Autor: Dr. Martin Meggle-Freund

BGH, I ZR 224/12 – Flugvermittlung im Internet

BGH, Urteil vom 30. April 2014 – I ZR 224/12 – Flugvermittlung im Internet

Der Betreiber eines Internetportals, auf dem Kunden im Wege der Vermittlung Flüge buchen können, verstößt auch dann nicht gegen das Verbot unlauterer Behinderung gemäß § 4 Nr. 10 UWG, wenn die der Vermittlung zugrundeliegenden, frei zugänglichen Flugverbindungsdaten im Wege einer automatisierten Abfrage von der Internetseite der Fluggesellschaft ermittelt werden (sog. „Screen Scraping“), und sich der Betreiber des Internetportals während des Buchungsvorgangs durch das Setzen eines Hakens mit den Nutzungsbedingungen der Fluggesellschaft einverstanden erklärt, die einen solchen automatisierten Abruf von Flugdaten untersagen.

BGH, X ZR 77/12 – Proteintrennung

BGH, Urteil vom 18. März 2014 – X ZR 77/12 – Proteintrennung

Amtliche Leitsätze:

PatG § 81

Eine Patentnichtigkeitsklage ist nicht schon deshalb als rechtsmissbräuchlich anzusehen, weil sich der Nichtigkeitskläger einer früheren, von einer zusammen mit ihm wegen Verletzung des Streitpatents in Anspruch genommenen Partei erhobenen Klage nicht als Streitgenosse oder Streithelfer angeschlossen, sondern zunächst den Ausgang dieses Verfahrens abgewartet hat.

EPÜ Art. 54; PatG § 3

a) Durch eine Vorveröffentlichung offenbart kann auch dasjenige sein, was im Patentanspruch und in der Beschreibung nicht ausdrücklich erwähnt, aus der Sicht des Fachmanns jedoch für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedarf, sondern „mitgelesen“ wird. Die Einbeziehung von Selbstverständlichem erlaubt jedoch keine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern dient lediglich der vollständigen Ermittlung des Sinngehalts, d.h. derjenigen technischen Information, die der fachkundige Leser der Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt (Bestätigung von BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 = GRUR 2009, 382 – Olanzapin).

b) Ergibt sich für den Fachmann aus der Beschreibung eines Verfahrens zur Herstellung eines zum therapeutischen Einsatz geeigneten Proteinkonzent-rats, dass es weiterer Verfahrensschritte bedarf, um die therapeutische Ein-setzbarkeit herbeizuführen, so ist eine Maßnahme, die im Prioritätszeitpunkt das in der Praxis allgemein übliche Mittel war, um dieses Ziel zu erreichen, vom Offenbarungsgehalt der Veröffentlichung umfasst.

BGH, X ZR 31/11 – Reifendemontiermaschine

BGH, Urteil vom 1. April 2014 – X ZR 31/11 – Reifendemontiermaschine

Es ist durch Auslegung des Patentanspruchs unter Heranziehung der Beschreibung und der Zeichnungen zu ermitteln, ob die Kennzeichnung des Gegenstands eines Nebenanspruchs dahin, dass er eine in Übereinstimmung mit den vorangehenden Ansprüchen ausgebildete Vorrichtung umfasst (hier: comprising a device in accordance with claims 1 to 12), die Verwirklichung der Merkmale sämtlicher vorangehender Unteransprüche erfordert.

Aus der Urteilsbegründung:

Entgegen der Annahme des Patentgerichts, das für die von ihm vertretene Ansicht keine Begründung gegeben hat, ist Patentanspruch 13 nicht so zu lesen, dass die dort beanspruchte Reifendemontiermaschine sämtliche Merkmale der erteilten Ansprüche 1 bis 12 aufweisen muss. Die Anspruchsformulierung ist vielmehr dahin auszulegen, dass Patentanspruch 13 eine Maschine mit den Merkmalen eines oder mehrerer der Patentansprüche 1 bis 12 unter Schutz stellt.

