BGH, I ZR 46/12 – Die Realität: Zum Framing

BGH, Mitteilung der Pressestelle Nr. 90/2013 zu BGH, I ZR 46/12 – Die Realität: Zum Framing:

Der u.a. für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage vorgelegt, ob der Betreiber einer Internetseite eine Urheberrechtsverletzung begeht, wenn er urheberrechtlich geschützte Inhalte, die auf anderen Internetseiten öffentlich zugänglich sind, im Wege des „Framing“ in seine eigene Internetseite einbindet.

Die Klägerin, die Wasserfiltersysteme herstellt und vertreibt, ließ zu Werbezwecken einen etwa zwei Minuten langen Film mit dem Titel „Die Realität“ herstellen, der sich mit der Wasserverschmutzung befasst. Sie ist Inhaberin der ausschließlichen Nutzungsrechte an diesem Film. Der Film war – nach dem Vorbringen der Klägerin ohne ihre Zustimmung – auf der Videoplattform „YouTube“ abrufbar.

Die beiden Beklagten sind als selbständige Handelsvertreter für ein mit der Klägerin im Wettbewerb stehendes Unternehmen tätig. Sie unterhalten jeweils eigene Internetseiten, auf denen sie für die von ihnen vertriebenen Produkte werben. Im Sommer 2010 ermöglichten sie den Besuchern ihrer Internetseiten, das von der Klägerin in Auftrag gegebene Video im Wege des „Framing“ abzurufen. Bei einem Klick auf einen elektronischen Verweis wurde der Film vom Server der Videoplattform „YouTube“ abgerufen und in einem auf den Webseiten der Beklagten erscheinenden Rahmen („Frame“) abgespielt.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagten hätten das Video damit unberechtigt im Sinne des § 19a UrhG öffentlich zugänglich gemacht. Sie hat die Beklagten daher auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen.

Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von je 1.000 € an die Klägerin verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Das Berufungsgericht hat zwar – so der Bundesgerichtshof – mit Recht angenommen, dass die bloße Verknüpfung eines auf einer fremden Internetseite bereitgehaltenen Werkes mit der eigenen Internetseite im Wege des „Framing“ grundsätzlich kein öffentliches Zugänglichmachen im Sinne des § 19a UrhG darstellt, weil allein der Inhaber der fremden Internetseite darüber entscheidet, ob das auf seiner Internetseite bereitgehaltene Werk der Öffentlichkeit zugänglich bleibt. Eine solche Verknüpfung könnte jedoch bei einer im Blick auf Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des § 15 Abs. 2 UrhG ein unbenanntes Verwertungsrecht der öffentlichen Wiedergabe verletzen. Der Bundesgerichtshof hat dem Gerichtshof der Europäischen Union daher die – auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht zweifelsfrei zu beantwortende – Frage vorgelegt, ob bei der hier in Rede stehenden Einbettung eines auf einer fremden Internetseite öffentlich zugänglich gemachten fremden Werkes in eine eigene Internetseite eine öffentliche Wiedergabe im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG vorliegt.

BGH, I ZR 162/11 – Covermount: Mindestvergütungsregel

BGH, Urteil vom 25. Oktober 2012 – I ZR 162/11 – Covermount

Amtliche Leitsätze:

a) Eine Mindestvergütung ist zum Schutz der Urheber vor einer möglichen Entwertung ihrer Rechte nicht nur dann erforderlich, wenn mit einer wirtschaftlichen Nutzung ihrer Werke keine geldwerten Vorteile erzielt werden, sondern auch dann, wenn damit nur so geringfügige geldwerte Vorteile erzielt werden, dass eine prozentuale Beteiligung am Erlös des Verwerters unzureichend wäre (Fortführung von BGH, Urteil vom 18. Mai 1955 – I ZR 8/54, BGHZ 17, 266 – Grundig-Reporter; Urteil vom 28. Ok-tober 1987 – I ZR 164/85, GRUR 1988, 373 – Schallplattenimport III; Ur-teil vom 1. Dezember 2010 I ZR 70/09, GRUR 2011, 720 = WRP 2011, 1076 – Multimediashow; Urteil vom 27. Oktober 2011 – I ZR 125/10, GRUR 2012, 711 = WRP 2012, 945 – Barmen Live; Urteil vom 27. Okto-ber 2011 – I ZR 175/10, GRUR 2012, 715 = WRP 2012, 950 – Bochumer Weihnachtsmarkt).

