BGH, X ZR 69/10 – Diglycidverbindung: zur äquivalenten Patentverletzung

Amtlicher Leitsatz des Urteils BGH, Urteil vom 13. September 2011 – X ZR 69/10 – Diglycidverbindung:

Offenbart die Beschreibung eines Patents mehrere Möglichkeiten, wie eine bestimmte technische Wirkung erzielt werden kann, ist jedoch nur eine dieser Möglichkeiten in den Patentanspruch aufgenommen worden, kann eine Verletzung des Patents mit äquivalenten Mitteln nur dann angenommen werden, wenn sich die abgewandelte Lösung in ihren spezifischen Wirkungen mit der unter Schutz gestellten Lösung deckt und sich in ähnlicher Weise wie diese Lösung von der nur in der Beschreibung, nicht aber im Patentanspruch aufgezeigten Lösungsvariante unterscheidet

BGH zu äquivalenter Patentverletzung: Hüte Dich vor zu viel Offenbarung!

Der Bundesgerichtshof hatte in der Entscheidung im Verfahren X ZR 16/09 – Okklusionsvorrichtung wieder einmal Gelegenheit, sich näher mit Fragen der äquivalenten Patentverletzung auseinanderzusetzen. Das hat er in einer Weise getan, die für den Praktiker neue Fragen aufwirft: Kann der Anmelder für eine umfassende Offenbarung verschiedener alternativer Lösungen im Verletzungsprozess dadurch bestraft werden, dass der Schutzbereich unter der Äquivalenzlehre kleiner ist, als wenn er nur eine einzige Ausführungsform offenbart hätte?

Interessant ist die Entscheidung schon deswegen, weil eine äquivalente Verletzung mit der Begründung verneint wurde, dass es an der Gleichwertigkeit (und nicht etwa an den anderen in den Custodiol- und Schneidmesser-Entscheidungen aufgestellten Kriterien der objektiven Gleichwirkung und Auffindbarkeit) fehlte.

Einige der zentralen Aussagen aus der Entscheidung sind:

Im zweiten Leitsatz:
„Offenbart die Beschreibung mehrere Möglichkeiten, wie eine bestimmte technische Wirkung erzielt werden kann, ist jedoch nur eine dieser Möglichkeiten in den Patentanspruch aufgenommen worden, begründet die Benutzung einer der übrigen Möglichkeiten regelmäßig keine Verletzung des Patents mit äquivalenten Mitteln.“

In Rz. 35:
„Trifft der Patentanspruch eine Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen Möglichkeiten, eine technische Wirkung zu erzielen, müssen die fachmännischen Überlegungen zu möglichen Abwandlungen gerade auch mit dieser Auswahlentscheidung in Einklang stehen.“

In Rz. 36:
„[Somit führt] die Prüfung der Orientierung am Patentanspruch zum Ausschluss einer Ausführungsform aus dem Schutzbereich des Patents, die zwar offenbart oder für den Fachmann jedenfalls auffindbar sein mag, von der der Leser der Patentschrift aber annehmen muss, dass sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht unter Schutz gestellt werden sollte“.

Bevor einige kritische Überlegungen und Fragen folgen, sei vorangestellt, dass der Verfasser die Entscheidung des Senats im Ergebnis absolut nachvollziehbar findet. Ob es dazu der oben erwähnten Aussagen bedurft hätte, ist jedoch fraglich.

Auch vorangestellt sei, dass – wie jedem Patentanwalt aus seiner Praxis geläufig ist – der Fall, in dem die Ansprüche nicht mehr alle ursprünglich offenbarten Ausführungsbeispiele abdecken und dies in der Beschreibung kenntlich zu machen ist, sei es durch Streichung von Ausführungsbeispielen oder durch entsprechende Klarstellung im Beschreibungstext, eher die Regel als die Ausnahme ist.

