UPC_CoA_548/2024, Entscheidung vom 29. November 2024

UPC_CoA_548/2024, APL_52969/2024, Entscheidung vom 29. November 2024

Amtliche Leitsätze (Übersetzung):

  • Bei der Entscheidung über einen Antrag auf Sicherheitsleistung für die Kosten:
    • ist es unerheblich, ob der Kläger zu einem finanziell soliden Unternehmensverbund gehört, falls keine Sicherheiten oder besonderen Umstände vorliegen. Es ist nur die finanzielle Lage des Klägers selbst relevant;
    • ist es unerheblich, ob der Kläger bereit ist, dem Beklagten die Kosten zu erstatten, wenn ein Kostenbeschluss zugunsten des Beklagten erlassen würde;
    • ist es ebenfalls unerheblich, ob ein Kostenbeschluss zugunsten des Beklagten erwartet wird. Das Gericht sollte sich nicht auf die Bewertung der Erfolgswahrscheinlichkeit des Falls einlassen;
    • ist es nicht erforderlich, dass nachgewiesen wird, dass eine Vollstreckung unmöglich ist. Es genügt, dass der Beklagte nachweist, dass die Vollstreckung eines Kostenbeschlusses unzumutbar belastend ist. Die Last, dies darzulegen, liegt bei dem Antragsteller eines Beschlusses zur Sicherheitsleistung für die Kosten. Zu diesem Zweck muss der Antragsteller nicht nur Beweise zum anwendbaren ausländischen Recht im Gebiet, in dem der Beschluss vollstreckt werden soll, vorlegen, sondern auch zu dessen Anwendung.

UPC_CFI_308/2023

Einheitspatentgericht, erstinstanzliche Kammer, zentrale Kammer (Sitz Paris), Entscheidung vom 27. November 2024, UPC_CFI_308/2023

Amtliche Leitsätze (Übersetzung)

1. Die rechtlichen Bestimmungen des Einheitspatentgerichts führen das sogenannte „front-loaded“ Verfahren ein, bei dem ein Kläger verpflichtet ist, seine Argumente und Beweise in der ersten schriftlichen Klage konkret auszuarbeiten. Diese Bestimmungen müssen jedoch im Lichte des Verhältnismäßigkeitsprinzips interpretiert werden, das erfordert, dass die Parteien nicht mit Aufgaben belastet werden, die zur Erreichung des Ziels unnötig sind, sowie im Lichte des Grundsatzes der Verfahrenseffizienz, der übermäßige und zu detaillierte Tatsachenvorträge und die Vorlage mehrerer Dokumente in Bezug auf Angelegenheiten, die der gegnerischen Partei bekannt und von ihr nicht bestritten werden, entgegensteht.

2. In Nichtigkeitsverfahren muss der Kläger im Detail die Nichtigkeitsgründe angeben, die das angefochtene Patent betreffen, sowie die Dokumente des Standes der Technik, auf die er sich zur Unterstützung eines behaupteten Mangels an Neuheit oder erfinderischer Tätigkeit stützt. Somit kann der Kläger in späteren Schriftsätzen keine neuen Nichtigkeitsgründe für das angegriffene Patent einführen oder neue Dokumente einreichen, die als neuheitsschädlich oder als überzeugender Ausgangspunkt für die Beurteilung mangelnder erfinderischer Tätigkeit angesehen werden.

3. In bestimmten Situationen, nach der Verteidigung des Beklagten, ist es dem Kläger gestattet, neue Tatsachen und neue Beweise vorzubringen, sofern diese geeignet sind, die schon rechtzeitig behaupteten und vom Beklagten bestrittenen Haupttatsachen oder den Beweiswert der bereits eingereichten Beweise zu stützen.

4. Auch wenn es grundsätzlich fraglich ist, ob eine veröffentlichte Patentanmeldung oder eine Patentschrift als Hinweis auf das allgemeine Fachwissen betrachtet werden kann, so kann trotzdem die Aussage des Autors des Patents, dass eine Lehre weit verbreitet ist, als Beweis dafür genommen werden, dass diese Lehre zum allgemeinen Fachwissen gehört.

BGH, X ZR 82/23 – Slice-Segmente

BGH, Urteil vom 17. September 2024 – X ZR 82/23 – Slice-Segmente

Amtliche Leitsätze:

a) Die Priorität einer früheren Anmeldung kann auch dann in Anspruch genommen werden, wenn die spätere Anmeldung ein zusätzliches Ausführungsbeispiel enthält, bei dem zwar einzelne Begriffe des Patentanspruchs in abweichendem Sinne verwendet werden, das aber auch nach dem ursprünglichen Begriffsverständnis unter den Patentanspruch fällt.

b) Dies gilt auch dann, wenn das zusätzliche Ausführungsbeispiel weitere, nicht im Patentanspruch vorgesehene Funktionen aufweist, die in der früheren Anmeldung nicht offenbart sind.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der BGH entschied zugunsten der Beklagten und befand das Patent für rechtsbeständig. Er stellte fest, dass das Streitpatent die Priorität früherer Anmeldungen zu Recht in Anspruch nimmt und der maßgebliche Stand der Technik den Patentanspruch nicht vorwegnimmt oder nahelegt.

