Autor: Dr. Martin Meggle-Freund

BGH, X ZR 113/11 – Palettenbehälter III: Gleichwirkung der abgewandelten Mittel

BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 – X ZR 113/11 – Palettenbehälter III

Amtlicher Leitsatz:

Eine vom Wortsinn des Patentanspruchs abweichende Lösung ist nur dann gleichwirkend, wenn sie nicht nur im Wesentlichen die Gesamtwirkung der Erfindung erreicht, sondern gerade auch diejenige Wirkung erzielt, die das nicht wortsinngemäß verwirklichte Merkmal erzielen soll. Ergeben sich aus der Auslegung des Patentanspruchs Mindestanforderungen an die Quantität oder Qualität einer bestimmten Wirkung, können abgewandelte Mittel, die diesen Anforderungen nicht gerecht werden, auch dann nicht unter dem Gesichtspunkt einer verschlechterten Ausführungsform als gleichwirkend angesehen werden, wenn alle übrigen Wirkungen der patentgemäßen Lösung im Wesentlichen erreicht werden.

BGH, I ZR 44/10: zum ausschließliches Recht des Sendeunternehmens

BGH, Beschluss vom 16. August 2012 – I ZR 44/10

Amtlicher Leitsatz:

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. Nr. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Umfasst der Begriff der öffentlichen Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG die drahtgebundene Weitersendung eines durch Rundfunk gesendeten Werkes, wenn die ursprüngliche Sendung im Sendegebiet auch drahtlos empfangen werden kann, das Werk an die Besitzer von Empfangsgeräten weitergesendet wird, die die Sendung allein oder im privaten bzw. familiären Kreis empfangen, und die Weitersendung durch ein anderes als das ursprüngliche Sendeunternehmen zu Erwerbszwecken vorgenommen wird?

EuGH, C-128/11 – Gebrauchthandel mit Softwarelizenzen

EuGH, Urteil v. 3.7.2012, C-128/11 – Gebrauchthandel mit Softwarelizenzen

Auszüge aus der Urteilsbegründung bzgl. der Vorlagefragen aus BGH, Beschluss vom 3. Februar 2011 – I ZR 129/08 – Oracle ./. UsedSoft:

Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24 bestimmt, dass sich mit dem Erstverkauf einer Programmkopie in der Union durch den Urheberrechtsinhaber oder mit seiner Zustimmung das Recht auf die Verbreitung dieser Kopie in der Union erschöpft.

Zur Frage, ob in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens durch die fraglichen Geschäfte das Eigentum an der Kopie des Computerprogramms übertragen wird, ist festzustellen, dass aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, dass der Kunde von Oracle, der die Kopie des betreffenden Computerprogramms herunterlädt und mit Oracle einen Lizenzvertrag über die Nutzung dieser Kopie abschließt, gegen Zahlung eines Entgelts ein unbefristetes Recht zur Nutzung dieser Kopie erhält. Dadurch, dass Oracle eine Kopie des Computerprogramms zugänglich macht und ein entsprechender Lizenzvertrag abgeschlossen wird, soll diese Kopie für die Kunden von Oracle gegen Zahlung eines Entgelts, das es dem Urheberrechtsinhaber ermöglichen soll, eine dem wirtschaftlichen Wert der Kopie des ihm gehörenden Werkes entsprechende Vergütung zu erzielen, dauerhaft nutzbar gemacht werden.

Unter diesen Umständen wird durch die in Randnr. 44 des vorliegenden Urteils erwähnten, in ihrer Gesamtheit geprüften Geschäfte das Eigentum an der Kopie des betreffenden Computerprogramms übertragen.

