BPatG, ZA (pat) 46/12 – Kosten des Privatgutachtens

BPatG, Beschl. v. 30. Oktober 20125 – ZA (pat) 46/12 (zu 5 Ni 33/09 (EU))

Amtlicher Leitsatz:

Bei der Erstattungsfähigkeit von Kosten eines Privatsachverständigen im Nichtigkeitsberufungsverfahren
ist auch dann der allgemein strenge Maßstab anzuwenden, wenn der Bundesgerichtshof
bei einer vor dem 1.10.2009 erhobenen Klage im Berufungsverfahren von der
Beauftragung eines gerichtlichen Sachverständigen abgesehen hat.

BPatG, 4 Ni 15/10 (EU) – Unterdruckwundverband

BPatG, Urteil v. 3. Juli 2012 – 4 Ni 15/10 (EU) – Unterdruckwundverband

Amtliche Leitsätze:

1. Ein im Nichtigkeitsverfahren wegen unzulässiger Erweiterung einer Teilanmeldung nach Art. 138 Abs. 1 Buchst c EPÜ angegriffenes europäisches Patent ist für nichtig zu erklären, wenn die Teilanmeldung über den Inhalt der Stammanmeldung hinausgeht und zu einer anderen Lehre, einem Aliud, geführt hat.

2. Ein aus einer Teilanmeldung hervorgegangenes europäisches Patent kann im Nichtigkeitsverfahren mit geänderten Ansprüchen nur zulässig beschränkt verteidigt werden, wenn die verteidigte Fassung auch den Anforderungen des Art. 76 Abs. 1 EPÜ für eine zulässige Teilanmeldung genügt.

3. Die Frage, ob im Rahmen der sich aus Art. 123 Abs. 2 und 3 EPÜ ergebenden Beschränkungen des Änderungsrechts auch bei europäischen Patenten der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu nationalen Patenten gefolgt werden kann, wonach trotz unzulässiger Erweiterung der Anmeldung (Stammanmeldung) durch Aufnahme eines beschränkenden Merkmals das Patent erhalten werden kann (BGH GRUR 2011, 40, Tz. 18 – Winkelmesseinrichtung, ebenfalls zur Teilanmeldung; GRUR 2001, 140, Tz. 40 – Zeittelegramm) bedarf jedenfalls dann keiner Klärung, wenn die unzulässige Erweiterung zu einem Aliud geführt hat.

BGH, X ZR 10/10: Kniehebelklemmvorrichtung

BGH, Urteil vom 25. September 2012 – X ZR 10/10

Besteht aus fachmännischer Sicht Anlass, im Rahmen der technischen Weiterentwicklung einer Vorrichtung eine bestimmte Konstruktion in Erwägung zu ziehen, und bedarf es deshalb hierfür keiner erfinderischen Tätigkeit, führt allein das Verharren bei dieser Konstruktion auch dann nicht zu einer anderen Bewertung, wenn erkennbare Nachteile der erwogenen Konstruktion dem Fachmann eine konkrete Anregung geben könnten, bei dieser nicht stehen zu bleiben.

EuGH: Gerichtsstand der unerlaubten Handlung und negative Feststellungsklage

Der EuGH hat im Urteil in der Rechtssache C‑133/11 (Urteil vom 25.10.2012) entschieden, dass die internationale Zuständigkeit am Ort der unerlaubten Handlung (Art. 5 Nr. 3 EuGVVO) auch für die negative Feststellungsklage eröffnet ist. Mit dem Urteil wurde die in der Entscheidung BGH KZR 8/10 – Trägermaterial für Kartenformulare gestellte Vorlagefrage beantwortet.

