BPatG, 4 Ni 1/12 – Arretiervorrichtung

BPatG, Urteil v. 16. April 2013 – 4 Ni 1/12 – Arretiervorrichtung (Leitsätze)

Amtliche Leitsätze:

1. Der Senat ist trotz des auch im neu gestalteten Patentnichtigkeitsverfahren nach § 87 Abs. 1 Satz 1 PatG geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes nicht gehalten, unkommentiert vorgelegte Schriften auf ihre Relevanz im Hinblick auf die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe zu untersuchen.

2. Die Obliegenheiten der Parteien zu einem konkretisierten Sachvortrag im Nichtigkeitsverfahren korrespondieren mit den Grenzen, die an die Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts bestehen, wie auch mit den Anforderungen, die unter Berücksichtigung des reformierten Verfahrens an die Anerkennung als Tatsachenvortrag der ersten Instanz in der Berufungsinstanz zu setzen sind.

Aus der Urleisbegründung:

Der Senat ist trotz des auch im neu gestalteten Patentnichtigkeitsverfahren nach § 87 Abs. 1 Satz 1 PatG geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes, wonach das Patentgericht den Sachverhalt von Amts wegen erforscht, nicht gehalten, unkommentiert vorgelegte Schriften auf ihre Relevanz im Hinblick auf die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe zu untersuchen. Denn die im pflichtgemessen Ermessen stehende Amtsermittlungspflicht (Busse/Engels, Patentgesetz, 7. Auflage, Rn. 261, 271 zu § 59) ist nicht unbegrenzt; sie findet ihre Grenze in der Zumutbarkeit zu treffender Ermittlungen, die durch den Aufwand und die Erfolgsaussichten einerseits, aber auch die Erforderlichkeit und Möglichkeit der Mitwirkung der Beteiligten – der Verfahrensförderungspflicht – anderseits bestimmt wird (Busse/Engels, a. a. O., Rn. 266 und 267 zu § 59; zum alten Recht: Benkard/Schäfers, Patentgesetz 10. Aufl. Rn. 9 zu § 87) und im Kontext des jeweiligen Verfahrens zu sehen sind. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass das als kontradiktorisches Streitverfahren ausgeprägte Nichtigkeitsverfahren in besonderem Maße der Disposition der Parteien Rechnung trägt und es dem Kläger obliegt, vorzutragen und geltend zu machen, auf welchen technischen Sachverhalt er sein Vorbringen stützt, und er insoweit seinen Vortrag zu den verfahrensgegenständlichen Nichtigkeitsgründen zu substantiieren hat (Busse/Keukenschrijver, a. a. O., Rn. 61 zu § 82 PatG; vgl. auch Busse/Engels, a. a. O., Rn. 267 zu § 59). Ebenso suspendiert § 82 Abs. 2 PatG die Untersuchungspflicht, wenn der Beklagte der Klage nicht widerspricht, da die vom Kläger behaupteten Tatsachen für erwiesen angenommen werden. Die Obliegenheiten der Parteien im Nichtigkeitsverfahren zur Substantiierung ihres Vorbringens korrespondieren deshalb mit den Grenzen, die an die Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen bestehen (vgl. Busse/Keukenschrijver, a. a. O., Rn. 11 zu § 87 PatG), wie auch mit den Anforderungen, die unter Berücksichtigung des reformierten Verfahrens an die Anerkennung als Tatsachenvortrag der ersten Instanz in der Berufungsinstanz zu setzen sind (hierzu auch Gröning GRUR 2012, 996): dort ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 28.8.2012, X ZR 99/11, GRUR 2012, 1236 ff., Rn. 36 – Fahrzeugwechselstromgenerator) eine Druckschrift als Angriffsmittel i. S. v. § 117 PatG, § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO eine neue Tatsache, wenn sie zwar in erster Instanz erwähnt und/oder zu den Akten gereicht wurde, der technische Sachvortrag, für den sich die Partei auf das Dokument stützen will, aber nicht in hinreichend konkreter Form bereits in der ersten Instanz gehalten wurde. Die eine Amtsermittlung erst auslösende Konkretisierung des Tatsachenvortrags ist deshalb auch für das neue Novenrecht im Berufungsverfahren vorausgesetzt.