Dies gibt Anlass zu folgenden kritischen Überlegungen:

1. Warum soll ein Anmelder keinen Schutz nach der Äquivalenzlehre mehr für eine Ausgestaltung erhalten, die er in seiner Anmeldung als technische Lösung offenbart hat, die aber nicht mehr unter den Wortlaut des erteilten Anspruchs fällt – wohingegen ein anderer Anmelder, der taggleich dieselbe Erfindung zum Patent angemeldet, dabei das nicht mehr vom erteilten Anspruch abgedeckte Ausführungsbeispiel aber von Anfang an gar nicht offenbart hat, für eben dieses (von ihm nie offenbarte) Ausführungsbeispiel nach der Äquivalenzlehre noch Schutz erhalten kann?

2. Möglicherweise hatte der Senat bei den Ausführungen unter Rz. 35 und 36 Konstellationen im Kopf, bei denen ein Anmelder einzelne Ausführungsformen aus dem Anspruchsgegenstand entfernen musste, um Neuheit und erfinderische Tätigkeit herzustellen. Das ist aber nur ein Grund, aus dem ein erteilter Anspruch nicht mehr alles abdecken kann, was offenbart ist.

Gerade die formalen Hürden des EPÜ und die Erhöhung dieser Hürden durch die in den letzten Jahren erfolgten Änderungen der Ausführungsordnung können dazu führen, dass ein Erfinder nicht immer Schutz für alle Ausführungsformen erhalten kann, die neu und erfinderisch wären.

Beispiel: Ursprünglich beansprucht ist ein Gerät, bei dem eine „erste Komponente aus einem ersten Metall ist“. Ausführungsformen beschreiben, dass das erste Metall Gold oder Kupfer sein kann. Nachdem das Prüfungsverfahren vor dem EPA schon zwei Jahre läuft, führt die Prüfungsabteilung erstmals neuheitsschädlichen Stand der Technik an, in dem das erste Metall Silber ist und der zur Einschränkung des breiten Anspruchs führen muss. Die beiden Ausführungsformen sind jedoch jeweils neu und erfinderisch. Und doch kann es sein, dass der arme Anmelder nicht beide schützen kann: Die Prüfungsabteilung macht klar, dass sie uneinheitliche Anspruchssätze nach R. 137(3) EPÜ zurückweisen werde. Somit bleibt dem armen Anmelder noch nicht einmal die Möglichkeit, eine neue Frist zur Teilung nach R. 36 (1) b) EPÜ auszulösen. Ein ganz realistisches Szenario, gerade für viele, die die Praxis des EPA unter „raising the bar“ erleben.

Notgedrungen wird sich der Anmelder in diesem Beispiel für eine der ursprünglich offenbarten Ausführungsformen entscheiden und diese zum Gegenstand seines Anspruchs machen müssen. Warum sollte er – nach dem zweiten Leitsatz von X ZR 16/09 – keinen Schutz nach der Äquivalenzlehre mehr für die andere Ausführungsform erhalten können, falls diese für den Fachmann objektiv gleichwertig und – schon wegen der Offenbarung in der Anmeldung – auffindbar ist?

3. Für den Verfasser dieses Beitrags relativ unklar bleibt die oben zitierte Textpassage in Rz. 35 des Urteils. Wenn es um die Frage der äquivalenten Verletzung geht, muss der Anspruch eigentlich immer eine „Auswahlentscheidung“ getroffen haben. Hätte er es nicht, könnte nicht ein Anspruchsmerkmal mit einem anderen Merkmal gleicher technischer Funktion ersetzt worden sein. In welchen Fällen kann man dann aber noch davon ausgehen, dass die „fachmännischen Überlegungen zu möglichen Abwandlungen … gerade auch mit dieser Auswahlentscheidung in Einklang stehen“? Soll künftig differenziert werden zwischen Abwandlungen, die im Einklang mit einem Anspruchsmerkmal stehen, und solchen, die nicht im Einklang mit einem Anspruchsmerkmal stehen? Welche Kriterien könnten für eine solche Unterscheidung entwickelt werden?

