Formerfordernisse für die Übertragung des Prioritätsrechts
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich im Verfahren X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe mit den Formerfordernissen für die Übertragung des Prioritätsrechts zu befassen, wenn die Priorität einer nationalen Erstanmeldung für eine europäische Nachanmeldung in Anspruch genommen wird.
Nach der BGH-Entscheidung sind die Formerfordernisse, denen die Übertragung des Prioritätsrechts unterliegt, nach dem Forderungsstatut (Art. 33 Abs. 2 EGBGB in der bis zum 17.12.2009 geltenden Fassung bzw. nunmehr Art. 14 Abs. 2 Rom-I-VO) zu bestimmen. Dies führt dazu, dass die Formerfordernisse für die Übertragung des Prioritätsrechts dem Recht des Staats der Erstanmeldung unterliegen. Entsprechend ist die Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität einer deutschen Patentanmeldung auch dann nicht formbedürftig, wenn die Priorität für eine europäische Patentanmeldung in Anspruch genommen werden soll (Leitsatz 1).
Die Entscheidung X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe grenzt sich dezidiert von der Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 ab. In der Entscheidung T 62/05 hatte die Beschwerdekammer für den Fall einer europäischen Nachanmeldung gefordert, dass die Übertragung des Prioritätsrechts den Formerfordernissen des Art. 72 EPÜ genügen muss, also der Schriftform unterliegt und von beiden Vertragsparteien unterschieben sein muss. Die Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 führt zur Anwendbarkeit der Formerfordernisse des Rechts, dem die Nachanmeldung unterliegt, und nicht – wie nunmehr die BGH-Entscheidung X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe – zur Anwendbarkeit des Rechts, dem die Erstanmeldung unterliegt. Die in der Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 aufgestellten Formerfordernisse für die Übertragung des Prioritätsrechts hatten sich insbesondere im Einspruchsverfahren zu einer scharfen Waffe für den Einsprechenden entwickelt, da beispielsweise die nach US-Recht nur vom Erfinder als Zedenten zu unterschreibende Übertragungserklärung regelmäßig nicht der Formvorschrift des Art. 72 EPÜ genügt und eine Heilung nach Einreichung der Nachanmeldung nicht mehr möglich war. Die Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 wurde in der Literatur auch stark kritisiert (vgl. T. Bremi: ‚Traps when transferring priority rights, or When in Rome do as the Romans do: A discussion of some recent European and national case law and its practical implications.‘ In: epi Information, 1/2010).
Der Patentanmelder wird dennoch gut beraten sein, das Prioritätsrecht auch weiterhin so zu übertragen, dass die Übertragung den Formvorschriften des Art. 72 EPÜ genügt. So lange das Risiko besteht, dass eine Beschwerdekammer ein europäisches Patent im Einspruchsbeschwerdeverfahren wegen nicht wirksamer Inanspruchnahme der Priorität widerruft, ist es nur ein schwacher Trost, dass der BGH in einem etwaigen Nichtigkeitsverfahren basierend auf den in der Entscheidung X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe aufgestellten Grundsätzen anders entschieden hätte.