Autor: Dr. Martin Meggle-Freund

BGH, X ZR 37/22 – Chemische Verbrauchsmaterialien

BGH, Urteil vom 12. November 2024 – X ZR 37/22 – Chemische Verbrauchsmaterialien

In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12. November 2024 wurde über die Unwirksamkeit einer Vergütungsvereinbarung für Arbeitnehmererfinder verhandelt. Der Kläger, ein promovierter Chemiker, hatte in seiner Tätigkeit als Mitarbeiter für Forschung und Entwicklung bei der Beklagten an mehreren Erfindungen mitgewirkt. Die festgelegte Erfindervergütung wurde vom Berufungsgericht für nichtig erklärt, da ein erhebliches Missverhältnis zwischen der vereinbarten und der gesetzlich geschuldeten Vergütung bestand. Dabei wurde die Mitteilung des Geschäftsführers der Beklagten als unangemessene Vergütung aufgrund der Nichtberücksichtigung eines Anteilsfaktors angesehen.

Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Es wurde festgestellt, dass die zur Überprüfung anstehenden Vergütungsregelungen auch unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zu beurteilen sind, insbesondere wenn Gegebenheiten vorliegen, die eine festgelegte Vereinbarung als durchaus nicht unbillig erscheinen lassen. Weitere Feststellungen zur Festsetzung der Vergütung und zu den angewendeten Maßstäben fehlen noch, weshalb eine abschließende Entscheidung durch den BGH nicht getroffen werden konnte.

Amtliche Leitsätze:

Auf die Unwirksamkeit einer Vereinbarung gemäß § 23 Abs. 1 ArbNErfG [→ Unwirksamkeit unbilliger Vereinbarungen] darf sich gegebenenfalls auch der Arbeitgeber berufen.

Aus Rechtsgründen ist es nicht zu beanstanden, dass ein objektives Missverhältnis in Anlehnung an die Entscheidungspraxis der Schiedsstelle grundsätzlich bejaht wird, wenn die vorgesehene Vergütung bei Berücksichtigung aller für sie maßgeblichen Faktoren das Doppelte des auf der Grundlage der Richtlinien berechneten Betrages überschreitet.

Bei einer Überschreitung des auf diese Weise als angemessen ermittelten Betrages dürfen die Umstände, unter denen die Festlegung zustande gekommen ist, und die Zeitdauer, während der die getroffene Regelung praktiziert worden ist, nicht außer Acht bleiben.

Entscheidung des Gerichts erster Instanz des Einheitspatentgerichts, Lokalkammer Den Haag, UPC_CFI_239/2023, verkündet am 22. November 2024

Entscheidung des Gerichts erster Instanz des Einheitspatentgerichts, Lokalkammer Den Haag, UPC_CFI_239/2023, verkündet am 22. November 2024

Amtliche Leitsätze:

  1. Das Patent ist gültig und wird durch Äquivalenz verletzt.
  2. Der Schutzumfang im Falle einer Verletzung wird in zwei Schritten bewertet, wobei Art. 69 EPÜ  [→ Schutzbereich] und das Protokoll [→ Auslegungsprotokoll] angewendet werden. Der erste Schritt bewertet die ‚wörtliche‘ Verletzung der Merkmale des Patents im Hinblick auf die Auslegung der Ansprüche. Im zweiten Schritt, wenn das Patent nicht als wörtlich verletzt gilt, wird die Äquivalenz bewertet.
  3. Der angewandte Test zur Beurteilung der Verletzung durch Äquivalenz basiert auf der Rechtsprechung in verschiedenen nationalen Jurisdiktionen, wie von beiden Parteien in diesem Fall vorgeschlagen. Dies bedeutet, dass eine Variation als äquivalent zu einem im Anspruch spezifizierten Element gilt, wenn die folgenden vier Fragen bejaht werden:
    1. Technische Äquivalenz: Löst die Variation (im Wesentlichen) das gleiche Problem, das die patentierte Erfindung löst, und erfüllt sie (im Wesentlichen) die gleiche Funktion in diesem Kontext?
    2. Angemessener Schutz für den Patentanmelder: Ist die Erweiterung des Schutzanspruchs auf das Äquivalent ein verhältnismäßiger, fairer Schutz für den Patentanmelder?
    3. Angemessene Rechtssicherheit für Dritte: Versteht der Fachmann aus dem Patent, dass der Schutzumfang der Erfindung breiter ist als das, was wörtlich beansprucht wird?
    4. Ist das angeblich verletzende Produkt neu und erfinderisch im Vergleich zum Stand der Technik?
  4. Das Gericht kann eine spezifische Formulierung für ein Schreiben an die Kunden oder zur Veröffentlichung auf der Website des Verletzers gemäß Art. 64 EPGÜ [→ Abhilfemaßnahmen im Rahmen von Verletzungsverfahren] und Unionsrecht anordnen.

