von Patentrecht und Urheberrecht sind auf unterschiedliche Aspekte gerichtet. Urheberrecht schützt kulturelle Werke. Patente schützen technische Erfindungen. Eine Steuersoftware für einen Roboter, die einen technischen Beitrag liefert ist als technische Erfindung patentierbar. Das Urheberrecht bietet für die technische Erfindung hinter solch einer Steuersoftware keinen Schutz. Das Patentrecht hat mit der Erfordernis eines technischen Beitrages ein Kriterium herausgearbeitet, mit dem zwischen patentierbarer Software (Robotersteuerung, ABS-System, etc.) und nicht patentierbarer Software (Geschäftsverfahren, Spielideen, etc) unterschieden werden kann. Die Rechtsprechung hat dieses Kriterium in jahrzehnterlanger Entwicklung herausgearbeitet und damit eine Lösung gefunden, die dem Grundanliegen des Patentschutzes gerecht wird.

Eine scharfe Trennlinie zwischen technisch und nicht-technisch zu ziehen ist, zugegeben, schwierig, so dass so mancher Einzelfall unter Interessensabwägung entschieden werden muss. Das ist in anderen Rechtsgebieten aber auch nicht anders üblich und führt unter Berücksichtigung der den Normen zugrunde liegenden Gedanken in der Regel zu vernünftigen Ergebnissen.

Patentrechtsnovelle beschlossen

Die Bundesregierung hat am 9. Mai 2012 eine Patentrechtsnovelle beschlossen (Pressemitteilung, Gesetzesentwurf).

Ziel der Novelle ist es, eine praxisgerechte Optimierung der Verfahrensabläufe beim Deutschen Patent- und Markenamt sowie bei den Anmeldern gewerblicher Schutzrechte zu erreichen.

Folgende wichtige Änderungen werden durch die Patentrechtsnovelle eingeführt (bis auf die Einführung der elektronische Akte und der Änderung bei den Übersetzungen betreffen alle Änderungen das Patentgesetz):

  • Das Zusatzpatent wird ersatzlos abgeschafft [Im Jahr 2009 gab es gerade mal 49 Zusatzpatente].
  • Die Frist zur Einreichung der Erfinderbenennung kann nur noch maximal bis zum Erlass des Beschlusses über die Erteilung verlängert werden.
  • Die elektronische Akteneinsicht wird eingeführt. Urheberrechtlich geschützte Dokumente sowie sensible Daten sind von der elektronischen Akteneinsicht ausgenommen.
  • Die Einreichung einer Übersetzung ist nicht mehr für die Bestimmung des Anmeldetages erforderlich. Bei französisch- oder englischsprachigen Anmeldungen wird die Frist zur Einreichung einer Übersetzung auf 12 Monate verlängert (neuer § 35a PatG bzw. § 4b GebrMG). Ist Prüfungsantrag gestellt, so kann das Patentamt schon früher eine deutsche Übersetzung anfordern. Ferner ist die Rechtsfolge bei fehlender (fehlerhafter) Übersetzung abgemildert, da in diesem Fall die Anmeldung nur noch als zurückgenommen gilt.
  • Der Rechercheantrag nach § 43 PatG kann nur noch vom Patentanmelder gestellt werden (und nicht von Dritten). Dritte können dem Patentamt aber jederzeit Hinweise auf Stand der Technik geben. Außerdem wird bei Uneinheitlichkeit nur noch die erste Erfindung recherchiert. Ferner enthält der Recherchenbericht zukünftig auch eine vorläufige Beurteilung der Patentfähigkeit.
  • Die mündliche Anhörung nach § 46 PatG muss nun auf Antrag durchgeführt werden, das Erfordernis der Sachdienlichkeit entfällt.
  • Die Einspruchsfrist wird auf 9 Monate verlängert. Die mündliche Anhörung im Einspruchsverfahren ist grundsätzlich öffentlich.
  • Für internationale Anmeldungen werden einige Gebührenfragen klargestellt.

BPatG, 4 ZA (pat) 35/11- Rechtsbeschwerde im Kostenfestsetzungsverfahren

BPatG, Beschl. v. 16. April 2012, 4 ZA (pat) 35/11 zu 4 Ni 82/08 – Rechtsbeschwerde im Kostenfestsetzungsverfahren

Amtliche Leitsätze:

Rechtsbeschwerde im Kostenfestsetzungsverfahren
1. Im Verfahren des Nichtigkeitssenats über die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss ist wegen der seit 1.1.2002 geltenden Fassung des § 574 Abs. 1 ZPO nach § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof eröffnet.