b) Eine Mindestvergütung darf allerdings nicht so hoch sein, dass die sich aus dem Beteiligungsgrundsatz ergebenden Erfordernisse zu Lasten des Verwerters in einem unangemessenen Verhältnis überschritten werden. Hiervon kann aber nicht allein deshalb ausgegangen werden, weil die Mindestvergütung den vom Verwerter mit der Verwertung des Werkes erzielten Erlös zu einem erheblichen Teil aufzehrt (Fortführung von BGH, GRUR 1988, 373 – Schallplattenimport III; Urteil vom 29. Januar 2004 – I ZR 135/00, GRUR 2004, 669 = WRP 2004, 1057 – Musikmehrkanaldienst; GRUR 2011, 720 – Multimediashow; GRUR 2012, 711 – Barmen Live; GRUR 2012, 715 – Bochumer Weihnachtsmarkt).

c) Wer die Rechte eines Urhebers verletzt, kann sich nicht damit entlasten, die Verwertungsgesellschaft habe ihm nach § 10 UrhWG die Auskunft erteilt, sie nehme die Rechte dieses Urhebers nicht wahr, wenn er damit rechnen musste, dass die Rechte vom Urheber selbst oder von einem Dritten wahrgenommen werden.

d) Erteilt eine Verwertungsgesellschaft einem Auskunftsberechtigten die unzutreffende Auskunft, sie nehme die Rechte eines bestimmten Urhebers nicht wahr, kann dies zwar zu Schadensersatzansprüchen des Auskunftsberechtigten gegen die Verwertungsgesellschaft (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB), nicht aber zu einem Wegfall der von der Verwertungsgesellschaft wahrgenommenen Rechte des Urhebers führen.

Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung und die Tücken des IPR

1. Das Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung wird als Gegenstand des Vermögens einer bestimmten Rechtsordnung unterstehen. Die entsprechende Kollisionsnorm ist in Artikel 7 der Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes (im Folgenden: EPV) enthalten:

„(1) Ein Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung als Gegenstand des Vermögens ist in seiner Gesamtheit und in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten wie ein nationales Patent des teilnehmenden Mitgliedstaats zu behandeln, in dem dieses Patent einheitliche Wirkung hat, und in dem, gemäß dem Europäischen Patentregister:
a) der Patentanmelder zum Zeitpunkt der Einreichung einer Anmeldung eines Europäischen Patents seinen Wohnsitz oder den Sitz seiner Hauptniederlassung hat oder,
b) sofern Buchstabe a nicht zutrifft, der Patentanmelder zum Zeitpunkt der Einreichung einer Anmeldung eines Europäischen Patents eine Niederlassung hatte.

(3) Hatte für die Zwecke der Absätze 1 oder 2 keiner der Patentanmelder seinen Wohnsitz, den Sitz seiner Hauptniederlassung oder seine Niederlassung in einem teilnehmenden Mitgliedstaat, in dem dieses Patent einheitliche Wirkung hat, so ist ein Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung als Gegenstand des Vermögens in seiner Gesamtheit und in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten wie ein nationales Patent des Staates zu behandeln, in dem die Europäische Patentorganisation gemäß Artikel 6 Absatz 1 EPÜ ihren Sitz hat.“

Noch größere Bedeutung gewinnt diese Vorschrift dadurch, dass nach Artikel 5(3) EPV auch für die Verletzungstatbestände und deren Beschränkungen das Recht dieses Mitgliedsstaates anwendbar ist.