BGH, I ZR 78/11/I ZR 136/11: Regalsystem

BGH, Urteil vom 24. Januar 2013 – I ZR 136/11 / I ZR 78/11

Leitsätze:

a) Die Tatbestände des § 4 Nr. 9 Buchst. a und b UWG bilden regelmäßig einen einheitlichen Streitgegenstand.

b) Die Beweiskraft des Tatbestands nach § 314 Satz 1 ZPO bezieht sich auf Parteivorbringen tatsächlicher Art; dazu gehört nicht die Beantwortung der Frage, ob das nachgeahmte Produkt über wettbewerbliche Eigenart verfügt.

c) Haben die Abnehmer wegen eines Ersatz- und Erweiterungsbedarfs ein Interesse an der Verfügbarkeit in der äußeren Gestaltung mit den Erzeugnissen des Originalherstellers kompatiblen Konkurrenzprodukten (hier: Regalsysteme für den Einzelhandel), dürfen Wettbewerber im Regelfall nicht nach den Grundsätzen des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes auf abweichende Produktgestaltungen verwiesen werden, die die Verkäuflichkeit ihrer Produkte im Hinblick auf den Ersatz- und Erweiterungsbedarf beim Originalprodukt einzuschränken.

Aus der Urteilsbegründung:

Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass das Regalsystem der Klägerin über wettbewerbliche Eigenart verfügt (dazu B III 3) und das von der Beklagten vertriebene System eine Nachahmung des Produkts der Klägerin darstellt (dazu B III 4). Nicht frei von Rechtsfehlern ist jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, die durch die Gestaltung des angegriffenen Produkts hervorgerufene Herkunftstäuschung sei vermeidbar (dazu B III 5).

Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, ob ein Ersatz- und Erweite-rungsbedarf besteht, der von Wettbewerbern der Klägerin nur befriedigt werden kann, wenn deren Produkte nicht nur in technischer Hinsicht mit dem Regalsystem der Klägerin kompatibel sind, sondern mit diesem auch in der optischen Gestaltung übereinstimmen. Die Beklagten haben hierzu geltend gemacht, dass von dem durchschnittlichen Ladeninhaber Abweichungen im Erscheinungsbild eines Regalsystems wegen der damit einhergehenden nicht ansprechenden Warenpräsentation häufig nicht akzeptiert werden. Mit diesem naheliegenden Vortrag wird sich das Berufungsgericht im wiedereröffneten Berufungsrechtszug auseinandersetzen müssen. Zudem kommt es für die Frage, ob die Klägerin den nahezu identischen Nachbau ihres Regalsystems trotz auftretender Herkunftsverwechslungen hinnehmen muss, auch auf den Umfang des Erweiterungs- und Ergänzungsbedarfs auf dem in Rede stehenden Produktsektor an. Dieser darf im Verhältnis zum Geschäft mit der Erstausstattung von Ladengeschäften mit Regalsystemen wirtschaftlich nicht so gering sein, dass er zu vernachlässigen ist, weil die Beklagte falls ihr der beanstandete Nachbau erlaubt ist in die Lage versetzt wird, auch die Erstausstattung von Ladengeschäften zu übernehmen.

BGH, X ZR 21/12 – Walzstraße

BGH, Urteil vom 28. Mai 2013 – X ZR 21/12 – Walzstraße

Amtliche Leitsätze:

Lässt das Patentgericht in seinem gemäß § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis erkennen, dass es die Argumentation des Nichtigkeitsklägers in einem bestimmten Punkt für zutreffend erachtet, hat der Kläger in der Regel keine Veran-lassung, zu diesem Punkt in erster Instanz weitere Angriffsmittel vorzutragen (Bestätigung von BGH, Urteil vom 28. August 2012 – X ZR 99/11, BGHZ 194, 290 = GRUR 2012, 1236 Rn. 38 – Fahrzeugwechselstromgenerator).

Die erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemachte Verteidigung eines Patents mit einer geänderten Fassung ist in der Regel gemäß § 116 Abs. 2 PatG zulässig, wenn der Beklagte mit der Änderung einer von der erstinstanzlichen Beurteilung abweichenden Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs Rech-nung trägt und den Gegenstand des Patents auf dasjenige einschränkt, was sich nach Auffassung des Patentgerichts schon aus der erteilten Fassung ergab.