Der Verfasser dieses Beitrags sieht der Aufnahme und Kommentierung des Urteils X ZR 16/09 in den Fachkreisen jedenfalls mit Spannung entgegen.

Meldung der Arbeitnehmererfindung – Haftetikett entschärft?

Der X. Senat des Bundesgerichtshofs hat in seiner Entscheidung im Verfahren X ZR 72/10 nunmehr erneut zu Fragen der Meldung und Inanspruchnahme Stellung genommen. Auch wenn die Problematik von Meldung und Inanspruchnahme durch die in § 6(2) ArbNEG n.F. vorgesehene Fiktion der Inanspruchnahme entschärft wurde, ist die Entscheidung nicht nur für Fälle, die noch nach altem Recht zu behandeln sind, von Interesse.

Die amtlichen Leitsätze:

a) Die Frist zur Inanspruchnahme einer Diensterfindung wird, wenn es an einer schriftlichen Erfindungsmeldung des Diensterfinders fehlt, grundsätzlich nur in Gang gesetzt, wenn der Arbeitgeber, insbesondere durch eine Patentanmeldung und die Benennung des Arbeitnehmers als Erfinder, dokumentiert, dass es keiner Erfindungsmeldung mehr bedarf, weil er über die Erkenntnisse bereits verfügt, die ihm der Diensterfinder durch die Erfindungsmeldung verschaffen soll.

b) Eine derartige Dokumentation der Kenntnis des Arbeitgebers von der Diensterfindung und den an ihr Beteiligten ergibt sich weder daraus, dass der Arbeitgeber durch die mündliche Mitteilung einer „Initialidee“ durch den Arbeitnehmer und schriftliche Berichte über anschließend durchgeführte Versuche Kenntnis von der technischen Lehre der Erfindung erhält, noch aus dem Umstand, dass der Arbeitgeber von einem Patent erfährt, das der Arbeitnehmer auf die Diensterfindung angemeldet hat.

Auch wenn damit die Haftetikett-Entscheidung fortgeführt wird, wird doch klargestellt, dass eine schriftliche Erfindungsmeldung nur in wenigen, sehr klar umrissenen Ausnahmefällen unterbleiben kann. Die in der Instanzrechtsprechung zu dieser Problematik unter Aufnahme einer Formulierung aus der Haftetikett-Entscheidung in den letzten Jahren häufig verwendete Argumentation, das Beharren auf einer schriftlichen Erfindungsmeldung sei unter den jeweiligen Umständen „treuewidrige Förmelei“, dürfte in Zukunft seltener zu sehen sein.

BGH zu Softwarepatenten

Der X. Senat des Bundesgerichtshofs hatte sich im Nichtigkeitsverfahren X ZR 121/09 wieder einmal mit computerimplementierten Erfindungen zu befassen. Dabei bestätigte er die in der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung (z.B. in BGH X ZR 47/07 – Wiedergabe topographischer Informationen) entwickelte Prüfungsmethodik:

Zunächst wird in einem ersten Prüfungsschritt geprüft, ob wenigstens ein Teilaspekt der beanspruchten Erfindung auf technischem Gebiet liege (§ 1 Abs. 1 PatG). Dann wird in einem zweiten Schritt geprüft, ob der Patentierungsausschluss für Programme für Datenverarbeitungsanlagen eingreift (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG). Zum zweiten Schritt wird ermittelt, ob die beanspruchte Lehre der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dient.

Interessantes enthält diese jüngste BGH-Entscheidung zu beiden genannten Prüfungspunkten:

Was die Technizitätsprüfung (§ 1 Abs. 1 PatG) angeht, ist interessant, dass der Anspruch nicht unbedingt die ausführenden technischen Einheiten (Server, Client) nennen muss, um diese Hürde zu überwinden.