2. Aufgrund der divergierenden Rechtsprechung der Senate des Bundespatentgerichts zu der Erstattungsfähigkeit der Kosten des mitwirkenden Rechtsanwalts (Doppelvertretungskosten) in Nichtigkeitsverfahren ist die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts und wegen der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.

BGH, X ZR 67/09 – Sachverständigenablehnung V

BGH, Beschluss vom 3. April 2012 – X ZR 67/09 – Sachverständigenablehnung V

Amtlicher Leitsatz:

Ist einer Partei im Patentnichtigkeitsverfahren vor der Bestellung des gerichtlichen Sachverständigen Gelegenheit gegeben worden, zur fachlichen und persönlichen Eignung einer von der Gegenpartei vorgeschlagenen Person Stellung zu nehmen, und verfügt sie über keinerlei Informationen zur Person des Sachverständigen, handelt sie schuldhaft, wenn sie, ohne zumindest einfache und ohne weiteres mögliche Erkundigungen eingeholt zu haben, die Erklärung abgibt, gegen die als Sachverständigen vorgeschlagene Person bestünden keine Einwände.

Aus der Beschlussbegründung:

Die Findung eines geeigneten Sachverständigen ist in Patentnichtigkeitsverfahren nicht nur deswegen regelmäßig schwierig, weil die wünschenswerte Qualifikation des Sachverständigen eng mit der gegebenenfalls nicht einfach zu beantwortenden und zwischen den Parteien streitigen Frage zusammenhängt, über welche Ausbildung und Erfahrung der Fachmann verfügt, der im Prioritätszeitpunkt mit der Lösung des dem Streitpatent zugrunde liegenden technischen Problems beauftragt worden wäre. Es kommt vielmehr hinzu, dass in vielen Fällen notwendigerweise mehr oder weniger enge fachliche und berufliche Beziehungen zwischen den als Sachverständige in Betracht kommenden Wissenschaftlern, die auf dem betreffenden Gebiet forschen und lehren, und denjenigen am Patentnichtigkeitsverfahren beteiligten Unternehmen bestehen, die auf diesem Gebiet tätig sind und sich ihrerseits mit Forschung und Entwicklung befassen. Für die Parteien erkennbares Ziel ihrer Einbindung in die Sachverständigensuche ist es daher, ihre Fach- und Sachkunde nicht nur hinsichtlich der Qualifikationsanforderungen, sondern auch hinsichtlich etwaiger Bedenken zu nutzen, die gegen die Bestellung eines Sachverständigen wegen eines zu starken Näheverhältnisses des Vorgeschlagenen zu einer Prozesspartei oder einem am Verfahrensausgang interessierten Wettbewerber bestehen könnten. Dies ermöglicht es dem Gericht, Bedenken schon im Vorfeld der Beauftragung Rechnung zu tragen und nicht erst nach der Erstellung des schriftlichen Gutachtens mit der Folge eines beträchtlichen Zeitverlusts bei einer erfolgreichen Ablehnung.

BGH, X ZR 50/09: Zur erfinderischen Tätigkeit

BGH, Urteil v. 6. März 2012 – X ZR 50/09

Aus der Urteilsbegründung:

Der Patentfähigkeit ermangelt nicht nur das nächstliegende Vorgehen, sondern jede für den Fachmann naheliegende Lösung eines technischen Problems (BGH, Urteil vom 7. Dezember 1999 X ZR 40/95, GRUR 2000, 591, 596 Inkrustierungsinhibitoren; vom 10. Dezember 2002 X ZR 68/99, GRUR 2003, 317, 320 kosmetisches Sonnenschutzmittel I).

Es gibt auch keinen Rechtssatz, dass nur die Lösungsalternative, die der Fachmann voraussichtlich zunächst ausprobieren würde, naheliegend sei (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 X ZR 25/95, bei Bausch, Nichtigkeitsrechtsprechung in Patentsachen, BGH 1994 bis 1998, 445 Zerstäubervorrichtung; vom 26. Juli 2001 X ZR 93/95, Mitt. 2002, 16 – Filtereinheit).

Kommen für den Fachmann Alternativen in Betracht, können somit mehrere von ihnen naheliegend sein (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 2003 X ZR 113/00 [Flachantenne], juris Rn. 47).