EPG, Lokalkammer München, Anordnung v. 25. November 2024 – UPC_CFI_443/2024

EPG, Lokalkammer München, Anordnung v. 25. November 2024 – UPC_CFI_443/2024

Das Gericht entschied, dass der Antrag auf einstweilige Maßnahmen [→ Einstweilige Maßnahmen] nicht begründet ist, da es die Interessen der Parteien abwog [→ Abwägung der Interessen der Parteien] und zu dem Schluss kam, dass die Anordnung solcher Maßnahmen nicht erforderlich sei. Die Argumentation basierte auf fehlenden außergewöhnlichen Umständen, die ein sofortiges Eingreifen rechtfertigen würden, insbesondere, weil das Hauptsacheverfahren näher bevorstand. Auch hatte die Antragstellerin keine ausreichend spezifischen Beweise für Schäden vorgelegt, die erst durch einen späteren Unterlassungstitel in der Hauptsache unzumutbar sein könnten. Im Rahmen der Abwägung wurde zudem erörtert, dass die Antragsgegnerin seit Jahren mit den angegriffenen Produkten auf dem Markt ist und dies bei der Bewertung ihres Schutzbedürfnisses zu berücksichtigen war.

Amtliche Leitsätze:

  1. Der Regelungszweck von Regel 8 Abs. 4 [→ Inhaber eines europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung] und 5 EPGVO [→ Vermutung der Inhaberschaft und Anmelderschaft] besteht darin, das Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht von dem Streit über die materiell-rechtliche Inhaberschaft an einem Europäischen Patent unabhängig davon freizuhalten, ob die Inhaberschaft für die Prozessführungsbefugnis oder die Anspruchsberechtigung von Bedeutung ist, indem die (un-)widerlegliche Vermutung aufgestellt wird, dass der eingetragene Inhaber auch der tatsächliche Inhaber ist.
  2. Der Sinngehalt eines Unteranspruchs kann grundsätzlich zur richtigen Auslegung des Hauptanspruchs [→ Auslegung der Patentansprüche] eines Patents beitragen. Unteransprüche engen den Gegenstand des Hauptanspruchs jedoch regelmäßig nicht ein, sondern zeigen nicht anders als Ausführungsbeispiele lediglich – gegebenenfalls mit einem zusätzlichen Vorteil verbundene – Möglichkeiten seiner Ausgestaltung.
  3. Da die Erteilungsakte in Art. 69 EPÜ  [→ Bestimmung des Schutzbereichs] keine Erwähnung findet, bildet sie grundsätzlich kein zulässiges Auslegungsmaterial. Ein Europäisches Patent kann nicht auf der Grundlage von Textstellen, die im Erteilungsverfahren aus der Beschreibung gestrichen wurden, ausgelegt werden (Fortführung von Lokalkammer Düsseldorf, Anordnung vom 9. April 2024, CFI_452/2023 = ACT_589655/2023 – Ortovox Sportartikel gg. Mammut Sports u.a.).
  4. Die in einem einstweiligen Verfügungsverfahren vorzunehmende Interessenabwägung [→ Abwägung der Interessen der Parteien] muss die Wahrscheinlichkeit einer Fehlentscheidung und auch die objektive Dringlichkeit im Sinne einer Erforderlichkeit einstweiliger Maßnahmen im Hinblick auf ein ebenso mögliches Hauptsacheverfahren berücksichtigen. Sämtliche Aspekte sind aufeinander rückbezogen gegeneinander abzuwägen. Die Notwendigkeit der Berücksichtigung auch dieser Aspekte im Rahmen der Interessenabwägung ergibt sich aus dem Verhältnis des einstweiligen Verfügungsverfahrens zu einem möglichen Hauptsacheverfahren. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist nämlich das Hauptsacheverfahren die Regel, während das Eilverfahren mit seiner summarischen Prüfung und der Möglichkeit der nachträglichen Rechtsverteidigung die Ausnahme ist.
  5. Die Interessen der Parteien [→ Abwägung der Interessen der Parteien] sind unter der Fragestellung abzuwägen, ob der Erlass einstweiliger Maßnahmen im Hinblick auf eine spätere Entscheidung im Hauptsacheverfahren erforderlich und geboten ist, d.h. ob es dem Antragsteller im Hinblick auf die Gefahr einer fehlerhaften Anordnung einstweiliger Maßnahmen und die damit verbundenen Auswirkungen für den Antragsgegner einerseits und die mit der Fortdauer der Patentverletzung bis zu einer Hauptsacheentscheidung verbundenen Beeinträchtigungen andererseits unzumutbar ist, mit der Durchsetzung seiner Ansprüche bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu warten.
  6. Regel 211 Abs. 4 EPGVO [→ Berücksichtigung von Verzögerungen] bringt zum Ausdruck, dass ein Antragsteller, dessen Verhalten bereits subjektiv darauf hindeutet, dass er es nicht eilig hat, keine Hilfe durch die Anordnung einstweiliger Maßnahmen erwarten kann. Der Umkehrschluss, dass einstweilige Maßnahmen anzuordnen sind, weil sich der Antragsteller beeilt hat, gilt hingegen nicht. Vielmehr muss die Anordnung einstweiliger Maßnahmen auch objektiv dringlich sein.
  7. Im einstweiligen Verfügungsverfahren [→ Einstweilige Maßnahmen] können Zweifel am Rechtsbestand des Streitpatents im Rahmen der Interessenabwägung ins Gewicht fallen und einer Anordnung einstweiliger Maßnahmen entgegenstehen.