Wichtige Konsequenzen wird diese Entscheidung beispielsweise für die unberechtigte Abmahnung aus einem europäischen Bündelpatent haben. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Abmahnung auf mehrere Staaten bezieht (beispielsweise weil der Patentinhaber nur pauschal auf das EP-Patent, nicht auf einen einzelnen nationalen Teil desselben Bezug nimmt). Der zu Unrecht Abgemahnte kann eine negative Feststellungsklage (sofern sie nach den nationalen Vorschriften zulässig ist) in allen Staaten erheben, für die er abgemahnt wurde. Das eröffnet dem zu Unrecht Abgemahnten die Möglichkeit, die Klage in einem ihm genehmen Staat zu erheben. Da die Kognitionsbefugnis der Gerichte am Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO auf die (Nicht-)Verletzung im jeweiligen Staat beschränkt ist, kann der zu Unrecht Abgemahnte sogar parallel in unterschiedlichen Staaten mehrere negative Feststellungsklagen jeweils am Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO erheben.

Ein Schutzrechtsinhaber, der einen Verletzer aus einem EP-Bündelpatent abmahnen will, wird tunlichst abwägen, ob die Abmahnung nicht spezifisch auf Schutzrechte und/oder Handlungen in einem bestimmten Staat beschränkt werden soll. Nur so kann der Schutzrechtsinhaber der Gefahr begegnen, in einer Vielzahl von Staaten gerichtspflichtig zu werden, wenn sich die Abmahnung als unberechtigt herausstellt.

BGH, I ZR 182/11: Metall auf Metall II

BGH, Mitteilung der Pressestelle Nr. 210/2012 zu Urteil vom 13. Dezember 2012 – I ZR 182/11 – Metall auf Metall II

Aus der Pressemitteilung:

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass es unzulässig ist, die auf einem fremden Tonträger aufgezeichneten Töne oder Klänge im Wege der sogenannten freien Benutzung für eigene Zwecke zu verwenden, wenn es einem durchschnittlichen Musikproduzenten möglich ist, eine gleichwertige Tonaufnahme selbst herzustellen.

EuGH C-553/11 (PROTI) – Benutzung in abgewandelter Form

Der EuGH hat die ihm vom BGH vorgelegten Fragen zur rechtserhaltenden Benutzung einer Marke in abgewandelter Form, wenn diese abgewandelte Form selbst als Marke eingetragen ist, beantwortet (Urteil vom 25.10.2012 in der Rechtssache C-553/11).

Ausgangspunkt für die Vorlagefragen des BGH war, dass nach dem EuGH-Urteil Il Ponte Finanziaria (
Rechtssache C‑234/06, dort insbesondere Rz. 86) in der Instanzrechtsprechung und Literatur Zweifel aufgekommen waren, ob die Regelung des § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG richtlinienkonform ist. Nach § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG steht es einer rechtserhaltenden Benutzung einer eingetragenen Marke in abgewandelter Form nicht entgegen, wenn auch die abgewandelte Form als Marke eingetragen ist.

In dem Urteil vom 25.10.2012 in der Rechtssache C-553/11 entschied der EuGH nun, dass
– § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG richtlinienkonform ist und
– die Ausführungen des Gerichtshof in Rz. 86 des Urteils Il Ponte Finanziaria (Rechtssache C‑234/06) im spezifischen Kontext des diesem Urteil zugrundeliegenden Sachverhalts (in dem das Vorliegen einer Markenserie geltend gemacht wurde) zu sehen sind und nur für derartige Sachverhalte Geltung beanspruchen.

BGH, X ZR 58/07: Patentierung von Zellen, die aus menschlichen Stammzellen hergestellt werden

BGH, Mitteilung der Pressestelle Nr. 198/2012 vom 27. November 2012

Aus der Pressemitteilung:

Der für das Patentrecht zuständige X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat über die Patentierung von Zellen entschieden, die aus menschlichen Stammzellen hergestellt werden.

Der EuGH hat mit Urteil vom 18. Oktober 2011 (C-34/10 – Brüstle/Greenpeace) unter anderem entschieden, dass jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an ein „menschlicher Embryo“ im Sinne der Richtlinie ist, dass der Patentierungsausschluss sich auch auf die Verwendung von menschlichen Embryonen zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung bezieht und dass eine Erfindung nach Art. 6 der Richtlinie auch dann von der Patentierung ausgeschlossen ist, wenn in der Beschreibung der beanspruchten technischen Lehre die Verwendung menschlicher Embryonen nicht erwähnt ist, die technische Lehre, die Gegenstand des Patentantrags ist, aber die vorhergehende Zerstörung menschlicher Embryonen oder deren Verwendung als Ausgangsmaterial erfordert.