Insoweit spielt es in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens keine Rolle, ob dem Kunden die Kopie des Computerprogramms vom Rechtsinhaber über das Herunterladen von dessen Internetseite oder über einen materiellen Datenträger wie eine CD-ROM oder DVD zur Verfügung gestellt wird. Selbst wenn der Rechtsinhaber auch in diesem letztgenannten Fall das Recht des Kunden, die Kopie des gelieferten Computerprogramms zu nutzen, formell von dem Geschäft trennt, das darin besteht, die Kopie dieses Programms auf einem materiellen Datenträger an den Kunden zu übertragen, bleiben für den Erwerber aus den in Randnr. 44 des vorliegenden Urteils genannten Gründen das Geschäft, das im Heraufladen einer Kopie des Computerprogramms vom Datenträger besteht, und das Geschäft, das im Abschluss eines Lizenzvertrags besteht, untrennbar miteinander verbunden. Da der Erwerber, der eine Kopie des Computerprogramms von einem materiellen Datenträger wie einer CD-ROM oder DVD herauflädt und für diese Kopie einen entsprechenden Lizenzvertrag schließt, das Recht erhält, sie gegen Zahlung eines Entgelts unbefristet zu nutzen, ist davon auszugehen, dass durch diese beiden Geschäfte, wenn eine Kopie des betreffenden Computerprogramms auf einem materiellen Datenträger wie einer CD-ROM oder DVD zur Verfügung gestellt wird, ebenfalls das Eigentum an dieser Kopie übertragen wird.

Gleichwohl bewirkt der Abschluss eines Wartungsvertrags wie der des Ausgangsverfahrens anlässlich des Verkaufs einer nichtkörperlichen Programmkopie, dass die ursprünglich gekaufte Kopie repariert und aktualisiert wird. Selbst wenn der Wartungsvertrag befristet ist, sind die aufgrund eines solchen Vertrags verbesserten, veränderten oder ergänzten Funktionen Bestandteil der ursprünglich heruntergeladenen Kopie und können von deren Erwerber ohne zeitliche Begrenzung genutzt werden, und zwar auch dann, wenn der Erwerber später beschließt, seinen Wartungsvertrag nicht zu verlängern.

Es ist jedoch daran zu erinnern, dass, wie in den Randnrn. 69 bis 71 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die Erschöpfung des Verbreitungsrechts nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24 den Ersterwerber nicht dazu berechtigt, die von ihm erworbene Lizenz, falls sie für eine seinen Bedarf übersteigende Zahl von Nutzern gilt, aufzuspalten und das Recht zur Nutzung des betreffenden Computerprogramms nur für eine von ihm bestimmte Nutzerzahl weiterzuverkaufen.

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der Urheberrechtsinhaber, also Oracle, beim Weiterverkauf einer Nutzungslizenz durch den Weiterverkauf einer von seiner Internetseite heruntergeladenen Programmkopie berechtigt ist, mit allen ihm zur Verfügung stehenden technischen Mitteln sicherzustellen, dass die beim Verkäufer noch vorhandene Kopie unbrauchbar gemacht wird.

BGH, X ZR 117/11 – Polymerschaum

BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 – X ZR 117/11 – Polymerschaum

Amtliche Leitsätze:

Die Prüfung der Patentfähigkeit erfordert regelmäßig eine Auslegung des Patentanspruchs, bei der dessen Sinngehalt in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen sind. Dem Patentanspruch darf dabei nicht deshalb ein bestimmter Sinngehalt beigelegt werden, weil sein Gegenstand andernfalls gegenüber den Ursprungsunterlagen unzulässig erweitert wäre.

Ergibt die mündliche Verhandlung des Patentnichtigkeitsberufungsverfahrens, dass die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, kommt es für die Entscheidung, ob es sachdienlich ist, die gebotene weitere Sachaufklärung dem Patentgericht zu übertragen oder zu diesem Zweck das Berufungsverfahren vor dem Bundesgerichtshof fortzusetzen, in erster Linie darauf an, auf welchem Weg die noch offenen Sachfragen möglichst effizient und zügig geklärt werden können.

BGH, X ZR 97/11 – Palettenbehälter II: Anbieten oder Liefern von Austauschteilen für das patentgeschützte Erzeugnis

BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 – X ZR 97/11 – Palettenbehälter II

Amtliche Leitsätze:

a) Gehört der Austausch bestimmter Bestandteile zum bestimmungsgemäßen Gebrauch eines patentierten Erzeugnisses, so darf dieser Austausch an einem mit Zustimmung des Patentinhabers in Verkehr gebrachten Exemplar auch von Wettbewerbern vorgenommen werden, die das Exemplar zu diesem Zweck in reparaturbedürftigem Zustand erwerben und nach erfolgter Reparatur an Dritte weiterveräußern.

