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EPG, UPC_CFI_501/2023: „Problem-solution Approach“ am Einheitspatentgericht

EPG, Lokalkammer München, Urt. v. 4. April 2025 – UPC_CFI_501/2023

Die Entscheidung enthält folgende Leitsätze:

  1. Art. 33(1)(b) EPGÜ [→ Zuständigkeit der Lokalkammern und Regionalkammern] erlaubt es, mehrere Beklagte am Wohnsitz, Hauptgeschäftssitz oder, falls dies nicht möglich ist, am Geschäftsstandort eines der Beklagten zu verklagen, vorausgesetzt, dass die Beklagten eine Handelsbeziehung haben und die Klage dieselbe angebliche Verletzung betrifft. Im Kontext eines europäischen Patents ohne einheitliche Wirkung bezeichnet der Ausdruck „dieselbe Verletzung“ Situationen, in denen mehreren Beklagten vorgeworfen wird, die relevanten nationalen Benennungen desselben europäischen Patents durch dasselbe Produkt oder Verfahren verletzt zu haben. Eine andere Auslegung würde den Zweck des Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht untergraben, die fragmentierte Patentstreitlandschaft in Europa zu überwinden (Präambel 2 der EPGÜ).
  2. Für die Beurteilung, ob eine Erfindung angesichts des Stands der Technik als naheliegend anzusehen ist [Artikel 65 (2) → Gründe für die Nichtigkeit eines Patents], soll der von der europäischen Patentorganisation entwickelte „problem-solution approach“ vorrangig angewendet werden, soweit dies möglich ist, um die Rechtssicherheit zu erhöhen und die Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts weiter mit der Rechtsprechung der europäischen Patentorganisation und der Beschwerdekammern in Einklang zu bringen.
  3. Eine Unterlassungserklärung ohne Vertragsstrafeverpflichtung durch einen oder zwei, aber nicht alle Beklagten, die Mitglieder einer Gruppe von Unternehmen sind, die gemeinsam ein Patent verletzt haben, kann das Interesse des Patentinhabers, die exklusive Natur seines Rechts zu verteidigen, nicht in der gleichen Weise sichern wie eine gerichtliche Anordnung. Das Risiko bleibt bestehen, dass sich die Mitglieder der Gruppe um solche isolierten Unterlassungserklärungen herum neu organisieren und das Patent in den relevanten Gebieten weiterhin verletzen, ohne das Risiko eingehen zu müssen, eine Vertragsstrafe zahlen zu müssen.
  4. Wenn eine Entscheidung unmittelbar und direkt ab dem Zeitpunkt der Zustellung in jedem der Vertragsmitgliedstaaten gemäß Regel 354.1 EPGVO [→ Unmittelbare Vollstreckbarkeit] vollstreckbar ist, muss keine Sicherheit im Voraus geleistet werden, und es besteht keine Bedingung gemäß Regel 118.2.a EPGVO. Regel 118.8 EPGVO muss jedoch eingehalten werden.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Das Gericht erster Instanz und das Berufungsgericht des Einheitlichen Patentgerichts haben den erfinderischen Schritt in verschiedenen Entscheidungen geprüft. Einige Entscheidungen bezogen sich ausdrücklich auf den Aufgabe-Lösungs-Ansatz, wie er vom Europäischen Patentamt (EPA), einschließlich der Beschwerdekammern, sowie von mehreren nationalen Gerichten angewendet wird; andere wendeten einen anderen Ansatz an, der dem von der deutschen Bundesgerichtshof verwendeten Test zur erfinderischen Tätigkeit ähnlich, wenn nicht sogar identisch ist. Beide Tests, der „deutsche“ Test und der Aufgabe-Lösungs-Ansatz, sollten, wenn sie korrekt angewendet werden, in der Mehrzahl der Fälle zum selben Ergebnis führen (vgl. Deichfuss, GRUR Patent 2024, 94). Beide Tests erfordern einen „realistischen Ausgangspunkt“ und einen „Anreiz“ für die Fachperson, den „nächsten Schritt“ zu machen, also beispielsweise die technische Lösung, die durch den Ausgangspunkt offenbart ist, so zu verändern, dass sie zur patentierten Lösung führt. Da keiner der Tests im Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) verankert ist und beide im Wesentlichen zu denselben Ergebnissen führen, können beide als Instrument zur Beurteilung des erfinderischen Schritts herangezogen werden. Dennoch trifft dieses Spruchkörper die Entscheidung, den vom EPA einschließlich der Beschwerdekammern praktizierten Aufgabe-Lösungs-Ansatz anzuwenden, soweit dies möglich ist, und dies ausdrücklich festzuhalten, da ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit sowohl für die Nutzer des Systems als auch für die verschiedenen Kammern des Einheitlichen Patentgerichts besteht. Die Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes bringt die Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts zudem weiter in Einklang mit der Rechtsprechung des EPA und der Beschwerdekammern.