BGH, 2024 – X ZR 120/22 – Kraftfahrzeugschloss

BGH, Urteil vom 22. Oktober 2024 – X ZR 120/22 – Kraftfahrzeugschloss

Amtlicher Leitsatz:

Die Übernahme eines im Stand der Technik offenbarten Betätigungsmechanismus für eine ähnliche Vorrichtung kann auch dann naheliegen, wenn dieser Mechanismus zwar eine weitere, für die ähnliche Vorrichtung nicht benötigte Funktion erfüllt, im Stand der Technik aber ausdrücklich auf die beiden unterschiedlichen Funktionen hingewiesen wird und diese ohne weiteres voneinander getrennt werden können.

BGH, I ZR 38/24 -Sonntagsverkauf im Gartencenter

BGH, Urteil vom 5. Dezember 2024 – I ZR 38/24 – Sonntagsverkauf im Gartencenter

Amtliche Leitsätze:

a) Über die Zulässigkeit der Öffnung einer Verkaufsstelle an Sonn- und Feiertagen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 LÖG NW entscheidet das dort angebotene Kernsortiment, nicht aber das ergänzend dazu angebotene Randsortiment.


b) Die Zugehörigkeit von Waren zum Randsortiment im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 LÖG NW richtet sich nach deren hauptsächlicher Zweckbestimmung und nicht danach, in welcher Weise sie darüber hinaus noch genutzt werden können. Waren des nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 LÖG NW zulässigen Randsortiments müssen weder zum sofortigen Ge- und Verbrauch bestimmt sein, noch müssen sie gleichzeitig oder kombiniert mit Waren des Kernsortiments erworben werden.

BGH, I ZR 135/23 – Herausgeberanteil

BGH, Beschluss vom 21. November 2024 – I ZR 135/23 – Herausgeberanteil

Amtlicher Leitsatz:

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10), von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (ABl. L 376 vom 27. Dezember 2006, S. 28) sowie von Art. 11 Abs. 4 und Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt (ABl. L 84 vom 20. März 2014,
S. 72) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist es mit Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG, mit Art. 6
Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG sowie mit Art. 11 Abs. 4 und
Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU vereinbar, wenn nach einer
Vorschrift des nationalen Rechts [§ 32 (1) VGG → Förderung kulturell bedeutender Werke] eine Verwertungsgesellschaft kulturell
bedeutende Werke fördern soll und dies zur Folge hat, dass auch Empfänger in den Genuss der Förderung gelangen, die (jedenfalls noch)
nicht zum Kreis der Rechtsinhaber zählen?

