BPatG, 4 Ni 8/11 (EP): Nichtigkeitsverfahren im Falle der Insolvenz des Patentinhabers

BPatG, Urteil v. 10. Juli 2013 – 4 Ni 8/11 (EP)

Amtliche Leitsätze:

1. Richtiger Beklagter im Nichtigkeitsverfahren ist wegen der ausschließlich auf die Eintragung im Patentregister abstellenden passiven Prozessführungsbefugnis nach § 81 Abs. 1 Satz 2 PatG auch im Falle der Insolvenz der als Patentinhaber im Patentregister eingetragene Gemeinschuldner und nicht der Insolvenzverwalter.

2. Eine vor Klageerhebung erfolgte Umschreibung im Patentregister, welche lediglich aufgrund eines identitätswahrenden Rechtsformwechsels erfolgt ist – und damit auf einer nach § 30 Abs. 3 PatG nicht eintragungsbedürftigen Änderung der Gesellschaftsform beruht – ist für die Beurteilung der passiven Prozessführungsbefugnis nach § 81 Abs. 1 Satz 2 PatG unbeachtlich – hier die nach italienischem Recht zu beurteilende Umwandlung einer italienischen S.p.A. (Aktiengesellschaft) in eine S.r.l. (GmbH).

3. Das nach italienischem Insolvenzrecht vor der Insolvenzeröffnung liegende freiwillige Vergleichsverfahren (concordato preventivo) über das Vermögen des Patentinhabers gilt nach Art. 2 Ziff. a) und b) Anhang A EuInsVO als Insolvenzverfahren i. S. v Art. 1 Abs. 1 EuInsVO und führt, sofern das Streitpatentbei Anhängigkeit des Nichtigkeitsverfahrens noch die Insolvenzmasse betrifft, zur Unterbrechung des Verfahrens. Der im freiwilligen Vergleichsverfahren bestellte Verwalter (liquidatore giudiziale) verfügt nach (im deutschen Verfahrenmaßgeblichen) italienischem Recht jedoch noch nicht über die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Gemeinschuldners.

BPatG, 4 Ni 1/12 – Arretiervorrichtung

BPatG, Urteil v. 16. April 2013 – 4 Ni 1/12 – Arretiervorrichtung (Leitsätze)

Amtliche Leitsätze:

1. Der Senat ist trotz des auch im neu gestalteten Patentnichtigkeitsverfahren nach § 87 Abs. 1 Satz 1 PatG geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes nicht gehalten, unkommentiert vorgelegte Schriften auf ihre Relevanz im Hinblick auf die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe zu untersuchen.

2. Die Obliegenheiten der Parteien zu einem konkretisierten Sachvortrag im Nichtigkeitsverfahren korrespondieren mit den Grenzen, die an die Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts bestehen, wie auch mit den Anforderungen, die unter Berücksichtigung des reformierten Verfahrens an die Anerkennung als Tatsachenvortrag der ersten Instanz in der Berufungsinstanz zu setzen sind.

Aus der Urleisbegründung:

Der Senat ist trotz des auch im neu gestalteten Patentnichtigkeitsverfahren nach § 87 Abs. 1 Satz 1 PatG geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes, wonach das Patentgericht den Sachverhalt von Amts wegen erforscht, nicht gehalten, unkommentiert vorgelegte Schriften auf ihre Relevanz im Hinblick auf die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe zu untersuchen. Denn die im pflichtgemessen Ermessen stehende Amtsermittlungspflicht (Busse/Engels, Patentgesetz, 7. Auflage, Rn. 261, 271 zu § 59) ist nicht unbegrenzt; sie findet ihre Grenze in der Zumutbarkeit zu treffender Ermittlungen, die durch den Aufwand und die Erfolgsaussichten einerseits, aber auch die Erforderlichkeit und Möglichkeit der Mitwirkung der Beteiligten – der Verfahrensförderungspflicht – anderseits bestimmt wird (Busse/Engels, a. a. O., Rn. 266 und 267 zu § 59; zum alten Recht: Benkard/Schäfers, Patentgesetz 10. Aufl. Rn. 9 zu § 87) und im Kontext des jeweiligen Verfahrens zu sehen sind. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass das als kontradiktorisches Streitverfahren ausgeprägte Nichtigkeitsverfahren in besonderem Maße der Disposition der Parteien Rechnung trägt und es dem Kläger obliegt, vorzutragen und geltend zu machen, auf welchen technischen Sachverhalt er sein Vorbringen stützt, und er insoweit seinen Vortrag zu den verfahrensgegenständlichen Nichtigkeitsgründen zu substantiieren hat (Busse/Keukenschrijver, a. a. O., Rn. 61 zu § 82 PatG; vgl. auch Busse/Engels, a. a. O., Rn. 267 zu § 59). Ebenso suspendiert § 82 Abs. 2 PatG die Untersuchungspflicht, wenn der Beklagte der Klage nicht widerspricht, da die vom Kläger behaupteten Tatsachen für erwiesen angenommen werden. Die Obliegenheiten der Parteien im Nichtigkeitsverfahren zur Substantiierung ihres Vorbringens korrespondieren deshalb mit den Grenzen, die an die Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen bestehen (vgl. Busse/Keukenschrijver, a. a. O., Rn. 11 zu § 87 PatG), wie auch mit den Anforderungen, die unter Berücksichtigung des reformierten Verfahrens an die Anerkennung als Tatsachenvortrag der ersten Instanz in der Berufungsinstanz zu setzen sind (hierzu auch Gröning GRUR 2012, 996): dort ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 28.8.2012, X ZR 99/11, GRUR 2012, 1236 ff., Rn. 36 – Fahrzeugwechselstromgenerator) eine Druckschrift als Angriffsmittel i. S. v. § 117 PatG, § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO eine neue Tatsache, wenn sie zwar in erster Instanz erwähnt und/oder zu den Akten gereicht wurde, der technische Sachvortrag, für den sich die Partei auf das Dokument stützen will, aber nicht in hinreichend konkreter Form bereits in der ersten Instanz gehalten wurde. Die eine Amtsermittlung erst auslösende Konkretisierung des Tatsachenvortrags ist deshalb auch für das neue Novenrecht im Berufungsverfahren vorausgesetzt.

EP: Kommission schließt rechtliche Lücken beim einheitlichen Patentschutz

Pressemitteilung der Europäischen Kommission Nr. IP/13/750 vom 29.7.2013:

Die Justiz im Dienst des Wachstums: Kommission schließt rechtliche Lücken beim einheitlichen Patentschutz

Die Europäische Kommission hat heute vorgeschlagen, den Rechtsrahmen für einen EU‑weiten Patentschutz zu vervollständigen und die EU-Vorschriften über die Rechtsprechung der Gerichte sowie die Anerkennung von Urteilen („Brüssel-I-Verordnung“) zu aktualisieren. Diese Änderungen werden den Weg für ein europäisches Patentgericht – das Einheitliche Patentgericht (EPG) – ebnen, das nach Ratifizierung der entsprechenden Vorschriften eingesetzt werden soll. Damit wird es für Erfinder und Unternehmen leichter, ihre Patente zu schützen. Das Gericht wird die ausschließliche Zuständigkeit für Patentstreitigkeiten besitzen, wodurch vermieden wird, dass mehrere Verfahren bei bis zu 28 nationalen Gerichten anhängig sind. Durch sinkende Kosten und rasche Entscheidungen über die Rechtsgültigkeit oder die Verletzung von Patenten erhält Europa einen Innovationsschub. Das Gericht ist Teil eines kürzlich vereinbarten Maßnahmenpakets zur Gewährleistung eines einheitlichen Patentschutzes im Binnenmarkt (IP/11/470).

„Durch geänderte Vorschriften für die Anerkennung von Urteilen schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass das neue Einheitliche Patentgericht seine Arbeit aufnehmen kann. Bei einem Streitfall sind die Unternehmen nicht mehr gezwungen, sich an eine Reihe von Gerichten in verschiedenen Ländern zu wenden“, sagte Vizepräsidentin Viviane Reding, die für Justiz zuständige EU-Kommissarin, und ergänzte: „Wenn die Verfahren unbürokratischer und kostengünstiger werden und die Rechtssicherheit steigt, weil man es nicht mehr mit 28 unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Systemen zu tun hat, gewinnt der Binnenmarkt an Attraktivität. Dieses Beispiel veranschaulicht sehr gut, wie Wachstumsimpulse von Maßnahmen im Justizbereich ausgehen können.“

