Auf Grundlage des Art. 112(1)(b) EPÜ hat die Präsidentin des Europäischen Patentamts, Alison Brimelow, verschiedene Vorlagefragen zur Patentierbarkeit von Software der Großen Beschwerdekammer vorgelegt (siehe: Pressemitteilung des EPA). Der Volltext der Vorlagefragen findet sich hier.
Die Präsidentin zielt mit ihren Vorlagefragen auf eine europaweite Harmonisierung der Rechtsprechung zu Softwarepatenten („computerimplementierten Erfindungen“) ab (Abschnitt 1: „It is clear that the European Patent Office should have the leading role in harmonising the practice of patent offices within Europe.“). Ein ähnlicher Vorstoß zur Harmonisierung der Rechtsprechung der europäischen Gerichte ist 2005 gescheitert, nachdem ein von der Kommission ausgearbeiteter Entwurf einer EU-Richtlinie über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen vom Europäischen Parlament zurückgewiesen wurde.
Vorlagefragen (mit eigener Kommentierung des Autors):
QUESTION 1
CAN A COMPUTER PROGRAM ONLY BE EXCLUDED AS A COMPUTER PROGRAM AS SUCH IF IT IS EXPLICITLY CLAIMED AS A COMPUTER PROGRAM?
Diese Vorlagefrage zielt darauf ab, ob Software nur dann vom Patentierungsauschluß betroffen ist, wenn sie „als solche“, also losgelöst von weiterem technischen Bezug beansprucht wird.
QUESTION 2
(A) CAN A CLAIM IN THE AREA OF COMPUTER PROGRAMS AVOID EXCLUSION UNDER ART. 52(2)(C) AND (3) MERELY BY EXPLICITLY MENTIONING THE USE OF A COMPUTER OR A COMPUTER-READABLE
DATA STORAGE MEDIUM?
Vorlagefrage 2(A) ist in Zusammenhang mit Vorlagefrage 1 zu sehen und ist darauf gerichtet, ob Software bereits dadurch dem Patentierungsausschluß entgehen kann, daß sie nicht „als solche“ beansprucht wird, sondern z.B. in Zusammenwirkung mit einem Computer (bzw. Computersystem), der dazu eingerichtet ist, die Software auszuführen, oder einem Speichermedium, das die Software trägt. Die Frage bezieht sich also darauf, ob die Technizität des Computers bzw. des Datenträgers alleine bereits ausreicht, um das Patentierungsverbot zu vermeiden.
(B) IF QUESTION 2 (A) IS ANSWERED IN THE NEGATIVE, IS A FURTHER TECHNICAL EFFECT NECESSARY TO AVOID EXCLUSION, SAID EFFECT GOING BEYOND THOSE EFFECTS INHERENT IN THE USE OF A COMPUTER OR DATA STORAGE MEDIUM TO RESPECTIVELY EXECUTE OR STORE A COMPUTER PROGRAM?
Diese Frage greift den von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Begriff des „technischen Beitrags“ auf, der auch im Zentrum des EU-Richtlininienentwurfs stand. Der „Beitragsansatz“ führt dazu, daß auch Merkmale, die an sich vom Patentierungsausschluß betroffen sind (wie z.B. Algorithmen und eben Computersoftware) als Teil eines Patentanspruchs bei der weiteren Prüfung der Patentfähigkeit berücksichtigt werden können. Bei der heute üblichen Gesamtbetrachtung des Anspruchsgegenstands werden solche vom Patentierungsausschluß betroffenen Anspruchsmerkmale bei der Prüfung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit nicht völlig ausgeblendet, sondern insoweit berücksichtigt, als sie einen technischen Beitrag liefern. Damit kann beispielsweise ein an sich bekanntes technisches Gerät (gewöhnlicher Computer, bekannter Roboter) dadurch patentfähig werden, daß er mit vom Patentierungsausschluß betroffenen, innovativen Merkmalen zusammenwirkt (innovative Software bzw. neuer Steuerungsalgorithmus).
