BGH, Urteil vom 3.2.2015 – Audiosignalcodierung:
Leitsätze:
a) Ein Mittel bezieht sich nicht schon dann auf ein wesentliches Element der Erfindung im Sinne von § 10 Abs. 1 PatG, wenn es zur Verwirklichung eines Verfahrensschritts eingesetzt wird, der den im Patentanspruch eines Verfahrenspatents vorgesehenen Schritten vorausgeht. Dies gilt auch dann, wenn der vorgelagerte Schritt notwendig ist, um die im Patentanspruch vorgesehenen Schritte ausführen zu können, und wenn das Mittel aufgrund seiner konkreten Ausgestaltung ausschließlich zu diesem Zweck eingesetzt werden kann.
b) Ein Mittel, mit dem bestimmte Verfahrensschritte bei der Übertragung eines Audiosignals ausgeführt werden, bezieht sich nicht auf ein wesentliches Element der Erfindung, wenn das Patent zwar ein Übertragungsverfahren schützt, im Patentanspruch aber nur andere Schritte dieses Verfahrens näher festgelegt sind und die Ausgestaltung der Verfahrensschritte, auf die sich das Mittel bezieht, für die Verwirklichung der Erfindung nicht von Bedeutung ist.
c) Wer im Ausland ein Mittel, das sich auf ein wesentliches Element der Erfindung bezieht, an einen Dritten liefert, der es mit seinem Wissen und Wollen zur Benutzung der Erfindung in Deutschland weiterliefert, veranlasst eine Lieferung des Mittels im Geltungsbereich des Patentgesetzes.
Anmerkungen:
Die Leitsatzentscheidung BGH, Urteil vom 3.2.2015 – Audiosignalcodierung dürfte eine der wichtigsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur mittelbaren Patentverletzung der jüngeren Zeit sein.
Drei Anmerkungen zu dieser Entscheidung:
1. Der Patentanspruch des Klagepatents betraf ein Übertragungsverfahren für Audiodaten. Der Patentanspruch enthielt die coderseitigen und die decoderseitigen Verfahrensschritte der Übertragung.
Für das Übertragungsverfahren nötig, aber nicht im Anspruch enthalten waren darüber hinaus die Modulierung der codierten Daten auf ein Trägersignal und die entsprechende Demodulierung auf der Seite des Decoders.
Im Patentverletzungsverfahren wurden verschiedene Ausführungsbeispiele angegriffen: Zunächst gab es angegriffene Ausführungsformen, bei denen die Kombination aus einem Gerät zur Demodulation (typischerweise ein USB-Stick) und eine Software zur Decodierung angeboten wurde. Diese Ausführungsbeispiele stellten eine mittelbare Patentverletzung dar.
Darüber hinaus gab es jedoch angegriffene Ausführungsformen, bei denen nur das Gerät zur Demodulation (typischerweise ein USB-Stick) geliefert wurde. Die Decodierung wurde von anderer Software (z.B. Windows Media Player) ausgeführt, die nicht zur angebotenen Ausführungsform gehörten. Für diese wurde die Verletzung verneint.
2. Ein bedeutender Aspekt dieser Entscheidung liegt nach meiner Auffassung darin, dass der BGH klarstellt, dass auch bei mittelbarer Patentverletzung eines Verfahrensanspruchs nicht erforderlich ist, dass die beanspruchten Verfahrensschritte von ein- und derselben Person ausgeführt werden müssen. Eine mittelbare Patentverletzung kommt auch dann in Betracht, wenn ein wesentliches Mittel zur Realisierung eines Verfahrens angeboten oder geliefert wird, wenn die Verfahrensschritte dieses Verfahrens von zwei oder mehr unterschiedlichen Personen ausgeführt werden (vorliegend: Codierung durch eine Sendeanstalt, Decodierung durch die Software auf dem Computer des Benutzers). Dies ist eine Folge der vom BGH bejahten Möglichkeit der nebentäterschaftlichen Haftung für Patentverletzungen (BGH, Urteil vom 27. Februar 2007 – X ZR 113/04 Rn. 19 – Rohrschweißverfahren; BGH, Urteil vom 17. September 2009 – Xa ZR 2/08 Rn. 34 – MP3-Player-Import).
Dies ist für die Praxis des Patentverletzungsverfahrens insofern von Bedeutung, als die deutsche Praxis sich von der höchstrichterlichen Rechtsprechung des U.S. Supreme Court unterscheidet. Die Entscheidung US Supreme Court – LIMELIGHT NETWORKS scheint darauf hinzudeuten, dass eine mittelbare Verletzung eines Verfahrensanspruchs nur in Betracht kommt, wenn alle Verfahrensschritte des Patentanspruchs von derselben Person ausgeführt werden („single entity“-Theorie). So führt der Supreme Court in Abschnitt II.A der Entscheidung aus:
… there has simply been no infringement of the method in which respondents have staked out an interest, because the performance of all the patent’s steps is not attributable to any one person. And, as both the Federal Circuit and respondents admit, where there has been no direct infringement, there can be no inducement of infringement under §271(b).
3. Ein weiterer bedeutender Aspekt der BGH-Entscheidung: Der allgemeine Ansatz bei der patentanwaltlichen Praxis des Patent-Drafting ist, dass in den Patentansprüche meist gilt: „weniger ist mehr“. Überflüssige Merkmale sind aus den Ansprüchen wegzulassen.
In dem dieser BGH-Entscheidung zugrundeliegenden Fall hätte jedoch die mittelbare Patentverletzung durch diejenigen Ausführungsformen, die nur den Demodulierer, aber nicht den Decoder enthielten, wohl nicht mit der vom BGH gegebenen Begründung verneint worden können. Möglicherweise wäre die Entscheidung also anders ausgefallen, wenn der Patentanspruch nicht nur die Codierung und Decodierung der Daten, sondern auch die Modulations- und Demodulationsschritte, wenn auch nur in allgemeiner und breiter Form, enthalten hätte.