Was den zweiten Prüfungsschritt angeht, werden die früher aufgestellten Kriterien angewandt. So wird ein konkretes technisches Problem jedenfalls dann gelöst,
(a) wenn Gerätekomponenten modifiziert oder grundsätzlich abweichend adressiert werden, oder
(b) wenn der Ablauf eines zur Problemlösung eingesetzten Datenverarbeitungsprogramms durch technische Gegebenheiten außerhalb der Datenverarbeitungsanlage bestimmt wird oder wenn die Lösung gerade darin besteht, ein Datenverarbeitungsprogramm so auszugestalten, dass es auf die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage Rücksicht nimmt.

Etwas überraschend an der Entscheidung im Verfahren X ZR 121/09 mutet an, dass die Prüfung, ob ein konkretes technisches Problem gelöst wird, so stark auf eine Subsumtion unter die bislang entwickelten – zahlenmäßig sehr wenigen – Fallgruppen reduziert wird.

Die in der Entscheidung X ZR 121/09 angelegten Maßstäbe, was ein „konkretes technisches Problem ist“, erscheinen dem Verfasser dieses Beitrags jedenfalls recht streng. So wird beispielsweise die Verlagerung von bestimmten Operationen in einem Netzwerk von einem Client-Rechner auf einen Server als „äußerlich-organisatorische Umverlagerung der Datenverarbeitung zwischen mehreren Netzwerkkomponenten“ angesehen, die allenfalls eine „Maßnahme der Datenverarbeitung“ und keine Lösung eines konkreten technischen Problems sei. Diese Argumentation ist insofern überraschend, als ja auch eine Maßnahme der Datenverarbeitung durchaus ein technisches Problem lösen kann.

Interessant ist jedenfalls, dass die Nichtigerklärung des Patents auf Grundlage des Ausschlusses für Programme für Datenverarbeitungsanlagen erfolgte, obwohl es die beanspruchte Lehre das Zusammenwirken mehrerer Geräte in einem Netzwerk betraf.

Doppelvertretungskosten im Nichtigkeitsberufungsverfahren – 3 ZA (pat) 17/09

Die Rechtsprechung zur Kostenerstattung im Nichtigkeitsverfahren hat eine recht wechselhafte Geschichte hinter sich: Nachdem seit ca. 1990 im Nichtigkeitsverfahren die Kosten sowohl für den Patentanwalt als auch für den Rechtsanwalt als grundsätzlich erstattungsfähig angesehen wurden, sind in den letzten Jahren mehrere Nichtigkeitssenate des BPatG (etwa in 4 ZA (pat) 36/06) wieder davon abgerückt, die Kosten des neben einem Patentanwalt bestellten Rechtsanwalts im Nichtigkeitsverfahren als grundsätzlich und in jedem Fall erstattungsfähig anzusehen. Einen detaillierten Überblick über die Entwicklung der Rechtsprechung geben J. Pitz und G. A. Rauh in Mitt. 2010, 470.

Die Entscheidungen von unterschiedlichen Nichtigkeitssenaten des BPatG zu der Frage, ob die Mitwirkung des Rechtsanwalts neben dem Patentanwalt allgemein als notwendig i.S.v. § 91 Abs. 1 ZPO anzusehen ist, lassen eine sehr unterschiedliche Praxis verschiedener Nichtigkeitssenate des BPatG erkennen. Den Entscheidungen entnehmen kann man jedoch eine Tendenz dahingehend, dass jedenfalls kein Automatismus für die Erstattung der durch die Doppelvertretung anfallenden Zusatzkosten in den Fällen mehr besteht, in denen kein paralleles Verletzungsverfahren geführt wird.

