2. Das „Ansehen“ [einer geografischen Angabe] kann für sich genommen eine Eigenschaft des Erzeugnisses i. S. v. Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Verordnung (EG) Nr. 510/2006 darstellen und insoweit auch die Antragsbefugnis eines Einzelantragstellers nach Art. 2 Buchst. b Verordnung (EG) Nr. 1898/2006 begründen. Das Ansehen des Erzeugnisses muss jedoch nachgewiesen sein.
a) Gehören zu den angesprochenen Verkehrskreisen sowohl Fachkreise (Ärzte und Apotheker) als auch das allgemeine Publikum (Endverbraucher), kann der Gesamteindruck, den die verschiedenen Verkehrskreise von den Marken haben, unterschiedlich ausfallen. Kann aufgrund der gespaltenen Verkehrsauffassung nur bei einem der verschiedenen Verkehrskreise eine Verwechslungsgefahr bejaht werden, reicht dies für die Verwirklichung des § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG grundsätzlich aus.
b) Das Publikum hat regelmäßig keine Veranlassung, von wirtschaftlichen oder organisatorischen Verbindungen zwischen den Unternehmen auszugehen, die Inhaber der kollidierenden Marken sind, wenn die Ähnlichkeit der Waren durchschnittlich ist, die ältere Marke über normale Kennzeichnungskraft verfügt und deutliche Unterschiede zwischen den Marken bestehen.
Die Schutzgemeinschaft Düsseldorfer Senf, hinter der im Wesentlichen die Düsseldorfer Löwensenf GmbH steht, hat beim Deutschen Patent- und Markenamt beantragt, die Bezeichnung Düsseldorfer Senf als geographische Angabe unter Schutz zu stellen. Damit verbunden sind nähere Vorgaben für die Herstellung von Düsseldorfer Senf. Gegen diesen Antrag war von Seiten der Nestlé Deutschland AG, die im benachbarten Neuss ein Senfwerk betreibt, Einspruch erhoben worden. Insoweit war unter anderem geltend gemacht worden, dass verschiedene Vorgaben zum Herstellungsverfahren von Düsseldorfer Senf zu einschränkend und zu unbestimmt gefasst seien. Das Deutsche Patent- und Markenamt hat den Antrag der Schutzgemeinschaft gleichwohl für gerechtfertigt gehalten. Dagegen ist die Nestlé Deutschland AG mit der Beschwerde zum Bundespatentgericht vorgegangen.
In dem Verfahren vor dem 30. Senat des Bundespatentgerichts hat die Schutzgemeinschaft die Bedingungen für die Benutzung der Bezeichnung Düsseldorfer Senf in einem für den Rechtstreit wesentlichen Punkt, der die Verwendung von Branntweinessig bei der Senfherstellung betraf, geändert. Daraufhin hat die Nestlé Deutschland AG ihre Beschwerde zurückgenommen, sodass das Schutzverfahren nunmehr bei der EU-Kommission seinen Fortgang nehmen kann.
Der Bundesgerichtshof hat im Verfahren I ZR 84/09 dem EuGH mehrere Vorlagefragen vorgelegt, die die rechtserhaltende Benutzung betreffen.
Im Kern geht es um die Frage, ob eine Benutzungsform eines Zeichens (z.B. einer Wortmarke in einer bestimmten Gestaltung) für mehrere eingetragene Marken rechtserhaltend sein kann.
§ 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG ist insoweit eigentlich unmissverständlich: Eine eingetragene Marke kann durch Benutzung in einer abgewandelten Form, die den kennzeichnenden Charakter nicht verändert, rechtserhaltend benutzt werden, selbst wenn die abgewandelte Form ebenfalls als Marke eingetragen ist. Mit § 26 Marken wird Art. 10 der MarkenRL umgesetzt. Die Regelung des § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG, die keine Entsprechung in der MarkenRL hat, war vom Gesetzgeber wohl als Klarstellung intendiert: Ein Markeninhaber sollte Abwandlungen (z.B. Modernisierung eines Schriftbilds einer Wort-Bild-Marke) einer eingetragenen Marke ebenfalls registrieren können und die Marke in der abgewandelten Form benutzen dürfen, ohne Gefahr zu laufen, dadurch seine alte und deshalb wertvolle Marke wegen Nichtbenutzung zu verlieren.
Die Richtlinienkonformität des § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG wurde über lange Zeit weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung angezweifelt. Eine ausführliche Darstellung gibt Rdnr. 37 des PROTI-Beschlusses.
Kompliziert wurde die Lage durch die Bainbridge-Entscheidung des EuGH (Urteil v. 13. September 2007 C-234/06). Teilweise wurde aus dieser Entscheidung abgeleitet, dass § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG nicht richtlinienkonform sei und deswegen unangewendet zu bleiben habe (OLG Köln, GRUR 2009, 958). Andere Obergerichte konnten keinen Widerspruch zwischen der Bainbridge-Rechtsprechung und § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG erkennen (OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2011, 134). Eine detaillierte Darstellung wird unter Rdnr. 21 des Proti-Beschlusses gegeben. Das Spannungsverhältnis zwischen der Bainbridge-Entscheidung und § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG, das sich in der unterschiedlichen Auffassung der Berufungsgerichte widerspiegelt, hat den BGH zu dem sehr ausführlichen und differenzierten Vorlagebeschluss veranlasst. Wenig Zweifel besteht daran, dass der BGH eine Auslegung der MarkenRL, nach der § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG nicht richtlinienkonform ist, aus zeichenrechtlichen Überlegungen für wenig befriedigend halten würde.