BGH, X ZR 111/09 – Rohrreinigungsdüse II: Zum Klageantrag und Streitgegenstand im Patentverletzungsverfahren

BGH, Urteil vom 21. Februar 2012 – X ZR 111/09 – Rohrreinigungsdüse II

Amtlicher Leitsatz:

Der Kläger ist durch das Prozessrecht nicht gehindert, Ansprüche wegen Patentverletzung nicht nur wegen einer bestimmten angegriffenen Ausführungsform geltend zu machen, sondern auf das Klagepatent umfassende (prozessuale) Ansprüche zu stützen, die auf weitere Ausführungsformen, die sich unter den Patentanspruch subsumieren lassen, bezogene Handlungen des Beklagten erfassen sollen. Dass ein solches umfassendes Klagebegehren zur gerichtlichen Entscheidung gestellt werden soll, kann regelmäßig nicht schon daraus abgeleitet werden, dass es der Kläger unterlässt, einen wie geboten (BGH, Urteil vom 30. März 2005 X ZR 126/01, BGHZ 162, 365 Blasfolienherstellung) auf die von ihm vorgetragene angegriffene Ausführungsform zugeschnittenen Klageantrag zu formulieren.

Aus der Urteilsbegründung:

Urteile sind der Rechtskraft insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden worden ist (§ 322 Abs. 1 ZPO), wobei die Bestimmung des erhobenen Anspruchs nach dem der höchstrichterlichen Rechtsprechung zugrunde liegenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff unter Würdigung der gestellten Anträge und des zu ihrer Begründung vorgetragenen Lebenssachverhalts zu erfolgen hat (BGH, Urteil vom 19. Dezember 1991 IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1, 5 = NJW 1992, 1172; Beschluss vom 10. Dezember 2002 X ARZ 208/02, BGHZ 153, 173, 175; Urteil vom 3. April 2003 I ZR 1/01, BGHZ 154, 342 = GRUR 2003, 716 f. Reinigungsarbeiten) und zur Auslegung der Urteilsformel, d.h. zur Klärung, wieweit über den erhobenen Anspruch entschieden worden ist, Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils heranzuziehen sind.

Das gilt im Grundsatz auch für ein die Klage abweisendes Versäumnisurteil, das keinen Tatbestand und keine Entscheidungsgründe enthält (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2002 XI ZR 90/02, BGHZ 153, 239 = NJW 2003, 104 f.). Anstelle des Tatbestands und der Entscheidungsgründe ist in diesem Fall zur Bestimmung der Reichweite der Rechtskraft auf das Parteivorbringen zurückzugreifen (BGH, Urteil vom 14. Februar 2008 I ZR 135/05, GRUR 2008, 933 Rn. 13 Schmiermittel; Urteil vom 16. April 2002 KZR 5/01, GRUR 2002, 915 f. Wettbewerbsverbot in Realteilungsvertrag).

Über welchen Lebenssachverhalt das Gericht nach dem Klagebegehren zu entscheiden hat, kann nicht ohne Berücksichtigung der rechtlichen Grundlage entschieden werden, auf die der Kläger seine Klageanträge stützt. Denn diese rechtliche Grundlage bestimmt, welche Einzelheiten eines (behaupteten) tatsächlichen Geschehens in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht für das gerichtliche Erkenntnis (zumindest potentiell) von Bedeutung sind. Bei einer Patentverletzungsklage sind demgemäß für die Eingrenzung des Streitgegenstands, der der gerichtlichen Entscheidungsfindung unterworfen wird, vornehmlich diejenigen tatsächlichen Elemente von Bedeutung, aus denen sich Handlungen des Beklagten ergeben sollen, die einen der Tatbestände des § 9 PatG ausfüllen. Zur sachlichen Eingrenzung dieser vom Klagebegehren umfassten Handlungen kommt es wiederum typischerweise in erster Linie darauf an, aus welcher tatsächlichen Ausgestaltung eines angegriffenen Erzeugnisses oder Verfahrens sich nach dem Klagevortrag ergeben soll, dass das Erzeugnis oder Verfahren unter den mit der Klage geltend gemachten Patentanspruch subsumiert werden kann. Dabei ist grundsätzlich unerheblich, ob diese Subsumtion nach Meinung des Klägers eine wortsinngemäße oder eine unter dem Gesichtspunkt der gleichwertigen (äquivalenten) Verwirklichung eines oder mehrerer Merkmale der geschützten Erfindung in den Schutzbereich des Klagepatents fallende Benutzung der geschützten Erfindung ergibt. Grundsätzlich unerheblich sind ebenso Ort und Zeit der angegriffenen Handlungen. Für die Definition des Streitgegenstands können sie nur soweit Bedeutung erlangen, als sie die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens beeinflussen können, weil es entweder nach dem Gesetz (wie etwa vor oder nach Veröffentlichung der Patenterteilung oder innerhalb oder außerhalb des territorialen Geltungsbereichs des Patentgesetzes begangene Handlungen) oder auf Grund einer entsprechenden Beschränkung des Klageantrags (wie etwa bei einer auf Handlungen während eines Teils der Patentlaufzeit beschränkten Schadensersatzklage) insoweit auf den Ort oder den Zeitpunkt der Handlung ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 2004 X ZR 234/02, BGHZ 159, 66, 70 ff. = GRUR 2004, 755 Taxameter).