In der Entscheidung 3 ZA (pat) 17/09 (veröffentlicht in BlPMZ 2010, 407) ging es um die Frage der Erstattungsfähigkeit bei einer Doppelvertretung im Nichtigkeitsberufungsverfahren, wenn kein paralleles Verletzungsverfahren zwischen den Parteien anhängig ist. Der 3. Nichtigkeitssenat des BPatG hat entscheiden, dass im Nichtigkeitsberufungsverfahren die Kosten für die Doppelvertretung durch Patentanwalt und Rechtsanwalt auch dann erstattungsfähig sind, wenn kein paralleles Verletzungsverfahren geführt wird.

Begründet wurde die Entscheidung damit,
a) dass nach ständiger Rechtsprechung des BPatG – unter Verweis auf 3 ZA (pat) 2/82 – die Mitwirkung eines Rechtsanwalts im Nichtigkeitsberufungsverfahren typischerweise angebracht sei und die entstehenden Kosten erstattugsfähig seien;
auch die neuere Rechtsprechung dazu, dass Doppelvertretungskosten im erstinstanzlichen Nichtigkeitsverfahren nicht mehr als grundsätzlich erstattungsfähig angesehen werden, würde nichts an der ständigen Rechtsprechung des BPatG zur Erstattungsfähigkeit im Nichtigkeitsberufungsverfahren ändern;
b) dass das Verfahren vor dem BGH der Mitwirkung eines umfassend geschulten Rechtsanwalts besonders bedürfe; und
c) dass es im Verfahren vor dem BGH keine Möglichkeit mehr gebe, unsachgemäßen, lückenhaften oder gar falschen Sachvortrag in einem späteren Stadium des Prozesses klarzustellen, zu ergänzen oder zu berichtigen.

Die knappe Gründe, die in der Entscheidungsbegründung von 3 ZA (pat) 17/09 angeführt werden, sind aus mehreren Gründen fraglich:

Erstens zeigt ein Blick in die Entscheidungen, mit denen zunächst der 4. Nichtigkeitssenat des BPatG von einem Automatismus der Erstattungsfähigkeit von Doppelvertretungskosten abgerückt ist, dass diese Abkehr von der früheren Praxis in keiner Weise willkürlich vollzogen wurde, sondern unter sorgfältiger Berücksichtigung der Tatsache, dass der Gesetzgeber zwar für das Verletzungsverfahren mit § 143 Abs. 3 PatG eine ausdrückliche Regelung für die Erstattungsfähigkeit von Doppelvertretungskosten geschaffen, für das Nichtigkeitsverfahren aber keine derartige Regelung vorgesehen hat. Dies gilt natürlich nicht nur für das erstinstanzliche Nichtigkeitsverfahren, sondern auch für das Nichtigkeitsberufungsverfahren. Die den Entscheidungen 4 ZA (pat) 33/06 oder 4 ZA (pat) 36/06 zugrundeliegenden Überlegungen, dass der Gesetzgeber eine ausdrückliche Regelung für die Erstattungsfähigkeit von Doppelvertretungskosten im Nichtigkeitsverfahren geschaffen hätte, wenn ein derartiger Automatismus seinem Willen entsprochen hätte, gilt auch für das Nichtigkeitsberufungsverfahren.

Zweitens liegt der lange geübten Praxis der Nichtigkeitssenate, die Doppelvertretung im erstinstanzlichen Verfahren als notwendig i.S.v. § 91 Abs. 1 ZPO anzusehen, die Überlegung zugrunde, dass es keinen Grund für die Ungleichbehandlung zwischen der Erstattungsfähigkeit von Doppelvertretungskosten in I. und II. Instanz gibt (BPatG GRUR 1989, 910 und Diskussion dieser Entscheidung in dem eingangs genannten Artikel von J. Pitz und G. A. Rauh in Mitt. 2010, 470, 471). Die Entscheidung 3 ZA (pat) 17/09 würde jedoch zu einer derartigen Ungleichbehandlung führen, da jedenfalls nach derzeitiger Praxis der meisten Nichtigkeitssenate des BPatG die Doppelvertretungskosten für das erstinstanzliche Verfahren jedenfalls dann nicht grundsätzlich als erstattungsfähig angesehen werden, wenn kein paralleles Verletzungsverfahren geführt wird.