Der für Binnenmarkt und Dienstleistungen zuständige Kommissar Michel Barnier erklärte dazu: „Damit Europa wettbewerbsfähig bleibt, müssen innovative Unternehmen unbedingt so rasch wie möglich von den lange erwarteten Vorteilen des einheitlichen europäischen Patents profitieren können. Auch wenn die politische Einigung vom Dezember 2012 ein großer Durchbruch war, wird das einheitliche Patent erst mit der Einrichtung des Einheitlichen Patentgerichts Realität. Genau das muss uns möglichst schnell gelingen, und mit dem heute vorgelegten Vorschlag sind wir diesem Ziel wieder ein gutes Stück näher gekommen.“

Die Zahlen sprechen für sich. Im Jahr 2011 wurden in den Vereinigten Staaten 224 000 Patente erteilt und in China 172 000, in Europa wurden dagegen lediglich 62 000 europäische Patente ausgestellt. Dieser Unterschied ist unter anderem auf die enormen Kosten und den für die Erlangung des Patentschutzes im gesamten Binnenmarkt erforderlichen Aufwand zurückzuführen. Wenn man derzeit seine Erfindungen europaweit schützen lassen will, muss man europäische Patente in allen 28 EU‑Mitgliedstaaten validieren lassen. Der Patentinhaber kann in verschiedenen Ländern an mehreren Streitsachen beteiligt sein, die denselben Fall betreffen. Dank der Einigung über das Paket für den einheitlichen Patentschutz wird sich dies in naher Zukunft jedoch ändern.

Das Einheitliche Patentgericht, das mit dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 eingerichtet wurde (PRES/13/61), wird die Verfahren vereinfachen und die Entscheidungsfindung beschleunigen: Künftig wird nur mehr ein einziges Gerichtsverfahren vor dem ausschließlich zuständigen Gericht geführt, so dass die bei nationalen Gerichten parallel anhängigen Verfahren bald der Vergangenheit angehören. Da das Gericht Urteile über die Rechtsgültigkeit und Verletzung europäischer und einheitlicher Patente für alle Vertragsstaaten fällen kann, werden Parallelverfahren und voneinander abweichende Entscheidungen künftig vermieden. Bisher beteiligen sich 25 Mitgliedstaaten an diesem einheitlichen Patentrahmen, der allen Mitgliedstaaten offensteht.

Hinsichtlich der Festlegung der internationalen Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts stützt sich das Übereinkommen auf die „Brüssel-I-Verordnung“ (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012).

Die Kommission schlägt deshalb vor, durch eine Änderung der Brüssel-I-Verordnung zu präzisieren, wie die gerichtliche Zuständigkeit im Kontext des Einheitlichen Patentgerichts geregelt ist und in welcher Form die Verordnung für die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten, die Vertragsparteien des Übereinkommens über das Einheitliche Patentgericht sind, und den übrigen Mitgliedstaaten gelten soll.

Nächste Schritte
Die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament müssen dem Vorschlag zustimmen, damit er rechtsgültig werden kann.

Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten auch dazu auf, das Übereinkommen über das Einheitliche Patentgericht so rasch wie möglich zu ratifizieren und die entsprechenden Vorarbeiten abzuschließen, damit das Gericht sein Tätigkeit aufnehmen kann und die ersten einheitlichen Patente binnen möglichst kurzer Frist erteilt werden.

Hintergrund

Nach dem geltenden EU-Recht müssen Streitigkeiten über die Rechtsgültigkeit oder eine mutmaßliche Verletzung eines Patents vor die Gerichte des Mitgliedstaats gebracht werden, in dem das Patent angemeldet wurde. Die Verfahren können entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaats stattfinden, in dem der Beklagte niedergelassen ist, oder vor den Gerichten des Mitgliedstaates, in dem es zu dem Verstoß kam bzw. kommen könnte. Bei vielen Patentverletzungsverfahren bringt der Beklagte vor, dass das Patent nicht gültig ist. Für solche Fälle ist ausschließlich der Staat zuständig, in dem das Patent erteilt wurde. In der Praxis bedeutet dies, dass der Patentinhaber teure und aufwendige Parallelverfahren führen muss, bei denen die Gerichte möglicherweise voneinander abweichenden Entscheidungen fällen.

Bereits seit den 1970-er Jahren bemüht man sich – bisher immer erfolglos – um ein einheitliches, europaweit gültiges und rechtsverbindliches Patent.

Im April 2011 legte die Kommission neue Vorschläge zur Einführung eines Europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung (oder „einheitliches Patent“) im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit vor (IP/11/470) und (MEMO/11/240).