Für den Fall, dass die Erbringung sozialer, kultureller oder bildungsbezogener Leistungen gemäß Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU nur an Rechtsinhaber zulässig ist: Ist die Zulässigkeit der Erbringung solcher Leistungen davon abhängig, dass der Empfänger dieser Leistungen einen gegenwärtigen Vergütungsanspruch innehat, oder reicht die Inhaberschaft eines gegenwärtig nicht zu vergütenden Urheberrechts
oder verwandten Schutzrechts aus? Setzt die Zulässigkeit solcher Leistungen das Bestehen eines Wahrnehmungsvertrags mit der Verwertungsgesellschaft voraus?

EPG, Berufungsgericht, Anordnung v. 10. Dezember 2024 – UPC_CoA_470/2023

EPG, Berufungsgericht, Anordnung v. 10. Dezember 2024 – UPC_CoA_470/2023

Amtlicher Leitsatz:

Die Aufhebung gemäß Art. 75(1) EPGÜ [→ Entscheidung des Berufungsgerichts und Zurückverweisung] und R. 242.1 EPGVO [→ Zurückweisung oder Aufhebung der Entscheidung] einer Anordnung des Gerichts erster Instanz, mit der eine einstweilige Verfügung erlassen worden ist, ist in der Regel rückwirkend. Die Anordnung wird aufgehoben, weil durch eine rechtskräftige Anordnung des Berufungsgerichts festgestellt worden ist, dass die Anordnung nicht hätte erlassen werden dürfen. Eine aufgehobene Anordnung ist daher als von Anfang an ohne rechtliche Wirkung zu betrachten. Daraus folgt, dass die Aufhebung einer Anordnung des Gerichts erster Instanz, mit der eine einstweilige Verfügung unter Androhung von Zwangsgeldern erlassen worden ist, die rechtliche Grundlage für jede nachfolgende Entscheidung, die die Zahlung von Zwangsgeldern anordnet, beseitigt, selbst wenn diese Entscheidung mutmaßliche Verstöße gegen die einstweilige Verfügung vor der Aufhebung betrifft

Aus der Entscheidungsbegründung:

Diese Auslegung des EPGÜ und der Verfahrensordnung steht im Einklang mit der Richtlinie 2004/48/EG [→ Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums] des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (im Folgenden: Richtlinie 2004/48). Nach Artikel 3 der Richtlinie 2004/48 müssen die von den Mitgliedstaaten vorgesehenen Mittel zur Sicherstellung der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums gerecht, wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und so angewendet werden, dass die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist. Der Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) hat klargestellt, dass der EU-Gesetzgeber damit beabsichtigte, ein Gleichgewicht zwischen einem hohen Schutzniveau der Rechte des geistigen Eigentums und den Rechten und Freiheiten des Beklagten zu schaffen (EuGH, 11. Januar 2024, C-473/22, ECLI:EU:C:2024:8, Mylan/Gilead, Rn. 44). Dementsprechend fordert die Richtlinie 2004/48 einerseits rasche und wirksame einstweilige Maßnahmen, um mutmaßliche Verletzungen zu verhindern, ohne dass der Antragsteller endgültige Beweise für die Verletzungen vorlegen muss. Andererseits hat der EU-Gesetzgeber verschiedene Rechtsinstrumente vorgesehen, die es ermöglichen, das Risiko, dass der Beklagte durch einstweilige Maßnahmen Schaden erleidet, umfassend zu mindern und so seinen Schutz sicherzustellen. So sehen beispielsweise Art. 7(4)  [→ Entschädigung bei unberechtigten Beweissicherungsmaßnahmen] und Art. 9(7)  [→ Entschädigung bei unberechtigten Maßnahmen] der Richtlinie 2004/48 Maßnahmen vor, die es dem Beklagten ermöglichen, Entschädigung zu verlangen, wenn die einstweiligen Maßnahmen aufgehoben werden (vgl. Art. 60(9)  [→ Entschädigung bei Aufhebung der Maßnahmen] und Art. 62(5) [→ Anwendung von Artikel 60 auf Maßnahmen] UPCA). Die Aufhebung einer Zwangsgeldanordnung, die auf einer aufgehobenen einstweiligen Maßnahme basiert, steht im Einklang mit diesem Ziel.