2. Leider führt Artikel 7 EPV nicht immer in eindeutiger Weise zum Recht nur eines Mitgliedsstaates:

2.1) Erstens ist nach Regel 41(2) c) EPÜ im Erteilungsantrag der Staat des Sitzes des Anmelders (gemeint ist der Staat der Hauptniederlassung, wie aus der englischen Fassung von Regel 41(2) c) EPÜ deutlich wird) anzugeben, der dann auch im Register eingetragen wird. Der Staat einer Niederlassung, die nicht auch Hauptniederlassung ist, kann allenfalls dann im Europäischen Patentregister erscheinen, wenn im Erteilungsantrag eine Angabe gemacht wird, die nicht Regel 41(2) c) EPÜ entspricht und somit streng genommen ein Mangel ist, der auf eine Rüge nach Regel 58, 57 b) EPÜ in der Formalprüfung zu beheben wäre.

Dies führt beispielsweise dann zu einer Unsicherheit bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts, wenn im Erteilungsantrag der Staat einer Niederlassung angegeben wird und diese Angabe bei der Formalprüfung und noch vor Veröffentlichung der Patentanmeldung dahingehend korrigiert wird, dass ein anderer Mitgliedstaat als Staat der Hauptniederlassung angegeben wird.

Es stellt sich die Frage, ob in einem solchen Fall
a) das Recht des Staats der zuerst angegebenen Niederlassung maßgeblich sein soll, nur weil dieser Staat bei Einreichung der Anmeldung angegeben wurde und obwohl dieser Staat weder auf der Veröffentlichung der Patentanmeldung noch im Europäischen Register für Dritte einsehbar angezeigt wurde, oder
b) das Recht des Staats der Hauptniederlassung maßgeblich sein soll, da der Anmelder bei Einreichung der Anmeldung dort schon die Hauptniederlassung hatte und immer nur dieser Staat im Europäischen Register für Dritte einsehbar war, oder
c) das Recht Deutschlands nach Artikel 7(3) EPV maßgeblich sein soll, da der Anmelder zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung zwar seine Hauptniederlassung in einem Mitgliedsstaat hatte, aber diese zu diesem Zeitpunkt nicht im Europäischen Patentregister eingetragen werden konnte.

2.2) Zweitens muss die Angabe des Staats der Hauptniederlassung oder Niederlassung nicht bei Einreichung einer Patentanmeldung erfolgen. Die entsprechende Angabe kann im Rahmen der Formalprüfung nach Regel 58, 57 b) EPÜ nachgeholt werden, sofern die Identität des Anmelders festgestellt werden kann oder eine Kontaktaufnahme mit ihm möglich ist (z.B. über seinen Vertreter) (Regel 40 (1) b) EPÜ).

Wenn der Anmelder nach Einreichung der Anmeldung und vor Beantwortung eines Mängelbescheids nach Regel 58, 57 b) EPÜ seine Hauptniederlassung in einen Mitgliedsstaat verlegt oder eine Niederlassung in einem Mitgliedsstaat veröffentlich, könnte er den entsprechenden Staat bei Beantwortung der Mitteilung nach Regel 58 EPÜ angeben. Dem Europäischen Patentregister kann in keiner Weise entnommen werden, ob die Hauptniederlassung oder Niederlassung in diesem Staat schon zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung bestand.

Es stellt sich die Frage, ob in einem solchen Fall
a) das Recht des Staats maßgeblich sein soll, der bei der Formalprüfung angegeben wurde, nur weil er als einziger Staat im Europäischen Patentregister erscheint und obwohl er zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung noch nicht Staat der Hauptniederlassung oder Niederlassung war, oder
b) das Recht Deutschlands nach Artikel 7(3) EPV maßgeblich sein soll, da der Anmelder zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung weder Hauptniederlassung noch Niederlassung in einem Mitgliedsstaat hatte.

2.3) Drittens divergieren die deutsche und englische Fassung von Artikel 7 EPV bezüglich des maßgeblichen Zeitpunkts. Artikel 7 EPV in der deutschen Fassung nimmt Bezug auf den „Zeitpunkt der Einreichung einer Anmeldung“. Artikel 7 EPV in der englischen Fassung nimmt Bezug auf „the date of filing of the application“ (d.h. den Anmeldetag i.S.v. Regel 40 EPÜ).