Den Einsatz von menschlichen embryonalen Stammzellen als solchen hat der Bundesgerichtshof nicht als Verwendung von Embryonen im Sinne der Richtlinie qualifiziert. Stammzellen weisen nicht die Fähigkeit auf, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen. Dass sie unter Umständen durch Kombination mit bestimmten anderen Zellen in einen Zustand versetzt werden können, in dem sie über die genannte Fähigkeit verfügen, reicht nicht aus, um sie schon vor einer solchen Behandlung als Embryonen ansehen zu können.

Internationale Zuständigkeit bei Patentverletzung: EuGH Solvay

Die beiden Entscheidungen des EuGH aus dem Jahr 2006, die sich mit Fragen der internationalen Zuständigkeit (damals noch nach dem EuGVÜ) für Patentrechtsstreitigkeiten auseinandersetzten (Urteil vom 13. Juli 2006, C‑539/03, Slg. 2006, I‑6535 –„Roche Nederland“; Urteil vom 13. Juli 2006, C‑4/03, Slg. 2006, I‑6509 – „GAT“) haben in den Fachkreisen teils Enttäuschung, teils sogar starke Kritik hervorgerufen (siehe Adolphsen, Europäisches und Internationales Zivilprozessrecht in Patentsachen, 2. Auflage 2009; Rauscher, Europäisches Ziviliprozess- und Kollisionsrecht. EuZPR/EuIPR. 2. Aufl. Bearbeitung 2011, siehe z.B. Kommentierung zu Art. 6 Ziff. 8b; jeweils m.w.N.).

Zur Erinnerung:
– Nach der „Roche Nederland“-Entscheidung soll eine den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO eröffnende Konnexität zwischen Klagen dann nicht gegeben sein, wenn unterschiedliche Patentverletzer dieselbe Handlung in jeweils unterschiedlichen EPÜ-Vertragsstaaten vornehmen. Nach der „Roche Nederland“-Entscheidung gilt dies sogar bei „Spider-in-the-web“-Konstellationen, bei denen ein Konzernunternehmen die Handlungen der anderen Patentverletzer koordiniert.
– Nach der „GAT“-Entscheidung hat die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Schutzrechtsstaats nach Art. 22 Nr. 4 EuGVVO unabhängig davon zu gelten, wie der verfahrensrechtliche Rahmen beschaffen ist, in dem sich die Frage der Gültigkeit eines Patents stellt, also unabhängig davon, ob dies (wider)klage- oder einredeweise geschieht.

Das Urteil vom 12.7.2012 in der Rechtssache Solvay (C-616/10) enthält hingegen gute Kunde für Patentinhaber.

1. Zu Art. 6 Nr. 1 EuGVVO: Der EuGH stellt klar, dass eine Anwendung des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft (Art. 6 Nr. 1 EuGVVO) dann nicht ausgeschlossen ist, wenn mehrere in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten ansässige Patentverletzer dieselbe Verletzungshandlung (z.B. Vertrieb eines patentverletzenden Gegenstands) in demselben Mitgliedsstaat vornehmen.
Dies führt dazu, dass ein Patentverletzer (Unternehmen A), der in einem Mitgliedsstaat der EU ansässig ist, auch vor Gerichten eines anderen Mitgliedsstaats verklagt werden kann, der weder sein Sitzstaat noch der Staat ist, in dem er die patentverleztenden Handlungen vornimmt. Dies nämlich dann, wenn ein weiterer Patentverletzer (Unternehmen B) in eben diesem Staat seinen Sitz hat und die patentverletzende Handlung in demselben Staat vornimmt wie der Patentverletzer (Unternehmen A). Relevant ist diese Konstellation also in den Fällen, in denen die beiden Patentverletzer in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten ihren Sitz haben und die patentverletzende Handlung in einem davon verschiedenen Staat vornehmen. Eine Klage am Gerichtsstand der Streitgenossenschaft sollte jedenfalls dann in Betracht kommen, wenn beide Unternehmen die patentverleztenden Handlungen koordiniert vornehmen.