EPG, Lokalkammer Düsseldorf, Beschl. v. 3. Dezember 2024 – UPC_CFI_140/2024

EPG, Lokalkammer Düsseldorf, Beschl. v. 3. Dezember 2024 – UPC_CFI_140/2024

In einem Streit um die Bereitstellung einer Sicherheit für Prozesskosten entschied das Einheitspatentgericht, dass sowohl der Kläger als auch der Beklagte im Sinne der Regel 158 EPGVO [→ Sicherheitsleistung für die Kosten einer Partei] zur Bereitstellung von Sicherheiten für Prozesskosten verpflichtet werden können. Das Gericht benutzte sein Ermessen unter Berücksichtigung der finanziellen Lage der Parteien und der Durchsetzbarkeit von Kostenentscheidungen, um die Beklagte auf Antrag der Klägerin zur Bereitstellung einer Sicherheit für Prozesskosten zu verpflichten. Es wurde festgestellt, dass die Regel 158 EPGVO in Einklang mit Art. 69(4) EPGÜ steht und auch gegen Beklagte angewandt werden kann, was durch das Ziel des EPGÜ, ein faires Gleichgewicht zwischen den Interessen der Rechteinhaber und anderer Parteien zu schaffen, gestützt wird.


Amtliche Leitsätze:

1. Nicht nur dem Kläger, sondern auch dem Beklagten kann aufgegeben werden, eine Sicherheit für die Verfahrenskosten im Sinne von R. 158 EPGVO [→ Sicherheitsleistung für die Kosten einer Partei] zu leisten.

2. Wenn der Kläger eine solche Sicherheit für Verfahrenskosten von dem Beklagten verlangt, hat das Gericht zu berücksichtigen, dass der Kläger freiwillig beschlossen hat, einen Rechtsstreit zu führen. Diese Tatsache hat Auswirkungen auf die Interessenabwägung bei der Ausübung des Ermessens nach Regel 158 EPGVO [→ Sicherheitsleistung für die Kosten einer Partei]. Dabei muss das Gericht besonders darauf achten, dass das Recht des Beklagten auf ein faires Verfahren geschützt wird und insbesondere, dass dem Beklagten nicht die Möglichkeit genommen wird, seinen Fall wirksam vor Gericht darzustellen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Befugnis zur Anordnung der Stellung einer angemessenen Sicherheit für Prozesskosten beruht auf Artikel 69(4) EPGÜ [→ Sicherheitsleistung für Kosten des Beklagten]. Aus dem Wortlaut von Artikel 69(4) folgt, dass die Anordnung an den Beklagten, auf Antrag des Klägers eine Sicherheit für Prozesskosten zu stellen, nicht ausgeschlossen ist. Artikel 69(4) EPGÜ stellt eine Mindestnorm dar für die Umstände, unter denen diese Abhilfe verfügbar sein muss (siehe den Wortlaut ‚insbesondere‘ in Art. 69(4) EPGÜ).

Das Auflegen einer Sicherheit ist eine Vorsichtsmaßnahme, um das Recht zu wahren, dass, als allgemeine Regel, die unterliegende Partei die angemessenen und verhältnismäßigen Prozesskosten der obsiegenden Partei trägt (festgelegt in Artikel 69(1) EPGÜ [→ Kostenverteilung bei obsiegender Partei]).

Artikel 69 EPGÜ behandelt die Prozesskosten und unterscheidet zwischen der ‚erfolgreichen‘ und der ‚erfolglosen‘ Partei, ohne den Status einer Partei als ‚Kläger‘, ‚Beklagter‘ (oder anders) zu erwähnen. Daraus folgt, dass Artikel 69(4) EPGÜ nicht auf die spezifischen Umstände – oder Parteien – beschränkt ist, die genannt werden.

Die obigen Grundsätze gelten nach Maßgabe für die Situation wie im vorliegenden Fall, in dem der Kläger die Partei ist, die die Sicherheitsanordnung beantragt. Das Gericht erkennt jedoch auch an, dass die Anordnung einer Sicherheit für Prozesskosten typischerweise dazu dient, die Position und (potenziellen) Rechte eines Beklagten zu schützen, der nicht gewählt hat, das Hauptverfahren einzuleiten.