Ein typisches Beispiel, bei dem die beiden Zeitpunkte auseinanderfallen, liegt bei Teilanmeldungen vor. Bei einer Teilanmeldung liegt der Tag der Einreichung (= der Tag, an dem die Teilanmeldung beim EPA eingeht) später als der Anmeldetag, der nach Artikel 76(1) EPÜ auf den Anmeldetag der Stammanmeldung fingiert wird.

Es stellt sich die Frage, ob eine nach dem Anmeldetag der Stammanmeldung im Register eingetragene Änderung des Staates des Anmelders dazu führt, dass
a) das Recht des Mitgliedsstaates maßgeblich sein soll, der bei Einreichung der Teilanmeldung als Staat des Anmelders im Europäischen Patentregister eingetragen war (so nach der deutschen Fassung von Artikel 7 EPV), oder
b) das Recht des Mitgliedsstaates maßgeblich sein soll, der am Anmeldetag der Stammanmeldung als Staat des Anmelders im Europäischen Patentregister eingetragen war (so nach der englischen Fassung von Artikel 7 EPV).

2.4) Viertens kann sich selbst der Anmeldetag einer Anmeldung verschieben, wenn fehlende Teile nachgereicht werden (Regel 56(2) oder (5) EPÜ) oder die nachgereichten Teile anschließend wieder zurückgenommen werden (Regel 56 (6) EPÜ). Auch hier stellt sich die Frage, welcher Staat maßgeblich sein soll, wenn zwischenzeitlich eine Änderung im Staat des Anmelders erfolgt ist und dem EPA mitgeteilt wurde.

2.5) Fünftens bestehen zumindest die in 2.3 und 2.4 genannten Probleme, dass der maßgebliche Zeitpunkt nicht eindeutig bestimmt ist, auch für eine Anmeldermehrheit (Artikel 7(2) EPÜ). Beispielsweise sind Fälle vorstellbar, bei denen zwischen dem Tag der Einreichung einer Anmeldung und dem (Anmelde-)Tag, auf den nach Regel 56(2) EPÜ eine Verschiebung erfolgt, ein Anmelder hinzugefügt wird.

3. Die oben skizzierten Probleme können wesentlichen Einfluss auf die materielle Rechtslage haben, wenn ein Patent mit einheitlicher Wirkung übertragen wird. Dies gilt beispielsweise:

  • bei den Formerfordernissen für einen Übertragungsvertrag (keine Formerfordernisse nach deutschem Recht; Schriftform vorgeschrieben nach englischem Recht nach Section 30 (6) UK Patents Act) oder
  • der Publizitätswirkung des Registers, wenn ein Patentinhaber mehrere aufeinanderfolgende Übertragungsverträge über dasselbe Patent mit einheitlicher Wirkung abschließt (deutsches Recht: Der erste Vertrag ist wirksam und der Vertragspartner des zweiten Übertragungsvertrags kann vom ursprünglichen Inhaber nicht mehr wirksam das Recht an dem Patent mit einheitlicher Wirkung erwerben; englisches Recht: Der spätere Vertrag ist wirksam, falls die erste Übertragung nicht im Register eingetragen ist oder eine solche Eintragung nicht beantragt wurde, Section 33(1) UK Patents Act).

4. Die oben skizzierten Probleme bei der Bestimmung des nach Artikel 7 EPV maßgeblichen Rechts haben auch Auswirkungen auf das Verletzungsverfahren. Nach Artikel 5(3) EPV gilt das so bestimmte Recht nämlich auch für die „Handlungen, gegen die das Patent Schutz … bietet, sowie die geltenden Beschränkungen“.

Die Verletzungshandlugen sind zwar in Artikel 25 und Artikel 26 des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (im Folgenden: EGPÜ) definiert, und Artikel 27 EGPÜ definiert Beschränkungen des Schutzes. Im Rahmen der Regelung der Artikel 25 bis 27 EGPÜ stimmt das materielle Recht der Mitgliedsstaaten also überein (ist also „materielles Einheitsrecht“).

