BGH, X ZR 40/23 – Spreizdübel II: Anforderungen an product-by-process-Ansprüche
BGH, Urteil vom 17. Juli 2025 – X ZR 40/23 – Spreizdübel II
Leitsätze des Gerichts:
EPÜ Art. 52
a) Bei der Prüfung der Patentfähigkeit des Gegenstands eines product-by-process-Anspruchs ist zu klären, ob sich das im Anspruch angegebene Herstellungsverfahren in spezifischen Eigenschaften des Erzeugnisses niederschlägt, durch die es sich von den im Stand der Technik bekannten Erzeugnissen unterscheidet.
b) Körperliche und funktionale Eigenschaften des Erzeugnisses, die sich aus der Anwendung des Verfahrens ergeben, gehören zu den Sachmerkmalen des beanspruchten Erzeugnisses. Ob es solche gibt und welche das sind, ist durch Auslegung des Patentanspruchs zu ermitteln (Bestätigung von BGH, Urteil vom 19. Juni 2001 – X ZR 159/98, GRUR 2001, 1129, 1133 – Zipfelfreies Stahlband; Urteil vom 8. Juni 2010 – X ZR 71/08, juris Rn. 24).
PatG § 116 Abs. 2 Nr. 2, § 117; ZPO §§ 530, 521 Abs. 2, § 296 Abs. 1
Ein erstmals nach Ablauf der Frist für die Berufungserwiderung gestellter Hilfsantrag des Nichtigkeitsbeklagten darf nur dann berücksichtigt werden, wenn seine Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder die Partei die Verspätung genügend entschuldigt [→ Umfang der Prüfung im Berufungsverfahren].
Aus der Entscheidungsbegründung:
Der Bundesgerichtshof bestätigt und präzisiert in der Entscheidung „Spreizdübel II“ seine bisherige Rechtsprechung zu product-by-process-Ansprüchen und zur Zulässigkeit verspäteten Vorbringens im Berufungsverfahren.
- Product-by-process-Ansprüche (PbP) – rechtliche Einordnung und Anforderungen
- Ein Patentanspruch darf ein Erzeugnis auch durch ein bestimmtes Herstellungsverfahren kennzeichnen („product-by-process“), wenn die Beschreibung durch physische Merkmale unmöglich oder unpraktikabel ist. Die Angabe des Verfahrens dient dabei lediglich der Kennzeichnung des Erzeugnisses, nicht der Beschränkung auf ein bestimmtes Herstellungsverfahren.
- Entscheidend ist, ob das im Anspruch genannte Verfahren spezifische, unterscheidbare Eigenschaften des Erzeugnisses bewirkt. Solche Eigenschaften müssen gegenüber dem Stand der Technik (neuheitsschaffend und erfinderisch) abgrenzbar sein.
- Die im Verfahren erzeugten körperlichen und funktionalen Merkmale gehören zu den Sachmerkmalen des beanspruchten Erzeugnisses und sind durch Auslegung zu ermitteln (unter Verweis auf „Zipfelfreies Stahlband“, BGH X ZR 159/98, und „Pulsationsdämpfer“, BGH X ZR 28/22).
- Selbst wenn das Verfahren neu und erfinderisch ist, kann das Erzeugnis nicht patentierbar sein, wenn es als solches nicht neu und erfinderisch ist.
- Verspätetes Vorbringen im Berufungsverfahren
- Hilfsanträge, die erst nach Fristablauf zur Berufungserwiderung gestellt werden, sind nur zulässig, wenn sie das Verfahren nicht verzögern oder wenn die Verspätung genügend entschuldigt ist (§§ 530, 521 Abs. 2, 296 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 117 PatG).
- Ein solcher verspäteter Antrag ist regelmäßig nicht sachdienlich, wenn bereits in erster Instanz, insbesondere nach Hinweisen des Patentgerichts (§ 83 Abs. 1 PatG), Anlass zur Stellung entsprechender Anträge bestand.
- Der Berufungsbeklagte muss den Erfolg in erster Instanz prüfen und auf etwaige Risiken durch frühzeitige, hilfsweise Anträge reagieren (§ 116 Abs. 2 Nr. 1 PatG).