EPG, Berufungsgericht, UPC_CoA_511/2024: Aussetzung aufgrund eines anhängigen Einspruchsverfahrens

Berufungsgericht des Einheitspatentgerichts, Entscheidung vom 21 November 2024, UPC_CoA_511/2024

In der vorliegenden Entscheidung hat das Berufungsgericht des Einheitspatentgerichts die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben, die einen Antrag der Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens abgelehnt hatte. Das Gericht klärte, dass gemäß Art. 33(10) EPGÜ [→ Unterrichtung des Gerichts über Verfahren beim Europäischen Patentamt] und R. 295(a) EPGVO [→ Aussetzung aufgrund eines anhängigen Einspruchsverfahrens] das Gericht Verfahren aussetzen kann, wenn mit einer schnellen Entscheidung des Europäischen Patentamts (EPA) zu rechnen ist. Diese Regelungen erfordern keine endgültige Entscheidung des EPA. Die Berufungskläger argumentierten erfolgreich, dass das Gericht auch während schriftlicher Verfahren die Möglichkeit habe, den Fortgang des Prozesses im Interesse der Verfahrensökonomie zu unterbrechen, insbesondere wenn sehr bald mit einer Entscheidung der Oppositionsabteilung des EPA zu rechnen sei. Dieser Ansatz soll Konflikte zwischen den Entscheidungen in Verletzungsverfahren und den Entscheidungen des EPA in Einspruchsverfahren vermeiden. Das Gericht betonte die diskretionäre Befugnis des Gerichts, die Aussetzung zu gewähren, basierend auf dem Interessenabwägung und den spezifischen Umständen des Falles. Die Sache wurde zur weiteren Prüfung des Antrags auf Verfahrensaussetzung zurück an die Vorinstanz verwiesen.

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze:

  1. Artikel 33(10) EPGÜ [→ Unterrichtung des Gerichts über Verfahren beim Europäischen Patentamt] sieht vor, dass das Gericht seine Verfahren aussetzen kann, wenn eine rasche Entscheidung des Europäischen Patentamts zu erwarten ist. Diese Bestimmung wurde sowohl in Regel 295(g) EPGVO [→ Aussetzung des Verfahrens bei paralleler Entscheidung über zentrale Verfahrensfragen], die sich auf Regel 118 EPGVO [→ Entscheidung in der Sache] bezieht, als auch in Regel 295(a) EPGVO [→ Aussetzung aufgrund eines anhängigen Einspruchsverfahrens] umgesetzt. Regel 118 EPGVO enthält Bestimmungen zu Entscheidungen über die Sache selbst. Regel 118.2(b) EPGVO [→ Bedingte Entscheidungen] und Regel 295(g) EPGVO [→ Aussetzung des Verfahrens bei paralleler Entscheidung über zentrale Verfahrensfragen] sind daher anwendbar, wenn der Fall entscheidungsreif ist. Vor diesem Stadium richten sich Anordnungen bezüglich der Aussetzung von Verfahren, solange Einspruchsverfahren anhängig sind, nach Regel 295(a) EPGVO [→ Aussetzung aufgrund eines anhängigen Einspruchsverfahrens].
  2. Gemäß Artikel 33(10) EPGÜ [→ Unterrichtung des Gerichts über Verfahren beim Europäischen Patentamt] und Regel 295(a) EPGVO kann das Gericht Verfahren aussetzen, die sich auf ein Patent beziehen, das auch Gegenstand von Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt ist, wenn eine rasche Entscheidung des Europäischen Patentamts zu erwarten ist. Diese Bestimmungen erfordern nicht, dass eine endgültige Entscheidung des Europäischen Patentamts rasch zu erwarten ist. Das Gericht kann Verfahren gemäß Artikel 33(10) EPGÜ und Regel 295(a) EPGVO aussetzen, wenn zu erwarten ist, dass die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts ihre Entscheidung rasch trifft, selbst wenn es wahrscheinlich ist, dass eine solche Entscheidung angefochten wird.
  3. Eine Aussetzung gemäß Artikel 33(10) EPGÜ und Regel 295(a) EPGVO ist eines der Mittel, das dem Gericht zur Verfügung steht, um mit parallelen Verletzungs- und Einspruchsverfahren umzugehen. Insbesondere soll dadurch verhindert werden, dass Konflikte zwischen seinen Entscheidungen in Verletzungsverfahren und den vom Europäischen Patentamt in Einspruchsverfahren erlassenen Entscheidungen entstehen. Im Gegensatz zu Entscheidungen in parallelen Widerrufsverfahren und Einspruchsverfahren, die nicht unvereinbar sind3), können Entscheidungen in parallelen Verletzungs- und Einspruchsverfahren in Konflikt geraten. Solche Konflikte können insbesondere auftreten, wenn das Europäische Patentamt ein Patent im Rahmen eines Einspruchsverfahrens widerruft, das die Grundlage für eine Anordnung des Gerichts in Verletzungsverfahren bildete. Solche Konflikte sollten grundsätzlich vermieden werden, auch wenn die Entscheidung des Europäischen Patentamts anfechtbar ist und ihre Wirkung bis zur Berufung ausgesetzt ist. Eine Aussetzung von Verletzungsverfahren gemäß Artikel 33(10) EPGÜ und Regel 295(a) EPGVO kann dazu genutzt werden, diesen Zweck zu erreichen.
  4. Das Gericht ist nicht verpflichtet, Verfahren auszusetzen, wenn eine endgültige oder nicht endgültige rasche Entscheidung des Europäischen Patentamts zu erwarten ist. Artikel 33(10) EPGÜ und Regel 295(a) EPGVO sehen vor, dass das Gericht dies „kann“. Das Wort „kann“ bedeutet, dass das Gericht ein Ermessen hat. Ob eine Aussetzung gewährt wird, hängt von der Interessenabwägung der Parteien und den spezifischen Umständen des Falls ab, wie dem Stand des Einspruchsverfahrens, dem Stand des Verletzungsverfahrens und der Wahrscheinlichkeit, dass das Patent im Einspruchsverfahren widerrufen wird. In diesem Kontext ist die Tatsache, dass die erwartete Entscheidung des Europäischen Patentamts keine endgültige Entscheidung ist und wahrscheinlich angefochten wird, nur einer von mehreren Faktoren, die berücksichtigt werden können.

EPG

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