Allerdings kann das Recht der Mitgliedsstaaten anderen Beschränkungen vorsehen, die nicht im EGPÜ geregelt sind und somit nicht in allen Mitgliedsstaaten einheitlich sind. Man denke hier beispielsweise an den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand, für den in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten unterschiedliche Ansätze gewählt werden (siehe hierzu beispielsweise Standards-Essential Patents and Injunctive Relief, Jones Day).

Überprüfungsverfahren durch die Große Beschwerdekammer

Auch wenn das EPÜ2000 mit dem Überprüfungsverfahren nach Art. 112a EPÜ einen Rechtsbehelf bereitstellt, mit dem wesentliche Mängel des Verfahrens vor der Beschwerdekammer gerügt werden können, war den bislang gestellten Anträgen nur selten Erfolg beschieden. Die angefochtene Entscheidung wurde (soweit dem Verfasser bekannt) bislang nur in den Verfahren R 7/09, R 3/10 und R 21/11 aufgehoben. Der Großteil der gestellten Anträge scheiterte schon an der Prüfung auf offensichtliche Unzulässigkeit oder offensichtliche Unbegründetheit. Neben den erfolgreichen Anträgen gelangten nur wenige weitere Anträge (Verfahren R 9/11; R 13/11; R 15/09; R 18/09; R 5/08) bislang überhaupt vor die mit fünf Mitgliedern besetzte Große Beschwerdekammer nach Regel 109 (2) b) EPÜ.

Viele der Verfahren, die schon vor der mit drei Mitgliedern besetzten Großen Beschwerdekammer nach Regel 109 (2) a) EPÜ als offensichtlich unzulässig verworfen wurden, scheiterten an dem Erfordernis der Regel 106 EPÜ. Danach muss der Verfahrensmangel vom Verfahrensbeteiligten schon während des Beschwerdeverfahrens gerügt werden, es sei denn, der Einwand konnte im Beschwerdeverfahren nicht erhoben werden.

Die Große Beschwerdekammer legt bei der Prüfung der Zulässigkeitsvorschrift der Regel 106 EPÜ einen strengen Maßstab an, nach dem nur in seltenen Fällen bejaht werden konnte, die Rüge nach Regel 106 EPÜ hätte im Beschwerdeverfahren noch nicht erhoben werden können. Beispielhaft kann verwiesen werden auf R 14/11, Ziffern 2.5 bis 2.7 der Entscheidungsgründe.

In dem Verfahren R 14/12 hat es ein Überprüfungsantrag wieder einmal bis vor die Fünferbesetzung (Regel 109 (2) b) EPÜ) geschafft, obwohl das Protokoll der Beschwerdeverhandlung keine Rüge nach Regel 106 EPÜ auswies.

Es ist natürlich noch nicht klar, ob auch die Große Beschwerdekammer in der Besetzung mit fünf Mitgliedern nach Regel 109 (2) b) EPÜ der Auffassung ist, dass eine Rüge nach Regel 106 EPÜ im Beschwerdeverfahren nicht erhoben werden konnte. Interessant ist aber, dass in diesem Verfahren zumindest eines der Mitglieder der Dreierbesetzung nach Regel 109 (2) a) EPÜ der Auffassung gewesen sein muss, dass eine – von der Antragstellerin behauptete – Abweichung der erkennenden Beschwerdekammer von früheren Beschwerdekammerentscheidungen vom Vertreter der Antragstellerin trotz des Verlaufs der Verhandlung nicht antizipiert werden musste. Im konkreten Fall ging es dabei um die Frage, inwieweit die Möglichkeit der Kenntnisnahme einer Veröffentlichung durch eine Bibliotheksmitarbeiterin, die eine Druckschrift vor dem Prioritätstag des angegriffenen Patents mit einem Eingangsstempel versehen hatte, schon als Möglichkeit der Kenntnisnahme durch die Öffentlichkeit i.S.v. Artikel 54(2) EPÜ anzusehen ist.