Der Streitgegenstand der Patentverletzungsklage wird demgemäß regelmäßig im Wesentlichen durch die üblicherweise als angegriffene Ausführungsform bezeichnete tatsächliche Ausgestaltung eines bestimmten Produkts im Hinblick auf die Merkmale des geltend gemachten Patentanspruchs bestimmt. Die Identität des Klagegrunds wird (erst) aufgehoben, wenn dieser Kern des in der Klage angeführten Lebenssachverhalts durch neue Tatsachen verändert wird (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2006 KZR 45/05, GRUR 2007, 172 Rn. 11 Lesezirkel II; Urteil vom 3. April 2003 I ZR 1/01, BGHZ 154, 342, 348 f. = GRUR 2003, 716 Reinigungsarbeiten).

Der Kläger ist durch das Prozessrecht nicht gehindert, Ansprüche nicht nur wegen einer bestimmten angegriffenen Ausführungsform geltend zu machen, sondern auf das Klagepatent umfassende (prozessuale) Ansprüche zu stützen, die auf weitere Ausführungsformen, die sich nach Meinung des Klägers ebenfalls unter den Patentanspruch subsumieren lassen, bezogene Handlungen des Beklagten erfassen sollen.

Ob dem Kläger solche Ansprüche auch zuerkannt werden können, hängt (unter anderem) davon ab, ob der Kläger dartun kann, dass der Beklagte auch solche Handlungen begangen hat oder deren Begehung zumindest droht.

Dass ein solches umfassendes Klagebegehren zur gerichtlichen Entscheidung gestellt werden soll, kann jedoch in aller Regel nicht schon daraus abgeleitet werden, dass der Kläger es unterlässt, einen wie geboten (BGH, Urteil vom 30. März 2005 X ZR 126/01, BGHZ 162, 365 Blasfolienherstellung) auf die von ihm vorgetragene angegriffene Ausführungsform zugeschnittenen Klageantrag zu formulieren. Denn maßgeblich für Inhalt und Reichweite des materiellen Klagebegehrens ist nicht allein der Wortlaut des Klageantrags; dieser ist vielmehr unter Berücksichtigung des zu seiner Begründung Vorgetragenen auszulegen. Nicht der Wortlaut des Antrags, sondern das Klagebegehren definiert den Streitgegenstand, und nur an dieses und nicht an jenen ist das Gericht nach § 308 Abs. 1 ZPO gebunden. Ebenso wie mangels abweichender Anhaltspunkte im Parteivortrag anzunehmen ist, dass sich das Rechtsschutzbegehren auf sämtliche Handlungen des Beklagten erstrecken soll, die diejenigen Merkmale aufweisen, aus denen der Kläger die Qualifikation der Handlungen als rechtsverletzend herleitet (BGHZ 159, 66, 70 f. = GRUR 2004, 755 Taxameter), ist umgekehrt mangels abweichender Anhaltspunkte anzunehmen, dass der Kläger Ansprüche nur wegen solcher Handlungen des Beklagten geltend machen will, die sich auf eine Ausführungsform beziehen, für die der Kläger vorträgt, dass sie auf Grund ihrer tatsächlichen Ausgestaltung sämtliche Merkmale des Patentanspruchs aufweist und vom Beklagten entgegen § 9 PatG benutzt wird oder benutzt zu werden droht. Kommt dies im Klageantrag nicht hinreichend zum Ausdruck, hat das Gericht nach § 139 Abs. 1 ZPO auf eine sachdienliche Antragsfassung hinzuwirken.

BGH, X ZB 6/10 – Installiereinrichtung II: Zur Bewertung der Erfindungshöhe

BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 – X ZB 6/10

Amtlicher Leitsatz:

In welchem Umfang und mit welcher Konkretisierung der Fachmann Anregungen im Stand der Technik benötigt, um eine bekannte Lösung in bestimmter Weise weiterzuentwickeln [-> erfinderische Tätigkeit] ist eine Frage des Einzelfalls, deren Beantwortung eine Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Sachverhaltselemente erfordert. Dabei sind nicht etwa nur ausdrückliche Hinweise an den Fachmann beachtlich. Vielmehr können auch Eigenarten des in Rede stehenden technischen Fachgebiets, insbesondere betreffend die Ausbildung von Fachleuten, die übliche Vorgehensweise bei der Entwicklung von Neuerungen, technische Bedürfnisse, die sich aus der Konstruktion oder der Anwendung des in Rede stehenden Gegenstands ergeben und auch nicht-technische Vorgaben eine Rolle spielen.