Drittens mag zwar das Verfahren vor dem BGH als letztinstanzliches Verfahren besonderen rechtlichen Sachverstand erfordern. Sollte eine Partei jedoch der Meinung sein, dass es dazu der „kundigen und auf allen Rechtsgebieten erfahrenen Mitwirkung von umfassend juristisch geschulten Rechtsanwälten“ (so Ziffer 4 der Entscheidungsgründe von 3 ZA (pat) 17/09) bedarf, würde es der Partei ja freistehen, (nur) einen Rechtsanwalt mit der Vertretung im Nichtigkeitsberufungsverfahren zu beauftragen.

Schließlich ist die Vertretungsbefugnis für den nicht vor dem BGH zugelassenen Rechtsanwalt im Nichtigkeitsberufungsverfahren für diesen ebenso eine Ausnahemregelung wie für den Patentanwalt. Wollte man den oben unter b) und c) genannten Argumenten der Entscheidungsgründe von 3 ZA (pat) 17/09 wirklich großes Gewicht beimessen, müsste man aufgrund der besonderen Bedeutung des letztinstanzlichen Verfahrens vor dem BGH ja möglicherweise auch die Mitwirkung eines beim BGH zugelassenen Rechtsanwalts neben einem nicht beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt als notwendig i.S.v. § 91 Abs. 1 ZPO ansehen, um den Besonderheiten des Verfahrens vor dem BGH Rechnung zu tragen und die Risiken zu vermindern, die durch „unsachgemäßen, lückenhaften oder gar falschen Rechtsvortrag“ (so Ziffer 4 der Entscheidungsgründe von 3 ZA (pat) 17/09) resultieren könnten. Dies wird aber – natürlich – abzulehnen sein (siehe etwa 4 ZA (pat) 81/08 in Mitt. 2010, 394).

Es wird abzuwarten bleiben, ob weitere Nichtigkeitssenate des BPatG der Entscheidung 3 ZA (pat) 17/09 folgen. Wünschenswert wäre auf längere Sicht jedenfalls, dass eine gewisse Harmonisierung der Entscheidungspraxis zur Frage der Erstattungsfähigkeit von Doppelvertretungskosten eintritt.

BGH: Walzgerüst II

In der Entscheidung Walzgerüst II (X ZR 173/07) äußert sich der BGH wieder einmal zur erfinderischen Tätigkeit.

Aus dem Leitsatz:

EPÜ Art. 56, PatG § 4

Der Umstand, dass sich eine komplexe Vorrichtung (hier: Walzgerüst) gedanklich in Komponenten oder Module zerlegen lässt, für deren Relativbewegung zueinander eine begrenzte Anzahl von Möglichkeiten zur Verfügung steht, lässt für sich genommen grundsätzlich noch nicht den Schluss zu, dass es für den Fachmann nahegelegen hat, zur Lösung von Problemen, die bei der Bewegung einer Komponente auftreten, die übrigen Bewegungsalternativen in Erwägung zu ziehen, wenn hiermit erhebliche Umgestaltungen der Komponenten verbun-den sind (Fortführung von BGHZ 182, 1 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung).

