Äquivalente Verletzung revisited
In diesem Beitrag soll etwas ausführlicher zu der bereits in der Leitsatzrubrik zitierten Entscheidung Diglycidverbindung Stellung genommen werden. In dieser Entscheidung äußert sich der BGH erneut zur Frage des Schutzbereichs nach der Äquivalenzlehre. Die in der Entscheidung Okklusionsvorrichtung (BGH, X ZR 16/09) aufgestellten Grundsätze zur äquivalenten Verletzung werden dabei weiter konkretisiert.
Zum Sachverhalt (aus Sicht eines Nichtchemikers): Beansprucht wird ein Verfahren mit mehreren Schritten. Einer der Schritte (Epoxidation) soll nach dem Anspruch mit einer bestimmten Klasse von Verbindungen durchgeführt werden. Diese Klasse von Verbindungen hat nach Feststellung des Berufungsgerichts „keine weitergehenden Auswirkungen auf die Qualität des Produkts“. Die Anmeldung offenbart mehrere Varianten, mit denen der Epoxidationsschritt durchgeführt werden kann, ohne dass die im Anspruch genannte Klasse von Verbindungen verwendet wird.
Der BGH führt zur Frage der äquivalenten Verletzung in Rz. 45 des Urteils aus, dass daraus, „dass in der Beschreibung zwei mögliche Wege zur Herstellung einer mit Epoxidgruppen versehenen organische Festphase aufgezeigt werden, in Patentanspruch 1 aber nur einer dieser Wege unter Schutz gestellt wird, zu folgern [ist], dass der Schutz auf diese Variante beschränkt“ sei.
Somit erfahren die Kriterien der Äquivalenzprüfung, wie sie beispielsweise in den Schneidmesser- und Custodiol-Entscheidungen aufgestellt wurden, eine Modifizierung:
1. Falls die Verletzungsform identisch zu einem in der Anmeldung offenbarten Ausführungsbeispiel ist, das nicht mehr vom Wortsinn der Ansprüche umfasst wird, ist eine äquivalente Verletzung zu verneinen.
2. Falls die Verletzungsform den Anspruch nicht wortsinngemäß verletzt, aber auch nicht einem in der Anmeldung offenbarten Ausführungsbeispiel entspricht, das nicht mehr vom Wortsinn der Ansprüche umfasst wird, soll es darauf ankommen, ob das entsprechende Merkmal der Verletzungsform die spezifische Wirkung des Anspruchsmerkmals erreicht. Anders ausgedrückt soll es wohl darauf ankommen, dass das Merkmal der Verletzungsform dem nicht wortsinngemäß verwirklichten Anspruchsmerkmal in seiner spezifischen Wirkung näher kommt als der Wirkung, die die entsprechenden Merkmale bei den ursprünglich offenbarten, aber nicht mehr von den Ansprüchen abgedeckten Ausführungsbeispielen erreichen.
Nach diesen Grundsätzen wird der Äquivalenzbereich immer dann eingeschränkt, wenn während des Erteilungsverfahrens die Ansprüche so geändert werden mussten, dass nicht mehr alle ursprünglich offenbarten Ausführungsbeispiele von den erteilten Ansprüchen abgedeckt sind. Dies muss Bedenken begegnen, da der BGH bislang keine Differenzierung dahingehend vorgenommen hat, ob die Beschränkung des Äquivalenzbereichs nur dann erfolgt, wenn Stand der Technik eine entsprechend enge Anspruchsformulierung erforderlich gemacht hat (in diesem Fall stünde dem Verletzer in den relevanten Konstellationen aber sowieso der Formstandeinwand zur Verfügung), oder selbst dann, wenn der Patentinhaber beispielsweise aufgrund verfahrensrechtlicher Hürden (für Beispiele siehe diesen früheren Beitrag zur Entscheidung Okklusionsvorrichtung) unverschuldet keine Chance hatte, für alle Ausführungsbeispiele Schutz zu erlangen.