b) Der vom Senat aufgestellte Grundsatz, wonach für die Frage, ob durch den Austausch von Teilen die Identität des bearbeiteten Gegenstandes gewahrt bleibt oder ob die Maßnahmen auf die erneute Herstellung des patentgeschützten Erzeugnisses hinauslaufen, auch von Bedeutung sein kann, ob es sich um Teile handelt, mit deren Austausch während der Lebensdauer der Vorrichtung üblicherweise zu rechnen ist, und inwieweit sich gerade in den ausgetauschten Teilen die technischen Wirkungen der Erfindung widerspiegeln, ist auch dann heranzuziehen, wenn eine unmittelbare Patentverletzung geltend gemacht wird.

c) Ob sich gerade in den ausgetauschten Teilen die technischen Wirkungen der Erfindung widerspiegeln, ist in der Regel nur dann ausschlaggebend, wenn mit dem Austausch während der Lebensdauer des geschützten Erzeugnisses üblicherweise zu rechnen ist. Hierfür ist maßgeblich, ob der Austausch nach der Verkehrsauffassung als übliche Erhaltungsmaßnahme anzusehen ist, die die Identität der Gesamtvorrichtung als verkehrsfähiges Wirtschaftsgut nicht in Frage stellt.

§ 312g BGB: Buttonlösung („zahlungspflichtig bestellen“)

Am 1. August trat der als „Gesetz gegen Kostenfallen im Internet“ bekannte, neue § 312g BGB in Kraft.

Nach § 312g (3) BGB hat der Unternehmer die Bestellsituation bei einem Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr so zu gestalten, dass der Verbraucher mit seiner Bestellung ausdrücklich bestätigt, dass er sich zu einer Zahlung verpflichtet. Erfolgt die Bestellung über eine Schaltfläche, ist die Pflicht des Unternehmers nur erfüllt, wenn diese Schaltfläche gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern „zahlungspflichtig bestellen“ oder mit einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet ist [-> Buttonlösung] .

BGH, I ZR 6/11 – Kommunikationsdesigner: Rechte der Miturhebergesellschaft

BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – I ZR 6/11 – Kommunikationsdesigner

Amtlicher Leitsatz:

Urheber, die ihre Werke durch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts verwerten, deren alleinige Gesellschafter sie sind, können – falls die vereinbarte Vergütung nicht angemessen ist – in entsprechender Anwendung des § 32 Abs. 1 Satz 3 UrhG von dem Vertragspartner der Gesellschaft die Einwilligung in die Änderung des Vertrages verlangen, um auf diese Weise eine angemessene Vergütung für die Werknutzung zu erreichen.

BPatG – 7 W (pat) 306/11: Beteiligtenwechsel im Einspruchsverfahren

BPatG, Beschl. v. 30. März 2012 – 7 W (pat) 306/11 – Maßstabträger: Beteiligtenwechsel im Einspruchsverfahren

Amtlicher Leitsatz:

Zum rügelosen Einlassen eines in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen Verfahrensbeteiligten zum Beteiligtenwechsel auf der Gegenseite.

Aus der Beschlussbegründung:

Zwar ist ein solcher Beteiligtenwechsel nach der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach § 99 PatG i.V.m. § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur mit Zustimmung der übrigen Verfahrensbeteiligten zulässig (vgl. BGH GRUR 2008, 87, 89 – Patentinhaberwechsel im Einspruchsverfahren), welche von den Einsprechenden bislang nicht ausdrücklich erklärt wurde; es entspricht einhelliger Meinung im Schrifttum, dass auch dann, wenn die erforderliche Zustimmung i.S.d. § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht ausdrücklich erklärt wurde, diese nach § 267 ZPO zu vermuten ist, wenn der Beteiligte, von dessen Zustimmung der Beteiligtenwechsel abhängig ist, sich in der mündlichen Verhandlung auf die Sache eingelassen hat, ohne dem Beteiligtenwechsel zu widersprechen (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl., § 265 Rn. 17; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 265, Rn. 7).

Dies ist vorliegend nicht nur für die Einsprechende zu 1), welche an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, sondern auch für die nicht erschienene Einsprechende zu 2) der Fall, da für Letztere das Fernbleiben im Termin einer rügelosen Einlassung auf die Sache gleichsteht.

