LG Hamburg, 310 O 227/23
LG Hamburg, Urteil vom 27.09.2024 – 310 O 227/23
Nicht-amtliche Leitsätze:
1. Die Schrankenregelung des § 60d UrhG erlaubt die Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke für Text- und Data-Mining, sofern diese durch gemeinnützige Forschungsorganisationen für wissenschaftliche Zwecke erfolgt und keine kommerziellen Zwecke verfolgt werden. Die Bereitstellung des resultierenden Datensatzes für die Öffentlichkeit zu Forschungszwecken steht der Anwendbarkeit dieser Schranke nicht entgegen.
2. Eine Vervielfältigungshandlung ist nicht durch die Schrankenregelung des § 44a UrhG gedeckt, wenn sie weder flüchtig noch begleitend ist. Eine gezielte, programmierte Speicherung und Verarbeitung urheberrechtlich geschützter Inhalte zum Zwecke der Analyse ist keine flüchtige oder begleitende Nutzung im Sinne des § 44a UrhG.
3. Die Schrankenregelung des § 44b Abs. 2 UrhG erlaubt die Vervielfältigung digitaler Werke für Text- und Data-Mining, sofern sie der automatisierten Analyse zur Gewinnung von Informationen über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b Abs. 1 UrhG dient. Die Erkennung von Korrelationen zwischen Werkbestandteilen, wie Bild-Text-Beziehungen, fällt unter die privilegierten Zwecke dieser Schranke.
4. Eine teleologische Reduktion des § 44b UrhG, die die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke für das Training von Künstlicher Intelligenz (KI) ausschließt, ist nicht geboten. Die Schranke des § 44b UrhG umfasst auch die Gewinnung von Korrelationen zwischen Werkbestandteilen, ohne dass zwingend eine Nutzung des geistigen Inhalts des Werkes beabsichtigt ist.
5. Ein Nutzungsvorbehalt im Sinne des § 44b Abs. 3 UrhG muss ausdrücklich und maschinenlesbar erklärt werden, um die Anwendung der Schrankenregelung auszuschließen. Der Vorbehalt muss konkret formuliert sein, sodass er automatisiert und zweifelsfrei als Einschränkung für Text- und Data-Mining erkannt werden kann.
Aus der Urteilsbegründung:
Das Urteil des LG Hamburg vom 27.09.2024 (Az. 310 O 227/23) befasst sich mit der Frage, ob die Vervielfältigung einer Fotografie, die von einem gemeinnützigen Verein zur Erstellung eines KI-Trainingsdatensatzes heruntergeladen und analysiert wurde, eine urheberrechtliche Verletzung darstellt oder durch die Schrankenregelungen der §§ 44a, 44b und 60d UrhG gedeckt ist.
Der Kläger, der Urheber der streitgegenständlichen Fotografie, klagte gegen die Vervielfältigung seines Bildes durch den Beklagten. Das Bild war auf der Webseite einer Bildagentur öffentlich mit Wasserzeichen einsehbar und wurde vom Verein im Rahmen der Erstellung eines Datensatzes für KI-Trainingszwecke analysiert und verwendet. Der Kläger argumentierte, dass die Nutzung ohne seine Zustimmung eine Verletzung seiner Verwertungsrechte darstelle und dass die Schranken des UrhG, insbesondere § 44a und § 44b, diese Nutzung nicht decken.
Das Gericht prüfte zunächst die Anwendbarkeit des § 44a UrhG, der vorübergehende Vervielfältigungshandlungen erlaubt, die flüchtig und begleitend sind. Es entschied, dass diese Schranke im vorliegenden Fall nicht greift, da die Vervielfältigung gezielt und dauerhaft zur Analyse der Bild-Text-Paare erfolgte. Die Speicherung war nicht nur flüchtig, sondern bewusst programmiert und aktiv gesteuert. Zudem war der Download der Bilder kein bloßer Nebenschritt, sondern ein eigenständiger Vorgang, der primär dem Zweck der Analyse diente. Somit wurde die Anwendbarkeit des § 44a UrhG verneint.
Zur Anwendbarkeit des § 44b UrhG stellte das Gericht fest, dass die Vervielfältigung grundsätzlich dem Text- und Data-Mining gemäß § 44b Abs. 1 UrhG entsprach, da die Analyse darauf abzielte, Korrelationen zwischen Bildinhalten und Beschreibungen zu gewinnen, was die Voraussetzungen des § 44b Abs. 2 UrhG erfüllt hätte. Allerdings äußerte das Gericht Zweifel an der Anwendung dieser Schrankenregelung aufgrund eines möglichen Nutzungsvorbehalts der Bildagentur nach § 44b Abs. 3 UrhG. Dieser Vorbehalt, der auf der Webseite der Bildagentur formuliert war, untersagte automatisierte Zugriffe, einschließlich Webscraping. Fraglich war jedoch, ob dieser Vorbehalt ausreichend konkret und maschinenlesbar formuliert war, um als wirksamer Nutzungsvorbehalt gemäß § 44b Abs. 3 UrhG zu gelten. Da die genaue technische Erfassbarkeit des Vorbehalts in natürlicher Sprache und die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen nicht eindeutig war, ließ das Gericht diese Frage offen.
Letztlich entschied das Gericht, dass eine abschließende Prüfung des § 44b UrhG entbehrlich sei, da die Schrankenregelung des § 60d UrhG, die Text- und Data-Mining für wissenschaftliche Zwecke erlaubt, im vorliegenden Fall greift. Der Beklagte agierte als gemeinnütziger Verein mit wissenschaftlicher Zielsetzung und verfolgte keine kommerziellen Zwecke. Da der Datensatz kostenfrei und für die Forschung zur Verfügung gestellt wurde, bejahte das Gericht die Voraussetzungen des § 60d UrhG, der die Vervielfältigungshandlung unabhängig von den Regelungen des § 44b UrhG deckt.
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