EPA, Stellungnahme der Großen Beschwerdekammer vom 12. Mai 2010, G 3/08 – Amtliche Leitsätze

Die Stellungnahme der Großen Beschwerdekammer vom 12. Mai 2010, G 3/08 ist nun in deutscher Übersetzung verfügbar:

Leitsätze:

I. Bei der Ausübung des Vorlagerechts kann sich der Präsident des EPA auf das ihm mit Artikel 112 (1) b) EPÜ eingeräumte Ermessen berufen, auch wenn sich seine Einschätzung der Notwendigkeit einer Vorlage nach relativ kurzer Zeit gewandelt hat.

II. Abweichende Entscheidungen, die ein und dieselbe Technische Beschwerdekammer in wechselnder Besetzung erlassen hat, können Anlass für eine zulässige Vorlage des Präsidenten des EPA sein, der die Große Beschwerdekammer nach Artikel 112 (1) b) EPÜ mit einer Rechtsfrage befasst.

III. Da der Wortlaut des Artikels 112 (1) b) EPÜ hinsichtlich der Bedeutung von „different decisions/voneinander abweichende Entscheidungen/décisions divergentes“ nicht eindeutig ist, muss er nach Artikel 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WÜRV) im Lichte seines Zieles und Zweckes ausgelegt werden. Zweck des Vorlagerechts nach Artikel 112 (1) b) EPÜ ist es, innerhalb des europäischen Patentsystems Rechtseinheit herzustellen. In Anbetracht dieses Zwecks der Vorlagebefugnis des Präsidenten ist der englische Begriff „different decisions“ restriktiv im Sinne von „divergierende Entscheidungen“ zu verstehen.

IV. Der Begriff der Rechtsfortbildung ist ein weiterer Aspekt, den es bei der Auslegung des Begriffs der „voneinander abweichenden Entscheidungen“ in Artikel 112 (1) b) EPÜ sorgfältig zu prüfen gilt. Rechtsfortbildung ist eine unverzichtbare Aufgabe der Rechtsanwendung, gleich, welcher Auslegungsmethode man sich bedient, und deshalb jeder richterlichen Tätigkeit immanent. Rechtsfortbildung als solche darf deshalb noch nicht zum Anlass einer Vorlage genommen werden, eben weil auf juristischem und/oder technischem Neuland die Entwicklung der Rechtsprechung nicht immer geradlinig verläuft und frühere Ansätze verworfen oder modifiziert werden.

V. Rechtsprechung wird nicht vom Ergebnis, sondern von der Begründung geprägt. Die Große Beschwerdekammer kann daher bei der Prüfung, ob zwei Entscheidungen die Erfordernisse des Artikels 112 (1) b) EPÜ erfüllen, auch obiter dicta berücksichtigen.

VI. T 424/03, Microsoft weicht in der Frage, ob ein Anspruch für ein Programm auf einem computerlesbaren Medium zwingend unter das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (2) EPÜ fällt, von einer in T 1173/97, IBM zum Ausdruck gebrachten Auffassung ab. Dies beruht jedoch auf einer legitimen Weiterentwicklung der Rechtsprechung und begründet keine Abweichung, die eine präsidiale Vorlage an die Große Beschwerdekammer rechtfertigen würde.

VII. Die Große Beschwerdekammer kann in den Gründen der Entscheidungen, die nach der präsidialen Vorlage voneinander abweichen sollen, keine anderen Abweichungen erkennen. Die Vorlage ist daher nach Artikel 112 (1) b) EPÜ unzulässig.

BGH, Xa ZR 48/09 – Flexitanks: Außerordentliche Kündigung eines Know-how-Lizenzvertrags

BGH, Urteil vom 25. November 2010 – Xa ZR 48/09 – Flexitanks

Amtliche Leitsätze:

a) Für die Beurteilung der Frage, ob die außerordentliche Kündigung eines Know-how-Lizenzvertrags innerhalb einer angemessenen Frist im Sinne von § 314 Abs. 3 BGB erfolgt ist, kann die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht als Maßstab herangezogen werden.

b) Ist ein Know-how-Lizenzvertrag wegen einer vom Kündigungsgegner zu vertretenden Vertragsverletzung wirksam aus wichtigem Grund gekündigt worden, hat der Kündigende Anspruch auf Schadensersatz wegen entgangener Lizenzeinnahmen für den Zeitraum bis zum ersten Termin, zu dem der Schuldner sich durch ordentliche Kündigung vom Vertrag hätte lösen können. Dieser Schadensersatzanspruch darf nicht schon dem Grunde nach mit der Erwägung eingeschränkt werden, die Tätigkeit des Gläubigers sei nicht für die gesamte Vertragslaufzeit kausal für den wirtschaftlichen Erfolg.

c) Ein Schuldner, der aufgrund einer zur fristlosen Kündigung führenden Vertragsverletzung zu Schadensersatz, Auskunft und Rechnungslegung verpflichtet ist, hat dem Gläubiger zur Berechnung der Schadenshöhe zumindest diejenigen Auskünfte zu erteilen, zu deren Erteilung er aufgrund des Vertrages bei dessen ordnungsgemäßer Durchführung verpflichtet gewesen wäre.