Dem steht nicht entgegen, dass im Zivilverfahren für den Fall der Säumnis eine vermutete Einwilligung nach § 267 ZPO ausgeschlossen ist (vgl. Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 32. Aufl., § 267 Rn. 1; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 267 Rn. 1). Denn hiermit wird lediglich den Besonderheiten des zivilgerichtlichen Säumnisverfahrens Rechnung getragen, das insbesondere dadurch gekennzeichnet ist, dass die nicht erschienene Partei so behandelt wird, als habe sie zur Klage nicht ordnungsgemäss vorgetragen, was wiederum entweder zur Klageabweisung bei Säumnis des Klägers (vgl. § 330 ZPO) oder zum Zugeständnis des klägerischen tatsächlichen Vorbringens durch den säumigen Beklagten (vgl. § 331 ZPO) führt.

Eine solche Verfahrenssituation ist im Einspruchsverfahren aber ausgeschlossen; vielmehr führt im Einspruchsverfahren das Nichterscheinen im Termin aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 59 Abs. 4 i.V.m. § 46 PatG; § 87 Abs. 1 ZPO), des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG, §§ 42, 48, 93 PatG) und des im Gegensatz zum Zivilprozess nicht-obligatorischen Charakters der mündlichen Verhandlung, die nur ausnahmesweise stattfindet (§§ 59 Abs. 3, 78 PatG), lediglich dazu, dass der nicht erschienene Beteiligte so zu behandeln ist, als hätte er in der mündlichen Verhandlung sein bisheriges schriftliches Vorbringen wiederholt, so dass dieses der Entscheidung zugrunde zu legen ist; damit sind die Vorschriften der ZPO über das Säumnisverfahren, zu denen auch die Unanwendbarkeit des § 267 ZPO gehört, im Einspruchsverfahren nicht anwendbar. Dies führt aber für die hier in Rede stehende Frage der Zustimmung zum Beteiligtenwechsel dazu, dass in Anwendung des § 99 PatG i.V.m. § 267 ZPO davon auszugehen ist, dass sich nicht nur die Einsprechende zu 1), sondern auch die Einsprechende zu 2), obwohl sie zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, ohne Beanstandung des Beteiligtenwechsels auf das Vorbringen der in das Einspruchsverfahren eingetretenen neuen Patentinhaberin i.S.d. § 267 ZPO eingelassen hat, so dass ihre Zustimmung zum Beteiligtenwechsel nach dieser Vorschrift zu vermuten ist.

BGH, X ZR 129/09 – Nabenschaltung III: Zur Übertragbarkeit des Vorbenutzungsrechts

BGH, Urteil vom 22. Mai 2012 – X ZR 129/09 – Nabenschaltung III

Amtliche Leitsätze:

a) Die Übertragung eines abgrenzbaren Betriebsteils steht für den Erwerb eines Vorbenutzungsrechts der Übertragung des (gesamten) Betriebs gleich.

b) Der Übergang eines Vorbenutzungsrechts zusammen mit einem Betriebsteil ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Übernehmer einen Teil der zur Herstellung der geschützten Vorrichtung erforderlichen Arbeiten in fremden Werkstätten, zu denen auch diejenigen seines Vertragspartners zählen können, vornehmen lässt.

Aus der Urteilsbegründung:

Die (weitere) Benutzung eines Schutzrechts in einem fremden Betrieb indiziert für sich genommen nicht dessen Verbleib bei diesem Unternehmen, sondern wird als Fremdfertigung durch das Vorbenutzungsrecht des Berechtigten so lange gedeckt, wie der Vorbenutzungsberechtigte einen bestimmenden wirtschaftlich wirksamen Einfluss auf Art und Umfang der Herstellung und gegebenenfalls des Vertriebs behält (vgl. Benkard/Rogge, 10. Aufl., § 12 PatG Rn. 24 f. mwN). Der Verbleib des Vorbenutzungsrechts beim Auftraggeber dieser Fertigung ist in solchen Fällen erst dann infrage gestellt, wenn in der fremden Werkstätte nach eigenen willentlichen Entschließungen ihres Inhabers gearbeitet wird (vgl. Rogge, aaO, § 12 PatG Rn. 24 mwN; Busse/Keukenschrijver, 6. Aufl., § 12 PatG Rn. 46).