Autor: Dr. Martin Meggle-Freund

BGH, I ZB 72/19 – Schwarzwälder Schinken II

BGH, Beschluss vom 3. September 2020 – I ZB 72/19 – Schwarzwälder Schinken II

VO (EU) Nr. 1151/2012 Art. 7 Abs. 1 Buchst. e

Amtliche Leitsätze:

a) Eine Änderung der Spezifikation, die die Zuerkennung einer geschützten geografischen Angabe an die Aufmachung im Erzeugungsgebiet knüpft, ist nur gerechtfertigt, wenn einer der drei in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 genannten Rechtfertigungsgründe – Qualitätswahrung oder Ursprungsgewährleistung oder Kontrollgewährleistung – vorliegt.

b) Bei der Prüfung, ob die Wahrung der Qualität des in Rede stehenden Erzeugnisses (hier: von der geschützten geografischen Angabe „Schwarzwälder Schinken“ erfasster Schinken) das Erfordernis
der Aufmachung (hier: das Schneiden und Verpacken) im Erzeugungsgebiet (hier: im Schwarzwald) erfordert, kommt es darauf an, ob dieses Erfordernis produktspezifisch gerechtfertigt ist. Eine produktspezifische Rechtfertigung liegt nur vor, wenn das betreffende Erzeugnis bei einer Verarbeitung außerhalb des Erzeugungsgebiets im Vergleich zu anderen vergleichbaren Erzeugnissen erhöhten Risiken ausgesetzt ist, denen mit den vorgesehenen Maßnahmen wirksam begegnet werden kann.

c) Das Erfordernis der Aufmachung im Erzeugungsgebiet ist unter dem Gesichtspunkt der Ursprungsgarantie und der Rückverfolgbarkeit des Erzeugnisses nur gerechtfertigt, wenn die Spezifikation zur Gewährleistung des Ursprungs des Erzeugnisses Kontrollen vorsieht, die innerhalb des Erzeugungsgebiets effektiver als außerhalb dieses Gebiets vorgenommen werden können.

d) Das Erfordernis der Aufmachung eines von einer geschützten geografischen Angabe erfassten Erzeugnisses im Erzeugungsgebiet ist gerechtfertigt, wenn es dem Ziel dient, eine wirksame Kontrolle der Spezifikation für diese geschützte geografische Angabe zu gewährleisten. Dabei muss es sich um Kontrollen handeln, die außerhalb des Erzeugungsgebiets weniger Garantien für die Qualität und Echtheit dieses Erzeugnisses geben als Kontrollen, die im Erzeugungsgebiet unter Einhaltung der in der Spezifikation vorgesehenen Verfahren durchgeführt werden.

BGH, I ZR 120/19 – Clickbaiting

BGH, Urteil vom 21. Januar 2021 – I ZR 120/19 – Clickbaiting

Amtliche Leitsätze:

a) Das Berufungsgericht ist bei der Überprüfung eines erstinstanzlichen Grundurteils auch dann befugt, über den Betrag des Klageanspruchs zu entscheiden, wenn es das Grundurteil nicht beanstandet und der Streit über den Betrag zur Entscheidung reif ist. Hierfür bedarf es weder einer Anschlussberufung des Klägers noch einer Zustimmung der Parteien noch einer Wiederholung des erstinstanzlichen Sachantrags des Klägers.

b) Die Nutzung des Bildnisses einer prominenten Person im Internet als „Clickbait“ („Klickköder“) ohne redaktionellen Bezug zu dieser greift in den vermögensrechtlichen Zuweisungsgehalt ihres Rechts am eigenen Bild ein.

c) Eine prominente Person muss nicht hinnehmen, dass ihr Bildnis von der Presse unentgeltlich zur Werbung für redaktionelle Beiträge eingesetzt wird, die sie nicht betreffen.

BGH, I ZR 193/19

BGH, Urteil vom 5. November 2020 – I ZR 193/19

Amtlicher Leitsatz:

Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Bereicherungsausgleich bei Anweisungsfällen gelangen nur dann zur Anwendung, wenn zwei Leistungsbeziehungen – ein Deckungsverhältnis und ein Valutaverhältnis – vorliegen, innerhalb derer jeweils eine Leistung geschuldet ist, und die beiden geschuldeten Leistungen aufgrund einer Anweisung an den Angewiesenen durch eine einzige Zuwendung an den Zuwendungsempfänger erfüllt werden sollen. Ein Anweisungsfall in diesem Sinne liegt dagegen nicht vor, wenn der Gläubiger seinen Schuldner anweist, zur Erfüllung einer einzigen Leistungsverpflichtung eine Zahlung auf das Konto eines Dritten vorzunehmen.