Das Bundespatentgericht hatte zunächst argumentiert, dass das Streitpatent die Priorität früherer Anmeldungen nicht wirksam in Anspruch nehmen könne, weil die zweite Ausführungsform des Patents zusätzliche Merkmale enthielt, die in den ursprünglichen Prioritätsunterlagen nicht offenbart seien. Dies betrifft insbesondere die Idee der „Slice-Segmente“, bei denen unabhängige und abhängige Segmente gemeinsam eine logische Einheit bilden und bestimmte Codierungs- und Decodierungsfunktionen übernehmen.

Der BGH stellte jedoch fest, dass diese zusätzlichen Merkmale und die abgewandelte Terminologie („Slice-Segmente“) zwar nicht in den Prioritätsunterlagen vorhanden sind, aber trotzdem keinen Einfluss auf das Verständnis und den Umfang der relevanten Merkmale des Patentanspruchs haben. Der Senat betonte, dass die zweite Ausführungsform als zusätzliches Beispiel dient, welches zwar weitere Funktionen bietet, jedoch die im Patentanspruch vorgesehenen Merkmale nicht verändert. Daher führen diese zusätzlichen Funktionen nicht zu einer Erweiterung oder Änderung des Anspruchsverständnisses.

Die zusätzlichen Merkmale und die abgewandelte Terminologie („Slice-Segmente“) kommen im Anspruch selbst nicht vor. Diese Elemente sind lediglich in der Beschreibung und den Ausführungsbeispielen des Streitpatents zu finden, wurden vom Bundespatentgericht jedoch als problematisch angesehen, da sie nicht in den Prioritätsunterlagen offenbart waren.

BGH, X ZR 42/22 – Prägeblech

BGH, Urteil vom 23. April 2024 – X ZR 42/22 – Prägeblech

Für die Ermittlung des Offenbarungsgehalts einer Entgegenhaltung dürfen einzelne Formulierungen nicht isoliert betrachtet werden. Sie sind vielmehr in ihrem Kontext zu würdigen, also vor dem Hintergrund des gesamten Inhalts der Entgegenhaltung (Bestätigung von BGH, Urteil vom 19. März 2019 – X ZR 11/17, GRUR 2019, 925 Rn. 18 – Bitratenreduktion II; Urteil vom 27. Juni 2023 – X ZR 59/21, GRUR 2023, 1363 Rn. 90 – Anzeigemonitor).

BGH, X ZR 92/23 – Mirabegron

BGH, Urteil vom 25. Juni 2024 – X ZR 92/23 – Mirabegron

Das einer Erfindung zugrunde liegende technische Problem ist so allgemein und neutral zu formulieren, dass sich die Frage, welche Anregungen der Fachmann durch den Stand der Technik insoweit erhielt, ausschließlich bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit stellt. Insbesondere darf nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die Befassung mit einer bestimmten Aufgabenstellung im Stand der Technik nahelag (Bestätigung von BGH Urteil vom 13. Januar 2015 X ZR 41/13, GRUR 2015, 352 Rn. 16 f. – Quetiapin; BGH, Urteil vom 15. Juli 2021 – X ZR 60/19, GRUR 2022, 67 Rn. 10 – Stereolithographiemaschine).

BGH, X ZB 5/22 – DABUS

BGH, Beschluss vom 11. Juni 2024 – X ZB 5/22 – DABUS

Amtliche Leitsätze:

a) Erfinder im Sinne von § 37 Abs. 1 PatG kann nur eine natürliche Person sein. Ein maschinelles, aus Hard- oder Software bestehendes System kann auch dann nicht als Erfinder benannt werden, wenn es über Funktionen künstlicher Intelligenz verfügt.

b) Die Benennung einer natürlichen Person als Erfinder ist auch dann möglich und erforderlich, wenn zum Auffinden der beanspruchten technischen Lehre ein System mit künstlicher Intelligenz eingesetzt worden ist.

c) Die Benennung einer natürlichen Person als Erfinder im dafür vorgesehenen amtlichen Formular genügt nicht den Anforderungen aus § 37 Abs. 1 PatG, wenn zugleich beantragt wird, die Beschreibung um den Hinweis zu ergänzen, die Erfindung sei durch eine künstliche Intelligenz generiert oder geschaffen worden.

d) Die Ergänzung einer hinreichend deutlichen Erfinderbenennung um die Angabe, der Erfinder habe eine näher bezeichnete künstliche Intelligenz zur Generierung der Erfindung veranlasst, ist rechtlich unerheblich und rechtfertigt nicht die Zurückweisung der Anmeldung nach § 42 Abs. 3 PatG