In seinen Anmerkungen zum Solvay-Urteil in GRUR 2012, 1110 weist H. Schacht darauf hin, dass das Solvay-Urteil auch die Konsequenz haben könnte, dass sich ein Patentverletzer (Unternehmer A), der nicht koordiniert mit dem weiteren Patentverletzer (Unternehmen B) handelt und von dessen Aktivitäten möglicherweise gar nichts weiß, auf einmal einer (zulässigen) Klage im Sitzstaat des Unternehmens B ausgesetzt sehen könnte, obwohl dieser weder der Sitzstaat des Unternehmens A noch der Staat, in dem das Unternehmen A die patentverletzende Handlungen vornimmt, ist. Schacht schlägt vor, die subjektive Kenntnis des Patentverletzers (Unternehmen A) von der Tätigkeit des weiteren Patentverletzers (Unternehmen B) als weiteres Merkmal für die Anwendung von Art. 6 Nr. 1 EuGVVO zu fordern.

Fraglich dürfte derzeit sein, wie weit die Kognitionsbefugnis des Gerichts am Gerichtsstand der Streitgenossenschaft reicht (d.h. ob dieses nur für diejenigen Verletzungshandlungen eines Patentverletzers kognitionsbefugt ist, die in demselben Staat stattgefunden haben wie die Handlungen des weiteren Patentverletzers, in dessen Sitzstaat die Klage erhoben wird).

2. Zu Art. 22 Nr. 4 EuGVVO: Der EuGH führt aus, dass die „GAT“-Entscheidung einer durch Art. 31 EuGVVO begründeten Zuständigkeit eines anderen Gerichts als dem des Schutzrechtsstaats für Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes nicht entgegensteht.

Begründet wird dies damit, dass eine „Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ersichtlich nicht [besteht], da die vorläufige Entscheidung des im Zwischenverfahren angerufenen Richters in keiner Weise der Entscheidung vorgreift, die das nach Art. 22 Nr. 4 der Verordnung Nr. 44/2001 zuständige Gericht in der Hauptsache zu treffen hat.“ (Solvay-Urteil, Rz. 50).

Für die Praxis bedeutet dies, dass in einem Fall, wie er beispielsweise dem GAT/LuK-Verfahren zugrunde lag, das deutsche Verletzungsgericht für den Erlass einstweiliger Verfügungen wegen Verletzung eines anderen nationalen Teils eines Europäischen Patents (z.B. des französischen Teils) international zuständig wäre.

Falls natürlich das oben genannte und vom EuGH angeführte Kriterium maßgeblich sein soll, dass „die vorläufige Entscheidung des im Zwischenverfahren angerufenen Richters in keiner Weise der Entscheidung vorgreift“, die nach Art. 22 Nr. 4 EuGVVO den Gerichten des Schutzrechtsstaates vorbehalten ist, könnte dies auch für die Anwendung des Art. 22 Nr. 4 EuGVVO in Hauptsacheverfahren Bedeutung gewinnen. So hat beispielsweise der nur einredeweise (und nicht widerklageweise) erhobene Einwand der Nichtigkeit des Patents im Verletzungsverfahren vor englischen Gerichten nur Wirkung inter partes. Auch in einem solchen Fall könnte also argumentiert werden, dass die Entscheidung eines deutschen Verletzungsgerichts über den einredeweise erhobenen Nichtigkeitseinwand betreffend den englischen Teil eines Europäischen Patents in keiner Weise der Entscheidung vorgreift über die Nichtigerklärung erga omnes vorgreift, die nach Art. 22 Nr. 4 EuGVVO englischen Gerichten vorbehalten wäre.