Seitengebühren-Abzocke am Europäischen Patentamt
Hintergrund: Mit der Änderung der Gebührenstruktur für Anmeldegebühren, die zum 1.4.2009 in Kraft getreten ist, hat der Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation die seitenzahlabhängige Zusatzgebühr als Teil der Anmeldegebühr eingeführt (CA/D 5/08). Durch diese wurde die seitenzahlabhängige Erhöhung der Erteilungsgebühr ersetzt. Nach Angabe des EPA sollten durch diese Maßnahmen Mehrkosten, die durch eine angeblich zunehmende Komplexität der Bearbeitung entstehen, auf den Anmelder umgelegt werden (vgl. Abl. EPA 2009, 118). Der tiefere Grund für die Verschiebung der seitenzahlabhängigen Gebührenerhöhung von der Erteilungsgebühr in die Anmeldegebühr dürfte schlicht darin gelegen haben, dass mit der seit 2009 geltenden Gebührenstruktur diese Zusatzgebühr auch für zurückgewiesene oder fallengelassene Anmeldungen vereinnahmt werden kann.
Sachverhalt: Die Eingangsstelle des EPA vertritt die Auffassung, die – bereits fällige und wirksam entrichtete – Zusatzgebühr zur Anmeldegebühr würde sich nachträglich erhöhen, wenn eine Aufforderung zur Mängelbeseitigung (Regel 58 EPÜ) aus einem der folgenden Gründe ergeht:
– zu kleine Seitenränder,
– zu kleine Schriftgröße in der Beschreibung und den Ansprüchen oder
– zu kleine Schriftgröße in den Figuren.
Die Eingangsstelle des EPA fordert den Anmelder zusammen mit der Mitteilung nach Regel 58 EPÜ auf, die Zusatzgebühr für bei Mängelbehebung eingereichte Zusatzseiten, die die Seitenanzahl von 35 Seiten der Anmeldung überschreiten, nachzuentrichten. Nach Auffassung der Eingangsstelle tritt eine Rücknahmefiktion bei Nichtentrichtung ein. Weiterbehandlung ist möglich.
Würdigung: Die Praxis der Eingangsstelle ist jedenfalls fragwürdig (laut Visser: ohne Basis im EPÜ). Wird die fällige Anmeldegebühr mit etwaigen seitenzahlabhängigen Zusatzgebühren fristgerecht entrichtet, könnte die Zusatzgebühr dann, und nur dann, erneut in anderer Höhe fällig werden, wenn das EPÜ dies ausdrücklich anordnet. Dies ist beispielsweise der Fall bei
– der Nachreichung eines Anspruchssatzes (Regel 38 Abs. 3 Alt. 2 EPÜ) oder
– der Einreichung einer Anmeldung durch Bezugnahme auf eine frühere Anmeldung (Regel 38 Abs. 3 Alt. 3 EPÜ),
nicht jedoch bei einer Mängelbehebung auf eine Mitteilung nach Regel 58 EPÜ hin.
Auch die Systematik des EPÜ bei den Anspruchsgebühren zeigt, dass eine fällige, wirksam entrichtete Gebühr nach dem EPÜ nicht bei einer Änderung der Anmeldung automatisch erneut fällig wird, sondern es dazu einer gesetzlichen Anordnung (bei der Anspruchsgebühr: Regel 71(4) EPÜ) bedarf.
Es ist verständlich, dass es das EPA als misslich empfinden mag, dass durch eine Wahl kleiner Schriftgrößen und/oder Seitenränder die Zusatzgebühr als Teil der Anmeldegebühr verringert werden kann. Eine – gesetzlich nicht vorgesehene – nachträgliche Änderung der Zusatzgebühr zu postulieren, kann nicht der richtige Weg sein. Es bleibt zu hoffen, dass bald ein Anmelder den Weg zur Beschwerdekammer beschreitet, um eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Verhaltens der Eingangsstelle herbeizuführen.