Anmerkung:

Das Urteil der Lokalkammer München bringt mit seiner ausdrücklichen Präferenz für den Aufgabe-Lösungs-Ansatz des Europäischen Patentamts (EPA) eine Weichenstellung für die Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts (UPC).

Die Intention des Gerichts ist nachvollziehbar: Mit der einheitlichen Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes wird eine kohärente Rechtsprechung angestrebt, die sich an den bekannten Standards des EPA orientiert und dadurch die Vorhersehbarkeit für Verfahrensbeteiligte erhöhen soll. In einem System, das grenzüberschreitende Streitigkeiten über europäische Patente bündelt, erscheint dies zunächst als konsequente Harmonisierung.

Allerdings ist kritisch anzumerken, dass der Aufgabe-Lösungs-Ansatz seiner Natur nach lediglich ein methodisches Hilfsmittel zur Strukturierung der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit darstellt, nicht jedoch eine starre Rechtsvorgabe. Der Begriff der „erfinderischen Tätigkeit“ ist im europäischen wie auch im einheitlichen Patentrecht bewusst als unbestimmter Rechtsbegriff ausgestaltet worden. Er soll die notwendige Flexibilität bieten, um den Anforderungen sich wandelnder technischer Entwicklungen und komplexer Einzelfallkonstellationen gerecht zu werden.

Die richterliche Entscheidung, den Aufgabe-Lösungs-Ansatz „vorrangig“, wenn auch nicht zwingend, zur Anwendung zu bringen, birgt daher die Gefahr einer Dogmatisierung dieses Ansatzes. Dabei darf nicht übersehen werden, dass auch innerhalb des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes erhebliche Wertungsspielräume bestehen – insbesondere bei der Definition des objektiv technischen Problems und der Frage, ob für die Fachperson ein Anreiz bestand, zur beanspruchten Lösung zu gelangen. Die vermeintliche Vorhersehbarkeit des Ergebnisses wird durch diese inhärente Subjektivität erheblich relativiert.

Wird der Aufgabe-Lösungs-Ansatz zu einer faktischen Verpflichtung erhoben, besteht das Risiko, dass die notwendige Flexibilität bei der rechtlichen Bewertung unterbleibt. Gerade komplexe oder interdisziplinäre Erfindungen könnten dann unter ein starres Schema gezwungen werden, das der Vielfalt technischer Lösungsansätze nicht immer gerecht wird. Dies könnte zu einer Formalisierung der Prüfung führen, bei der die entscheidende Würdigung der technischen Umstände des Einzelfalls hinter die bloße Anwendung des Schemas zurücktritt.