BGH, I ZB 42/11 – Reichweite des Unterlassungsgebots

BGH, Beschluss vom 3. April 2014 – I ZB 42/11 – Reichweite des Unterlassungsgebots

a) Die Verletzung eines bestimmten Schutzrechts kann die Verhängung eines Ordnungsmittels für kerngleiche Verletzungen anderer Schutzrechte rechtfertigen, wenn die kerngleichen Verletzungshandlungen in das Erkenntnisverfahren und die Verurteilung einbezogen sind (Fortführung von BGH, Urteil vom 20. Juni 2013 I ZR 55/12, GRUR 2013, 1235 Rn. 18 = WRP 2014, 75 Restwertbörse II).

b) Das rechtlich Charakteristische der konkreten Verletzungsform, das für die Bestimmung des Kerns der verbotenen Handlung und die Reichweite des Vollstreckungstitels maßgeblich ist, ist auf die Schutzrechte beschränkt, die Prüfungsgegenstand im Erkenntnisverfahren gewesen sind.

BGH, I ZB 59/12: Keine Löschung der Marke „smartbook“

BGH, Beschluss vom 6. November 2013 – I ZB 59/12 – smartbook

Amtliche Leitsätze:

a) Für die Beurteilung der Schutzhindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 MarkenG einerseits und der Schutzhindernisse nach § 3 Abs. 1 und 2, § 8 Abs. 1 und 2 Nr. 4 bis 10 MarkenG andererseits gelten keine unterschiedlich strengen Maßstäbe. Die jeweiligen Eintragungshindernisse sind vielmehr unter Berücksichtigung des Allgemeininteresses auszulegen, das jedem von ihnen zugrunde liegt.

b) Im Löschungsverfahren muss auch bei einem lange zurückliegenden Eintragungsverfahren das Vorliegen eines Schutzhindernisses zum Zeitpunkt der Markenanmeldung zuverlässig festgestellt werden. In Zweifelsfällen darf eine Löschung der Marke nicht erfolgen.

c) Eine dem Eintragungsverfahren nachfolgende, die Waren oder Dienstleistungen beschreibende Verwendung des Markenworts ist kein Indiz für das Vorliegen des Schutzhindernisses nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG zum Zeitpunkt der Anmeldung der Marke, wenn die beschreibende Verwendung vom Löschungsantragsteller veranlasst worden ist.

d) Weist eine Wortfolge (hier: smartbook for smart people) einen unterscheidungskräftigen Bestandteil auf (hier: smartbook), wird dies im Regelfall dazu führen, dass auch der Wortfolge in ihrer Gesamtheit die Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG nicht fehlt

BGH, X ZR 107/12 – Kommunikationskanal

BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 – X ZR 107/12 – Kommunikationskanal

Amtlicher Leitsatz (zu EPÜ Art. 88):

Die Priorität einer Voranmeldung kann in Anspruch genommen werden, wenn sich die dort anhand eines Ausführungsbeispiels oder in sonstiger Weise beschriebenen technischen Anweisungen für den Fachmann als Ausgestaltung der in der Nachanmeldung umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellen und diese Lehre in der in der Nachanmeldung offenbarten Allgemeinheit bereits der Voranmeldung als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist.

Aus der Urteilsbegründung:

Bei Anmeldung eines europäischen Patents kann das Prioritätsrecht einer vorangegangenen Anmeldung nach Art. 87 Abs. 1 EPÜ in Anspruch genommen werden, wenn beide dieselbe Erfindung betreffen.

a) Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Senats erfüllt, wenn die mit der Nachanmeldung beanspruchte Merkmalskombination in der Voranmeldung in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist (BGH, Urteil vom 11. September 2001 X ZR 168/98, BGHZ 148, 383, 388 Luftverteiler; Urteil vom 30. Januar 2008 X ZR 107/04, GRUR 2008, 597, 599 Betonstraßenfertiger). Der Gegenstand der beanspruchten Erfindung muss im Prioritätsdokument identisch offenbart sein; es muss sich um dieselbe Erfindung handeln (EPA GBK, Beschluss vom 31. Mai 2001 – G2/98, GRUR Int. 2002, 80; BGH, Urteil vom 14. Oktober 2003 X ZR 4/00, GRUR 2004, 133, 135 Elektronische Funkti-onseinheit). Dabei ist die Offenbarung des Gegenstands der ersten Anmeldung nicht auf die dort formulierten Ansprüche beschränkt, vielmehr ist dieser aus der Gesamt-heit der Anmeldeunterlagen zu ermitteln.