Im Dezember 2012 erzielten das Europäische Parlament und der Rat die lange erwartete Einigung über das Paket für den einheitlichen Patentschutz. Damit war der Weg frei für die Unterzeichnung des internationalen Übereinkommens über das Einheitliche Patentgericht.

Durch das Paket für den einheitlichen Patentschutz wird es möglich sein, in den 25 teilnehmenden Mitgliedstaaten durch einen einzigen Antrag Patentschutz zu erlangen, ohne dass in den Mitgliedstaaten weitere Verwaltungsformalitäten, etwa Validierungs- und Übersetzungsanforderungen, erfüllt werden müssen. Erfinder und Unternehmen werden dadurch zu erheblich niedrigeren Kosten und mit wesentlich weniger bürokratischen Hürden Zugang zu den Märkten aller Mitgliedstaaten erhalten, die an der verstärkten Zusammenarbeit und dem Übereinkommen über das Einheitliche Patentgerichts beteiligt sind.

Das internationale Übereinkommen über das Einheitliche Patentgericht wurde am 19. Februar 2013 unterzeichnet. Das Einheitliche Patentgericht wird für Streitigkeiten zuständig sein, die sowohl künftige einheitliche Patente als auch die bereits bestehenden „klassischen“ europäischen Patente betreffen. Das Übereinkommen muss jetzt von den beteiligten Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Das Einheitliche Patentgericht wird als einziges ausschließlich zuständiges Patentgericht auf lokaler und regionaler Ebene in den EU-Mitgliedstaaten vertreten sein. Anstatt Parallelverfahren vor nationalen Gerichten führen zu müssen, werden die Parteien künftig rasch qualifizierte Entscheidungen für alle Staaten

BGH, X ZR 21/12 – Walzstraße

BGH, Urteil vom 28. Mai 2013 – X ZR 21/12 – Walzstraße

Amtliche Leitsätze:

Lässt das Patentgericht in seinem gemäß § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis erkennen, dass es die Argumentation des Nichtigkeitsklägers in einem bestimmten Punkt für zutreffend erachtet, hat der Kläger in der Regel keine Veran-lassung, zu diesem Punkt in erster Instanz weitere Angriffsmittel vorzutragen (Bestätigung von BGH, Urteil vom 28. August 2012 – X ZR 99/11, BGHZ 194, 290 = GRUR 2012, 1236 Rn. 38 – Fahrzeugwechselstromgenerator).

Die erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemachte Verteidigung eines Patents mit einer geänderten Fassung ist in der Regel gemäß § 116 Abs. 2 PatG zulässig, wenn der Beklagte mit der Änderung einer von der erstinstanzlichen Beurteilung abweichenden Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs Rech-nung trägt und den Gegenstand des Patents auf dasjenige einschränkt, was sich nach Auffassung des Patentgerichts schon aus der erteilten Fassung ergab.

BGH, X ZR 27/12 – Fahrzeugnavigationssystem

BGH, Urteil vom 23. April 2013 – X ZR 27/12 – Fahrzeugnavigationssystem

Amtlicher Leitsatz:

Die Anweisung an den Fachmann, bei der Sprachausgabe eines Navigationshinweises unter bestimmten Bedingungen bestimmte Detailinformationen (hier: Straßennamen) zu berücksichtigen, betrifft den Inhalt der durch das Navigationssystem optisch oder akustisch wiedergegebenen Information und ist bei der Prüfung der technischen Lehre des Patents auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen.

Aus der Urteilsbegründung:

Ein Navigationsverfahren oder -system implementiert mit technischen Mitteln die Wiedergabe von Informationen, die dem Fahrer die Wahl einer zweckmäßigen Fahrtroute zu seinem Ziel erlauben und es ihm erleichtern, der gewählten Fahrtroute zu folgen, indem ihm zu einem geeigneten Zeitpunkt Detailinformationen über die nächstfolgende Entscheidungssituation zur Verfügung gestellt werden. Es steuert nicht das Fahrzeug, sondern stellt nur dafür zweckmäßige Informationen bereit. Die Wiedergabe von Informationen ist nach Art. 52 Abs. 2 Buchst. d 3 EPÜ als solche (Art. 52 Abs. 3 EPÜ) ebenso wenig dem Patentschutz zugänglich wie dieser nach Art. 52 Abs. 2 Buchst. c EPÜ für Programme für Datenverarbeitungsanlagen als solche in Betracht kommt. Anweisungen, die die Informationen betreffen, die nach der Lehre eines Patents wiedergegeben werden sollen, können daher auch unter dem Gesichtspunkt der erfinderischen Tätigkeit die Patentfähigkeit der erfindungsgemäßen Lehre nur dann und nur insoweit stützen, als sie die Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen (BGH, Beschluss vom 24. Mai 2004 – X ZB 20/03, BGHZ 159, 197, 204, 206 – Elektronischer Zahlungsverkehr; Urteil vom 26. Oktober 2010 – X ZR 47/07, GRUR 2011, 125 Rn. 31 – Wiedergabe topografischer Informationen). Der Senat hat deshalb in dem letztgenannten Urteil die Auswahl einer für Navigationszwecke zweckmäßigen Projektion topographischer Daten nicht als Teil der vom dortigen Streitpatent zur Verfügung gestellten technischen Lösung, sondern als dieser vorgelagerte Vorgabe eines Kartographen, Geographen oder Geodäten angesehen (BGH, GRUR 2011, 125 Rn. 39 – Wiedergabe topografischer Informationen). Ebenso hat er für die Zurverfügungstellung von Informationen über gegebenenfalls zu meidende Streckenabschnitte (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 – X ZR 3/12, GRUR 2013, 275 Rn. 42 – Routenplanung) und die unter bestimmten Voraussetzungen vom Navigationssystem automatisch vorgenommene Auswahl des Stadtzentrums als Routenzielpunkt (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 – X ZR 121/11, juris Rn. 29) entschieden.

BPatG, 4 Ni 13/11 – Dichtungsring

BPatG, Urt. v. 15. Januar 2013 – 4 Ni 13/11 – Dichtungsring

1. Erschöpft sich die patentgemäße Lösung nur in der handwerklichen Maßnahme, eine bekannte, technisch weniger anspruchsvolle Lösung – hier einer Querschnittsverringerung des Dichtungsrings – hinzunehmen bzw. der technisch anspruchsvolleren Lösung hinzuzufügen, so begründet ein solcher in Kauf genommener „handwerklicher Rückschritt“ ebenso wenig eine erfinderische Tätigkeit wie eine nur handwerkliche Weiterbildung des Standes der Technik.

2. Der Sachprüfung eines im Nichtigkeitsverfahren angegriffenen Unteranspruchs bedarf es nur – was vorrangig zu klären ist und wofür in der Rechtsprechung Auslegungsregeln entwickelt worden sind – wenn der Wille des Patentinhabers auf dessen (isolierte) Verteidigung gerichtet ist.

3. Anders als bei der Verteidigung des Streitpatents durch Neuformulierung eines Patentanspruchs mittels Aufnahme von Merkmalen aus verfahrensgegenständlichen Patentansprüchen, welche immer oder jedenfalls dann einer eigenständigen Sachprüfung bedürfen, wenn der Patentinhaber sie isoliert verteidigt, bietet die mögliche Aufnahme von Merkmalen aus der Beschreibung keinen Anlass für eine vorsorgliche Beschäftigung und Recherche durch die Klägerin. Eine derartige Forderung würde die der Klägerin obliegende Prozessförderungspflicht auch vor dem Hintergrund des von § 83 PatG intendierten besonderen Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erheblich überspannen und andererseits die Beklagte über Gebühr von ihrer entsprechenden Verpflichtung entlasten.

BPatG, 25 W (pat) 89/12: Funktionelle Zuständigkeit in Bezug auf die Entscheidung über die Wiedereinsetzung bei versäumter Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr

BPatG, Beschl. v. 14. Mai 2013 – 25 W (pat) 89/12

Amtlicher Leitsatz:

Für die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag betreffend die versäumte Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr ist nicht der Rechtspfleger, sondern funktionell ausschließlich der Beschwerdesenat zuständig gemäß §§ 66 Abs. 1, 67 Abs. 1 bzw. §§ 66 Abs. 1, 67 Abs. 1 i.V.m. § 91 Abs. 6 MarkenG.