EPG, Berufungsgericht, UPC_CoA_835/2024: „Schriftsatzverbot“ vor dem Einheitlichen Patentgericht

EPG, Berufungsgericht, Verfahrensanordnung vom 24. März 2025 – UPC_CoA_835/2024

In der Entscheidung des Berufungsgerichts des Einheitlichen Patentgerichts vom 24. März 2025 wird der Antrag der Berufungsklägerinnen auf eine weitere schriftliche Stellungnahme im Berufungsverfahren gegen die Berufungsbeklagte abgelehnt. Der Streit drehte sich um die Vorlage von Lizenzverträgen im Zusammenhang mit einem kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand bezüglich eines europäischen Patents. Das Gericht entschied, dass eine solche Stellungnahme zum jetzigen Zeitpunkt des Verfahrens unzulässig ist, da sie gegen die Regelungen der Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts (EPGVO) verstößt, die einen weiteren Schriftsatzaustausch nicht vorsehen, es sei denn, es wurde eine Anschlussberufung eingelegt. Ein solcher Antrag kurz vor einer mündlichen Verhandlung widerspricht dem Grundsatz der fairen und ausgewogenen Verfahrensführung und der Waffengleichheit der Parteien gemäß dem Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ). Ferner sah das Gericht keine Notwendigkeit, die Berufungsbeklagte vor dieser Verfahrensanordnung zu hören, da ihre Rechte nicht berührt wurden. Diese Entscheidung soll eine effiziente Rechtsdurchführung unterstützen und Verzögerungen des Verfahrens vermeiden.

Aus der Entscheidungsbegründung:

„Zusätzliche Berufungsgründe, die nicht innerhalb der in R. 224.2 VerfO [→ Fristen für die Berufungsbegründung] für die Berufungsbegründung vorgesehenen Frist vorgebracht werden, sind nicht zulässig. Daraus ergibt sich, dass ein weiterer Austausch von Schriftsätzen in der Verfahrensordnung des EPG nicht vorgesehen ist, es sei denn, dass eine Anschlussberufung gemäß R. 237 und 238 VerfO eingelegt wurde.“

„Gleichwohl gebietet es auch hier der Grundsatz der fairen und ausgewogenen Verfahrensführung insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit, wie er in Art. 42(2) EPGÜ und Absatz 5 der Präambel der Verfahrensordnung niedergelegt ist, in Verbindung mit dem Grundsatz der effizienten Verfahrensführung wie er in Art. 41(3) EPGÜ und Absatz 4 der Präambel der Verfahrensordnung vorgesehen ist, den Antrag auf Zulassung einer schriftlichen Stellungnahme zurückzuweisen.“

Anmerkung:

Diese Entscheidung des Berufungsgerichts des Einheitlichen Patentgerichts verdeutlicht eine potenziell problematische Auslegung des rechtlichen Gehörs im Berufungsverfahren. Dort wurde ein Antrag der Berufungsklägerin auf Zulassung eines weiteren Schriftsatzes – gestützt auf neu zugänglich gewordene Lizenzverträge und eine nachgereichte Sachverständigenstellungnahme – mit Verweis auf die formale Beschränkung des schriftlichen Verfahrens (R. 224 ff. VerfO) abgelehnt. Das Gericht stellte klar, dass ein weiterer Schriftsatz außerhalb des vorgesehenen Kontingents grundsätzlich unzulässig sei, selbst wenn relevante Unterlagen erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorlagen. Anstelle einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem neuen Vorbringen stellte es dabei vorrangig auf den Grundsatz der Waffengleichheit ab und führte aus, dass eine schriftliche Stellungnahme der Berufungsklägerin kurz vor der mündlichen Verhandlung zu einer prozessualen Unausgewogenheit zulasten der Berufungsbeklagten führen würde.