b) Für die Beurteilung der identischen Offenbarung gelten die Prinzipien der Neuheitsprüfung (BGH, GRUR 2004, 133, 135 Elektronische Funktionseinheit). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist danach erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ursprungsunterlagen „unmittelbar und eindeutig“ (BGH, Urteil vom 11. September 2001 – X ZR 168/98, BGHZ 148, 383, 389 – Luftverteiler; Urteil vom 8. Juli 2010 – Xa ZR 124/07, GRUR 2010, 910, Rn. 62 – Fälschungssicheres Dokument; Urteil vom 14. August 2012 X ZR 3/10, GRUR 2012, 1133 Rn. 31 – UV-unempfindliche Druckplatte) als mögli-che Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann (BGH, Beschluss vom 11. September 2001 – X ZB 18/00, GRUR 2002, 49, 51 – Drehmomentübertragungseinrichtung; Urteil vom 18. Februar 2010 – Xa ZR 52/08, GRUR 2010, 599 Rn. 22, 24 Formteil). Zu ermitteln ist mithin, was der Fachmann der Vorveröffentlichung als den Inhalt der gegebenen allgemeinen Lehre entnimmt (BGH, Urteil vom 16. De-zember 2008 – X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 Rn. 25 – Olanzapin). Maßgeblich ist da-bei das Verständnis des Fachmanns zum Zeitpunkt der Einreichung der prioritätsbe-anspruchenden Patentanmeldung (BGH, GRUR 2004, 133, 135 – Elektronische Funktionseinheit).

c) Das Erfordernis einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung muss dabei in einer Weise angewendet werden, die berücksichtigt, dass die Ermittlung dessen, was dem Fachmann als Erfindung und was als Ausführungsbeispiel der Erfindung offenbart wird, wertenden Charakter hat, und eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der Voranmeldung vermeidet. Insoweit ist zugrunde zu legen, dass das Interesse des Anmelders regelmäßig erkennbar darauf gerichtet ist, möglichst breiten Schutz zu er-langen, also die Erfindung in möglichst allgemeiner Weise vorzustellen und nicht auf aufgezeigte Anwendungsbeispiele zu beschränken. Soweit in der Anmeldung bereits Ansprüche formuliert sind, haben diese vorläufigen Charakter. Erst im Verlauf des sich anschließenden Prüfungsverfahrens ist herauszuarbeiten, was unter Berücksichtigung des Standes der Technik schutzfähig ist und für welche Ansprüche der Anmelder Schutz begehrt. Erst mit der Erteilung des Patents mit bestimmten Ansprü-chen erfolgt eine endgültige Festlegung des Schutzgegenstands.

aa) Dieser Gesichtspunkt liegt der Rechtsprechung des Senats zugrunde, wo-nach bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts auch Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zugelassen werden. Danach ist ein „breit“ formulierter Anspruch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung jedenfalls dann unbedenklich, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung – sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen – als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 – X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 Rn. 52 – Polymerschaum). Solche Verallgemeinerungen sind vornehmlich dann zugelassen worden, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind (ständige Rechtsprechung seit BGH, Beschluss vom 23. Januar 1990 – X ZB 9/89, BGHZ 110, 123, 126 Spleißkammer; aus jüngerer Zeit BGHZ 194, 107 Rn. 52 – Polymerschaum; BGH, GRUR 2012, 1133 Rn. 31 f. – UV-unempfindliche Druckplatte).

bb) Nach vergleichbaren Maßgaben ist die Prüfung vorzunehmen, ob der Gegenstand der Erfindung im Prioritätsdokument identisch offenbart ist. Die Priorität einer Voranmeldung kann in Anspruch genommen werden, wenn sich die dort an-hand eines Ausführungsbeispiels oder in sonstiger Weise beschriebenen Anweisungen für den Fachmann als Ausgestaltung der in der Nachanmeldung umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellen und diese Lehre in der in der Nachanmeldung offenbarten Allgemeinheit bereits der Voranmeldung als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist.