BGH, I ZR 190/11 – Standardisierte Mandatsbearbeitung

BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 – I ZR 190/11 – Standardisierte Mandatsbearbeitung

Amtliche Leitsätze:

a) Das Merkmal des „objektiven Zusammenhangs“ im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG ist funktional zu verstehen und setzt voraus, dass die Handlung bei objektiver Betrachtung darauf gerichtet ist, durch Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung der Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer den Absatz oder Bezug von Waren oder Dienstleistungen des eigenen oder eines fremden Unternehmens zu fördern. Deshalb fehlt einer mangelhaften oder sonst nicht vertragsgemäßen Leistung als solche die Qualität einer geschäftlichen Handlung, so dass Schlecht- oder Nichtleistungen eines Unternehmers zwar vertragliche Rechte des Kunden begründen können, aber keinen lauterkeitsrechtlichen Verstoß darstellen.

b) Allerdings kann die Grenze zu einer an § 5 Abs. 1 UWG zu messenden geschäftlichen Handlung dann überschritten sein, wenn der Unternehmer mit dieser auf eine Übervorteilung des Kunden abzielt und von vornherein nicht gewillt ist, sich an seine Ankündigungen zu halten. In diesem Fall dient die Täuschung über die Schlechtleistung dem Abschluss des Vertrages und wird als Mittel im Wettbewerb um Kunden eingesetzt (Fortführung von BGH, GRUR 1987, 180, 181 Ausschank unter Eichstrich II).

BGH, X ZR 27/12 – Fahrzeugnavigationssystem

BGH, Urteil vom 23. April 2013 – X ZR 27/12 – Fahrzeugnavigationssystem

Amtlicher Leitsatz:

Die Anweisung an den Fachmann, bei der Sprachausgabe eines Navigationshinweises unter bestimmten Bedingungen bestimmte Detailinformationen (hier: Straßennamen) zu berücksichtigen, betrifft den Inhalt der durch das Navigationssystem optisch oder akustisch wiedergegebenen Information und ist bei der Prüfung der technischen Lehre des Patents auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen.

Aus der Urteilsbegründung:

Ein Navigationsverfahren oder -system implementiert mit technischen Mitteln die Wiedergabe von Informationen, die dem Fahrer die Wahl einer zweckmäßigen Fahrtroute zu seinem Ziel erlauben und es ihm erleichtern, der gewählten Fahrtroute zu folgen, indem ihm zu einem geeigneten Zeitpunkt Detailinformationen über die nächstfolgende Entscheidungssituation zur Verfügung gestellt werden. Es steuert nicht das Fahrzeug, sondern stellt nur dafür zweckmäßige Informationen bereit. Die Wiedergabe von Informationen ist nach Art. 52 Abs. 2 Buchst. d 3 EPÜ als solche (Art. 52 Abs. 3 EPÜ) ebenso wenig dem Patentschutz zugänglich wie dieser nach Art. 52 Abs. 2 Buchst. c EPÜ für Programme für Datenverarbeitungsanlagen als solche in Betracht kommt. Anweisungen, die die Informationen betreffen, die nach der Lehre eines Patents wiedergegeben werden sollen, können daher auch unter dem Gesichtspunkt der erfinderischen Tätigkeit die Patentfähigkeit der erfindungsgemäßen Lehre nur dann und nur insoweit stützen, als sie die Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen (BGH, Beschluss vom 24. Mai 2004 – X ZB 20/03, BGHZ 159, 197, 204, 206 – Elektronischer Zahlungsverkehr; Urteil vom 26. Oktober 2010 – X ZR 47/07, GRUR 2011, 125 Rn. 31 – Wiedergabe topografischer Informationen). Der Senat hat deshalb in dem letztgenannten Urteil die Auswahl einer für Navigationszwecke zweckmäßigen Projektion topographischer Daten nicht als Teil der vom dortigen Streitpatent zur Verfügung gestellten technischen Lösung, sondern als dieser vorgelagerte Vorgabe eines Kartographen, Geographen oder Geodäten angesehen (BGH, GRUR 2011, 125 Rn. 39 – Wiedergabe topografischer Informationen). Ebenso hat er für die Zurverfügungstellung von Informationen über gegebenenfalls zu meidende Streckenabschnitte (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 – X ZR 3/12, GRUR 2013, 275 Rn. 42 – Routenplanung) und die unter bestimmten Voraussetzungen vom Navigationssystem automatisch vorgenommene Auswahl des Stadtzentrums als Routenzielpunkt (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 – X ZR 121/11, juris Rn. 29) entschieden.