Diese Praxis steht in einem Spannungsverhältnis zum verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör (Artikel 47 Absatz 2 GRCh → Recht auf ein faires Verfahren; Art. 103 Abs. 1 GG → Anspruch auf rechtliches Gehör). Auch wenn die Entscheidung auf Prinzipien wie Verfahrenseffizienz und Waffengleichheit verweist, wird der Rechtsschutz faktisch verkürzt, wenn erheblicher neuer Vortrag pauschal unbeachtet bleibt. Die restriktive Auslegung birgt das Risiko, effektiven Rechtsschutz zugunsten formaler Prozessökonomie über Gebühr zurückzudrängen. Es bedarf daher einer verfahrensoffenen und einzelfallbezogenen Prüfung, ob ergänzender Vortrag – insbesondere zu neuen Beweismitteln – zumindest zur Kenntnis genommen werden muss.

Ferner stützt sich das Gericht auf Regel 233.3 EPGVO [-→ Unzulässigkeit von verspäteten Berufungsgründen], um die Unzulässigkeit einer weiteren schriftlichen Stellungnahme zu begründen. Diese Vorschrift regelt jedoch lediglich, dass neue Berufungsgründe nach Ablauf der Frist für die Berufungsbegründung nicht mehr vorgebracht werden dürfen. Sie enthält hingegen keine Aussage darüber, dass jegliche spätere Argumente, Beweismittel oder fachliche Stellungnahmen, die zur Stützung fristgerecht vorgetragener Berufungsgründe dienen, per se unzulässig wären. Die Entscheidung verkennt insofern die systematische Abgrenzung zwischen neuen Berufungsgründen und ergänzendem Vortrag zu bereits eingeführten Streitpunkten. Eine solche überdehnte Anwendung von Regel 233.3 EPGVO birgt das Risiko, den Zugang zu rechtlichem Gehör unverhältnismäßig zu beschränken.

BGH, I ZR 67/23: Über alle Berge

BGH, Urt. v. 23.10.2024 – I ZR 67/23 – „Über alle Berge“

In dem Urteil entschied der Bundesgerichtshof über die urheberrechtliche Zulässigkeit von Drohnenaufnahmen urheberrechtlich geschützter Kunstwerke im öffentlichen Raum. Die Beklagte, ein Verlag, hatte in mehreren Freizeitführern Fotografien von Kunstinstallationen auf öffentlich zugänglichen Bergehalden im Ruhrgebiet veröffentlicht. Diese Fotografien waren mit einer Drohne aufgenommen worden. Die Klägerin, eine Verwertungsgesellschaft, die die Rechte der betroffenen Künstler wahrnimmt, sah darin eine Verletzung der Urheberrechte und verlangte Unterlassung, Schadensersatz sowie Ersatz der Abmahnkosten.

Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass die Panoramafreiheit gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 UrhG [→ Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe von Werken an öffentlichen Orten] nur solche Aufnahmen erfasst, die aus einer Perspektive gefertigt sind, die der Allgemeinheit von öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen aus zugänglich ist. Aufnahmen aus der Luft, die mithilfe einer Drohne hergestellt werden, fallen nicht darunter, weil sie eine Perspektive eröffnen, die dem allgemeinen Publikum regelmäßig verschlossen bleibt. Dass die Kunstwerke an öffentlichen Orten stehen, genügt dafür nicht. Da die Beklagte die Fotografien ohne Einwilligung der Rechteinhaber vervielfältigt und verbreitet hatte und auch keine Schrankenbestimmung eingriff, lag eine Urheberrechtsverletzung vor. Die Beklagte wurde deshalb zu Unterlassung, Schadensersatz und Ersatz der Abmahnkosten verurteilt.

Leitsatz der Entscheidung:

Die in § 59 Abs. 1 Satz 1 UrhG [→ Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe von Werken an öffentlichen Orten] geregelte Panoramafreiheit bezweckt die Freistellung der Nutzung von Werken, wenn und soweit sie Teil des von der Allgemeinheit wahrnehmbaren Straßen- oder Landschaftsbildes sind. Mit Hilfe einer Drohne angefertigte Luftaufnahmen unterfallen nicht der Panoramafreiheit.