BGH, I ZB 99/19 – Zusammenfassung wiederholte Verstöße gegen eine Unterlassungsverurteilung unter dem Gesichtspunkt einer natürlichen Handlungseinheit, Verfolgungsverjährung

BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 – I ZB 99/19

Amtliche Leitsätze:

a) Im Ordnungsmittelverfahren können wiederholte Verstöße gegen eine Unterlassungsverurteilung unter dem Gesichtspunkt einer natürlichen Handlungseinheit zusammengefasst werden, die aufgrund ihres räumlich-zeitlichen Zusammenhangs so eng miteinander verbunden sind,
dass sie bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches, zusammengehörendes Tun erscheinen.

b) Kann bei natürlicher Betrachtungsweise angenommen werden, dass der Schuldner jeweils einen neuen Entschluss zum Verstoß gegen eine titulierte Unterlassungsverpflichtung gefasst oder einen bereits gefassten Entschluss bewusst bekräftigt hat, spricht dies gegen das Vorliegen einer natürlichen Handlungseinheit und für die Annahme von mehreren Zuwiderhandlungen.

c) Zu einer natürlichen Handlungseinheit können nur solche Verhaltensweisen zusammengefasst werden, die gegen dasselbe gerichtliche Verbot verstoßen.

d) Ordnungsmittel gemäß § 890 ZPO können nicht mehr verhängt werden, wenn während des Ordnungsmittelverfahrens gemäß Art. 9 Abs. 1 EGBGB Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Dabei handelt es sich um ein Verfahrenshindernis, das von Amts wegen in jeder Lage des
Verfahrens zu berücksichtigen ist.

e) Verfolgungsverjährung kann nicht mehr eintreten, soweit auf Antrag des Gläubigers innerhalb unverjährter Zeit ein Ordnungsgeld festgesetzt worden ist.

BGH, I ZR 207/19 – Urlaubslotto

BGH, Urteil vom 21. Januar 2021 – I ZR 207/19 – Urlaubslotto

Amtlicher Leitsatz:

Ein Foto, das eine prominente Person zeigt und von einem breiten Publikum als Symbolbild (hier: für eine Kreuzfahrt) angesehen wird, darf – selbst in einem redaktionellen Kontext – nicht schrankenlos zur Bebilderung eines Presseartikels (hier: über ein Gewinnspiel, dessen Hauptgewinn eine Kreuzfahrt ist) genutzt werden. Der Symbolcharakter des Fotos ist vielmehr in die nach §§ 22, 23 KUG vorzunehmende umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen einzustellen.

BGH, X ZR 180/18 – Scheibenbremse

BGH, Urteil vom 15. Dezember 2020 – X ZR 180/18 – Scheibenbremse

Amtlicher Leitsatz:

Eine Entgegenhaltung, auf die der Nichtigkeitskläger erst in zweiter Instanz aufmerksam geworden ist, darf gemäß § 117 Satz 1 PatG und § 531 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ZPO nur dann berücksichtigt werden, wenn der Kläger darlegt und erforderlichenfalls glaubhaft macht, warum eine Recherche, die das Dokument zutage gefördert hätte, in erster Instanz (noch) nicht veranlasst war. Hierzu muss der Kläger konkret dartun, wie er das Suchprofil seiner erstinstanzlichen Recherche angelegt und warum er ein solches Profil gewählt hat und nicht dasjenige, das zur Ermittlung der neuen Entgegenhaltung geführt hat (Bestätigung von BGH, Urteil vom 27. August 2013 – X ZR 19/12, BGHZ 198, 187 Rn. 30 f. – Tretkurbeleinheit).

BGH, I ZB 38/20

BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 – I ZB 38/20

Ein „Anlass zur Einreichung der Klage“ im Sinne des § 269 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 ZPO kann nur angenommen werden, wenn die Klage bei ihrer Einreichung zulässig und begründet war oder jedenfalls zu irgendeinem Zeitpunkt vor ihrer Einreichung zulässig und begründet gewesen wäre. Auf den Fall einer aus objektiver Sicht zu keinem Zeitpunkt aussichtsreichen Klage ist die Vorschrift nicht anwendbar.

BGH, X ZR 120/18 – Nachrichtenübermittlungsdienst

BGH, Urteil vom 15. Dezember 2020 – X ZR 120/18 – Nachrichtenübermittlungsdienst

Amtlicher Leitsatz:

Der Schutzbereich eines Patents, dessen erteilte Fassung ein auf einem Mobilfunkgerät im Zusammenwirken mit einem Server ausgeführtes Verfahren schützt, ist nicht zwingend schon deshalb erweitert, weil der Patentanspruch im Nichtigkeitsverfahren um einen Verfahrensschritt ergänzt wird, der auf dem Server ausgeführt wird (Ergänzung zu BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 – X ZR 56/17, GRUR 2019, 389 – Schaltungsanordnung III).

BGH, X ZR 3/19 – UKlaG-Streitwert

BGH, Beschluss vom 17. November 2020 – X ZR 3/19 – UKlaG-Streitwert

Amtlicher Leitsatz:

Bei einer auf § 1 oder § 4a UKlaG gestützten Klage sind Gebührenstreitwert und Beschwer grundsätzlich auch dann allein nach dem Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung der angegriffenen Klauseln zu bemessen, wenn der Kläger ein Wirtschaftsverband im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UKlaG ist.

BGH, I ZR 153/17 – YouTube-Drittauskunft II

BGH, Urteil vom 10. Dezember 2020 – I ZR 153/17 – YouTube-Drittauskunft II

Amtlicher Leitsatz:

Der Auskunftsanspruch über „Namen und Anschrift“ im Sinne des § 101 Abs. 3 Nr. 1 UrhG schließt die Auskunft über die E-Mail-Adressen und Telefonnummern der Nutzer der Dienstleistungen nicht ein. Er umfasst auch nicht die Auskunft über die für das Hochladen rechtsverletzender Dateien verwendeten IP-Adressen oder die von den Nutzern der Dienstleistungen zuletzt für einen Zugriff auf ihr Benutzerkonto verwendeten IP-Adressen.