Zweckangaben in Patentansprüchen

Der Bundesgerichtshof hat sich wieder einmal mit Zweckangaben in einem Patentanspruch beschäftigt (siehe Urteil X ZR 115/07). Streitpunkt war bisher immer wieder, inwieweit eine Zweckangabe den Schutzbereich eines Patentanspruches einschränkt. Es ist bereits seit langem allgemein anerkannt, dass  ein Gegenstand die räumlich-körperlichen Merkmale erfüllen muss, damit er auch den beanspruchten Zweck erfüllen kann. In der neueren Rechtsprechung hat der BGH allerdings auch darauf abgestellt, dass der Gegenstand tatsächlich für den beanspruchten Zweck geeignet sein muss (BGHZ 112, 140, 155 f. – Befestigungsvorrichtung II; Sen.Urt. v. 07.11.1978 – X ZR 58/77, GRUR 1979, 149, 151 – Schießbolzen; Urt. v. 2.12.1980 – X ZR 16/79, GRUR 1981, 259, 260 – Heuwerbungsmaschine II; Urt. v. 07.06.2006 – X ZR 105/04, GRUR 2006, 923 Tz. 15 – Luftabscheider für Milchsammelanlage; BGH, Urt. v. 28.05.2009 – Xa ZR 140/05, GRUR 2009, 837 Tz. 15 – Bauschalungsstütze).

In der vorliegenden Entscheidung fasst der BGH die Anforderungen wie folgt zusammen:

Einer Zweckangabe kommt regelmäßig die Aufgabe zu, den durch das Patent geschützten Gegenstand dahin zu definieren, dass er nicht nur die räumlich-körperlichen Merkmale erfüllen, sondern auch so ausgebildet sein muss, dass er für den im Patentanspruch angegebenen Zweck verwendbar ist.

EPÜ: Bestellung eines Vertreters – Wirren des EPÜ?

Wie der erfahrene Anwender des EPÜ weiß, benötigen natürlich oder juristische Personen, die keinen Wohnsitz bzw. Sitz in einem Mitgliedsstaat des EPÜ haben, einen zugelassenen Vertreter, um vor dem EPA rechtswirksame Handlungen vornehmen zu können (Art. 133 (2) EPÜ).

Interessant dabei ist, dass die Rechtsfolgen bei nicht rechtzeitiger Vertreterbestellung sich danach unterscheiden, ob es beim Einreichen der europäische Patentanmeldung beim EPA versäumt wurde, den Vertreter zu bestellen oder beim Eintritt in die regionale Phase einer Euro-PCT-Anmeldung. Zwar wird in beiden Fällern die Anmeldung zurückgewiesen, allerdings ist im ersteren Fall bei Fristversäumnis keine Weiterbehandlung möglich, im zweiten Fall aber sehr wohl. Dies liegt an der unterschiedlichen Rechtsfolgekette, die im EPÜ kodifiziert ist.

Handelt es sich nämlich um eine direkte EP-Anmeldung, so stellt die nicht rechtzeitige Vertreterbestellung einen Mangel nach Art. 90 (2), Art. 92 (3), R. 57 h) EPÜ dar und das EPA fordert den Anmelder in einer Mitteilung nach R. 58 EPÜ auf, diesen Mangel innerhalb einer Frist von zwei Monaten zu beseiten. Beseitigt der Anmelder diesen Mangel nicht innerhalb der Frist von zwei Monaten, so wird die Anmeldung nach Art. 90 (5) EPÜ zurückgeweisen. Nach R. 135 (2) EPÜ ist die Weiterbehandlung nach Art. 121 EPÜ in diesem Fall ausgeschlossen und es bleibt nur die Wiedereinsetzung nach Art. 122 EPÜ.

Bei dem Eintritt in die regionale Phase einer Euro-PCT-Anmeldung werden die Formerfordernisse nach R. 163 EPÜ bestimmt und bei versäumter Vertreterbestellung erfolgt eine Mitteilung nach R. 163 (5) EPÜ, in der das EPA den Anmelder auffordert innerhalb einer Frist von zwei Monaten, einen zugelassenen Vertreter zu bestellen. Versäumt der Anmelder diese Frist, so wird die Euro-PCT-Anmeldung nach R. 163 (6) S. 1 EPÜ zurückgewiesen. R. 163 EPÜ ist nicht von der Weiterbehandlung ausgeschlossen, sodass in diesem Fall die Weiterbehandlung nach Art. 121 möglich ist.