BPatG, 20 W (pat) 28/09 – Prüfungsbescheid in Nachanmeldung

BPatG, Beschluss vom 23. Mai 2013 – 20 W (pat) 28/09 – Prüfungsbescheid in Nachanmeldung

Amtlicher Leitsatz:

Anders als im Falle einer Teilanmeldung, die in der Verfahrenslage weitergeführt wird, in der sich zum Zeitpunkt der Ausscheidung die Stammanmeldung befand und infolgedessen die bis dahin erlassenen Bescheide auch als in der Teilanmeldung erlassen anzusehen sind, ist es im Rahmen einer völlig eigenständigen Anmeldung, die die innere Priorität einer Voranmeldung in Anspruch nimmt, unzulässig, in Bescheiden lediglich auf in der
Voranmeldung erlassenen Bescheide zu referenzieren und eine detaillierte Angabe von
möglichen Gründen, die der Patentierung gemäß § 45 PatG entgegenstehen könnten, zu
unterlassen.

BGH, Beschluss vom 28. Mai 2013 – X ZR 137/09 – Sachverständigenentschädigung VI

BGH, Beschluss vom 28. Mai 2013 – X ZR 137/09 – Sachverständigenentschädigung VI

Amtliche Leitsätze:

a) Die Parteien können sich auch nach Heranziehung eines Sachverständigen mit einer abweichend von der gesetzlichen Regelung zu bemessenden Vergütung wirksam einverstanden erklären, wenn ein ausreichender Betrag für die sich daraus ergebende Vergütung an die Staatskasse gezahlt ist.

b) Insoweit genügt die Erklärung nur einer Partei, soweit sie sich auf den Stundensatz nach § 9 JVEG bezieht und das Gericht zustimmt, wobei über die Zustimmung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist und hierbei

Formerfordernisse für die Übertragung des Prioritätsrechts

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich im Verfahren X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe mit den Formerfordernissen für die Übertragung des Prioritätsrechts zu befassen, wenn die Priorität einer nationalen Erstanmeldung für eine europäische Nachanmeldung in Anspruch genommen wird.

Nach der BGH-Entscheidung sind die Formerfordernisse, denen die Übertragung des Prioritätsrechts unterliegt, nach dem Forderungsstatut (Art. 33 Abs. 2 EGBGB in der bis zum 17.12.2009 geltenden Fassung bzw. nunmehr Art. 14 Abs. 2 Rom-I-VO) zu bestimmen. Dies führt dazu, dass die Formerfordernisse für die Übertragung des Prioritätsrechts dem Recht des Staats der Erstanmeldung unterliegen. Entsprechend ist die Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität einer deutschen Patentanmeldung auch dann nicht formbedürftig, wenn die Priorität für eine europäische Patentanmeldung in Anspruch genommen werden soll (Leitsatz 1).

Die Entscheidung X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe grenzt sich dezidiert von der Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 ab. In der Entscheidung T 62/05 hatte die Beschwerdekammer für den Fall einer europäischen Nachanmeldung gefordert, dass die Übertragung des Prioritätsrechts den Formerfordernissen des Art. 72 EPÜ genügen muss, also der Schriftform unterliegt und von beiden Vertragsparteien unterschieben sein muss. Die Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 führt zur Anwendbarkeit der Formerfordernisse des Rechts, dem die Nachanmeldung unterliegt, und nicht – wie nunmehr die BGH-Entscheidung X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe – zur Anwendbarkeit des Rechts, dem die Erstanmeldung unterliegt. Die in der Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 aufgestellten Formerfordernisse für die Übertragung des Prioritätsrechts hatten sich insbesondere im Einspruchsverfahren zu einer scharfen Waffe für den Einsprechenden entwickelt, da beispielsweise die nach US-Recht nur vom Erfinder als Zedenten zu unterschreibende Übertragungserklärung regelmäßig nicht der Formvorschrift des Art. 72 EPÜ genügt und eine Heilung nach Einreichung der Nachanmeldung nicht mehr möglich war. Die Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 wurde in der Literatur auch stark kritisiert (vgl. T. Bremi: ‚Traps when transferring priority rights, or When in Rome do as the Romans do: A discussion of some recent European and national case law and its practical implications.‘ In: epi Information, 1/2010).

Der Patentanmelder wird dennoch gut beraten sein, das Prioritätsrecht auch weiterhin so zu übertragen, dass die Übertragung den Formvorschriften des Art. 72 EPÜ genügt. So lange das Risiko besteht, dass eine Beschwerdekammer ein europäisches Patent im Einspruchsbeschwerdeverfahren wegen nicht wirksamer Inanspruchnahme der Priorität widerruft, ist es nur ein schwacher Trost, dass der BGH in einem etwaigen Nichtigkeitsverfahren basierend auf den in der Entscheidung X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe aufgestellten Grundsätzen anders entschieden hätte.