Zusammenfassung:

Der Anmelder begehrte die Erteilung eines Patents, wobei eine Künstliche Intelligenz (KI) namens DABUS als Erfinder benannt wurde. Das Patentamt wies die Anmeldung zurück, da nur natürliche Personen als Erfinder benannt werden können. Das Patentgericht hob diese Entscheidung teilweise auf und ließ den dritten Hilfsantrag des Anmelders zu, der eine natürliche Person als Erfinder benannte und DABUS als Hilfsmittel erwähnte. Die Präsidentin des Patentamts legte Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung ein, weil sie der Auffassung war, dass auch diese Formulierung den gesetzlichen Anforderungen nicht genüge und das Patentamt keine Künstliche Intelligenz als Erfinder anerkennen sollte. Der Bundesgerichtshof (BGH) wies die Rechtsbeschwerde jedoch zurück und bestätigte, dass eine natürliche Person als Erfinder benannt werden muss. Gleichzeitig erlaubte der BGH, dass DABUS als Hilfsmittel erwähnt wird, solange klar ist, dass die Erfindung einer natürlichen Person zugeschrieben wird. Die Kosten des Verfahrens wurden gegeneinander aufgehoben.

BGH, X ZR 8/22 – Aufbaupfosten

BGH, Urteil vom 6. Februar 2024 – X ZR 8/22 – Aufbaupfosten

Gerichtlicher Leitsatz:

Anders als für die Frage, ob der Gegenstand eines Patents über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinausgeht, ist für die Beurteilung der Neuheitsfrage nicht erheblich, ob ein bestimmter Gegenstand als zur Erfindung gehörend offenbart ist. Ausreichend ist vielmehr, dass der Gegenstand in der Entgegenhaltung unmittelbar und eindeutig offenbart ist.

BGH, X ZR 76/21 – Farb- und Helligkeitseinstellung

BGH, Urteil vom 26. September 2023 – X ZR 76/21 – Farb- und Helligkeitseinstellung

Gerichtlicher Leitsatz:

Eine Verallgemeinerung ist unzulässig, wenn den ursprünglich eingereichten Unterlagen zu entnehmen ist, dass einzelne Merkmale in untrennbarem Zusammenhang miteinander stehen, der Patentanspruch diese Merkmale aber nicht in ihrer Gesamtheit vorsieht (Bestätigung von BGH, Urteil vom 21. Juni 2016 – X ZR 41/14, GRUR 2016, 1038 Rn. 48 – Fahrzeugscheibe II; Urteil vom 17. Februar 2015 – X ZR 161/12, BGHZ 204, 199 Rn. 31 – Wundbehandlungsvorrichtung; Beschluss vom 11. September 2001 – X ZB 18/00, GRUR 2002, 49, 51 – Drehmomentübertragungseinrichtung).

BGH, X ZR 51/21 – Schlossgehäuse

BGH, Urteil vom 13. Juni 2023 – X ZR 51/21 – Schlossgehäuse

Amtliche Leitsätze:

a) Eine erfinderische Tätigkeit kann nicht auf ein Merkmal gestützt werden, das eine beliebige, von einem bestimmten technischen Zweck losgelöste Auswahl aus mehreren Möglichkeiten darstellt (Bestätigung von BGH, Urteil vom 22. Mai 2007 – X ZR 56/03, GRUR 2008, 56 Rn. 25 – Injizierbarer
Mikroschaum; Urteil vom 27. November 2018 – X ZR 41/17, Rn. 46).

b) Mit einem Merkmal verbundene besondere Vorteile können nur dann zur Begründung einer erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden, wenn sie in der Patentschrift offenbart oder für den Fachmann erkennbar sind (Bestätigung von BGH, Urteil vom 27. November 2018 – X ZR 41/17, Rn. 46).

BGH, X ZR 61/21 – Faserstoffbahn

BGH, Urteil vom 20. Juni 2023 – X ZR 61/21 – Faserstoffbahn

Amtliche Leitsätze

a) Die Modifikation eines vorbenutzten Gegenstandes, der alle Merkmale eines unabhängigen Schutzanspruchs des Klagegebrauchsmusters verwirklicht, kann auch dann von einem Vorbenutzungsrecht gedeckt sein, wenn der vorbenutzte Gegenstand weitere Merkmale, die nach dem Klageantrag zwingend vorgesehen sind, nicht aufgewiesen hat.

b) Dies gilt unabhängig davon, ob lediglich die Verletzungsklage auf eine in der genannten Weise beschränkte Fassung eines unabhängigen Schutzanspruchs gestützt wird oder ob das Gebrauchsmuster in einem Löschungsverfahren entsprechend beschränkt worden ist.