BGH, X ZR 47/07 – Wiedergabe topografischer Informationen: Zu den Voraussetzungen der Softwarepatentierung

BGH, Urteil vom 26. Oktober 2010 – X ZR 47/07

Amtliche Leitsätze:

a) Der Gegenstand eines die Wiedergabe topografischer Informationen mittels eines technischen Geräts betreffenden Verfahrens ist nicht nach Art. 52 Abs. 2 Buchst. c oder d EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen, wenn zumindest ein Teilaspekt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre ein technisches Problem bewältigt. [-> Programme für Datenverarbeitungsanlagen]

b) Bei der Prüfung der Erfindung auf erfinderische Tätigkeit sind nur diejenigen Anweisungen zu berücksichtigen, die die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen.

c) Die Auswahl einer für die Navigation eines Fahrzeugs zweckmäßigen (hier: zentralperspektivischen) Darstellung positionsbezogener topografischer Informationen bleibt als nicht-technische Vorgabe für den technischen Fachmann bei der Prüfung eines Verfahrens zur Wiedergabe topografischer Informationen auf erfinderische Tätigkeit außer Betracht.

BGH, I ZR 139/08 – Kinderhochstühle im Internet

BGH, Urteil vom 22. Juli 2010 – I ZR 139/08 – Kinderhochstühle im Internet

Amtliche Leitsätze.

a) Der Betreiber eines Internetmarktplatzes, der Dritten dort die Möglichkeit eröffnet, Verkaufsangebote ohne seine Kenntnisnahme in einem vollautomatischen Verfahren einzustellen, ist nicht verpflichtet, sämtliche Verkaufsangebote, die die Marken eines Markeninhabers anführen, einer manuellen Bildkontrolle darauf zu unterziehen, ob unter den Marken von den Originaler-zeugnissen abweichende Produkte angeboten werden.

b) Der Betreiber eines Internetmarktplatzes haftet regelmäßig nicht nach §§ 3, 6 Abs. 2 Nr. 6, § 8 Abs. 1 UWG als Täter oder Teilnehmer, wenn in Angeboten mit Formulierungen „ähnlich“ oder „wie“ auf Marken eines Markeninhabers Bezug genommen wird.

c) Die Grundsätze der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung nach § 823 Abs. 1 BGB sind auf die wettbewerbsrechtliche Abmahnung nicht übertragbar.

BGH, I ZB 68/09 – Hefteinband: Bildzeichen nur aus üblichen dekorativen Elementen der Waren

BGH, Beschluss vom 1. Juli 2010 – I ZB 68/09 – Hefteinband

Amtlicher Leitsatz:

Besteht ein Bildzeichen nur aus üblichen dekorativen Elementen der Waren, für die der Markenschutz beansprucht wird, wird es der Verkehr im Allgemeinen nicht als Herkunftsmittel auffassen, auch wenn sich auf dem Markt noch keine mit dem angemeldeten Zeichen vollständig übereinstimmende Gestaltung findet.

BGH, I ZR 161/09 – Flappe: Trennungsgebot redaktioneller Inhalte und Werbung

BGH, Urteil vom 1. Juli 2010 – I ZR 161/09 – Flappe

Amtliche Leisätze:

a) Ein Verstoß gegen das in Nr. 11 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG vorgesehene Verbot als Information getarnter Werbung liegt bei einer mehrseitigen Zeitschriftenwerbung nicht vor, wenn der Werbecharakter nach dem Inhalt der gesamten Werbung unverkennbar ist und bei einer Kenntnisnahme nur der ersten Seite deren isolierter Inhalt keine Verkaufsförderung bewirkt.

b) Bei der unter a) beschriebenen Zeitschriftenwerbung liegt auch keine Verschleierung des Werbecharakters i.S. von § 4 Nr. 3 UWG vor.

c) Ein Verstoß gegen das in den Landespressegesetzen verankerte Trennungsgebot redaktioneller Inhalte und Werbung liegt nicht vor, wenn der Leser den Werbecharakter einer mehrseitigen Zeitschriftenwerbung in ihrer Gesamtheit ohne weiteres erkennt und die erste Seite der Zeitschriftenwerbung für sich genommen keine Werbewirkung entfaltet.

ipwiki.de, ipweblog.de und ipreport.de wünschen ein erfolgreiches Jahr 2011

Patentanwalt Dr. Martin Meggle-Freund bedankt sich für die Webprojekte ipwiki.de, ipweblog.de und ipreport.de bei allen Interessierten und Beitragenden herzlich und wünscht allen ein erfolgreiches Jahr 2011.