Der Fall hat auch noch eine sehr interessante europarechtliche Komponente, die ebenfalls Gegenstand einer Vorlagefrage ist: Ist das Vertrauen des Markeninhabers in § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG schützenswert, auch wenn sich dieser als nicht unionsrechtskonform erweisen würde? Die Brisanz dieser Frage ergibt sich vorliegend auch daraus, dass die Unionsrechtskonformität von § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG bis zur Bainbridge-Entscheidung des EuGH nicht in Frage gestellt wurde. Entsprechend führt der BGH im PROTI-Beschluss aus (Rdnr. 37): „Das Vertrauen auf die Gültigkeit des § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG für eingetragene Marken hält der Senat gegenüber einer richtlinienkonformen Auslegung gem. Art. 10 Abs. 2 Buchst. a MarkenRL, falls die Bestimmung des § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG mit der Richtlinie nicht in Einklang steht, für so gewichtig, dass er die Bestimmung ihrem Wortlaut gemäß jedenfalls auf vor der Veröffentlichung der ‚BAINBRIDGE‘-Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union liegende Sachverhalte weiter anwenden möchte.“
Der Gerichtshof der EU hat in der Rechtssache C-96/09 – BUD (veröffentlicht in GRUR Int 2011, 506) das Urteil des Gerichts teilweise aufgehoben. Das Urteil des Gerichtshofs enthält zahlreiche praxisrelevante Aussagen zum relativen Eintragungshindernis des Artikels 8 Absatz 4 GMV.
Wichtige Punkte des Urteils, die die Geltendmachung eines älteren Rechts nach Artikel 8 Absatz 4 GMV betreffen, sind:
• Eine Nichtigerklärung einer angegriffenen Marke im Widerspruchsverfahren kann auch dann aus einem älteren Recht nach Artikel 8 Absatz 4 GMV erfolgen, wenn dieses zwar durch ein Urteil eines nationalen Gerichts nichtig erklärt wurde, das Urteil aber noch nicht rechtskräftig ist. Der Gerichtshof bestätigte die diesbezügliche Auffassung des Gerichts.
• Eine Benutzung „im geschäftlichen Verkehr“ im Sinne von Artikel 8 Absatz 4 GMV ist dann gegeben, wenn die Benutzung im Zusammenhang mit einer auf einen wirtschaftlichen Vorteil gerichteten kommerziellen Tätigkeit und nicht im privaten Bereich erfolgte. Auch kostenlose Lieferungen können somit eine Benutzung des älteren Rechts „im geschäftlichen Verkehr“ sein. Auch insoweit bestätigte der Gerichtshof die Auffassung des Gerichts.
• Das ältere Recht muss in einem bedeutenden Teil seines Schutzgebiets im geschäftlichen Verkehr benutzt worden sein. Denn das fragliche Zeichen könne auch dann, wenn die geografische Ausdehnung seines Schutzes mehr als örtlich ist, der Eintragung einer Gemeinschaftsmarke nur dann entgegenstehen, wenn es tatsächlich in hinreichend bedeutsamer Weise im geschäftlichen Verkehr in einem bedeutenden Teil des Gebiets benutzt werde, in dem es geschützt ist. Die Beurteilung der Benutzung im geschäftlichen Verkehr sei dabei für jedes Gebiet, in dem das Zeichen geschützt ist, getrennt vorzunehmen. Insoweit hält der Gerichtshof das Urteil des Gerichts für rechtsfehlerhaft.
• Eine Benutzung außerhalb des Schutzgebiets des älteren Rechts genügt für Artikel 8 Absatz 4 GMV nicht. Würde man eine andere Auffassung vertreten, könne auch bei völlig fehlender Benutzung in dem Schutzgebiet eine Situation eintreten, um die Eintragung einer jüngeren Marke zu verhindern. Die ausschließlichen Rechte an einem Zeichen können aber nur in dessen Schutzgebiet mit einer Gemeinschaftsmarke in Konflikt treten. Auch insoweit ist nach Auffassung des Gerichtshofs das Urteil des Gerichts rechtsfehlerhaft.
• Die Benutzung muss vor dem Anmeldetag der angegriffenen Marke stattgefunden haben. Im Hinblick auf den unter Umständen langen Zeitraum, der zwischen der Anmeldung der Marke und deren Veröffentlichung vergehen kann, sei die Anwendung des Kriteriums des Anmeldetages besser geeignet, um zu gewährleisten, dass es sich bei der geltend gemachten Benutzung des fraglichen Zeichens um eine tatsächliche Benutzung handelt und nicht um eine Vorgehensweise nur zur Verhinderung der Eintragung der neuen Marke.