Bei der Entscheidung, das Verfahren an die Große Beschwerdekammer in der Fünferbesetzung zu überweisen, könnte auch eine Rolle gespielt haben, dass zumindest aus dem nur aus wenigen Zeilen bestehenden Protokoll der Verhandlung vor der Beschwerdekammer nicht ersichtlich war, welche Fragen des juristischen Mitglieds dem Vertreter der Antragstellerin hätten zeigen können, dass sich die Beschwerdekammer nicht der Auffassung der Antragstellerin zur Frage der öffentlichen Zugänglichkeit anschließen würde.

BGH, I ZR 62/11 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil

BGH, Urteil vom 6. Februar 2013 – I ZR 62/11 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil

Amtliche Leitsätze:

a) Eine Werbung für ein Arzneimittel kann irreführend sein, wenn sie auf Studien gestützt wird, die diese Aussage nicht tragen. Ein solcher Verstoß gegen den Grundsatz der Zitatwahrheit kommt zum einen in Betracht, wenn die
als Beleg angeführte Studie den Anforderungen an einen hinreichenden wissenschaftlichen Beleg nicht entspricht. Eine Irreführung liegt zum anderen
regelmäßig dann vor, wenn die Studie selbst abweichende Studienergebnisse nennt, die in der Werbung behaupteten Ergebnisse nicht für bewiesen hält
oder lediglich eine vorsichtige Bewertung der Ergebnisse vornimmt und die
Werbung diese Einschränkungen der Studienaussage nicht mitteilt.

b) Studienergebnisse entsprechen grundsätzlich nur dann den Anforderungen
an einen hinreichenden wissenschaftlichen Beleg, wenn sie nach den anerkannten Regeln und Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung durchgeführt
und ausgewertet wurden. Dafür ist im Regelfall erforderlich, dass eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung vorliegt, die durch die Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist.

c) Ob auch nicht prospektive, sondern nachträglich anhand vorliegender Studiendaten im Rahmen einer sogenannten Subgruppenanalyse oder im Wege
der Zusammenfassung mehrerer wissenschaftlicher Studien (Metaanalyse)
erstellte Studien eine Werbeaussage tragen können, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Voraussetzung hierfür ist in jedem Fall die Einhaltung
der für diese Studien geltenden wissenschaftlichen Regeln. Für die Frage der
Irreführung kommt es ferner darauf an, ob der Verkehr in der Werbung hinreichend deutlich auf die Besonderheiten der Art, Durchführung oder Auswertung dieser Studie und gegebenenfalls auf die in der Studie selbst gemachten Einschränkungen im Hinblick auf die Validität und Bedeutung der gefundenen Ergebnisse hingewiesen und ihm damit die nur eingeschränkte wissenschaftliche Aussagekraft der Studie vor Augen geführt wird.

d) Es ist davon auszugehen, dass Angaben, die der Zulassung des Arzneimittels wörtlich oder sinngemäß entsprechen, regelmäßig dem zum Zeitpunkt
der Zulassung geltenden gesicherten Stand der Wissenschaft entsprechen.
Hinsichtlich solcher Angaben kommt eine Irreführung aber dann in Betracht,
wenn der Kläger darlegt und erforderlichenfalls beweist, dass neuere, erst
nach dem Zulassungszeitpunkt bekanntgewordene oder der Zulassungsbehörde bei der Zulassungsentscheidung sonst nicht zugängliche wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die gegen die wissenschaftliche Tragfähigkeit
der durch die Zulassung belegten Aussagen sprechen.

BGH, X ZB 15/12 – Patentstreitsache II

BGH, Beschluss vom 20. März 2013 – X ZB 15/12 – Patentstreitsache II

Amtliche Leitsätze:

a) Bei der Honorarklage eines Rechts- oder Patentanwalts handelt es sich nicht notwendigerweise schon deswegen um eine Patentstreitsache, weil der Gegenstand des zugrunde liegenden Auftrags sich auf eine Erfindung bezogen oder ein Patent oder eine Patentanmeldung betroffen hat.

b) Dies ist vielmehr dann nicht der Fall, wenn zur Beurteilung der Frage, ob die Honorarforderung berechtigt ist, das Verständnis der Erfindung keine Rolle spielt und es deshalb keines besonderen Sachverstands bedarf, um die für die Entgeltung der dem Anwalt übertragenen Erwirkung eines technischen Schutzrechts maßgeblichen Umstände erfassen und beurteilen zu können.