Zum Jahreswechsel ein knapper Report zur Nutzungsstatistik von ipwiki.de:

ipwiki.de zählte im Jahr 2010 178.589 Besucher bei 387.042 Seitenaufrufen (gemessen mit Google Analytics), also ca. 15000 Besucher pro Monat. Zum Vergleich, das Vorjahr 2009 zählte im gleichen Zeitraum 143.351 Besucher bei 316.314 Seitenaufrufen. Das entspricht einem Besucherzuwachs von 24,6 %.

Hier eine Graphik der ipwiki-Besucherzahlen seit Beginn der Messung im Februar 2007:

BPatG, 33 W (pat) 14/10 – Unterschriftsmangel II

BPatG, Entscheidung vom 16. November 2010 – 33 W (pat) 14/10 – Unterschriftsmangel II

Amtliche Leitsätze:

Zur schriftlichen Ausfertigung eines Beschlusses des Deutschen Patent- und Markenamts gehört die Unterschrift des an seinem Zustandekommen beteiligten Amtsträgers oder – ersatzweise – der Abdruck seines Namens zusammen mit einem Abdruck des Dienstsiegels des Deutschen Patent- und Markenamts auf dem Original.

Fehlt es daran, so ist der Beschluss mangels gesetzlich vorgeschriebener Form unwirksam, was vom Bundespatentgericht festzustellen ist. Eine Nachholung der Unterschrift oder der Anbringung des Dienstsiegels im Beschwerdeverfahren ist bei einem im schriftlichen Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt erlassenen Beschluss nicht möglich (Weiterentwicklung von BPatGE 41, 44 f.).

BPatG, 24 W (pat) 80/08 – akustilon: Übertragende Umwandlung der Markeninhaberin

BPatG, Entscheidung vom 27. Juli 2010 – 24 W (pat) 80/08 – akustilon

Amtliche Leitsätze:

1. Die Mitteilung und Unterrichtung nach § 53 Abs. 4 MarkenG stellt einen der Erinnerung bzw. Beschwerde zugänglichen Beschluss dar.

2. Gegenstand eines entsprechenden Rechtsmittelverfahrens ist allein die Frage, ob ein rechtswirksamer Widerspruch gegen die beantragte Löschung vorliegt.

3. Ist ein Verfallslöschungsantrag darauf gestützt, dass der Inhaber der Marke die in § 7 MarkenG genannten Voraussetzungen nicht mehr erfüllt (§ 49 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG), wird aber der Löschung seitens oder für den eingetragenen Inhaber widersprochen, so ist dem Antragsteller vor einer Mitteilung und Unterrichtung gemäß § 53 Abs. 4 MarkenG rechtliches Gehör zu gewähren; gegebenenfalls ist von Amts wegen zu ermitteln, ob ein rechtswirksamer Widerspruch vorliegt.

4. Die Zustellung der Mitteilung des Löschungsantrags an einen nicht mehr existenten eingetragenen Inhaber der Marke ist unheilbar unwirksam und setzt die Widerspruchsfrist des § 53 Abs. 3 MarkenG nicht in Lauf. Daher kommt eine Löschung nicht mehr in Betracht, wenn ein formell durch Umschreibungsantrag oder Umschreibung legitimierter Erwerber der Marke der Löschung im weiteren Verlauf des Verfahrens wirksam widerspricht.

BGH, I ZR 11/08: GEMA-Gesamtvertrag

BGH, Urteil vom 14. Oktober 2010 – I ZR 11/08 – OLG München

UrhWG § 11 Abs. 1, § 12

a) Eine Verwertungsgesellschaft hat die von ihr wahrgenommenen Nutzungsrechte nach § 11 Abs. 1, § 12 UrhWG nur denjenigen zu angemessenen Bedingungen einzuräumen, die diese zumindest auch für eigene Nutzungshandlungen benötigen. Sie muss die Nutzungsrechte dagegen nicht denjenigen einräumen, die diese ausschließlich auf Dritte weiterübertragen möchten.

b) Hat eine Verwertungsgesellschaft einen Tarif für einen Nutzungsvorgang aufgestellt, der mehrere Nutzungshandlungen umfasst, so ist sie gegenüber Vereinigungen, deren Mitglieder keine der von diesem Tarif erfassten Nutzungshandlungen selbst vornehmen, nicht nach § 12 UrhWG zum Abschluss eines Gesamtvertrages über diesen Tarif verpflichtet.

c) Die GEMA-Tarife VR-OD 2 und VR-OD 3 für die Musiknutzung in Musikabrufdiensten erfassen allein das Aufnehmen und Aufbereiten von Musikstücken durch Nutzer oder im Auftrag von Nutzern, die beabsichtigen, diese Musikdateien anschließend selbst öffentlich zugänglich zu machen. Nutzer, die nicht selbst Musikstücke in Musikabrufdiensten anbieten, können den Tarif der Beklagten für die Musiknutzung in Musikabrufdiensten daher auch dann nicht in Anspruch nehmen, wenn sie diese Musikstücke für eine Nutzung in Musikabrufdiensten aufnehmen und aufbereiten.