Besondere Vorsicht muss dabei vom Gericht gewahrt werden, dass das Recht des Beklagten auf ein faires Verfahren geschützt wird (Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, erwähnt in der Präambel des EPGÜ), insbesondere, dass dem Beklagten nicht die Möglichkeit genommen wird, seinen Fall effektiv vor dem Gericht zu präsentieren.

EPG, Zentralkammer Paris, Beschl. v. 26. November 2024 – UPC_CFI_164/2024

EPG, Zentralkammer Paris, Beschl. v. 26. November 2024 – UPC_CFI_164/2024

Amtlicher Leitsatz:

Die Reduzierung der geforderten Schadensersatzsumme in einer Verletzungsklage sollte als Änderung der Klage betrachtet werden [Regel 263 EPGVO → Zulassung von Klageänderungen oder -erweiterungen], genauer gesagt als Beschränkung der Klage, und muss vom Gericht gewährt werden, wenn sie mit hinreichender Begründung und bedingungslos eingereicht wird, gemäß Regel 263 (3) er EPGVO [→ Bedingungslose Beschränkung eines Klageanspruchs].

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 9. Dezember 2024 – UPC_CFI_509/2023

EPG, Lokalkammer München, Beschl. v. 9. Dezember 2024 – UPC_CFI_509/2023

Amtliche Lezsätze (Übersetzung):

Regel 275.1 EPGVO [→ Anordnung eines alternativen Verfahrens oder Ortes] gilt auch, wenn eine ausländische Behörde den formalen Zustellungsversuch nach dem Haager Zustellungsübereinkommen ernsthaft und endgültig verweigert. Eine ernsthafte Zustellungsverweigerung liegt auch vor, wenn ein Zustellungsersuchen ohne ersichtlichen Grund länger als sechs Monate nicht bearbeitet wird.

Um als alternative Zustellungsmethode (Regel 275.1 EPGVO → Anordnung eines alternativen Verfahrens oder Ortes) anerkannt zu werden, muss die Methode faktisch und rechtlich möglich sein.

Gemäß Regel 275.2 EPGVO [→ Rechtsgültige Zustellung durch alternative Schritte] ist ein erfolgloser Versuch, Dokumente nach Regel 274.1 a) (ii) EPGVO [→ Verfahren zur Zustellung außerhalb der Vertragsmitgliedstaaten] zuzustellen, in der Regel nicht als ordnungsgemäße Zustellung akzeptabel. Nur wenn ein Zustellungsversuch unter Regel 274 EPGVO gescheitert ist und eine Zustellung durch eine alternative Methode oder an einem alternativen Ort weder möglich noch zumutbar ist, kann das Gericht anordnen, dass ein erfolgloser Zustellungsversuch unter Regel 274 EPGVO als ordnungsgemäße Zustellung gilt.

Aus der Entscheidungsbegründung:

In dieser Entscheidung des Einheitspatentgerichts, Lokalkammer München, behandelte das Gericht ein Verfahren über einstweilige Maßnahmen, bei dem die Antragstellerin, air up group GmbH aus München, gegen die in China ansässige Guangzhou Aiyun Yanwu Technology Co., Ltd. vorging. Die zentrale Problematik drehte sich um die Schwierigkeiten bei der Zustellung der Antragsdokumente an den Beklagten gemäß dem Haager Zustellungsübereinkommen. Trotz erheblicher Anstrengungen beider Parteien, sowohl formell als auch informell, die Dokumente zuzustellen, verzögerte sich der Prozess erheblich, da die chinesische Behörde nicht reagierte. Nach über sechs Monaten ohne Fortschritt entschied das Gericht unter Berufung auf Regel 275.2 EPGVO, dass die bisherigen Schritte zur Zustellung als ordnungsgemäße Zustellung anerkannt werden. Diese Entscheidung berücksichtigt die Dringlichkeit der vorläufigen Maßnahmen und betont, dass weitere Verzögerungen unzumutbar wären. Das Gericht ordnete außerdem an, dass die getroffenen Entscheidungen auf der Website des Gerichts veröffentlicht werden sollen.