Aus den Entscheidungsgründen:

Wie der Senat mit Beschluss vom 22. Februar 2011 (X ZB 4/09, GRUR 2011, 662 Patentstreitsache) entschieden hat, zählen zu den Patentstreitsachen alle Klagen, die einen Anspruch auf eine Erfindung oder aus einer Erfindung zum Gegenstand haben oder sonstwie mit einer Erfindung eng verknüpft sind. Hierzu können insbesondere Klagen gehören, deren Anspruchsgrundlage sich aus einem Patent oder einer nicht geschützten Erfindung ergibt, sowie solche, deren Ansprüche auf einem Lizenz oder sonstigem Verwertungsvertrag beruhen (BGH, Urteil vom 7. November 1952 I ZR 43/52, BGHZ 8, 16, 18). Die Prozessökonomie und das Interesse der Parteien, ihren eigentlichen Streit verhandelt und entschieden zu wissen, gebietet, eine Patentstreitsache anzunehmen, wenn die Voraussetzungen für eine enge Verknüpfung mit einer Erfindung hinreichend dargestellt und erkennbar werden, woraus sich in der Praxis eine weite Auslegung des Begriffs der Patentstreitsache ergibt. Bei Klagen, deren Anspruchsgrundlage sich nicht aus dem Patentgesetz ergibt und bei denen das den Klagegrund bildende Rechtsverhältnis auch keine sonstige Regelung durch das Patentgesetz erfährt, sind Sinn und Zweck der Zuständig-keit gemäß § 143 PatG zu beachten. Es soll damit gewährleistet werden, dass sowohl das Gericht als auch die zur Vertretung einer Partei berufenen und die bei der Prozessvertretung mitwirkenden Anwälte über besonderen Sachverstand verfügen, um die technische Lehre einer Erfindung und die für ihr Verständnis und die Bestimmung ihrer Reichweite maßgeblichen tatsächlichen Umstände erfassen und beurteilen zu können. An dieser Rechtfertigung fehlt es, wenn das den Streitgegenstand bildende Rechtsverhältnis ausschließlich Anspruchsvoraussetzungen und sonstige Tatbestandsmerkmale aufweist, für deren Beurteilung das Gericht und die Prozessvertreter der Parteien keines solchen Sachverstands bedürfen.

BPatG, Beschl. v. 25 W (pat) 14/12 – Schwimmbad-Isolierbaustein

BPatG, Beschl. v. 25 W (pat) 14/12 – Schwimmbad-Isolierbaustein

Amtliche Leitsätze

1. Die positive Schutzfähigkeitsbeurteilung und -entscheidung im Anmelderbeschwerdeverfahren führt zu keiner irgendwie gearteten Bindung oder Festlegung für ein nachfolgendes gemäß § 54 Abs. 1 MarkenG eingeleitetes Löschungsverfahren, und zwar weder nach § 82 Abs. 1 Satz 1 MarkenG i.V.m. §§ 322, 325 ZPO im Wege der Rechtskraftwirkung, weil die Beteiligten beider Verfahren nicht identisch sind, noch nach § 70 Abs. 4 MarkenG oder § 82 Abs. 1 Satz 1 MarkenG i.V.m. § 318 ZPO im Wege der Bindung oder Selbstbindung, da es sich beim Eintragungs- und Löschungsverfahren um eigenständige und voneinander unabhängige Verfahren handelt (im Anschluss an BPatG GRUR 2008, 518, Rdn. 32 – Karl May; Abgrenzung zu den Beschlüssen vom 06. Mai 2009 zu 29 W (pat) 19/05 und 29 W (pat) 20/05 „Magenta“ – abstrakte Farbmarke, juris, jeweils [Rdn. 82ff bzw. 77ff]).