QUESTION 3
(A) MUST A CLAIMED FEATURE CAUSE A TECHNICAL EFFECT ON A PHYSICAL ENTITY IN THE REAL WORLD IN ORDER TO CONTRIBUTE TO THE TECHNICAL CHARACTER OF THE CLAIM?
(B) IF QUESTION 3 (A) IS ANSWERED IN THE POSITIVE, IS IT SUFFICIENT THAT THE PHYSICAL ENTITY BE AN UNSPECIFIED COMPUTER?
(C) IF QUESTION 3 (A) IS ANSWERED IN THE NEGATIVE, CAN FEATURES CONTRIBUTE TO THE TECHNICAL CHARACTER OF THE CLAIM IF THE ONLY EFFECTS TO WHICH THEY CONTRIBUTE ARE INDEPENDENT OF ANY PARTICULAR HARDWARE THAT MAY BE USED?
Diese Vorlagefragen zielen darauf ab, ob der geforderte technische Beitrag auch im Umfeld des Computers als solchem liegen kann. Beispielsweise könnte ein technischer Effekt auch in einer innovativen Speicherverwaltung (Frage B) oder in Eigenschaften einer Benutzeroberfläche (Frage C) eines Computers als Schnittstelle zwischen Mensch-Computer gesehen werden.
Frage A ist wohl so zu verstehen, daß zwischen Computern und der „realen Welt“ unterschieden werden könnte. Diese Frage mag sonderbar anmuten, bringt den Streit um die Patentierbarkeit von Software aber auf den Punkt: Gehört der Computer denn nicht zur „realen Welt“? Wo sind die grenzen der realen Welt? Ist die Anzeige auf dem Display meiner Waschmaschine real? Ist der Standby-Screen meines Mobiltelefons real? Sind die Buttons meines Internet-Browsers und die Slider am Window-Rand real? Ist S60 5th Edition realer als S60 3rd Edition, nur weil die Buttons auf dem Handybildschirm jetzt touch-sensitiv sind? …
QUESTION 4
(A) DOES THE ACTIVITY OF PROGRAMMING A COMPUTER NECESSARILY INVOLVE TECHNICAL CONSIDERATIONS?
(B) IF QUESTION 4 (A) IS ANSWERED IN THE POSITIVE, DO ALL FEATURES RESULTING FROM PROGRAMMING THUS CONTRIBUTE TO THE TECHNICAL CHARACTER OF A CLAIM?
(C) IF QUESTION 4 (A) IS ANSWERED IN THE NEGATIVE, CAN FEATURES RESULTING FROM PROGRAMMING CONTRIBUTE TO THE TECHNICAL CHARACTER OF A CLAIM ONLY WHEN THEY CONTRIBUTE TO A FURTHER TECHNICAL EFFECT WHEN THE PROGRAM IS EXECUTED?
Nach einigen Entscheidungen sowohl der europäischen als auch der deutschen Rechtsprechung reicht es für das Vorliegen eines technischen Beitrags bereits aus, daß bei der Erlangung des Anspruchsgegenstands technische Überlegungen eine Rolle spielten. Die Frage ist hier: Liegen denn der Entwickung eines Computerprogramms nicht auch technische Überlegungen zugrunde? Ist die Tätigkeit des Programmierers denn keine technische Tätigkeit? Eine Verneinung von insbesondere Frage (C) würde quasi zu einer Aufgabe des Patentierungsausschlusses von Computerprogrammen führen. Denn würden Überlegungen beim Softwaredesign, die selbst keinen technischen Effekt liefern, als technischer Beitrag betrachtet werden, so würde damit der Patentierungsausschluss des Art. 52 (2) EPC von Computerprogrammen als solchen stark aufgeweicht werden. Auch die weiteren Patentierungsausschlüße wären betroffen. Beispielsweise würde ein in Sofware kodiertes Geschäftsverfahren bereits dadurch patentfähig, daß es auf einer innovativen Software beruht. Vom Patentierungsauschluß betroffen blieben dann lediglich Geschäftsverfahren als solche und zwar innovative Geschäftsverfahren, die lediglich auf gewöhnlicher Software basieren, die keine besonderen Überlegungen benötigt.