BGH, I ZR 49/13 – Tarzan

BGH, Urteil vom 26. Februar 2014 – I ZR 49/13 – Tarzan

Amtliche Leitsätze:

a) Den aufgrund des Welturheberrechtsabkommens im Inland geschützten Werken kommt nach § 129 Abs. 1 Satz 1 UrhG zwar grundsätzlich die Verlängerung der Schutzdauer des Urheberrechts durch § 64 Abs. 1 UrhG aF auf 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers zugute, wenn diese Werke beim Inkrafttreten des § 64 Abs. 1 UrhG aF am 17. September 1965 noch nach inländischem Recht geschützt waren. Diese Verlängerung der Schutzdauer genießt jedoch keinen Bestandsschutz; die Dauer des Schutzes ist vielmehr im Wege des Schutzfristenvergleichs nach Art. IV Abs. 4 bis 6 des Welturheberrechtsabkommens zu bestimmen. Danach wirkt sich die Verlängerung der Schutzdauer nur insoweit aus, wie die Schutzfrist im Ursprungsland länger währt als die vor der Verlängerung geltende Schutzfrist im Inland (Fortführung von BGH, Urteil vom 27. Januar 1978 – I ZR 4/77, GRUR 1978, 302 – Wolfsblut).

b) Macht ein Mitgliedstaat von der ihm durch Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2006/116/EG über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte (kodifizierte Fassung) eröffneten Möglichkeit Gebrauch, eine längere Schutzdauer beizubehalten, führt dies auch dann, wenn das Werk dadurch in diesem Mitgliedstaat am 1. Juli 1995 geschützt war, nicht dazu, dass auf dieses Werk nach Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2006/116/EG in sämtlichen Mitgliedstaaten die Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers anzuwenden ist oder jedenfalls die von diesem Mitgliedstaat beibehaltene längere Schutzdauer auch in allen anderen Mitgliedstaaten gilt. Vielmehr gilt diese Schutzfrist nur in dem Mitgliedstaat, der von der Möglichkeit, eine längere Schutzfrist beizubehalten, Gebrauch gemacht hat (Fortführung von BGH, Urteil vom 7. Oktober 2009 I ZR 80/04, GRUR Int. 2010, 532 – Tonträger aus Drittstaaten II).

BGH, I ZB 63/12 – DESPERADOS/DESPERADO: Zur Warenähnlichkeit

BGH, Beschluss vom 6. November 2013 – I ZB 63/12 – DESPERADOS/DESPERADO

Amtlicher Leitsatz:

Bei der Beurteilung der Frage der Warenähnlichkeit darf der Gesichtspunkt der funktionellen Ergänzung nicht zur Vernachlässigung der weiteren Faktoren ver-leiten, die im Rahmen der Prüfung der Produktähnlichkeit relevant sein können. Entsprechendes gilt für die Verhältnisse beim Vertrieb der Waren, denen bei der Beurteilung der Frage, ob die Waren einander ähnlich sind, häufig nur ein geringeres Gewicht zukommt.

BGH, I ZR 133/12: Urteilsergänzung statt Protokollberichtigung

BGH, Urteil vom 24. September 2013 – I ZR 133/12

Amtlicher Leitsatz:

Wird bei der Verkündung eines Urteils in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, versehentlich ein von einer Partei geltend gemachter Haupt- oder Nebenanspruch übergangen, kann dieser Mangel nicht durch eine Protokollberichtigung nach § 164 ZPO, sondern nur im Wege einer Urteilsergänzung gemäß § 321 ZPO behoben werden.