2. Gegen die Berücksichtigung von Vertrauensschutzerwägungen zu Gunsten der Inhaber angegriffener Marken in Löschungsverfahren spricht innerhalb der Zehnjahresfrist des § 50 Abs. 2 Satz 2 MarkenG sowohl der Wortlaut der Vorschriften der §§ 3, 8, 50, 54 MarkenG als auch deren Zweck. Die Löschung fehlerhaft eingetragener Marken ist vom Gesetz ausdrücklich vorgesehen, realisiert entsprechend dem Gesetzeszweck das hoch zu veranschlagende Interesse der Allgemeinheit, vor ungerechtfertigten Rechtsmonopolen bewahrt zu werden, und dient auch dem Ziel, einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten (im Anschluss an GRUR 2010, 1017 – Bonbonform; Abgrenzung zu BPatG GRUR-RR 2008, 49 f – lastminit und BGH GRUR 1975, 368 – Elzym in einem sehr speziellen Sonderfall). Dabei spielt es keine Rolle, dass die Registereintragung auf einer Gerichtsentscheidung beruht.

3. Der streitgegenständliche dreidimensionale Formstein weist im Wesentlichen nur Merkmale auf, um als mit Beton verfüllbarer und isolierender Baustein für den Schwimmbadbau eingesetzt werden zu können. Dabei hebt er sich in keiner Weise von dem vorhandenen Formenschatz der am Markt angebotenen, mit Beton verfüllbaren Konkurrenz-Produkte aus Polystyrol ab.

BGH, I ZR 69/11 – Elektronische Leseplätze

BGH, Beschluss vom 20. September 2012 – I ZR 69/11 – Elektronische Leseplätze

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Gelten Regelungen über Verkauf und Lizenzen im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG, wenn der Rechtsinhaber den dort genannten Einrichtungen den Abschluss von Lizenzverträgen über die Werknutzung zu angemessenen Bedingungen anbietet?

2. Berechtigt Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG die Mitgliedstaaten, den Einrichtungen das Recht einzuräumen, die in ihren Sammlungen enthaltenen Werke zu digitalisieren, wenn das erforderlich ist, um diese Werke auf den Terminals zugänglich zu machen?

3. Dürfen die von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehenen Rechte so weit reichen, dass Nutzer der Terminals dort zugänglich gemachte Werke auf Papier ausdrucken oder auf einem USB-Stick abspeichern können?

BGH, I ZB 68/11 – Deutschlands schönste Seiten

BGH, Beschluss vom 13. September 2012 – I ZB 68/11 – Deutschlands schönste Seiten

Amtlicher Leitsatz:

Ist eine Wortfolge (hier: Deutschlands schönste Seiten) für die Ware „Druckschriften“ inhaltsbeschreibend und nicht unterscheidungskräftig, wird dies im Regelfall auch für die Dienstleistungen gelten, die sich auf die Veröffentlichung und Herausgabe von Druckschriften beziehen. Eine Ausnahme kommt allerdings für die fraglichen Dienstleistungen in Betracht, wenn die Wortfolge sich nur zur Beschreibung eines eng begrenzten Themas eignet.

BGH, X ZR 59/12 – Genveränderungen: Vergütung einer Erfindung an einer Hochschule

BGH, Urteil vom 5. Februar 2013 – X ZR 59/12 – Genveränderungen

Amtliche Leitsätze:

a) Zu den Einnahmen im Sinne von § 42 Nr. 4 ArbEG gehören nicht nur Geldzahlungen, die dem Dienstherrn aufgrund der Verwertung der Erfindung zufließen, sondern auch alle sonstigen geldwerten Vorteile, die der Dienstherr infolge der Verwertung erlangt.

b) Ein solcher Vorteil fließt dem Dienstherrn auch dann zu, wenn es ein Lizenznehmer auf eigene Kosten übernimmt, zu Gunsten des Dienstherrn ein Schutzrecht zu begründen, aufrechtzuerhalten oder zu verteidigen.

c) Zur Bewertung dieses Vermögensvorteils kann in der Regel auf die Kosten abgestellt werden, die dem Lizenznehmer für die Anmeldung, Erteilung, Aufrechterhaltung oder Verteidigung des Schutzrechts entstanden sind.