BPatG, 4 Ni 13/11 – Dichtungsring

BPatG, Urt. v. 15. Januar 2013 – 4 Ni 13/11 – Dichtungsring

1. Erschöpft sich die patentgemäße Lösung nur in der handwerklichen Maßnahme, eine bekannte, technisch weniger anspruchsvolle Lösung – hier einer Querschnittsverringerung des Dichtungsrings – hinzunehmen bzw. der technisch anspruchsvolleren Lösung hinzuzufügen, so begründet ein solcher in Kauf genommener „handwerklicher Rückschritt“ ebenso wenig eine erfinderische Tätigkeit wie eine nur handwerkliche Weiterbildung des Standes der Technik.

2. Der Sachprüfung eines im Nichtigkeitsverfahren angegriffenen Unteranspruchs bedarf es nur – was vorrangig zu klären ist und wofür in der Rechtsprechung Auslegungsregeln entwickelt worden sind – wenn der Wille des Patentinhabers auf dessen (isolierte) Verteidigung gerichtet ist.

3. Anders als bei der Verteidigung des Streitpatents durch Neuformulierung eines Patentanspruchs mittels Aufnahme von Merkmalen aus verfahrensgegenständlichen Patentansprüchen, welche immer oder jedenfalls dann einer eigenständigen Sachprüfung bedürfen, wenn der Patentinhaber sie isoliert verteidigt, bietet die mögliche Aufnahme von Merkmalen aus der Beschreibung keinen Anlass für eine vorsorgliche Beschäftigung und Recherche durch die Klägerin. Eine derartige Forderung würde die der Klägerin obliegende Prozessförderungspflicht auch vor dem Hintergrund des von § 83 PatG intendierten besonderen Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erheblich überspannen und andererseits die Beklagte über Gebühr von ihrer entsprechenden Verpflichtung entlasten.

BPatG, 25 W (pat) 89/12: Funktionelle Zuständigkeit in Bezug auf die Entscheidung über die Wiedereinsetzung bei versäumter Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr

BPatG, Beschl. v. 14. Mai 2013 – 25 W (pat) 89/12

Amtlicher Leitsatz:

Für die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag betreffend die versäumte Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr ist nicht der Rechtspfleger, sondern funktionell ausschließlich der Beschwerdesenat zuständig gemäß §§ 66 Abs. 1, 67 Abs. 1 bzw. §§ 66 Abs. 1, 67 Abs. 1 i.V.m. § 91 Abs. 6 MarkenG.

BPatG, 20 W (pat) 28/09 – Prüfungsbescheid in Nachanmeldung

BPatG, Beschluss vom 23. Mai 2013 – 20 W (pat) 28/09 – Prüfungsbescheid in Nachanmeldung

Amtlicher Leitsatz:

Anders als im Falle einer Teilanmeldung, die in der Verfahrenslage weitergeführt wird, in der sich zum Zeitpunkt der Ausscheidung die Stammanmeldung befand und infolgedessen die bis dahin erlassenen Bescheide auch als in der Teilanmeldung erlassen anzusehen sind, ist es im Rahmen einer völlig eigenständigen Anmeldung, die die innere Priorität einer Voranmeldung in Anspruch nimmt, unzulässig, in Bescheiden lediglich auf in der
Voranmeldung erlassenen Bescheide zu referenzieren und eine detaillierte Angabe von
möglichen Gründen, die der Patentierung gemäß § 45 PatG entgegenstehen könnten, zu
unterlassen.

BGH, I ZR 30/12 – Grundpreisangabe im Supermarkt

BGH, Urteil vom 7. März 2013 – I ZR 30/12 – Grundpreisangabe im Supermarkt

Amtlicher Leitsatz:

Eine Grundpreisangabe für in Supermärkten angebotene Waren kann auch dann noch als deutlich lesbar im Sinne von § 1 Abs. 6 Satz 2 PAngV anzusehen sein, wenn die dabei verwendete Schriftgröße nur 2 Millimeter beträgt.